Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit aufgrund wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 16.2716

Datum:
3.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Ein Gewerbetreibender ist dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (Anschluss an die stRspr, vgl. ua BVerwG BeckRS 9998, 44552). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (Anschluss an VGH München BeckRS 2012, 59081). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gründe für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Gewerbetreibenden sind im gewerberechtlichen Untersagungsverfahren unerheblich. Auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden kommt es nicht an (Anschluss an VGH München BeckRS 2015, 45791 Rn. 20). Dies gilt auch dann, wenn es um Steuerrückstände geht (Anschluss an BVerwG BeckRS 1996, 31225303). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Erlass einer erweiterten Gewerbeuntersagung setzt das Vorliegen einer „gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit“ des Betroffenen voraus. Darüber hinaus muss die Erstreckung der Untersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende Tätigkeiten ausweicht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine bereits erhobene Klage gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
Der Antragsteller begann am 1. September 2009 den Betrieb seines Gewerbes „Einzelhandel mit Einzelhandel mit Mit Schreiben vom … Dezember 2015 regte der Rechtsanwalt eines Telekommunikationsunternehmens gegenüber der Antragsgegnerin an, dem Antragsteller die Ausführung seines Gewerbes zu untersagen, da eine Vermögensauskunft abgegeben worden sei.
Das Finanzamt M. teilte mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 mit, dass Steuerrückstände in Höhe von Euro 7.057,90 bestünden. Eine letzte freiwillige Zahlung in Höhe von Euro 410,3 sei im September 2015 erfolgt.
Das Kassen- und Steueramt der Antragsgegnerin teilte mit Telefax vom 21. Januar 2016 mit, dass Gewerbesteuerrückstände in Höhe von Euro 6.937,59 bestünden.
Am 29. Februar 2016 rief die Antragsgegnerin Einträge hinsichtlich des Antragstellers im Vollstreckungsportal ab. Beginnend ab dem 31. März 2015 fanden sich dort 42 Eintragungen, die letzte Eintragung stammte vom 27. Januar 2016. Die Eintragungen bezogen sich auf die Nichtabgabe der Vermögensauskunft und den Ausschluss der Gläubigerbefriedigung.
Mit Schreiben vom 1. März 2016 wurde der Antragsteller zu einer erweiterten Ge-werbeuntersagung angehört. Die vorgenannten, von der Antragsgegnerin ermittelten Tatsachen, wurden dem Antragsteller mitgeteilt. Gleichzeitig wurde die zuständige Industrie- und Handelskammer unter Übersendung des Anhörungsschreibens an den Antragsteller gebeten, zu einer möglichen Gewerbeuntersagung Stellung zu nehmen.
Mit Schreiben vom … März 2016 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit, dass das im Jahr 2009 aufgenommene Gewerbe zunächst sehr erfolgreich gewesen sei. Der Umsatz sei von zunächst ca. Euro 380.000 auf Euro 812.248,05 im Jahr 2013 gesteigert worden. Im Jahre 2013 hätten die sich über Jahre hinziehenden Groß- und Dauerbaustellen im Stadtbereich dem Standort des streitgegenständlichen Gewerbebetriebs, begonnen. Zwingende Folge hiervon sei ein gravierender Umsatzeinbruch des Gewerbes des Antragstellers, dies habe auch eine Vielzahl von Fach- und Traditionsgeschäften betroffen. Es handle sich hierbei nicht um Antragsteller vertretende Umstände. Die Umsatzeinbrüche hätten ihre Ursache in der teilweisen Unerreichbarkeit des Gewerbebetriebs aufgrund der Bauarbeiten, weshalb Kunden ausgeblieben sein. Die Dauerbaustelle habe 104 Firmeninsolvenzen zur Folge gehabt, davon die Hälfte hochwertige Fach- und Traditionsgeschäfte. Dem Antragsteller sei – ohne Präjudiz – von der Antragsgegnerin ein Entschädigungsgebot in Höhe von Euro 11.500,00 angeboten worden. Ausschließlich baustellenbedingt habe der Antragsteller beispielsweise im Jahr 2014 einen Bruttoumsatzverlust von Euro 375.893,42 verzeichnet. Beim Finanzamt M. sei festgestellt worden, dass der Antragsteller insoweit einen Gewerbeverlust (31. Dezember 2013) in Höhe von minus Euro 47.464,00 verzeichnet habe. Der Gewerbeverlust für das Jahr 2014 habe sich auf minus Euro 84.237,00 bezogen. Ebenfalls ausschließlich baustellenbedingt und nicht vom Antragsteller zu vertreten habe sich im Kalenderjahr 2015 keine positive Veränderung ergeben. Ab Beginn des Jahres 2016 seien leichte Umsatzsteigerung zu verzeichnen. Bis Ende 2014 habe der Antragsteller über eine ausgezeichnete Bonität verfügt. Pflichtwidrigkeiten jeder Art seien vom Antragsteller nicht zu vertreten. Selbst wenn es für das Vorliegen einer gewerberechtlich Unzuverlässigkeit nicht auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden ankomme, bedürfe es jedenfalls, so auch in diesem Fall, der Einzelfallprüfung sowie einer ordnungsgemäßen Interessenabwägung. Ferner komme eine Gewerbeuntersagung nicht in Betracht, wenn der Gewerbetreibende nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeite. Entsprechendes erfolgte beim Antragsteller seit dem Jahre 2014. Mit der Stellungnahme zur Anhörung wurde ein Schreiben auf dem Briefkopf des Gewerbebetriebs übersandt, dass mit Sanierungsplan überschrieben ist und vom … November 2014 datiert. In diesem Schreiben sind Einsparmaßnahmen aufgelistet. Unter anderem soll laut diesem Dokument die Kündigung eines Mietobjekts und die Entlassung von Mitarbeitern sowie die Einstellung von Werbung und sozialer Arrangements insgesamt eine Einsparung von Euro 162.000,00 im Jahr erbringen.
Mit Schreiben vom 4. April 2016 teilte die Antragsgegnerin dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass die übermittelten Unterlagen nicht den gewerberechtlichen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes, zielführendes Gesamtsanierungskonzept entsprächen. Es wurde eine Frist bis zum 4. Mai 2016 eingeräumt, einen aktuellen und mit Belegen dokumentierten Sanierungsplan vorzulegen. Es würden aber insbesondere gerichtsverwertbare Beweise für das Bestehen von Zahlungsvereinbarungen mit dem Finanzamt M., dem Kassen- und Steueramt der Antragsgegnerin sowie allen Gläubigern, welche die insgesamt 42 Einträge beim zentralen Vollstreckungsgericht veranlasst hätten, erwartet.
Die Industrie- und Handelskammer teilte mit Schreiben vom 14. April 2016 mit, dass keine Einwendungen gegen eine Gewerbeuntersagung bestünden, vorbehaltlich der Vorlage entkräftender Unterlagen.
Mit Schreiben vom … Mai 2016 wurden vom Bevollmächtigten des Antragstellers diverse Unterlagen übersandt, unter anderem ein als Fortführungsprognose bezeichnetes Dokument vom … April 2016. In diesem wird vom Antragsteller ausgeführt, dass er durch Dauerbaustellen bezüglich der sechsjährigen Stadtteilsanierung von … und einer fast achtmonatigen Baustelle vor seinem Gewerbebetrieb extreme Umsatzeinbrüche erleiden musste und in eine existenzvernichtende Situation gebracht worden sei. Der Antragsteller zeigte die Umsatzentwicklung im Detail auf und stellte die Prognose auf, dass die Umsätze Ende 2016 um 21-22% gestiegen sein und sich in den Folgejahren weiter positiv entwickeln würden. Es sei davon auszugehen, dass im dritten Jahr nach den baustellenbedingten Umsatzrückgängen Rückzahlungen an die 42 vorhandenen Gläubiger geleistet werden könnte. Im Übrigen würden bereits Lieferanten mit Ratenzahlung bedient. Der Antragsteller habe außerdem alle gerichtlichen Titel nie bestritten und immer Kontakt zu seinen Gläubigern offen und ehrlich gehalten.
Am 11. Mai 2016 fragte die Antragsgegnerin erneut Einträge im Vollstreckungsportal bezüglich des Antragstellers ab. Es wurden 49 Eintragungen gefunden, die letzte Eintragung datierte vom 18. April 2016. Weiter ergaben telefonische Nachfragen, dass beim Finanzamt M. aktuell eine Steuerschuld in Höhe von Euro 10.764,22 bestehe. Die Rückstände beim Kassen- und Steueramt der Antragsgegne rin betrügen Euro 6.937,59. Weder dem Finanzamt noch dem Kassen- und Steueramt sei ein Sanierungsplan vorgelegt worden.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2016, zugestellt am 18. Mai 2016, wurde dem Antragsteller die Ausübung des Einzelhandels mit … und des Einzelhandels mit … im stehenden Gewerbe untersagt (Nr. 1). Die Gewerbeuntersagung wurde auf jegliche, zulassungsfreie Tätigkeit im stehenden Gewerbe und jegliche Tätigkeit als Geschäftsführer oder sonstige vertretungsberechtigte eines anderen Gewerbetreibenden ausgedehnt (Nr. 2). Die untersagte Gewerbetätigkeit sei spätestens mit Ablauf des 14. Tages nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids einzustellen (Nr. 3). Sollte der Antragsteller der unter Nr. 3 des Bescheids beschriebenen Verpflichtung nicht nachkommen, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht (Nr. 4). Der Antragsteller habe sich auch nach der erfolgten Anhörung nicht mit seinen öffentlich-rechtlichen Gläubigern, Finanzamt M. und Kassen- und Steueramt der Antragsgegnerin, in Verbindung gesetzt, geschweige denn ein aktuelles, schriftliches Sanierungskonzept vorgelegt. Der Antragsteller besitze die zur selbständigen Ausübung seines Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht. Die Unzuverlässigkeit des Antragstellers ergebe sich insbesondere aus der Tatsache, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkomme. Es spiele keine Rolle, aus welchen Gründen er dies nicht konnte oder wollte. Das Zahlungsgebaren des Antragstellers offenbare einen mangelnden Leistungswillen, der seine Unzuverlässigkeit beweise. Ein Gewerbetreibender, der seine Gläubiger dazu zwinge, ihre berechtigten Forderungen unter Anwendung von Zwangsvorstellungsmaßnahmen einzutreiben und ihnen nicht von sich aus ernsthafte Zahlungsvereinbarung unterbreite, sei entweder nicht willens oder völlig außerstande, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Der Antragsteller hätte, nachdem er erkannt haben musste, dass er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne, von sich aus die Konsequenzen aus dieser wirtschaftlichen Situation ziehen müssen. Bis heute habe der Antragsteller die seit längerer Zeit andauernde, erkennbare Überschuldung seines Betriebs in völliger Verkennung der realen Marktgegebenheiten hingenommen. Sie hätten ihn nicht zu wirkungsvollen Sanierungsmaßnahmen veranlassen können. Die vielfältigen Bestrebungen des Antragstellers, die Umsatzlage seines Betriebs zu verbessern und dessen weitere Existenz über den Abschluss von Zahlungsvereinbarungen vorübergehend zu sichern, werde nicht verkannt. Jedoch arbeite er dabei nicht nach einem qualifizierten und erfolgversprechenden Sanierungsplan, welcher voraussetzen würde, dass er bereits aktuell sämtliche Gläubiger im Rahmen von rechtssicheren Zahlungsvereinbarungen bedienen würde. Bis heute sei nicht einmal eine Ratenzahlungsverhandlung mit dem Finanzamt M. bzw. dem Kassen-und Steueramt der Antragsgegnerin aufgenommen worden. Gleiches gelte scheinbar für die mittlerweile weiteren 49 Gläubiger, mit denen sich der Antragsteller nach eigenen Angaben einigen wollte. Unter Würdigung aller bekannten Tatsachen könnte auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit nur durch eine Untersagung der Ausübung des Gewerbes ausreichend Rechnung getragen werden. Diese Maßnahme sei erforderlich, da die Steuerrückstände sowohl von ihrer absoluten Höhe der, als auch im Verhältnis zur Ertragskraft des Unternehmens erheblich seien und zudem kontinuierlich weiter ansteigen würden. Es sei auch nicht erkennbar, wie die Vielzahl an sonstigen Gläubigern in absehbarer Zeit befriedigt werden könnte. Der Antragsteller könne seinen notwendigen Lebensunterhalt auch aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis heraus bestreiten. Übermäßig harte Konsequenzen hätte er nicht zu tragen. Die Gewerbeuntersa-gung werde nach pflichtgemäßem Ermessen ausgedehnt. Der Antragsteller sei gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er Pflichten verletzt hätte, die für jeden Gewerbetreibenden gelten würden.
Am … Juni 2016 wurde vom Bevollmächtigten des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 12. Mai 2016 erhoben. Es könne nicht davon ausgegangen werden,
dass der Antragsteller seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme. Zahlungsverzug sei erst ab dem Jahr 2015 feststellbar, begründet in der Baustellenmaßnahme in München … Es fehle an einer ordnungsgemäßen und sachgemäßen Ermessensausübung. Die erweiterte Gewerbeuntersagung sei ohne ordnungsgemäße pflichtgemäße Interessenabwägung erfolgt, die Antragsgegnerin habe insoweit die ihr obliegende Ermessensgrenze überschritten. Die Tatsache, dass im Jahr 2013 … eine über die Jahre andauernde Großbaustelle installiert wurde, sei vom Antragsteller nicht zu vertreten. Die wirtschaftliche Schieflage resultiere alleine aus den Bauarbeiten und der Nichterreichbarkeit des Betriebs des Antragstellers.
Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2016 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie unverändert an der im Gewerbeuntersagungsbescheid mitgeteilten Rechtserfassung festhalte. Die Antragsgegnerin teilte ferner mit Schriftsatz vom 26. August 2016 mit, dass eine Vielzahl von Einträgen Schuldnerverzeichnis sowie die Rückstände beim Finanzamt M. bzw. beim Kassen- und Steueramts der Antragsgegnerin eindrucksvoll belegten, dass der Antragsteller in den letzten Jahren seinen Zahlungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Ein fehlendes Verschulden für die finanzielle Schieflage sei im Rahmen einer Gewerbeuntersagung nicht relevant. Die Antragsgegnerin habe daher bei ihrer Entscheidung richtigerweise lediglich die Fakten, nicht aber deren Ursachen zu Grunde gelegt. Der Antragsgegnerin stehe bei der Frage, ob ein ausgeübtes Gewerbe zu untersagen sei, kein Ermessen im Rechtssinn zu. Allerdings hätte die Antragsgegnerin die Umstände des Einzelfalls selbstverständlich bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit einfließen lassen. Bezüglich der Entscheidung in Nr. 2 des Tenors des Bescheids habe sie ihr grundsätzliches Ermessen erkannt und ausgeübt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom … November 2016,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihn beizuordnen. Die Antragsgegnerin äußerte sich zu diesem Antrag nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie die von der Antragsgegnerin vorgelegte Akte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt ohne Erfolg.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt dabei nicht erst dann vor, wenn der erfolgreiche Ausgang des Prozesses gewiss oder überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr genügt zur Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit hiervon. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung in das Prozesskostenhilfeverfahren vor zu verlagern. Sofern jedoch die Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg bietet, ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Die zulässige Klage hat bei der gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Antragsgegnerin ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers i.S. des § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 -juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris).
Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 20). Dies gilt auch dann, wenn es um Steuerrückstände geht (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris Rn. 4).
Die negative Prognose der Antragsgegnerin rechtfertigt sich zunächst im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorliegenden erheblichen Rückstände beim Finanzamt und beim Kassen- und Steueramt der Antragsgegnerin. Im Rahmen des § 35 GewO ist eine auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung nicht anders zu würdigen als eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt (vgl. BVerwG, B. v. 25.10.1996 – 1 B 214/96 – juris; BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris). Ergänzend bleibt auszuführen, dass sich die negative Prognose der Antragsgegnerin hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers auch durch die zahlreichen Eintragungen im Vollstreckungsportal, die die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit des Antragstellers belegen, im Zeitpunkt des Bescheidserlasses rechtfertigt. Da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt, war es auch nicht maßgeblich, aus welchen Gründen es zu den Zahlungsrückständen gekommen ist und wieweit der Antragsteller ggf. bemüht war, seinen Zahlungspflichten nachzukommen, da er hierzu jedenfalls wirtschaftlich nicht in der Lage war. Von der Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers war auszugehen. Der Antragsteller war zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses mit 49 Einträgen im Vollstreckungsportal erfasst.
Umstände, die eine positive Prognose in Bezug auf die gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers rechtfertigen könnten, insbesondere für eine Besserung seiner wirtschaftlichen Situation oder die Existenz eines erfolgversprechenden Sanierungskonzepts, bestanden nicht. Ein tragfähiges Sanierungskonzept des Antragstellers, das die geordnete Rückführung der Steuer- und Beitragsschulden in einem überschaubaren Zeitraum hätte erwarten lassen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 2.2.1982 -1 C 146/80 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris Rn. 17 f.), lag nicht vor. Der Antragsteller zeigt bis heute kein tragfähiges Sanierungskonzept auf. Grundsätzlich setzt ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept im Einzelnen nämlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und auch ein Tilgungsplan effektiv eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 08.07.2013 – 22 C 13.1163 – juris; B.v. 26.03.2013 – 22 ZB 12.2633 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 11.02.2016 – 7 PA 12/16 – juris). Es obliegt dabei dem Gewerbetreibenden, hinreichend substantiierte Angaben zu machen, die die Prüfung ermöglichen, ob ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept vorliegt (vgl. Hessischer VGH, U.v. 26.11.1996 – 8 UE 2858/96 – juris). Der Erstellung eines solchen überzeugenden Sanierungskonzepts steht bereits entgegen, dass der Antragsteller nach Mitteilung des Finanzamts und des Kassen- und Steueramts der Antragsgegnerin weder einen tragfähigen Ratenzahlungsplan noch ein sonstige Konzept zur Reduzierung seiner (Steuer-)schulden unterbreitet hat.
Soweit der Antragsteller meint, die Gewerbeuntersagung sei unverhältnismäßig, hat der Antragsteller kein schlüssiges Argument gegen den streitgegenständlichen Bescheid vorgebracht. Die Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung ist gleichfalls nur im Hinblick auf die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung bestehenden Umstände zu beurteilen, nicht dagegen in Bezug auf möglicherweise nachträglich eintretende Tatsachen wie etwa eine spätere Schuldentilgung. Die Unterbindung der künftigen Gewerbeausübung liegt im Wesen der Gewerbeuntersa gung und kann deshalb für sich genommen keinen außergewöhnlichen Ausnahmefall begründen, der die Verhältnismäßigkeit dieser Entscheidung in Frage stellen könnte (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 22 ZB 15.1271 – Rn. 24 und 25). Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein, ein solcher ist nicht ersichtlich. In der Regel führt zudem eine andere Maßnahme als die Untersagung nicht zu dem behördlich angestrebten Erfolg, insbesondere wenn sich die Unzuverlässigkeit in erster Linie aus einer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit ergibt und damit aus einem Umstand, von dem schwerwiegende Gefahren nicht nur für die im Betrieb Beschäftigten, sondern gerade und erst recht für die Allgemeinheit ausgehen. Diesen Gefahren kann nur durch die völlige Untersagung der Gewerbeausübung gewehrt werden. Der Umstand, dass der Gewerbetreibende möglicherweise Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit (Hoffmann u.a. in Praxis der Kommunalverwaltung, Band K 2 a Bund, Stand Dezember 2016, § 35 GewO, Rn. 1.3). Dem Antragsteller steht weiterhin die Möglichkeit zu, durch abhängige Beschäftigung seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Auch die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung auf weiteres gewerbliches Tätigwerden des Antragstellers ist nicht zu beanstanden. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Erlass einer solchen erweiterten Gewerbeunter-sagung das Vorliegen einer „gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit“ des Betroffenen voraus. Darüber hinaus muss die Erstreckung der Untersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende Tätigkeiten ausweicht. Ausreichend für diese Annahme ist es, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe oder eine der genannten leitenden Tätigkeiten in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; BVerwG, B.v. 11.9.1992 – 1 B 131/92 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2011 22 B 09.2785 – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls gegeben. Mit der Verletzung steuerrechtlicher Pflichten hat der Antragsteller Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dieses Verhalten begründet eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit. Dies rechtfertigt wiederum die Annahme, dass der Antragsteller ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen wird. Es ist auch zu erwarten, dass er auf solche Tätigkeiten ausweichen wird.
Auch die Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO) der Antragsgegnerin ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere steht der Ausschluss eines Gewerbetreibenden, der gewerbeübergreifend unzuverlässig ist, aus dem Wirtschaftsverkehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 GG in Einklang (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris).
Gegen die weiteren Verfügungen des streitgegenständlichen Bescheids hat der Antragsteller rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Gegen die Abwicklungsfrist (Nr. 3) und die Zwangsmittelandrohung (Nr. 4) bestehen damit keine rechtlichen Bedenken.
Nachdem der Antragsteller mit seiner Klage keine Aussicht auf Erfolg hat und schon aus diesem Grund der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hierfür abzulehnen war, kommt es vorliegend auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht mehr an.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben