Steuerrecht

Erwerbsvorgang und Grunderwerbssteuer

Aktenzeichen  4 K 270/20

Datum:
20.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2021, 124
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
GrEStG § 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5, § 18 Abs. 3, § 19 Abs. 3
AO § 110, § 164 Abs. 1

 

Leitsatz

Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, ordnungsgemäße Anzeige des Erwerbsvorgangs gem. § 18 Abs. 3, § 19 Abs. 3, § 16 Abs. 5 GrEStG

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Streitig ist, ob eine die Grunderwerbsteuer auslösende Anteilsübertragung ordnungsgemäß i.S.d. § 16 Abs. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) angezeigt wurde.
An der O GmbH waren die Klägerin mit 90,1% und die M AG mit 9,9% beteiligt. Die O GmbH ist Eigentümerin eines Wohn- und Geschäftshauses in X-Stadt.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22. Dezember 2016 verkaufte die M AG ihren Anteil von 9,9% an der O GmbH an die Klägerin zum Kaufpreis von 2.475 €. Die Klägerin wurde bei Vertragsschluss durch ihren damaligen Geschäftsführer Herrn A vertreten, der alleinvertretungsberechtigt war. Die M AG, deren Vertretungsregelung vorsah, dass die Gesellschaft nur durch zwei Vorstandsmitglieder vertreten werden konnte, wurde bei Vertragsschluss durch Herrn B vertreten. Dieser handelte zum einen als Vorstand der M AG. Zum anderen handelte er, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung die mit ihrem Zugang beim Notar wirksam sein sollte, für seinen Mitvorstand Herrn C. Herr C genehmigte den Vertrag am 23. Dezember 2016. Die Genehmigung des Vertrages durch Herrn C ging dem beurkundenden Notar am 30. Dezember 2016 zu.
Am 30. Dezember 2016 übersandte der beurkundende Notar eine Kopie des Vertrages an das Finanzamt X-Stadt Abteilung Körperschaften. Die vom beurkundenden Notar dem beklagten Finanzamt (FA) übersandte Veräußerungsanzeige samt Kopie des Vertrages vom 22. Dezember 2016 ging am 12. Januar 2017 beim FA ein.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2018 setzte das FA gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer i.H.v. 197.792 € fest. Den Grundbesitzwert schätzte das FA i.H.v. 5.651.200 €, der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12. Juni 2018 trat die Klägerin 9,9% ihrer Anteile an der O GmbH an die M AG zum Kaufpreis von 2.475 € ab.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 beantragte die Klägerin die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 2. Mai 2018 gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei am 30. Dezember 2016 an das Finanzamt X-Stadt übersandt worden. Die zuständige Sachbearbeiterin des beurkundenden Notars habe die Anzeige an die Grunderwerbsteuerstelle des FA nicht mehr am 30. Dezember 2016 fertiggestellt. Da sie ab dem folgenden Arbeitstag, dem 2. Januar 2017 bis einschließlich 10. Januar 2017 krankgeschrieben gewesen sei, sei die Anzeige erst nach ihrer Rückkehr versandt worden.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2018 lehnte das FA den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 GrEStG ab. Der Aufhebung stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen, die Geschäftsanteilsabtretung sei nicht fristgerecht angezeigt worden. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei erst am 12. Januar 2017 und damit nicht fristgerecht i.S.d. § 16 Abs. 5 GrEStG beim FA eingegangen.
Mit Schreiben vom 1. August 2018 legte die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 28. Juni 2018 Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 19. September 2018 stellte die Klägerin den Antrag, die Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG gem. § 109 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend bis zum 13. Januar 2017 zu verlängern. Auch sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO zu gewähren.
Am 29. April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Mit Schreiben vom 13. November 2019 teilte die Klägerin mit, dass sie mit Zustimmung des Sachwalters das durch das Insolvenzverfahren unterbrochene Einspruchsverfahren gem. § 85 der Insolvenzordnung (InsO), § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) analog, § 155 FGO analog, § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufnähme und bat um den Erlass einer Einspruchsentscheidung.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2020 wies das FA den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 28. Juni 2018 als unbegründet zurück.
Nachdem das Finanzamt X-Stadt mit Bescheid vom 11. Mai 2020 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 22. Dezember 2016 den Grundbesitzwert für das Grundstück der O GmbH i.H.v. 17.271.500 € festgestellt hatte, setzte das FA mit gem. § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 7. Juli 2020 die Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin auf 604.502 € herauf und hob den Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO auf.
Zur Begründung der fristgerecht eingereichten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: § 16 Abs. 5 GrEStG stehe der Aufhebung des Steuerbescheides im Streitfall nicht entgegen. Der Erwerbsvorgang sei fristgerecht angezeigt worden. Zwar habe die Zweiwochenfrist für den Notar gem. § 18 Abs. 3 GrEStG bereits am 5. Januar 2017 geendet. Gehe man aber mit dem Bundesfinanzhof (BFH) davon aus, dass es ausreiche, wenn entweder der Notar oder der Steuerpflichtige seiner Anzeigepflicht nachkomme, so genüge es, dass dies innerhalb der länger laufenden Frist erfolge. Im Streitfall habe die Anzeigefrist für die Klägerin mit Zugang der Genehmigung des Vorstandes C beim Notar am 30. Dezember 2016 zu laufen begonnen und sei daher beim Eingang der Anzeige des Notars beim FA am 12. Januar 2017 noch nicht abgelaufen gewesen. Die Frist der Klägerin gem. § 19 Abs. 3 GrEStG habe erst mit Ablauf des 12. Januar 2017 geendet. Darüber hinaus sei der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Auch sei die Frist zur Erstattung der Anzeige im Streitfall gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 AO rückwirkend zu verlängern.
Die Klägerin beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 2. Mai 2018, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 7. Juli 2020, sowie in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2020 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Ansicht, der Aufhebung des Steuerbescheides stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Die Klägerin habe den Erwerbsvorgang nicht, der Notar nicht rechtzeitig angezeigt. Dass der verspäteten Anzeige des Notars eine Erkrankung seiner Mitarbeiterin zugrunde gelegen habe, habe keine Auswirkungen auf die Anzeigefrist.
Mit Schreiben des FA vom 6. März 2020 und mit Schreiben der Klägerin vom 23. Dezember 2020 haben die Beteiligten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuerakte des FA, sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Die Klage ist unbegründet.
a) Der Erwerbsvorgang unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer.
aa) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95% der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.
bb) Im Streitfall wurde der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG somit am 30. Dezember 2016, mit Zugang der Genehmigung des Vertrags vom 22. Dezember 2016 durch Herrn C beim beurkundenden Notar verwirklicht. Die Klägerin, die vor Abschluss des Vertrages zu 90,1% an der O GmbH beteiligt war, hat dadurch einen Anspruch auf Übertragung der restlichen 9,9% der Anteile an der O GmbH erlangt.
b) Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Steuerfestsetzung nicht gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben war.
aa) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Diese Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus nicht nur den Rückerwerb des Eigentums an einem veräußerten Grundstück, sondern auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG. Wird ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG zwar innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht, war er aber nicht ordnungsgemäß angezeigt (§§ 18, 19 GrEStG) worden, schließt § 16 Abs. 5 GrEStG den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung aus. Gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG haben Notare dem zuständigen FA schriftlich Anzeige zu erstatten über Vorgänge, die die Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein im Geltungsbereich dieses Gesetzes liegendes Grundstück gehört. Die Anzeigen sind gem. § 18 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung zu erstatten und zwar auch dann, wenn die Wirksamkeit des Rechtsvorgangs – wie im Streitfallvom Eintritt einer Genehmigung abhängig ist. Die Anzeigepflicht ist hier mithin von der Entstehung der Steuerschuld unabhängig. Für den Steuerschuldner kodifiziert § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG für die Fälle des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG eine Anzeigepflicht gegenüber der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde. Die Anzeigepflichten sind gem. § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme vom anzeigepflichtigen Vorgang zu erfüllen. In den Fällen des § 19 Abs. 1 Satz 1 GrEStG besteht die Anzeigepflicht der Beteiligten auch dann, wenn der Erwerbsvorgang im Einzelfall nach § 18 GrEStG -z.B. durch einen Notaranzuzeigen ist, und zwar unabhängig davon, ob Letzteres geschehen ist (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BStBl II 1997, 85). Ein Steuerpflichtiger, der dieser Pflicht nicht nachkommt, kann sich nicht dadurch entlasten, dass der Notar die Erfüllung seiner Anzeigepflicht zugesagt und man übereinstimmend eine nochmalige Anzeige durch den Steuerpflichtigen selbst für entbehrlich gehalten hat (BFH-Urteil vom 4.März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301). Die etwaige Unkenntnis eines Beteiligten über seine Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG schließt die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG nicht aus. Für die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist unerheblich, aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgänge ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten. Daher ist die Anzeigepflicht der Beteiligten nicht davon abhängig, ob und inwieweit diese die Grunderwerbsteuerpflichtigkeit eines Rechtsvorgangs erkannt haben bzw. wussten, dass insoweit eine Anzeigepflicht bestand (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). § 16 Abs. 5 GrEStG dient der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und wirkt dem Anreiz entgegen, durch Nichtanzeige einer Besteuerung der in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgänge zu entgehen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Insbesondere soll die Vorschrift den Beteiligten die Möglichkeit nehmen, einen dieser Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (BFH-Beschluss vom 2. März 2011 II R 64/08, BFH/NV 2011, 1008; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Soweit eine Anzeigepflicht sowohl nach § 18 GrEStG als auch nach § 19 GrEStG besteht, ist den Zwecken des § 16 Abs. 5 GrEStG schon dann genügt, wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß nachkommt (BFH-Urteil vom 18. April 2012 II R 51/11, BStBl II 2013, 830; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist eine Anzeige i.S. des § 16 Abs. 5 GrEStG ordnungsgemäß, wenn der Vorgang innerhalb der in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 3 GrEStG vorgesehenen Anzeigefristen dem Finanzamt in einer Weise bekannt wird, dass es die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG prüfen kann. Die Anzeige muss grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden. Es genügt aber auch, wenn sich eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle adressierte Anzeige nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richtet. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung -insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte – an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFH-Urteil vom 23. Mai 2012 II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579).
bb) Im Streitfall hat das FA den Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zu Recht abgelehnt.
Aufgrund der vollständigen Aufhebung und Rückabwicklung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs sind zwar die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG im Streitfall erfüllt. Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht aber § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Weder die Klägerin, noch der beurkundende Notar haben den Erwerbsvorgang der Grunderwerbsteuerstelle des FA ordnungsgemäß angezeigt.
(1) Die Klägerin selbst hat den Erwerbsvorgang entgegen ihrer Pflicht aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuerstelle des FA nicht angezeigt. Darauf, dass die Klägerin keine Kenntnis von der Erkrankung der Notariatsangestellten sowie der darauf beruhenden verspäteten Anzeige des Notars hatte und ferner darauf vertraut hatte, dass der beurkundende Notar seiner Anzeigepflicht rechtzeitig nachkommen würde, kommt es in diesem Zusammenhang ebenso wenig an, wie darauf, dass die Klägerin nicht die Absicht hatte, den Erwerbsvorgang zu verschleiern. Denn für die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist es unerheblich, aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der GrESt unterliegenden Vorgänge besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten, auf ein Verschulden kommt es nicht an. Der Anzeigepflicht hatte die Klägerin unabhängig davon zu genügen, dass den beurkundenden Notar gemäß § 18 GrEStG eine eigene Anzeigepflicht traf, auch konnte die Erfüllung dieser gesetzlichen Anzeigepflicht nicht zum Gegenstand einer Vereinbarung mit dem Notar gemacht werden. Die Klägerin kann sich im Streitfall deshalb auch nicht dadurch entlasten, dass der Notar die Erfüllung seiner Anzeigepflicht zugesagt hat. Schließlich scheidet bei Versäumung der Anzeigefrist regelmäßig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) aus. Es kann offenbleiben, ob bei Versäumung der Frist zur Anzeige nach § 19 Abs. 3 GrEStG wegen ihrer Ausgestaltung als Steuererklärungsfrist überhaupt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO in Betracht kommt (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Jedenfalls scheitert im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an einem Verschulden der Klägerin, da sich diese nicht vergewissert hat, dass der Notar seiner Pflicht gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG innerhalb der Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG nachgekommen ist.
(2) Die fehlende Anzeige der Klägerin wurde auch nicht durch eine ordnungsgemäße, d.h. den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Anzeige des Notars (§ 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG) ersetzt. Die Anzeige des Notars ist dem FA erst am 12. Januar 2017 und damit außerhalb der mit Vertragsschluss am 22. Dezember 2016 beginnenden und am 5. Januar 2017 endenden Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG zugegangen. Die vom Notar unter Bezugnahme auf die Anzeigepflicht gemäß § 54 EStDV ausdrücklich an das Finanzamt München gerichtete Anzeige genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, denn die Anzeige war nach ihrem Inhalt nicht eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtet (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777).
Dass im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige des Notars beim FA die Frist für die Anzeigenerstattung der Klägerin gem. § 19 Abs. 3 GrEStG noch nicht abgelaufen war -diese endete erst mit Ablauf des 12. Januar 2017-, ändert daran nichts.
Unter Berücksichtigung der Normzwecke des § 16 Abs. 5 GrEStG -zum einen die Anzeigepflichten aus §§ 18, 19 GrEStG zu sichern, zum anderen dem Anreiz entgegenzuwirken, durch Nichtanzeige der Besteuerung eines Erwerbsvorgangs zu entgehenhätte nach Ansicht des Senats nur eine, innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG vom Notar erstattete Anzeige, die fehlende Anzeige der Klägerin ersetzt. Im Falle der Verlängerung der Anzeigenerstattungsfrist für Notare, die anders als die Frist nach § 19 Abs. 3 GrEStG vom Entstehen der Steuerschuld unabhängig ist, bis zum Ablauf der Anzeigenerstattungsfrist des Steuerpflichtigen, droht nach Ansicht des Gerichts die Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen. Gerade in Fällen wie dem Streitfall, in dem die Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG von einer Genehmigung des Steuerpflichtigen abhängt, wird das FA nur dann frühzeitig in die Lage versetzt, die Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG zu prüfen, wenn der beurkundende Notar verpflichtet ist, den Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Wochen nach Beurkundung -und damit unabhängig vom Zeitpunkt der Steuerentstehunganzuzeigen. Würde man das Ende der Frist für die Anzeigenerstattung durch den Notar auf den Zeitpunkt des Endes der Frist für die Anzeigenerstattung durch den Steuerpflichtigen verlängern, so wäre -gerade in Fällen, in denen die Verwirklichung des Erwerbstatbestandes von einer Genehmigung durch den Steuerpflichtigen abhängtdas Fristende für die Anzeigenerstattung durch den Notar in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt. Darüber hinaus hätte es einer unterschiedlichen gesetzlichen Regelung für den Beginn der Fristen des § 18 Abs. 3 GrEStG und des § 19 Abs. 3 GrEStG nicht bedurft, wenn die Anzeige des Notars gem. § 18 Abs. 3 GrEStG auch dann als ordnungsgemäß erachtet würde, wenn er sie innerhalb der noch laufenden Anzeigefrist des Steuerpflichtigen gem. § 19 Abs. 3 GrEStG erstattet.
cc) Eine rückwirkende Fristverlängerung (in analoger Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 AO) zur erstmaligen Erstattung der Anzeige nach § 19 GrEStG kommt nach Ablauf der Anzeigefrist nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Bei der Ermessensentscheidung über eine rückwirkende Fristverlängerung ist maßgeblich der Zweck der Frist zu berücksichtigen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 109 AO Tz. 4). Der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, die Beteiligten durch die hier angeordneten nachteiligen Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht zur ordnungsgemäßen – insbesondere auch fristgerechten – Anzeigeerstattung anzuhalten, steht einer Verpflichtung der Finanzbehörde zur rückwirkenden Fristverlängerung für die erstmalige Erstattung der Anzeige entgegen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
dd) Von einer Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist im Streitfall auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes unter Berücksichtigung der im BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492 (unter II.3.) enthaltenen Grundsätze abzusehen. Denn die fehlende Ordnungsmäßigkeit der Anzeige des Notars beruht vorliegend nicht etwa darauf, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anzeige i.S. des § 16 Abs. 5 GrEStG nicht geklärt waren, sondern auf einer schlichten Versäumung der gesetzlichen Frist für einen nach dem klaren Gesetzeswortlaut unzweifelhaft anzeigepflichtigen Vorgang.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO liegen vor. Es ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt, ob § 16 Abs. 5 GrEStG der Anwendung des § 16 GrEStG auch dann entgegensteht, wenn das FA durch den beurkundenden Notar zwar nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG, aber vor Ablauf der Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang erhält.
4. Die Entscheidung ergeht im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).


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