Steuerrecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Bestandskraft des Verwaltungsakts

Aktenzeichen  M 12 K 15.1874

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BGB BGB § 119, § 121

 

Leitsatz

1 Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, die Klage also nutzlos ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Folge der Bestandskraft eines Verwaltungsakts ist, dass das Gericht den Inhalt des Bescheids als gegeben und maßgeblich hinnehmen muss und an die Feststellungen des Bescheids gebunden ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Begriff „unverzüglich“ in § 121 BGB ist im Verwaltungsrecht in Anlehnung an die Rechtsmittelfristen (z B § 70 VwGO) mit „innerhalb eines Monats“ auszulegen (Anschluss an BVerwG BeckRS 1970 30426168). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit die Klägerin beantragt, dass der Bescheid vom 22. Januar 2015 insoweit aufgehoben wird, als in Ziffer 1 für das Kalenderjahr 2014 ein höherer Beitrag als 652,82 € gefordert wird, ist die Klage unzulässig.
Der Klage fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, die Klage also nutzlos ist (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auf. 2014, vor § 40 Rn. 11).
Der für das Kalenderjahr 2014 geforderte vorläufige Beitrag beträgt 5285,- €. Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Beitragskontoauszugs wurden die Zahlungen der Klägerin am 2. Januar 2014, am 17. Februar 2014, am 8. April 2014, am 6. Mai 2014, 24. Juli 2014, am 22. Oktober 2014, am 19. November 2014 und am 13. Januar 2015 auf deren Beitragskonto verbucht. Das durch diese Zahlungen entstandene Saldo von -4.963,05 € wurde am 22. Januar 2015 infolge der Sollerhöhung 2013 und 2014 mit insgesamt 10.570,- € (= 5285,- € x 2) verrechnet. Somit hat die Beklagte von der Klägerin für das Kalenderjahr 2014 einen Beitrag von 321,95 € (= 5285,- € Sollerhöhung 2014 – 4963,05 € eingegangene Zahlungen 2014) nachgefordert. Der Betrag dieser Forderung ist somit sogar geringer als der von der Klägerin beantragte Betrag von 652,82 €.
Soweit die Klägerin beantragt, dass der Bescheid vom 22. Januar 2015 insoweit aufgehoben wird, als in Ziffer 1 für das Kalenderjahr 2014 ein höherer Beitrag als 1645,43 € gefordert wird, ist die Klage unbegründet.
Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Betrag wurde ausgehend von einem Jahreseinkommen der Klägerin von 37.751,- € zutreffend auf 5285,- € festgesetzt (vgl. §§ 22 Abs. 1, 29 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung). Dass die Beklagte für 2013 einen Betrag von 5285,- € fordert, ist rechtmäßig. Für das Kalenderjahr 2013 sind durch die Beklagte die von 3. Januar bis 31. Oktober 2013 eingegangenen Zahlungen mit Bescheid vom 27. November 2013 als freiwillige Mehrzahlungen verbucht worden, so dass sich diese Zahlungen zum Zeitpunkt der Sollerhöhung 2013 am 22. Januar 2015 nicht mehr auf dem Beitragskonto der Klägerin befanden und somit nicht verrechnet werden konnten.
Dass die von 3. Januar bis 31. Oktober 2013 eingegangenen Zahlungen als freiwillige Mehrzahlungen verbucht wurden, steht aufgrund des Bescheids der Beklagten vom 27. November 2013 fest. Dieser Bescheid ist bestandskräftig. Innerhalb der Klagefrist wurde keine Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Folge der Bestandskraft ist, dass die Beklagte und auch das Gericht den Inhalt des Bescheids als gegeben und maßgeblich hinnehmen müssen und an die Feststellungen des Bescheids gebunden sind. Aufgrund der Tatbestandswirkung müssen Gerichte den erlassenen Verwaltungsakt, d. h. die mit dem Verwaltungsakt getroffene Regelung ihren eigenen Entscheidungen ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung zugrunde legen (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 17. Aufl. 2016, § 43 Rn. 19). Vorliegend entfaltet die materielle Bestandskraft präjudizielle Wirkung. Die durch den Bescheid vom 27. November 2013 geregelte Vorfrage der Verbuchung als freiwillige Mehrzahlungen kann, darf und muss nicht erneut anhand der gesetzlichen Voraussetzungen geprüft werden, vielmehr ist die dazu getroffene Regelung unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit beim Folgebescheid vom 22. Januar 2015 zugrunde zu legen (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 43 Rn. 46).
Die von der Klägerin erklärte Anfechtung vermag an diesem Ergebnis nichts ändern. Dabei kann offen bleiben, ob Anträge entsprechend den §§ 119 ff. BGB anfechtbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht legt den Begriff „unverzüglich“ in § 121 BGB in Anlehnung an die Rechtsmittelfristen (z. B. § 70 VwGO) mit „innerhalb eines Monats“ aus (vgl. BVerwG U.v. 10.12.1970 – II C 566 – juris). Die Klägerin hat sowohl ihre Erklärung vom …. März 2013 als auch die Erklärung ihres Steuerberaters vom …. November 2013 nicht unverzüglich angefochten. Die Anfechtungsfrist beginnt mit der positiven Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vom Vorliegen des Anfechtungsgrundes, also des Irrtums i. S. v § 119 BGB. Mit dem Erhalt des Bescheides am 27. November 2013 hatte die Klägerin davon Kenntnis, dass aufgrund ihrer Erklärung die im Jahr 2013 gezahlten Beiträge als freiwillige Mehrzahlungen verbucht worden waren. Die Anfechtung wurde aber erst mit Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin vom …. Mai 2015 erklärt.
Zudem ist die Rechtsfolge der angefochtenen Erklärung auch Teil des bestandskräftigen Bescheids vom 27. November 2013. Wie oben bereits dargelegt darf aufgrund der Bestandskraft keine inhaltliche Prüfung der getroffenen Regelung erfolgen. Dieser Grundsatz kann auch nicht durch eine Anfechtung durchbrochen werden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 8271,75 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben