Steuerrecht

Fristverlängerung zum Abschluss eines Disziplinarverfahrens; Umdeutung in einen Abänderungsantrag

Aktenzeichen  15 B 12/22 MD

Datum:
13.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 15. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0413.15B12.22MD.00
Normen:
§ 60 Abs 1 S 1 DG ST 2006
§ 60 Abs 2 S 3 DG ST 2006
§ 50 Abs 2 S 3 DG ST 2006
§ 22 Abs 3 DG ST 2006
§ 80 Abs 7 VwGO
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Wird ein behördliches Disziplinarverfahren vor Ablauf der vom Disziplinargericht gesetzten Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens – rechtmäßig – nach § 22 Abs. 3 DG LSA (juris: DG ST 2006) wegen strafrechtlicher Ermittlungen ausgesetzt, ist ein Antrag auf Fristverlängerung nach § 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 50 Abs. 2 Satz 3 DG LSA (juris: DG ST 2006) in einen Antrag nach § 3 DG LSA (juris: DG ST 2006); 80 Abs. 7 VwGO analog umzudeuten.(Rn.8)

Tenor

Der Beschluss der Kammer v. 5.1.2022 – 15 B 16/21 MD –
wird geändert.
Der Antrag des Antragsgegners vom 16.9.2021 auf Fristsetzung
wird abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der am 22.3.2022 (Eingang bei Gericht) gestellte Antrag der Antragstellerin,
eine Fristverlängerung zum Abschluss des Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 50 Abs. 2 Satz 3 DG LSA festzusetzen,
ist analog § 3 DG LSA i.V.m. § 80 Abs. 7 VwGO als Abänderungsantrag statthaft. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 25.03.2022 hat die Antragstellerin den Antrag in einen solchen nach § 80 Abs. 7 VwGO umgestellt.
1.) Mit Beschluss v. 5.1.2022 – 15 B 16/21 MD – hat das Gericht auf Antrag des Antragsgegners der Antragstellerin gem. § 60 Abs. 1 DG LSA eine Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens bis zum 1.4.2022 gesetzt.
Rechtzeitig vor Ablauf der Frist hat die Antragstellerin in der Antragsschrift vom 18.3.2022 mitgeteilt, am 14.3.2022 sei gegen den Antragsgegner eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Unterschlagung und versuchter Hehlerei (§§ 246, 259 StGB) aufgenommen worden; mit Verfügung vom 18.3.2022 sei das Disziplinarverfahren deshalb aufgrund des neuerlich anzunehmenden Pflichtenverstoßes gegen beamtenrechtliche Vorschriften ausgedehnt und im Hinblick auf das laufende Strafverfahren nach § 22 Abs. 3 DG LSA ausgesetzt worden. Mit der Antragsschrift hat die Antragstellerin geltend gemacht, das Fristende solle
„auf einen angemessenen Zeitraum nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens festgesetzt werden“.
Nach den Vorschriften des § 60 Abs. 2 S. 1 und 3 i.V.m. § 50 Abs. 2 S. 3 DG LSA, auf welche die Antragstellerin im Beschl. v. 5.1.2022 (S. 8 Abs. 2) hingewiesen wurde, bestimmt das Gericht eine Frist, innerhalb derer das Disziplinarverfahren abzuschließen ist, wenn ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vorliegt; die Frist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag des Klägers verlängert werden, wenn dieser sie aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, voraussichtlich nicht einhalten kann.
Der von der Antragstellerin gestellte Verlängerungsantrag passt aufgrund der zwischenzeitlich durch die Einleitungsbehörde vorgenommenen Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens nach § 22 Abs. 3 DG LSA nicht (mehr) in das System der vorstehenden Normen. Insbesondere kann das Disziplinargericht keine Fristverlängerung auf ein unbestimmtes Ereignis, nämlich einen „angemessenen Zeitraum nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens“ festsetzen. Durch die – unanfechtbare – Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens hat sich die vorgenommene Fristsetzung nach § 60 DG LSA überholt. Andererseits muss der Rechtskraft der im Beschluss v. 5.1.2022 gesetzten bestimmten Abschlussfrist Rechnung getragen werden. Eine vergleichbare Konstellation enthält § 61 Abs. 3 DG LSA, der für die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen über Anträge nach Absatz 1 regelt, dass hierfür § 80 Abs. 7 VwGO entsprechend gilt. Eine derartige analoge Anwendung des § 80 Abs. 7 VwGO ist im vorliegenden Fall der Frage der (Verlängerung der) Fristsetzung nach § 60 Abs. 2 DG LSA aufgrund einer bestehenden Regelungslücke und einer vergleichbaren Fallkonstellation geboten.
Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Die Beteiligten haben gemäß § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO nur bei veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände Anspruch auf eine erneute Entscheidung des Gerichts. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben. Ein Anspruch ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich nach der gerichtlichen Entscheidung, d.h. dem Zeitpunkt des Erlasses des vorangegangenen Beschlusses, eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- und/oder Rechtslage ergeben hat. Das ist hier der Fall. Demnach verbietet sich auch die nach § 60 Abs. 3 DG LSA vorgesehene Einstellung des behördlichen Disziplinarverfahrens wegen Ablaufs der vom Disziplinargericht mit Beschluss vom 5.1.2022 gesetzten Frist am 1.4.2022. Denn rechtzeitig vor Fristablauf hat die Einleitungsbehörde mit ihrem Fristverlängerungsantrag und nach Hinweis des Disziplinargerichts zulässigen und begründeten Abänderungsantrag reagiert und damit den Eintritt der Rechtswirkung verhindert.
2.) Durch die am 14.3.2022 bei der Antragstellerin bekannt gewordenen Umstände, welche eine Ausdehnung der Ermittlungen gegen den Antragsgegner mit sich bringen, weshalb das behördliche Disziplinarverfahren nach § 22 Abs. 3 DG LSA ausgesetzt wurde, ist der ursprünglich Antrag des Antragsgegners auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des gegen ihn geführten behördlichen Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 1 S. 1 i.V. m. Abs. 2 S. 1 DG LSA unbegründet geworden und daher der Fristsetzungs-Beschluss zu ändern.
Die Beurteilung der verzögerten Bearbeitung des Disziplinarverfahrens hat sich an dem Zeitpunkt der Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens zu orientieren. Denn durch die Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens am 18.3.2022 ist das behördliche Disziplinarverfahren mit dem Sach- und Streitstand zu diesem Zeitpunkt „eingefroren“ worden. Von einer schuldhaften verzögerten Bearbeitung kann bis dato nicht ausgegangen werden (a.) und auch die Aussetzung ist rechtmäßig erfolgt, dient nicht der Verzögerung und bequemen verfahrensmäßigen Erledigung des Disziplinarverfahrens (b.) und führt somit nicht zu einer gerichtlichen Fristsetzung:
a.) Der Antragsgegner ist als Polizeikommissar bei der Antragstellerin beschäftigt. Mit der disziplinarrechtlichen Ausdehnungsverfügung vom 18.3.2022 wird dem Antragsgegner disziplinarrechtlich zur Last gelegt, er habe am 10.1.2022 in G. ein Schießtraining mit einer privat beschafften Schusswaffe und Einsatzmunition des SEK Sachsen-Anhalt durchgeführt und dadurch gegen das Waffengesetz verstoßen, dienstliche Munition unterschlagen und eine gemeinschädliche Sachbeschädigung begangen (Staatsanwaltschaft Stendal, Az. 319 Js 569/22). Des Weiteren habe er einen vom SEK ausgesonderten und rückgabepflichtigen ballistischen Schutzhelm unbefugt besessen und über e-bay zum Verkauf angeboten und sich dadurch dem Verdacht der Unterschlagung und versuchten Hehlerei ausgesetzt. Schließlich sei mit Verfügung vom 18.3.2022 das Disziplinarverfahren ausgedehnt worden, da bekannt geworden sei, dass sich der Antragsgegner am 12.10.2021 beim BKA auf einen Personenschutz-Dienstposten beworben und wahrheitswidrig angegeben habe, gegen ihn seien keine disziplinarrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren anhängig. Eine schuldhafte verzögerte Bearbeitung liegt nicht vor.
b.) Auch die Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens ist rechtlich nicht zu beanstanden. Von einem Stillstand der Ermittlungen kann nicht ausgegangen werden. Gegen diese Entscheidung der Behörde sieht das DG LSA im Gegensatz zu der Vorgängerregelung in § 16 Abs. 4 DO LSA kein eigenständiges Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf vor (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 5.10.2009 – 8 B 16/09 -, zit. nach juris, Rn. 10). Ebenso wie die in § 60 Abs. 1 S. 2 DG LSA geregelte Fristhemmung bei der Berechnung der 6-monatigen Bearbeitungszeit als Zulässigkeitsvoraussetzung für den gerichtlichen Fristsetzungsantrag, ist im Fall einer behördlichen Aussetzung bei einem gerichtlichen Antrag nach § 60 DG LSA inzident zu prüfen, ob die Aussetzung rechtmäßig erfolgte. Anders gewendet: nur wenn die Aussetzung rechtswidrig und nicht am Sinn und Zweck des Disziplinarrechts orientiert erfolgt, kann die dadurch vertane Zeit nicht zu Gunsten der Einleitungsbehörde wirken (Rechtsprechung der Kammer; vgl. nur: Beschl. v. 01.04.2022, 15 B 1/22; Beschl. v. 04.04.2022, 15 B 8/22; juris gemeldet).
Entscheidend muss daher sein, ob die Besonderheiten, welche zu einer Aussetzung des anhängigen Disziplinarverfahrens aufgrund der Abhängigkeit von einem anderen „geordneten Verfahren“ führen, mit dem Beschleunigungsgrundsatz des § 4 DG LSA in Einklang zu bringen sind oder ob es einer gerichtlichen Fristbestimmung nach § 60 Abs. 2 S. 1 DG LSA wegen nicht hinreichender Förderung des Disziplinarverfahrens durch die Behörde bedarf. Insoweit kann die (frühere) Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Aussetzung eines disziplinarrechtlichen Verfahrens herangezogen werden.
§ 22 Abs. 3 DG LSA sieht vor, dass das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden kann, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Dabei ist auch unerheblich, ob diese anderen „geordneten Verfahren“ gegen den Beamten selbst oder gegen andere Personen geführt werden (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 5.10.2009 – 8 B 16/09 -, zit. nach juris). Die Vorschrift ist wortgleich mit der früheren Regelung in § 16 Abs. 2 DO LSA (und § 17 Abs. 2 BDO). Neben der in § 22 Abs. 1 S. 1 DG LSA genannten und zur Aussetzung führenden Erhebung der öffentlichen Klage im Strafverfahren sind grundsätzlich ein anderes staatsanwaltschaftliches oder disziplinarrechtliches Ermittlungsverfahren ein „anderes gesetzlich geordnetes Verfahren“ im Sinne dieser Vorschrift, ebenso sonstige behördliche fachaufsichtliche oder fachgerichtliche Verfahren. Es handelt sich um Verfahren, welche durch die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnungen, Gesetze oder des Disziplinargesetzes geregelt sind. Eine wesentliche Bedeutung ist anzunehmen, wenn das andere Verfahren für das Disziplinarverfahren „förderlich“, d.h. „vorgreiflich“ ist (vgl. Weiss, in: GKÖD, BDO, Kommentar, § 17 Rn. 20 ff.; BVerwG, Beschl. v. 15.6.1994 – 1 DB 33/93 -; BFH, Beschl. v. 25.1.1994 – VIII B 103/93 -; VG Meiningen, Beschl. v. 20.9.2001 – 6 D 60009/01.Me -; jew. zit. nach juris). Hierbei kann es sich grundsätzlich um Tat- oder Rechtsfragen handeln. Dies ist etwa dann gegeben, wenn eine Aufklärung des Dienstvergehens oder dessen Teilaspekte, wie Tatbestandmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Verschulden oder Schuldunfähigkeit des Beamten aufgrund anderer Ermittlungen in anderen geordneten Verfahren zu erwarten sind.
Die Aussetzung des Disziplinarverfahrens dient grundsätzlich dem Zweck, widersprüchliche Entscheidungen in einem Straf- oder einem sonstigen fachgerichtlichen oder einem berufsständischen Verfahren einerseits und dem Disziplinarverfahren andererseits zu vermeiden. Darüber hinaus sprechen die besseren Möglichkeiten der Sachaufklärung und die dortigen fachspezifischen Kenntnisse für den Vorrang dieser Verfahren. Dementsprechend besteht bezüglich der tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil eines – vorherigen – rechtskräftigen Straf-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren (§ 23 Abs. 1, § 54 Abs. 1 DG LSA) bzw. die Feststellungen in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren können der Entscheidung im Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§ 23 Abs. 2; § 54 Abs. 2 DG LSA; vgl. Rechtsprechung der Kammer; vgl. nur: Beschl. v. 01.04.2022, 15 B 1/22; Beschl. v. 04.04.2022, 15 B 8/22; juris gemeldet).
Hier ist die strafrechtliche Aufklärung der Nutzung der Waffe und Munition und der Schießanlage sowie des Helms zugleich für das Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung. Es handelt sich daher bei der Aussetzung zum Abwarten dieser strafrechtlichen Entscheidungen nicht um eine „vorgeschobene“ Entscheidung, um eine verfahrensmäßige bequeme Erledigung des Disziplinarverfahrens herbeizuführen (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 6.11.2020 – 10 E 1/20 -; VG Wiesbaden, Beschl. v. 25.6.2012 – 25 L 248/12.WI.D -; zit. nach juris).
Die Aussetzungsentscheidung der Antragstellerin ist auch ermessensfehlerfrei zustande gekommen. Denn die Behörde hat ihr diesbezügliches Ermessen gesehen und die Gründe auf jeden Fall in rechtlich zulässiger Weise im Schriftsatz an das Gericht v. 18.3.2022 weiter ausgeführt.
Daher sieht das Gericht keinen Anlass, aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls hier weiterhin oder nochmals eine gerichtliche Fristsetzung nach § 60 Abs. 2 S. 1 DG LSA vorzunehmen. Vielmehr war der ergangene Beschluss zu ändern und der Antrag auf Fristsetzung zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens abzulehnen.
3.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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