Aktenzeichen L 9 EG 36/17
Leitsatz
1. Anschluss-Rechtsprechung an BSG, Urteile vom 14.12.2017 – B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R
2. Der Zufluss von Nachzahlungen von Arbeitsentgelt wird nicht mehr nach einem elterngeldrechtlichen, sondern nach dem steuerrechtlichen Zuflussprinzip beurteilt.
3. Im Einkommensteuergesetz selbst ist das Prinzip angelegt, dass nur solche Nachzahlungen von laufendem Arbeitslohn dem abgelaufenen Kalenderjahr zugeordnet werden dürfen, die kurze Zeit nach dessen Beendigung zugeflossen sind.
Verfahrensgang
S 3 EG 45/17 2017-10-24 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
Die Berufung ist zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Gegenstand der Anfechtungsklage – insgesamt liegt eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage vor – ist der Bewilligungsbescheid vom 08.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2017. Da die Bewilligung endgültig und nicht nur vorläufig ausgesprochen worden war, kam es nicht zum Erlass eines Zweitbescheids. Von dem im Bewilligungsbescheid enthaltenen Vorbehalt des Widerrufs hat der Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Bei dem hier vorliegenden Höhenstreit ist der Streitgegenstand grundsätzlich nicht auf ein einzelnes Berechnungselement beschränkt. Vielmehr prüft der Senat innerhalb der Grenzen des klägerischen Antrags unter allen tatsächlichen und rechtlichen Facetten, ob der Klägerin höhere Leistungen zustehen. Andererseits berücksichtigt der Senat auch solche Aspekte, die das von der Klägerin begehrte Optimum auf anderem Weg wieder reduzieren.
Der Streitgegenstand im Berufungsverfahren hat sich gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren verändert. Zusätzlich wird jetzt beantragt, auch viermal 387,48 EUR für die Monate September bis Dezember 2016 als Bemessungsentgelt für das Elterngeld zu berücksichtigen. Darin liegt eine Klageänderung im Sinn von § 99 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und nicht lediglich eine Ergänzung zum zugrundeliegenden Sachverhalt. Der Streitgegenstand wird hinsichtlich des Klageantrags durch die begehrten Mehrleistungen quantitativ definiert, nicht dagegen durch bloße Sachverhaltselemente, welche höhere Leistungen begründen könnten. Im vorliegenden Fall ist in der zweiten Instanz in der Tat das quantitative Begehren erhöht worden. Während nämlich in der ersten Instanz Elterngeld in derjenigen Höhe beantragt worden war, die sich ergibt, wenn vier weitere Entgeltbestandteile in das Bemessungseinkommen einfließen, ist in der Berufungsinstanz noch ein zusätzlicher, fünfter Entgeltbestandteil hinzugekommen. Daraus folgt zwingend, dass sich der als Optimum angestrebte Leistungsumfang erhöht hat. Ein Fall des § 99 Abs. 3 SGG ist nicht gegeben, weil der Klagegrund nicht unberührt geblieben ist. Die Klageänderung ist zulässig und gestaltet damit den aktuellen Streitgegenstand. Da der Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen hat, ohne der Änderung zu widersprechen, wird seine Einwilligung fingiert (vgl. § 99 Abs. 1 in Verbindung mit Absatz 2 SGG). Ohnedies erachtet das Gericht die Klageänderung für sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG).
1. Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs dem Grunde nach liegen unzweifelhaft vor. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG in der ab 01.01.2015 geltenden Fassung. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin. Sie hatte während des gesamten Bezugszeitraums ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit L. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt deutlich unter 500.000 EUR blieb. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor.
2. Die Höhe des Elterngelds hat der Beklagte entgegen der Meinung der Klägerin zutreffend festgesetzt. Er musste keine weiteren Entgeltbestandteile als Bemessungsentgelt für das Elterngeld der Klägerin heranziehen.
Die Basisnorm für die Bemessung des Elterngelds ist § 2 Abs. 1 und 2 BEEG. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, lauten diese Regelungen wie folgt:
„(1) 1Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. 2Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. 3Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus
1. nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Einkommensteuergesetzes sowie
2. Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes,
die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b … hat.
(2) … 2In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent.“
Der Beklagte hat mit den Monaten Februar 2016 bis Januar 2017 den zutreffenden Bemessungszeitraum herangezogen. Eine zeitliche Spezifizierung des Normteils „vor der Geburt des Kindes“ erfolgt in § 2b BEEG. Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich. Im Fall der Klägerin, die nur Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit bezog, handelt es sich grundsätzlich um die zwölf Kalendermonate vor März 2017. Wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld während des Beschäftigungsverbots vor der Geburt verlagerte sich der Bemessungszeitraum gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BEEG um einen Kalendermonat in die Vergangenheit. Eine Verschiebung des Bemessungszeitraums gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BEEG aufgrund einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung kommt nicht in Betracht. Zwar litt die Klägerin während des Bemessungszeitraums möglicherweise an einer solchen schwangerschaftsbedingten Erkrankung. Jedoch fehlt es an einem darauf beruhenden Einkommensverlust; Entsprechendes hat die Klägerin nie behauptet.
Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum hat der Beklagte richtig angesetzt; insbesondere hat er die Vorschrift des § 2c Abs. 1, 2 BEEG korrekt angewandt. Diese Bestimmung lautet:
(1) Der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f, ergibt das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. 2Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind. 3Maßgeblich ist der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes in der am 1. Januar des Kalenderjahres vor der Geburt des Kindes für dieses Jahr geltenden Fassung.
(2) Grundlage der Ermittlung der Einnahmen sind die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. 2Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen wird vermutet.
Aus § 2c Abs. 1 Satz 1 BEEG geht hervor, dass die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert die Ausgangsgröße für die Elterngeldberechnung bei abhängig Beschäftigten verkörpern. Diese Ausgangsgröße hat der Beklagte korrekt quantifiziert. Insbesondere ist er im Rahmen der Prüfung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG zu dem richtigen Ergebnis gekommen, alle von der Klägerin zusätzlich für bemessungsrelevant gehaltenen Entgeltbestandteile seien nach den lohnsteuerrechtlichen Vorschriften sonstige Bezüge.
§ 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG ist zum 01.01.2015 neu gefasst worden. Mit dem Elterngeld-Plus-Gesetz hat der Gesetzgeber den bis 31.12.2014 geltenden § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG „Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelt werden“ ersetzt durch die Formulierung „Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach lohnsteuerrechtlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind“. § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG liegt die Unterscheidung zwischen den einkommensteuerrechtlichen Kategorien „laufender Arbeitslohn“ und „sonstige Bezüge“ zugrunde. Laufender Arbeitslohn ist bemessungsrelevant, sonstige Bezüge sind es nicht. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „sonstige Bezüge“ in § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG muss auf das Einkommensteuerrecht, und zwar speziell auf das Lohnsteuerrecht, abgestellt werden. Eine autarke elterngeldrechtliche Begriffsbildung scheidet aus.
Mit der Novellierung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG zum 01.01.2015 hat das BSG die Kriterien für die Qualifizierung von Zuflüssen als sonstige Bezüge im Sinn von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG in zwei Urteilen vom 14.12.2017 (B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R) neu justiert, und zwar in einer Weise, die von der bis dahin geltenden BSG-Rechtsprechung massiv abweicht. Vorher war die BSG-Rechtsprechung dadurch gekennzeichnet, dass die Einordnung als laufender Arbeitslohn letztlich davon abhängen sollte, ob ein bestimmter Entgeltbestandteil die Einkommens- und Lebensverhältnisse der Betroffenen prägt. Das einkommensteuerrechtliche Ergebnis war grundsätzlich offen für eine spezifisch eltern-geldrechtliche Modifikation; elterngeldrechtliche Sonderwege waren also zugelassen. Das einkommensteuerrechtliche Ergebnis wurde daraufhin geprüft, ob es elterngeldrechtlich gerechtfertigt sei.
Mit seiner neuen Rechtsprechung hat das BSG jedem elterngeldrechtlichen Sonderweg eine Absage erteilt. Untrennbar verknüpft und begründet hat es seine neue Linie mit der ab 01.01.2015 geänderten Fassung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG (vgl. nur Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 25 a.E.: „Unter der neuen Gesetzesfassung …“), was die bisherige Rechtsprechung nicht als von Anfang an falsch, sondern quasi durch nachträglichen Eintritt veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen hinfällig erscheinen lässt.
Kernelement der neuen Rechtsprechung ist eine abstrakte definitorische Abgrenzung der Begriffe laufender Arbeitslohn und sonstige Bezüge, der sich der Senat vollumfänglich anschließt. Dabei vermeidet das BSG anders als bisher jeglichen elterngeldrechtlichen Einschlag. Vielmehr nimmt es eine Auslegung allein auf der einkommensteuerrechtlichen Ebene vor; es interpretiert die Begriffe in ihrem Kontext in § 38a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das entscheidende Abgrenzungskriterium sieht das BSG in der Eigenschaft „fortlaufend“ (vgl. nur Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 27). Den fortlaufenden Charakter einer Zahlung bejaht das BSG im Wesentlichen nur dann, wenn diese im regulären, dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Zahlungsturnus – zumeist also monatlich – erfolgt; allenfalls unwesentliche Abweichungen von den regulären Zahlungsintervallen sollen unschädlich sein (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 31). Neben dem regulären Zahlungsturnus kann es keinen zweiten mit größeren Intervallen geben, der ebenfalls die Eigenschaft „fortlaufend“ vermitteln könnte (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 32).
Allein die Zahlungsweise im regulären Turnus macht Zuflüsse jedoch noch nicht automatisch zu laufendem Arbeitslohn. Vielmehr hat das BSG die materiell-rechtliche Abgrenzung unter Berufung auf eine Kommentierung von Stache in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz (§ 38a Rn. 33 ), dahin formuliert, einen sonstigen Bezug stellten Zahlungen dar, die entweder nicht für bestimmte, aufeinanderfolgende Zeiträume erfolgten oder solche, die den üblichen Lohnzahlungszeitraum erheblich überschreiten würden (Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 31). Neben dem formalen Abstellen auf den Auszahlungsturnus – dieser Gesichtspunkt war in den beiden BSG-Urteilen Ausschlag gebend – existiert für das Vorliegen von laufendem Arbeitslohn also ein kumulatives Erfordernis einer spezifischen Zweckbestimmung der Zahlungen. Die neue BSG-Rechtsprechung verneint unter Rekurs auf die oben genannte Kommentierung von Stache laufenden Arbeitslohn nämlich auch dann, wenn ein Bezug nicht für bestimmte aufeinanderfolgende Zeiträume gezahlt wird. Nicht nur die Zahlung selbst muss sich als fortlaufend darstellen, vielmehr auch der Zahlungszweck.
Gemessen daran ist es nicht möglich, weitere Entgeltbestandteile der Klägerin dem Bemessungsentgelt zuzuordnen. Das gilt sowohl für die von der Arbeitgeberin als sonstige Bezüge ausgewiesenen Zahlungen, die zeitnah zugeflossen sind, als auch für Nachzahlungen.
Der Senat lässt dahinstehen, inwieweit die Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung der von der Arbeitgeberin ausgestellten Lohn- und Gehaltsabrechnungen gemäß § 2c Abs. 2 Satz 2 BEEG dem Berufungsbegehren der Klägerin entgegensteht; die meisten der streitigen Entgeltkomponenten wurden in den Abrechnungen als sonstige Bezüge gekennzeichnet. Offen gelassen werden kann insbesondere, auf welche Tatsachen und Umstände – insbesondere auf Ergebnisse rechtlicher Würdigungen – sich die Vermutungswirkung überhaupt bezieht. So wäre es nicht abwegig anzunehmen, dass die lohnsteuerrechtliche Einstufung, um die es hier geht, als rechtliche Bewertung von vornherein nicht von der Vermutungswirkung erfasst wird (vgl. dazu insbesondere Senatsurteil vom 16.01.2018 – L 9 EG 68/15 ).
Sollte sich die Vermutungswirkung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BEEG tatsächlich auch auf die Richtigkeit der lohnsteuerrechtlichen Behandlung durch den Arbeitgeber beziehen, spräche Einiges dafür, dass der Klägerin die Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung der Lohn- und Gehaltsabrechnungen zum Nachteil gereicht, ohne dass es auf die materiell-rechtlichen Verhältnisse überhaupt noch ankommt. Zwar ist diese Vermutung widerlegbar (vgl. dazu Senatsurteil vom 23.10.2018 – L 9 EG 28/18), allerdings kann sich der Senat nicht des Eindrucks erwehren, dass der Vortrag der Klägerin von vornherein nicht zur Widerlegung geeignet ist. Dabei gilt es zu betonen, dass an die Widerlegung der Vermutung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senatsurteile vom 16.01.2018 – L 9 EG 68/15 und vom 23.10.2018 – L 9 EG 28/18). Bereits in der Vergangenheit hat der Senat verdeutlicht, dass der Beklagte dabei nicht in den Genuss eines Irrtumsprivilegs kommen kann und dafür nicht ein wie auch immer geartetes „qualifiziertes Falschsein“ verlangt werden darf. Jedoch vermag der Senat kein hinreichend substantiiertes Vorbringen der Klägerin auszumachen, die lohnsteuerrechtliche Behandlung durch die Arbeitgeberin könnte falsch gewesen sein. Gerade darauf kommt es für die Widerlegung der Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung an. Stattdessen hat sich die Klägerin auf die sinngemäße Argumentation verlegt, angesichts der zahlreichen arbeitsvertraglichen Verfehlungen der Arbeitgeberin verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn die Klägerin im Rahmen des Elterngeldrechts daraus Nachteile erleiden würde.
Auf die Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung kommt es aber letztlich nicht an, weil die streitigen Entgeltbestandteile auch nach der dargestellten materiell-rechtlichen Abgrenzung zwischen laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen, die das BSG in seinen Urteilen vom 14.12.2017 entwickelt hat, ausnahmslos sonstige Bezüge darstellen.
(a) Sämtliche Entgeltbestandteile, die Nachzahlungen verkörpern, also Zahlungen, die nicht zum vereinbarten Fälligkeitstermin, sondern erst später erbracht wurden, sind im vorliegenden Fall von der Berücksichtigung als Bemessungsentgelt ausgeschlossen. Dabei handelt es sich um folgende Zahlungen:
– für die Phase September bis Dezember 2016 nachgezahlte Beträge von monatlich 387,48 EUR,
– Sonderzahlung in Höhe von 1.346,16 EUR,
– „Urlaubsabgeltung“ in Höhe von 2.423,43 EUR (im Mai 2016 ausbezahlt),
– für Juli 2016 ausgewiesene Urlaubsabgeltung in Höhe von 432,71 EUR.
(aa) Anders als in früheren Entscheidungen (zum Beispiel Urteile vom 23.11.2017 – L 9 EG 10/16 und L 9 EG 27/16 ) vertritt der Senat nicht mehr die auf der vormaligen BSG-Rechtsprechung basierende Auffassung, dass für die Frage, ob überhaupt eine verspätete Zahlung vorliegt, ein eigenes elterngeldrechtliches Zuflussprinzip zur Anwendung gelangt. Denn mit den Urteilen vom 14.12.2017 hat das BSG auch insoweit eine Zäsur gesetzt (vgl. dazu Senatsurteil vom 11.09.2018 – L 9 EG 16/16).
Wie schon mehrfach erwähnt, ist an der neuen BSG-Rechtsprechung wesentlich, dass die Abgrenzung der sonstigen Bezüge vom laufenden Arbeitslohn sich einzig und allein nach dem Lohnsteuerrecht richtet. Das bedeutet aber, dass auch der Zufluss des Einkommens als solcher ausschließlich steuerrechtlich zu beurteilen ist.
Vor den besagten Urteilen vom 14.12.2017 hatte das BSG in Bezug auf die Abgrenzung der sonstigen Bezüge vom laufenden Arbeitslohn die alleinige Maßgeblichkeit der lohnsteuerrechtlich zutreffenden Behandlung oder gar der tatsächlichen (möglicherweise falschen) Handhabung durch den jeweiligen Arbeitgeber erheblich relativiert. Insbesondere in den Urteilen vom 26.03.2014 – B 10 EG 7/13 R und B 10 EG 14/13 R plädierte es für eine spezifisch elterngeldrechtliche Betrachtungsweise. Einnahmen seien nur insoweit von der Elterngeldberechnung ausgeschlossen, als die steuerrechtlich motivierte Differenzierung auch mit Blick auf den Zweck des Elterngelds sachlich gerechtfertigt sei. Im Kontext dazu vertrat das BSG für Nachzahlungen von Arbeitsentgelt in nahezu ständiger Rechtsprechung zur bis 31.12.2010 geltenden Rechtslage die Ansicht, die so genannte Drei-Wochen-Regelung des Lohnsteuerrechts (gemeint ist R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Satz 2 LStR) greife nicht für die Abgrenzung der sonstigen Bezüge und des laufenden Arbeitslohns im Rahmen der elterngeldrechtlichen Leistungsbemessung (Urteile vom 03.12.2009 – B 10 EG 3/09 R, vom 30.09.2010 – B 10 EG 19/09 R, vom 18.08.2011 – B 10 EG 5/11 R sowie vom 20.05.2014 – B 10 EG 11/13 R). Dies begründete das BSG damit, für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelte im Elterngeldrecht das modifizierte Zuflussprinzip. Das modifizierte Zuflussprinzip bewirke, dass der Zufluss in dem Monat anzunehmen sei, in dem das – verspätet ausgezahlte – Arbeitsentgelt eigentlich geschuldet gewesen sei. Bei Geltung des modifizierten Zuflussprinzips fehle schon bei formaler Betrachtung jeglicher Ansatzpunkt für die Anwendung der Drei-Wochen-Regelung des R 39b2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Satz 2 LStR.
Davon muss man sich nach den BSG-Urteilen vom 14.12.2017 lösen. Maßgeblich ist nicht ein wie auch immer geartetes elterngeldrechtliches Zuflussprinzip, sondern das einkommensteuerrechtliche, mithin ein strenges Zuflussprinzip. Der Streit, ob im Elterngeldrecht für Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit immer noch das modifizierte oder mittlerweile ein strenges Zuflussprinzip gilt, ist im Hinblick auf Nachzahlungen bedeutungslos geworden, soweit es um Leistungszeiträume ab 01.01.2015 geht. Im vorliegenden Fall darf angesichts dessen nicht fingiert werden, die Nachzahlung sei in den jeweiligen Monaten zugeflossen, in denen das Arbeitsentgelt fällig war. Vielmehr ist allein der lohnsteuerrechtlich relevante tatsächliche Zufluss maßgebend.
Dass der Zufluss nicht mehr elterngeldrechtlich ins Kalenderjahr der Erwirtschaftung „zurückfingiert“ werden darf, sorgt dafür, dass all die oben genannten Zahlungen tatsächlich auch Nachzahlungen verkörpern. Und die Eigenschaft als Nachzahlung bringt mit sich, dass die Einstufung der Entgeltbestandteile entweder als laufender Arbeitslohn oder sonstige Bezüge Probleme aufwirft.
(bb) Bei all den streitigen Nachzahlungen handelt es sich materiell-lohnsteuerrechtlich um sonstige Bezüge, die – mit Ausnahme der nachgezahlten Beträge für die Phase September bis Dezember 2016 – auch sämtlich als solche in den Entgeltabrechnungen deklariert worden waren. Die Eigenschaft als sonstige Bezüge ergibt sich aus den Regelungen des EStG und nicht allein aus R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR.
Zu Recht hat die Klägerin gefordert, die Einstufung der Nachzahlungen als laufender Arbeitslohn oder sonstige Bezüge dürfe sich nicht unmittelbar und ausschließlich nach der Verwaltungsvorschrift des R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR richten. Nach dieser verwaltungsinternen Bestimmung gehören zu den sonstigen Bezügen Nachzahlungen und Vorauszahlungen, wenn sich der Gesamtbetrag oder ein Teilbetrag der Nachzahlung oder Vorauszahlung auf Lohnzahlungszeiträume bezieht, die in einem anderen Jahr als dem der Zahlung enden, oder wenn Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume des abgelaufenen Kalenderjahres später als drei Wochen nach Ablauf dieses Jahres zufließt.
Eine unmittelbare Bindung des Elterngeldrechts an die Vorgaben der LStR existiert nicht. Auch das haben die BSG-Urteile vom 14.12.2017 – B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R verdeutlicht. Dort hat das BSG in Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung betont, dass die LStR weder die Elterngeldbehörden noch die Sozialgerichte binden. Und im Hinblick auf die LStR stelle sich kein verfassungsrechtliches Problem der dynamischen Verweisung (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 27 a.E.); zu diesem Ergebnis kann das BSG nur gelangen, wenn es den LStR tatsächlich jegliche Bindungswirkung für das Elterngeldrecht abspricht. Dabei fällt auf, dass das BSG eine „materiell-rechtliche“ Abgrenzung der sonstigen Bezüge zum laufenden Arbeitslohn herausgearbeitet hat, die den LStR sogar partiell widerspricht: So wären nach R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 LStR in zweimonatlichen Intervallen gezahlte Provisionen beispielsweise dem laufenden Arbeitslohn zuzurechnen, nach der neuen BSG-Rechtsprechung aber den sonstigen Bezügen, sofern die Grundvergütung nur monatlich ausbezahlt wird. Dass das BSG an anderer Stelle sein im konkreten Fall gefundenes Ergebnis dann doch mit den LStR abgeglichen hat (Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 33), mag inkonsequent sein, ändert aber nichts am Fehlen einer Regelungswirkung der LStR für das Elterngeldrecht.
Überdies wäre es im Licht des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips höchst bedenklich, eine wie auch immer geartete Bindungswirkung des Elterngeldrechts an die LStR anzunehmen. Der parlamentarische Gesetzgeber darf sich im Elterngeldrecht seiner Aufgabe, die wesentlichen Regelungen selbst zu treffen, nicht entäußern. Dazu gehört, dass die Abgrenzung der bemessungsrelevanten Entgeltbestandteile im Elterngeldrecht im Wesentlichen durch formelles Gesetzesrecht angelegt sein muss. Mäße man insoweit den LStR konstitutive Wirkung bei, würde das Elterngeldrecht durch bloßes Binnenrecht der Verwaltung gestaltet, welches noch dazu in einem Bereich ergeht (Einkommensteuerrecht), der zunächst einmal nichts mit dem Elterngeldrecht zu tun hat. Der vom Beklagten an dieser Stelle immer wieder gegebene Hinweis auf Art. 108 Abs. 7 des Grundgesetzes (GG) verfehlt das Problem. In Art. 108 Abs. 7 GG geht es um die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern. Nur aus dem kompetenzrechtlichen Blickwinkel erscheint es schlüssig, dass das Grundgesetz eine Regelung zu steuerrechtlichen Verwaltungsvorschriften trifft; denn grundsätzlich setzt der Erlass von Verwaltungsvorschriften gerade keine grundgesetzliche Ermächtigung voraus. Wenn der Hintergrund von Art. 108 Abs. 7 GG aber ein kompetenzrechtlicher ist, dann erschließt es sich nicht, auf welche Weise die Norm der Bundesregierung eine besondere demokratische Legitimation verleihen soll, die der des parlamentarischen Gesetzgebers gleicht. Das gilt umso mehr, als es hier nicht um die Funktion und Wirkung der LStR im Steuerrecht geht, sondern in einem komplett anderen Rechtssegment.
Jedoch stellt sich das von der Klägerin in den Fokus gerückte Problem, inwieweit Elterngeldbehörden und Gerichte sich an die Regelungen der LStR halten dürfen/müssen, nicht. Denn der formell-gesetzliche Verweis in § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG auf das Einkommensteuerrecht stellt die Abgrenzung des laufenden Arbeitslohns zu den sonstigen Bezügen im Elterngeldrecht nicht unter das Regime einer bloßen steuerrechtlichen Verwaltungsvorschrift. Vielmehr verweist § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG auf eine Handhabung, die durch hinreichend bestimmte und hinreichend dichte formell-gesetzliche Regelungen im EStG determiniert ist. Die hier in Streit stehende Abgrenzung zwischen laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen lässt sich dem EStG selbst entnehmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin konkretisiert R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR lediglich, was schon hinreichend bestimmt und eindeutig im formellen Gesetz angelegt ist. Die fragliche Drei-Wochen-Regelung in R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR verwendet der Senat lediglich als Auslegungshilfe, nicht aber als konstitutive Vorgabe. Da die Deklarierung aller Nachzahlungen, die später als drei Wochen nach Ablauf des Kalenderjahrs zufließen, im formellen Gesetzesrecht angelegt ist, muss der Klägerin darin widersprochen werden, die Drei-Wochen-Grenze sei willkürlich durch die Steuerverwaltung bestimmt worden.
Letztlich knüpft die Drei-Wochen-Regelung an § 11 Abs. 1 und 2 EStG an:
Einnahmen sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind.2Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr bezogen.
In § 11 Abs. 1 EStG wird die materiell-rechtliche Grundentscheidung getroffen, welchen Kalenderjahren Einnahmen zuzuordnen sind. Der Gesetzgeber hat sich in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG für ein strenges Zuflussprinzip entschieden. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG greift das Problem von Nachzahlungen auf und legt insoweit eine Ausnahme zum strengen Zuflussprinzip fest: Nachzahlungen, die kurze Zeit nach Ablauf des Kalenderjahrs, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zufließen, sollen gleichwohl dem Kalenderjahr ihrer Erwirtschaftung zugewiesen werden. Jedoch trifft § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit eine Sonderregelung: Für diese gelten § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 sowie § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG. § 11 Abs. 1 Satz 4 geht den Sätzen 1 und 2 als lex specialis vor (vgl. Seiler in: Kirchhof, EStG, 17. Auflage 2018, § 11 Rn. 42).
Während § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG hier nicht von Bedeutung ist, richtet sich die zeitliche Zuordnung der streitigen Entgeltbestandteile nach § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG. § 38a Abs. 1 EStG lautet:
Die Jahreslohnsteuer bemisst sich nach dem Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer im Kalenderjahr bezieht (Jahresarbeitslohn).2Laufender Arbeitslohn gilt in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet; in den Fällen des § 39b Absatz 5 Satz 1 tritt der Lohnabrechnungszeitraum an die Stelle des Lohnzahlungszeitraums.3Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt.
Damit knüpft das Einkommensteuerrecht bei Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit den Zuflusszeitpunkt allein an die Eigenschaft entweder als laufender Arbeitslohn oder als sonstiger Bezug. Vor diesem Hintergrund müssen bei der Abgrenzung der beiden Kategorien voneinander auch die allgemeinen Wertungen einfließen, die das Einkommensteuerrecht für die zeitliche Zuordnung von Einnahmen prägen. Zunächst entnimmt der Senat § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG die – auch für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit relevante – Wertung, dass grundsätzlich der tatsächliche Zufluss die zeitliche Zuordnung von Einnahmen determiniert. Ausnahmen sind zwar möglich, jedoch nur im Rahmen überschaubarer zeitlicher Verschiebungen und nur bei wiederkehrenden Einnahmen. Die Definition der Begriffe „laufender Arbeitslohn“ auf der einen und „sonstige Bezüge“ auf der anderen Seite hat dies zu berücksichtigen.
Für die Definition von laufendem Arbeitslohn resultieren daraus besondere Anforderungen. Denn § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG stellt für die zeitliche Zuordnung von laufendem Arbeitslohn allein auf das Ende des Lohnzahlungszeitraums ab; wann die Zahlung tatsächlich erfolgt, ist unerheblich. Damit lässt es das Gesetz an sich zu, dass auch Zahlungen, die eine erhebliche Verspätung aufweisen, unter Umständen gleichwohl noch dem vorherigen Kalenderjahr zuzuordnen sind, wenn sie nur für einen Zeitraum bestimmt sind, der im alten Kalenderjahr geendet hat. Das aber würde der Wertung von § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG zuwiderlaufen, wonach nur Einnahmen, die kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahrs zufließen, noch dem alten Kalenderjahr zuzuordnen sind; das soll bei Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit letztlich nicht anders sein (in diesem Sinn wohl auch Stache in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 38a Rn. 19a ). Einen größeren zeitlichen Abstand zwischen Ende des Kalenderjahrs und tatsächlichem Zahlungszufluss lässt im Übrigen auch das Reglement zur Erhebung der Lohnsteuer nicht zu. Denn grundsätzlich kommt die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (als besondere Form der Steuererhebung) für ein bestimmtes Kalenderjahr nicht mehr in Betracht, sobald eine entsprechende Lohnsteuerbescheinigung eingereicht worden ist. Bis spätestens zum 28. Februar des Folgejahrs muss dies geschehen sein (vgl. § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG).
Zusammenfassend ist im EStG das Prinzip angelegt, dass nur solche Nachzahlungen von laufendem Arbeitslohn dem abgelaufenen Kalenderjahr zugeordnet werden dürfen, die kurze Zeit nach dessen Beendigung tatsächlich geflossen sind. Diese Vorgabe hat der Gesetzgeber in § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG nicht in der Weise umgesetzt, dass er einen zeitlichen Höchstabstand zwischen Ende des Kalenderjahrs und tatsächlicher Zahlung festgeschrieben hat; vielmehr soll dies über die Begriffe „laufender Arbeitslohn“ und „sonstige Bezüge“ bewerkstelligt werden. Es bedarf also einer Auslegung des Begriffs „laufender Arbeitslohn“, die dem gesetzlich angelegten Prinzip Rechnung trägt. Das bedeutet, dass Nachzahlungen von genuin laufendem Arbeitslohn nur insoweit ebenfalls als laufender Arbeitslohn behandelt werden dürfen, als sie innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahrs erfolgen. Nichts anderes als diesen zeitlichen Abstand – die „kurze Zeit“ – konkretisiert R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR.
(cc) Die oben genannten Entgeltbestandteile sind samt und sonders – unabhängig von R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 LStR – nicht „kurze Zeit“ nach Beendigung des Kalenderjahrs, für das sie bestimmt sind, gezahlt worden.
Die für Juli 2016 gezahlte „Urlaubsabgeltung“ – der Senat geht ebenso wie die Klägerin davon aus, dass es sich nicht um eine Urlaubsabgeltung im rechtlichen Sinn, sondern um eine Urlaubsvergütung handelte – in Höhe von 432,71 EUR wurde zur Überzeugung des Senats erst Mitte Februar 2017 ausbezahlt, und damit nicht mehr innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahrs 2016. Die Gehaltsabrechnung, die diese Position erstmals auswies, stammt vom 29.12.2016. Bereits mit Schreiben vom 27.11.2018 hatte der Senat bei der Klägerin angefragt, wann die Zahlungen, die unter dem 29.12.2016 abgerechnet wurden, tatsächlich zur Auszahlung gelangten. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin – nach Rückfrage bei deren Ehemann – zu Protokoll gegeben „12.12. eine Anpassung und dann die vom Vergleich am 15.02.“ Daraus erschließt sich eindeutig, dass nach der Entgeltabrechnung vom 29.12.2016 erst am 15.02.2017 die tatsächliche Zahlung erfolgte.
Die für die Phase September bis Dezember 2016 nachgezahlten Beträge von monatlich 387,48 EUR scheiden ebenfalls für die Berücksichtigung aus; auch sie sind sonstige Bezüge. Sie wurden erst im Februar oder März 2017 gezahlt (die entsprechende Nachberechnung trägt das Datum 13.02.2017) und damit nicht mehr innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahrs 2016. Die erste Nachzahlung in Höhe von monatlich 431,67 EUR, die Ende Dezember 2016 abgerechnet wurde, hatte der Beklagte ohnehin berücksichtigt. Das geschah übrigens zu Unrecht. Denn wie eben ausgeführt worden ist, wurden laut der Auskunft des Ehemanns der Klägerin sämtliche unter dem Datum 29.12.2016 abgerechneten Entgeltbestandteile erst am 15.02.2017 ausbezahlt; materiell-rechtlich handelte es sich also auch dabei um sonstige Bezüge.
Dass die Arbeitgeberin die Zahlungen von monatlich 387,48 EUR in den Entgeltabrechnungen jeweils als laufenden Arbeitslohn ausgewiesen hatte, vermag an der Einstufung als sonstige Bezüge nichts zu ändern. Dabei kann offen bleiben, ob allein schon aufgrund der erwiesenermaßen falschen Deklarierung durch die Arbeitgeberin als laufenden Arbeitslohn die Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung der Entgeltbescheinigungen widerlegt ist. Der Senat neigt dazu, dies zu bejahen. Jedoch kommt es darauf nicht an. Denn erstaunlicher Weise hatte die Arbeitgeberin die Zahlungen sehr wohl als sonstige Bezüge versteuert. Schon dieser in der Sphäre der Arbeitgeberin vorzufindende Widerspruch sorgt dafür, dass die Entgeltabrechnungen der Vermutung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit entbehren.
Aus dem gleichen Grund kann auch die Sonderzahlung in Höhe von 1.346,16 EUR keine Berücksichtigung finden. Auch insoweit erfolgte die Abrechnung erst am 13.02.2017. Die tatsächliche Zahlung innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahrs 2016 ist damit ausgeschlossen.
Auch die so genannte Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.423,43 EUR, die im Mai oder Juni 2016 ausbezahlt worden war, verkörperte eine Nachzahlung. Zwar geht der Senat mit der Klägerin davon aus, dass es sich nicht um eine Urlaubsabgeltung im rechtlichen Sinn, sondern um Vergütung für Urlaubstage handelte. Allerdings hat die Klägerin nicht rekonstruieren können, für welche Zeiträume diese Urlaubsvergütung bestimmt war. Mit Sicherheit handelt sich um vergütete Tage, die vor März 2016 lagen. Zudem spricht sehr viel dafür, dass ein großer Teil der Vergütung für Urlaub bezahlt worden ist, der bereits im Kalenderjahr 2015 genommen worden war. Insoweit wäre die Qualifizierung der Arbeitgeberin als sonstige Bezüge völlig korrekt. Nachdem die Klägerin nicht ansatzweise in der Lage war aufzuzeigen, wie viel von den 2.423,43 EUR auf im Jahr 2016 gelegene Zeiträume fiel, muss es bei der Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung der Verdienstbescheinigung, welche die „Urlaubsabgeltung“ als sonstigen Bezug kennzeichnete, bleiben.
(bb) Auch die beiden als Provisionen bezeichneten Zahlungen in Höhe von 678,08 EUR (April 2016) und 803,71 EUR (Juli 2016) dürfen nicht als leistungsrelevantes Einkommen berücksichtigt werden. Zwar flossen diese Entgeltkomponenten zeitnah zu, es handelte sich nicht um Nachzahlungen. Allerdings steht ihrer Berücksichtigung die vom BSG in den Urteilen vom 14.12.2017 dargestellte materiell-rechtliche Abgrenzung von laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen entgegen. Danach kann nicht laufender Arbeitslohn sein, was nicht in der Frequenz zufließt, die den regulären Lohnzahlungszeitraum abbildet. Im Verhältnis der Klägerin zu ihrer Arbeitgeberin galt als Lohnzahlungszeitraum der Kalendermonat. Die hohen Vorausleistungen, welche die Klägerin monatlich erhielt, haben den Lohnzahlungszeitraum definiert und den Monats-Rhythmus als maßgebende Frequenz festgelegt. Angesichts dessen wurden die vierteljährlich anfallenden Abschlusszahlungen, um die es hier geht, nicht im regelmäßigen Turnus geleistet. Die Vorausleistungen waren trotz ihrer Vorläufigkeit in der Lage, den Lohnzahlungszeitraum zu fixieren. Das ergibt sich zwanglos aus § 39b Abs. 5 EStG. Wenn das Gesetz dem Arbeitgeber bei Abschlagszahlungen die Möglichkeit einräumt, als Lohnzahlungszeitraum ausnahmsweise den längeren Lohnabrechnungszeitraum heranzuziehen (wovon die GmbH keinen Gebrauch gemacht hat), dann impliziert das, dass grundsätzlich auch Abschlagszahlungen den Lohnzahlungszeitraum definieren. Daher darf aus dem Charakter der monatlichen Zahlungen als Abschlagszahlungen nicht gefolgert werden, lohnsteuerrechtlich sei nur das Quartal regelmäßiger Auszahlungszeitraum. Das verbietet sich nicht zuletzt auch deswegen, weil die Abschlagszahlungen so hoch waren, dass sie geeignet erschienen, den gesamten Vergütungsanspruch für einen Monat abzudecken. Der Einkommenszufluss der Klägerin wurde durch die monatlichen Zahlungen dominiert. Die quartalsweise Abschlusszahlung spielte insoweit nur eine untergeordnete Rolle; diese konnte sogar negativ sein.
Die hier streitigen Abschlusszahlungen lassen sich auch nicht mit der Begründung dem laufenden Arbeitslohn zuordnen, sie seien ihrem Wesen nach mit den monatlichen Vorausleistungen identisch und hätten lediglich dafür gesorgt, dass die Vergütung geschwankt habe. Der Umstand, dass das Arbeitsentgelt eine schwankende Höhe aufweise, würde aber für sich allein nichts an seinem Charakter als laufender Arbeitslohn ändern. Diese Argumentation würde verkennen, dass im Fall der Klägerin die Abschlusszahlungen nicht lediglich zu Bezügen in schwankender Höhe führten, sondern eine eigenständige Entgeltkomponente erzeugten. Denn die Abschlusszahlungen durchbrachen gerade den Monats-Rhythmus. Sie wurden in einem vierteljährlichen Rhythmus und für ein ganzes Quartal gezahlt. Nach der neuen BSG-Rechtsprechung kann es aber neben dem regulären Zahlungsturnus keinen zweiten mit größeren Intervallen geben, der ebenfalls die Eigenschaft „fortlaufend“ vermitteln könnte (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.