Steuerrecht

Rechtsschutzbedürfnis bei der Aussetzung der Vollziehung eines Folgebescheids Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag als Betriebsvermögen

Aktenzeichen  4 V 2694/19

Datum:
24.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2020, 268
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
AO § 182 Abs. 1 S. 1
EStG § 4 Abs. 1
ErbStG § 13a

 

Leitsatz

1. Bei der im Rechtsschutzverfahren gegen die Steuerfestsetzung gebotenen isolierten rechtlichen Betrachtung muss der Gesichtspunkt einer korrespondierenden künftigen Änderung des aktuell noch verbindlichen Grundlagenbescheids zunächst außer Betracht bleiben. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aussetzung der Vollziehung eines Erbschaftsteuerbescheids kann daher auch dann bestehen, wenn der streitgegenständliche Versicherungsanspruch zwar nicht mehr als Privatvermögen der Erblasserin zu erfassen wäre, dafür aber Eingang in die gesonderte Feststellung des Werts des Anteils an einem Betriebsvermögen finden würde. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausnahmsweise können Ansprüche und Verpflichtungen aus einem Lebensversicherungsvertrag dem Betriebsvermögen zuzuordnen sein, wenn der Zweck der Vertragsgestaltung darin besteht, Mittel für die Tilgung betrieblicher Kredite anzusparen und das für Lebensversicherungen charakteristische Element der Absicherung des Todesfallrisikos bestimmter Personen demgegenüber in den Hintergrund tritt. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

II.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Gestalt einer vorherigen Ablehnung der Vollziehungsaussetzung durch die Finanzbehörde ist erfüllt. Es genügt schließlich die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in einem früheren Verfahrensstadium, wie etwa während des außergerichtlichen Vorverfahrens (Bundesfinanzhof -BFH-Beschluss vom 11. Februar 1999 XI S 14/98, BFH/NV 1999, 926). Im Streitfall ist die Zugangsvoraussetzung aufgrund der vor Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens erfolgten Ablehnung des Antrags vom 22.07.2019 auf Aussetzung der Vollziehung durch den Bescheid des Antragsgegners vom 26.07.2019 gegeben. Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners kommt es deshalb auf den Umstand, dass dieser den wiederholten Rechtsschutzantrag der Antragstellerin vom 30.09.2019 erst nach Rechtshängigkeit des gerichtlichen Verfahrens durch Bescheid vom 13.11.2019 abgelehnt hat, nicht an. Einer erneuten vorgerichtlichen Ablehnung hat es nicht bedurft.
b) Die Antragstellerin hat für ihren Antrag auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Der vom Antragsgegner durch den Bescheid vom 25.02.2016 zunächst für die Dauer des Einspruchsverfahrens in Höhe von 135.053,- EUR wegen der nämlichen rechtlichen Zweifel gewährte vorläufige Rechtsschutz besteht nicht mehr fort. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die Antragstellerin durch die freiwillige, fast vollständige Bezahlung der im Erbschaftsteuerbescheid vom 6.11.2018 festgesetzten Steuerschuld ihren ursprünglichen Rechtsschutzantrag konkludent zurückgenommen hat oder ob in der schriftlichen Mitteilung des Antragsgegners vom 6.11.2018 über die Abrechnung der Steuerschuld ein Widerruf der ursprünglich gewährten Vollziehungsaussetzung zu sehen ist. Jedenfalls hat ab diesem Zeitpunkt zugunsten der Antragstellerin keine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes mehr gewirkt, sodass für den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides vom 8.07.2019 in Gestalt des geänderten Erbschaftsteuerbescheides vom 29.01.2020 ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
bb) Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners kann die Antragstellerin auch nicht darauf verwiesen werden, dass die streitbefangene Frage der Zugehörigkeit der Rechte aus der Lebensversicherung zum Betriebsvermögen der K GmbH & Co. KG allein im Rechtsschutzverfahren gegen den Bescheid des Finanzamtes M vom 14.05.2019 über die gesonderte Feststellung des Wertes des Anteiles am Betriebsvermögen der Gesellschaft gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG zu klären ist. Es ist zwar zutreffend, dass eine etwa rechtsfehlerhafte Feststellung des Wertes des Betriebsvermögens im Weg des Rechtsschutzes gegen den Feststellungsbescheid zu verfolgen ist; da der Antragsgegner den Wert der Lebensversicherung aber mit steuererhöhender Wirkung als eigenständigen Teil der steuerpflichtigen Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer zugerechnet hat, ist die Antragstellerin auch befugt, sich gegen diese Sachbehandlung im Rechtsschutzverfahren unmittelbar gegen den Steuerbescheid zur Wehr zu setzen. Der Antragstellerin kann im Rahmen der Zulässigkeit ihres Antrages auch nicht entgegengehalten werden, dass selbst im Falle der Zugehörigkeit der Lebensversicherung zum Betriebsvermögen der K GmbH & Co. KG die Erbschaftsteuer im Ergebnis nicht niedriger ausfallen würde, weil die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des Betriebsvermögens der Gesellschaft nicht vorliegen. Bei der im Rechtsschutzverfahren gegen die Steuerfestsetzung gebotenen isolierten rechtlichen Betrachtung muss der Gesichtspunkt einer korrespondierenden künftigen Änderung des aktuell noch verbindlichen Grundlagenbescheides zunächst außer Betracht bleiben.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes u.a. dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Derartige Zweifel sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 1994 I B 53/94, BStBl II 1995, 65) oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen aufwerfen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. November 1992 XI B 69/92, BStBl II 1993, 263 m.w.N.).
b) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall bestehen aufgrund der Einwendungen der Antragstellerin keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des letztgültigen Erbschaftsteuerbescheides vom 29.01.2020.
aa) Bei der im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung hat der Senat insbesondere keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Antragsgegner den Wert der Rechte aus der besagten Lebensversicherung zu Recht als Teil der steuerpflichtigen Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer der Antragstellerin berücksichtigt hat. Nach dem Sachvortrag der Beteiligten ist bei überschlägiger Beurteilung nicht davon auszugehen, dass es sich bei den Rechten aus der Lebensversicherung im Zeitpunkt des Erbfalles um Betriebsvermögen der K GmbH & Co. KG gehandelt hat.
Ob Ansprüche und Verpflichtungen aus einem Versicherungsvertrag zum Betriebsvermögen eines Unternehmens gehören, beurteilt sich nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach der Art des versicherten Risikos. Zum Betriebsvermögen zählen sie nur dann, wenn hierdurch betriebliche Risiken abgedeckt werden (vgl. BFH Urteile vom 7. Oktober 1982 IV R 32/80, BFHE 137,19, BStBl II 1983,101 und vom 19. Mai 2009 VIII R 6/07, BFHE 225, 119, BStBl II 2010, 168). Von diesem Grundsatz ist auch im Falle eines Lebensversicherungsvertrages auszugehen. Mit einem derartigen Vertrag wird in aller Regel kein betriebsbezogenes Risiko abgedeckt; vielmehr dient ein solcher Vertrag, mag die Versicherungssumme im Erlebens- oder Todesfall auszuzahlen sein, der Daseinsvorsorge des Betriebsinhabers für sich oder seine Hinterbliebenen und gehört damit dem außerbetrieblichen Bereich an (BFH Urteile vom 6. Februar 1992 IV R 30/91, BFHE 167, 366, BStBl II 1992, 653 und vom 15. November 2011 VIII R 34/09, BFH/NV 2012, 722). Ausnahmsweise können Ansprüche und Verpflichtungen aus einem Lebensversicherungsvertrag dem Betriebsvermögen zuzuordnen sein, wenn der Zweck der Vertragsgestaltung darin besteht, Mittel für die Tilgung betrieblicher Kredite anzusparen und das für Lebensversicherungen charakteristische Element der Absicherung des Todesfallrisikos bestimmter Personen demgegenüber in den Hintergrund tritt (BFH Urteil vom 3. März 2011, IV R 45/08, BFHE 233, 137, BStBl II 2011, 552).
Im Streitfall bestehen hinsichtlich einer betrieblichen Veranlassung der in der notariellen Urkunde vom 21.11.2012 erklärten Abtretung der Rechte der Erblasserin aus ihrer Lebensversicherung an die K GmbH & Co. KG schon deshalb erhebliche Bedenken, weil diese ausweislich der Vereinbarung nicht zur Absicherung und künftigen Tilgung betrieblicher Verbindlichkeiten der Gesellschaft sondern vielmehr zum Zwecke der Erfüllung der aus der Immobilienübertragung an die damalige I GbR entstandenen Schuld der Erblasserin gegenüber der K GmbH & Co. KG erfolgt ist. Die Forderungsabtretung ist daher nicht im betrieblichen Interesse der Gesellschaft, sondern allein im persönlichen Interesse der Erblasserin vereinbart worden. Ob die schließlich ausbezahlte Versicherungssumme – so wie die Antragstellerin vorträgt – im Ergebnis für die Tilgung betrieblicher Verbindlichkeiten der K GmbH & Co. KG verwendet worden ist, kann jedoch für den Zeitpunkt des Erbfalles keine betriebliche Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen belegen. Ist die Zugehörigkeit der Versicherungsforderung zum Betriebsvermögen aus den bezeichneten Gründen nicht zu bejahen, so kann sie auch nicht dadurch hergestellt werden, dass sie ausdrücklich in der Bilanz der Gesellschaft erfasst wird. Abgesehen davon lässt der Buchungsvorgang zur Erfassung der Versicherungssumme von 676.375, 68 EUR am 1.01.2015 eher den Schluss zu, dass der Betrag zunächst vom Versicherer an die Antragstellerin persönlich ausbezahlt worden ist – wie dies im Übrigen der Antragsgegner auch behauptet – und zum anderen durch die Antragstellerin über ihr Kapitalkonto in das Gesellschaftsvermögen eingelegt worden ist. Dies würde jedoch dem Sachvortrag der Antragstellerin, die K GmbH & Co. KG sei selbst Gläubigerin des Versicherungsanspruches gewesen, widersprechen.
Ungeachtet dessen bestehen auch Zweifel daran, ob die Abtretung der Rechte aus der Lebensversicherung an die Gesellschaft durch die Vereinbarung vom 21.11.2012 überhaupt wirksam gewesen ist. Grundsätzlich sind Ansprüche aus Versicherungsverträgen durch formlose Vereinbarungen gemäß § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abtretbar, soweit nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Versicherers eine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Für Ansprüche aus Lebensversicherungen ist entsprechend den Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nach § 9 Abs. 4 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung (ABL) beziehungsweise für ältere Verträge nach § 13 Abs. 3 der Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen (ALB) eine (schriftliche) Anzeige der Abtretung gegenüber dem Versicherer erforderlich. Unterlässt der Versicherungsnehmer die Anzeige, ist die Abtretung absolut unwirksam (vgl. Bundesgerichtshof -BGH- Urteil vom 31. Oktober 1990 IV ZR 24/90, BGHZ 112, 387). Im Streitfall hat die Antragstellerin jedenfalls nicht durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht, die in Rede stehende Abtretung dem Versicherer angezeigt zu haben.
Im Ergebnis bestehen bei überschlägiger Prüfung keine rechtlichen Bedenken gegen die Sachbehandlung durch den Antragsgegner, den Wert des Versicherungsanspruches als unmittelbar der Antragstellerin zuzurechnenden Teil der steuerpflichtigen Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer zu berücksichtigten.
bb) Der Senat hat auch keine ernstlichen rechtlichen Zweifel im Hinblick auf den vom Antragsgegner für das im Nachlass befindliche Wohneigentum in X in der … angesetzten Wert.
Der Antragsgegner ist sowohl an die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes für das Wohnungseigentum in X, zuletzt durch den Feststellungsbescheid des Finanzamts M vom 31.01.2020 in Höhe von 231.796,- EUR als auch an die gesonderte Feststellung des Wertes des Anteiles an den Vermögensgegenständen und Schulden der I KG durch den Feststellungsbescheid des Finanzamts M vom 14.06.2019 in Höhe von 0,- EUR, jeweils getroffen auf den Stichtag des 3.05.2014, gebunden. Einwendungen gegen die genannten Werte hat die Antragstellerin ausschließlich im Rechtsschutzverfahren gegen die verbindlichen Grundlagenbescheide zu verfolgen. Woraus die Antragstellerin eine diesbezügliche Minderung des Wertes um 200.000,- EUR herleiten möchte, verschließt sich dem Senat. Auch in dieser Hinsicht ist der Antrag deswegen abzulehnen.
c) Der Antragstellerin ist vorläufiger Rechtsschutz auch nicht wegen unbilliger Härte zu gewähren. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auch dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn dessen Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte. Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne dieser Vorschrift liegt unter anderem vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. Juni 2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834; vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.).
Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit auch im Rahmen einer Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen müssen, liegen im Streitfalle die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO mangels unbilliger Härte nicht vor. Für eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin gerade durch die sofortige Vollziehung des antragsgegenständlichen Erbschaftsteuerbescheides in Bezug auf die noch nicht bezahlte Steuerschuld sieht der Senat keine Anhaltspunkte.
d) Da sich im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz der Prozessstoff auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen und präsenten Beweismittel beschränkt, bleibt jede weitergehende Sachverhaltsaufklärung (§ 76 FGO) dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (Gräber/Stapperfend FGO 9. Auflage 2019, § 69 Rn. 196, 197).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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