Steuerrecht

Rücknahme eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, Kostentragung des Antragsgegners wegen Verschuldens, Rechtsschein durch unzutreffende Anordnung des Sofortvollzugs bei einer Sicherungsmaßnahme nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, Unzutreffender Hinweis zur

Aktenzeichen  22 AS 21.40015

Datum:
17.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28465
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, § 155 Abs. 2 und Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 1.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 wurde der Antragstellerin die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windenergieanlagen erteilt. Da nach Inbetriebnahme der Anlagen immer wieder Nachbarbeschwerden wegen Lärmbelästigung auftraten, erließ der Antragsgegner zwei nachträgliche Anordnungen (8.12.2016 und 23.1.2018), mit denen der Antragstellerin aufgegeben wurde, den Betrieb der Anlagen nachts und tagsüber zu drosseln. Diese Anordnungen widerrief der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. Februar 2019. Die von der Beigeladenen gegen den Bescheid vom 8. Februar 2019 erhobene Anfechtungsklage ist noch beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig (B 9 K 19.477). In der Folgezeit kam es zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die in den Bescheiden vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 getroffenen Anordnungen wegen der Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 weiter eingehalten werden müssen.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29. März 2021 hat der Antragsgegner festgestellt, dass die Klage der Beigeladenen gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 aufschiebende Wirkung hat (Nr. I. Satz 1) und angeordnet, dass die in den Bescheiden vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 getroffenen Anordnungen eingehalten werden müssen (Nr. I. Satz 2). Zudem wurde die Antragstellerin verpflichtet, durch geeignete Dokumente nachzuweisen, dass die in I. genannten Vorgaben eingehalten werden. Hierzu müssen die Nachweise jeweils monatlich bis zum 15. des darauffolgenden Monats dem Landratsamt vorgelegt werden (Nr. II.). Für die Nichterfüllung der Anordnungen in Nr. I. Satz 2 und Nr. II. wurden Zwangsgelder angedroht (Nr. III. und Nr. IV.). Zudem hat der Antragsgegner den Sofortvollzug für Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 angeordnet. Zur Begründung führte er aus, dass im Falle des faktischen Vollzugs die Ausgangsbehörde analog § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO berechtigt sei, die aufschiebende Wirkung festzustellen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Laut Rechtsbehelfsbelehrung:kann gegen den Bescheid vom 29. März 2021 Klage erhoben werden. Weiter hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung habe und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden könne.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben (B 9 K 21.511) und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage bzgl. Nr. I. Satz 2 und Nr. II. wiederherzustellen (B 9 S 21.537). Klage und Eilantrag hat das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 17. Mai 2021 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verwiesen (22 A 21.40016 und 22 AS 21.40015). Beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth ist zudem ein Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m.§ 80 Abs. 5 VwGO anhängig mit dem Hauptantrag, festzustellen, dass die Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 5. August 2021 darauf hingewiesen, dass sich der Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 29. März 2021 getroffenen Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 3 VwGO richte und der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 unstatthaft sei. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 30. August 2021 den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zurückgenommen und beantragt, die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen. Das Landratsamt habe durch die gewählte Form des Bescheids vom 29. März 2021, die ausdrückliche Anordnung der sofortigen Vollziehung und die angefügte Rechtsbehelfsbelehrung:den Anlass zur Erhebung des Eilantrags geschaffen und damit die Kosten, die durch die Antragsrücknahme entstünden, verschuldet.
Die Beigeladene sprach sich mit Schriftsatz vom 13. September 2021 gegen eine Kostentragungspflicht des Antragsgegners aus. Der Antragsgegner äußerte sich nicht.
II.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 30. August 2021 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 zurückgenommen. Das Verfahren ist daher nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Abweichend von der regelmäßigen, sich bei der Rücknahme eines Rechtsmittels aus § 155 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge, hat im vorliegenden Fall der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zwar trifft bei der Rücknahme eines Rechtsmittels die Kostenlast grundsätzlich den Rechtsmittelführer. Im vorliegenden Fall sind die Kosten des Verfahrens abweichend von § 155 Abs. 2 VwGO ausnahmsweise gemäß § 155 Abs. 4 VwGO dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Die Kostenregelung zulasten eines Beteiligten wegen Verschuldens nach § 155 Abs. 4 VwGO geht als Spezialregelung allen übrigen Kostenregelungen und damit auch derjenigen des § 155 Abs. 2 VwGO vor (OVG NW, B.v. 2.9.2004 – 1 LB 18/04 – juris Leitsatz und Rn. 5; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 77; Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 155 Rn. 24 m.w.N.). Daher können abweichend von § 155 Abs. 2 VwGO dem Antragsgegner Kosten auferlegt werden, auch wenn der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat (Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 77; OVG RhPf, B.v. 2.9.2015 – 2 B 10765/15 – juris Rn. 97).
Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfasst werden vor allem (ausscheidbare) Mehrkosten. § 155 Abs. 4 VwGO kann unter Umständen aber auch die gesamten Prozesskosten erfassen, wenn durch ein schuldhaftes vorprozessuales Verhalten die Erhebung eines an sich vermeidbaren Rechtsschutzbegehrens verursacht wurde, das Fehlverhalten eines Verfahrensbeteiligten überhaupt erst Anlass für den Prozess war (Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 84) oder wenn der Antragsgegner durch sein Verhalten einen bestimmten Rechtsschein gesetzt hat, der kausal für den Antrag war (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 155, Rn. 11 und 13 m.w.N.). Auch durch eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrungkann die Behörde ein erfolgloses Rechtsmittel veranlassen (BayVGH, B.v.6.6.1974 – 46 I 73 – BayVBl 1974, 537).
Ein Verschulden eines Beteiligten im Sinn des § 155 Abs. 4 VwGO liegt vor, wenn dieser unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst hat, die nicht erforderliche Kosten verursacht haben (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 CE 16.1333 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 23.6.2014 – 2 A 104/12 – juris Rn. 110; HessVGH, U.v. 20.1.2005 – 3 UE 2553/04 – juris Rn. 36; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 155 Rn. 80). Der Begriff des Verschuldens entspricht dabei dem des § 60 VwGO, so dass bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht (OVG NW, B.v. 20.11.2001 – 13 B 1116/01 – NVwZ-RR 2002, 702; Hartung/Zimmermann-Kreher in BeckOK, VwGO, Stand 1.7.2021, § 155 Rn. 11 f.).
Gemessen daran trifft den Antragsgegner ein Verschulden daran, dass die Antragstellerin neben dem noch beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängigen Antrag auf Feststellung, dass die Klage der Beigeladenen gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 keine aufschiebende Wirkung hat, einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 gestellt hat. Der Antragsgegner hat die betreffenden Regelungen in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid ausdrücklich für sofort vollziehbar erklärt und einen Hinweis zur Rechtsbehelfsbelehrung:erteilt, wonach eine etwaige Klage keine aufschiebende Wirkung habe. Die Antragstellerin sah sich dadurch veranlasst, den entsprechenden Rechtsbehelf einzulegen. Schuldhaft hat der Antragsgegner deshalb gehandelt, weil es für Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO, wie sie der Antragsgegner in Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 getroffen hat, der Anordnung des Sofortvollzugs nicht bedurft hätte. Der Antragsgegner bezieht sich in der Begründung des Bescheids ausdrücklich auf die Befugnis nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO für den Erlass der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen. Diese Sicherungsmaßnahmen dienen dem Schutz und der Durchsetzung der aufschiebenden Wirkung des Drittrechtsbehelfs und ergänzen die Anordnung bzw. Feststellung nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO. Sie sind daher nicht gesondert anfechtbar und ohne Anordnung des Sofortvollzugs vollstreckungsfähig, da sie nur akzessorisch zur Anordnung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Drittrechtsbehelfs zulässig sind (OVG NW, B.v. 10.1.2000 – 10 B 2060/99 – juris Rn. 5 und 15). Bei hinreichend sorgfältigem Studium der Kommentarliteratur und Rechtsprechung hätte sich dem Antragsgegner diese Besonderheit bei der Anordnung einer Sicherungsmaßnahme nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO erschließen können, so dass er die Anordnung des Sofortvollzugs und den entsprechenden Hinweis zur Rechtsbehelfsbelehrung:unterlassen hätte. Da sich auch ein Rechtsanwalt auf die Richtigkeit behördlicher Rechtsbehelfsbelehrung:en verlassen darf, gilt § 155 Abs. 4 VwGO zu Lasten der Behörde selbst dann, wenn der Rechtsmittelführer durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird (Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 155 Rn. 26).
Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ebenfalls dem Antragsgegner aufzuerlegen, da sich die Beigeladene durch Stellung eines Antrags einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO) und diese Kosten von der Kostengrundentscheidung zu Lasten des Antragsgegners umfasst sind.
Von der Kostengrundentscheidung umfasst sind auch etwaige Mehrkosten, die den Beteiligten durch den Verweisungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 17. Mai 2021 entstanden sind.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei sich das Gericht hinsichtlich der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin (Aufhebung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen) an den angedrohten Zwangsgeldern orientiert. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, ist eine Halbierung des sich aus der Addierung der angedrohten Zwangsgelder ergebenden Betrags angezeigt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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