Steuerrecht

Rückname einer rechtswidrigen Einbürgerung – Unterstützung einer terroristischen Vereinigung

Aktenzeichen  M 25 K 17.2045

Datum:
11.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16506
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 10, § 11 S. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Heilung durch eine nachgeholte Anhörung tritt ein, wenn aufgrund der Geschehnisse während des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens davon ausgegangen werden kann, dass die Behörde ihre Entscheidung im Licht der vorgetragenen Einwendungen in eigener Zuständigkeit nochmals überprüft hat und dass insoweit dem dem Anhörungsverfahren zugrundeliegenden Rechtsgedanken ausreichend Rechnung getragen worden ist (BayVGH BeckRS 2017, 133251).  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine unrichtig abgegebene Loyalitätserklärung ist tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Täuschung über den Ausschlussgrund des § 11 S. 1 Nr. 1 StAG (OVG Münster BeckRS 2016, 47476). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der streitgegenständliche Bescheid begegnet keinen rechtlichen Bedenken und der Kläger ist durch ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StAG sind erfüllt und die Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
a) Der Bescheid vom 6. April 2017 ist formell rechtmäßig ergangen.
Der Kläger wurde ausweislich der Behördenakte (Bl. 45 ff., 124 ff.) vor Erlass des Bescheides ordnungsgemäß nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts als auch bzgl. der Form steht der Behörde ein Ermessensspielraum zu. Die Gelegenheit zur Anhörung muss nach Zeit, Ort und sonstigen Umständen angemessen und zumutbar sein (vgl. schon BVerwGE, U.v. 25.11.1955 – IV B 109.54 – BVerwGE 2, 343). Dies war vorliegend der Fall, insbesondere ist der Kläger überdies mündlich bei Übergabe des Anhörungsschreibens auf den Inhalt desselbigen hingewiesen worden. Ob er das Schreiben tatsächlich gelesen hat, liegt allein in der Verantwortungssphäre des Klägers. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt der Aushändigung des Anhörungsschreibens durch die Polizeibeamten aufgrund der Festnahme aufgrund Untersuchungshaftbefehls in einer persönlichen Ausnahmesituation befand.
Zudem kann die unterbliebene Anhörung grundsätzlich bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG). Eine Heilung setzt dabei voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Heilung tritt ein, wenn aufgrund der Geschehnisse während des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens davon ausgegangen werden kann, dass die Behörde ihre Entscheidung im Licht der vorgetragenen Einwendungen in eigener Zuständigkeit nochmals überprüft hat und dass insoweit dem dem Anhörungsverfahren zugrundeliegenden Rechtsgedanken ausreichend Rechnung getragen worden ist (BayVGH, B.v. 13.11.2017 – 15 ZB 16.1885 – juris). Aufgrund der umfangreichen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11. April 2018, in dem die Beklagte aufgrund des umfangreichen Vortrags des Klägers und seines Bevollmächtigten nach Inaugenscheinnahme der von der KPI in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen Gelegenheit hatte, den Bescheid nochmals zu überprüfen, wäre jedenfalls von einer Heilung auszugehen.
Auch genügt die umfangreiche Begründung des streitgegenständlichen Bescheids den formellen Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BayVwVfG, insbesondere war der Bericht der KPI vom 16. Dezember 2016 dem Bescheid als Anlage beigefügt und die dort genannten Erkenntnisse über den Kläger wurden durch die Beklagte nochmals im Bescheid ausführlich geschildert und bewertet.
Auch hat die Beklagte die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG eingehalten. Die Einbürgerungsurkunde vom 2. April 2012 wurde dem Kläger am 16. April 2012 ausgehändigt, der streitgegenständliche Rücknahmebescheid dem Kläger am 6. April 2017 zugestellt.
b) Die Beklagte ging zu Recht davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG vorliegen.
Eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach § 35 Abs. 1 StAG nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (BayVGH, B.v. 10.11.2017 – 5 ZB 16.653 – juris). Die Einbürgerung ist rechtswidrig, wenn sie im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht hätte ergehen dürfen (Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, StAG, § 35 Rn. 11). Von einer arglistigen Täuschung ist auszugehen, wenn der durch eine Einbürgerung Begünstigte auf den Erklärungswillen der Behörde durch Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums eingewirkt hat. Der Begünstigte muss entscheidungserhebliche Angaben gemacht haben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, die er aber in Kauf nahm, oder wahre Tatsachen verschwiegen haben, zu deren Offenbarung er verpflichtet war (vgl. Hailbronner/Hecker, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 22, 27). Eine unrichtig abgegebene Loyalitätserklärung ist tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Täuschung über den Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (OVG Münster, U.v. 17.3.2016 – 19 A 2330/11 – juris).
Der Kläger hat zumindest durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung waren, bzw. durch arglistige Täuschung im Jahr 2012 seine Einbürgerung erwirkt.
Die Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig, weil sie gegen § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verstieß. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung u.a. ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat. Es ist dabei ein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht ausreichend. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (BVerwG, U.v. 20.3.2012 – 5 C 1/11 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Im Fall des Klägers rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass er spätestens ab 2009 Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.
Der Kläger hat im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens am 12. Januar 2012 wahrheitswidrig erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass der Kläger schon spätestens zum Zeitpunkt des Vollzugs der Einbürgerung im Jahr 2012 Anhänger der IS-Ideologie und Unterstützer der IS-Organisation war. Dass die Ideologie des IS gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet ist, steht für das Gericht außer Frage (s. nur S. 54 ff. des Verfassungsschutzberichts Bayern 2017 zur Nutzung des Internets durch islamistische Gruppen zu Propagandazwecken und S. 67 ff. zur Verfassungsfeindlichkeit des IS). Die Anhängerschaft des Klägers zur IS-Organisation manifestierte sich in zahlreichen, durch die KPI nach umfangreichen Ermittlungen dokumentierten Aktivitäten des Klägers mit eindeutig islamistischem Bezug:
aa) Den Besitz einer Video-Anleitung zur verdeckten Kommunikation im Darknet durch den Kläger von einer islamistischen Seite im Mai 2009 hat der Bevollmächtigte des Klägers zwar in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Jedoch führte der Kläger aus, dass es ihm bei Aufruf des Videos lediglich um die Anleitung zur Nutzung des Tor-Browers gegangen sei. Diese Aussage hält das Gericht nach dem in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnenen Gesamteindruck und unter Berücksichtigung der zahlreichen weiteren Erkenntnisse über den Kläger mit Nähe zur IS-Ideologie für nicht glaubhaft. Sie stellt eine bloße Schutzbehauptung dar. Nach dem in der mündlichen Verhandlung durch die Kammer in Augenschein genommenen Video und der dem Gericht vorgelegten Übersetzung der KPI vom 22. Juni 2016 ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bewusst eine Anleitung mit IS-Ideologien heruntergeladen hat. Die im Video eingeblendeten Werbefilme von Al-Quaida sowie dem Al-Furquan-Medien-Netzwerk sind aufgrund ihrer Gestaltung auffällig und für jeden Betrachter deutlich erkennbar. Ebenso ist deutlich das Logo „Der Islamische Staat wird weiterhin bestehen…“erkennbar ebenso wie die Einblendung „Es sind bereits 943 Tage seit der Errichtung des Islamstaates, der Hoffnung der islamischen Gemeinschaft, der weiterhin bestehen bleibt.“. Das Gericht kann auch nicht dem Vortrag des Bevollmächtigten folgen, dem Kläger müsse es erlaubt sein, den Tor-Browser zu benutzen, um (möglichen) Anfeindungen und Repressionen durch den tunesischen Staat zu entgehen. Es bleibt dem Kläger unbenommen, sein Recht auf Meinungsfreiheit im Bundesgebiet auszuüben, in dem er Videos oder Dokumente, die sich kritisch über die tunesische Regierung äußern, anschaut, herunterlädt oder abspeichert. Für die Kammer ist aber unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachvollziehbar, warum hierfür gerade ein Video zur Verwendung eines Tor-Browers zur verdeckten Kommunikation im Darknet mit eindeutigem und unverkennbar islamistischem Inhalt heruntergeladen werden muss. Der Kläger konnte für das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend darlegen, warum er gerade dieses Anleitungsvideo heruntergeladen hat. Die Behauptung, bei einer Suche nach einem solchen Anleitungsvideo mit der Suchmaschine „Google“ in arabischer Sprache sei als erstes das von ihm heruntergeladene Video aufgeführt gewesen, ist in keinerlei Hinsicht überzeugend. Gibt man bei der Suchmaschine „Google“ zu den genannten Bedingungen eine solche Suche ein, wird eine Vielzahl von Videos ohne islamistischen Inhalt aufgezeigt (Suchanfrage der Berichterstatterin am 11.4.2018).
bb) Dem vom Kläger grundsätzlich bestätigten Herunterladen und Abspeichern einer Anleitung des Internetdownloadmanagers mit Inhalten zur Unterstützung der Mujaheddin im Jahr 2011 trat der Kläger in der mündlichen Verhandlung mit dem Vortrag entgegen, dass er diese als Word-Datei abgespeichert habe, um diesen Manager immer nutzen zu können. Ihm sei es weder um die Inhalte noch um den Herausgeber der Seite gegangen. Die Anleitung enthält nach der Übersetzung vom 2. November 2016 eindeutige islamistische Inhalte, etwa die Aussage „Seitdem uns Allah den Anschluss an den Zug der Unterstützer der Mujaheddin beschert hat, befinden wir uns nun in der Lage, die besondere Schutzvorkehrungen erfordert“. Spätestens mit dem zweimaligen Herunterladen und Abspeichern eines Dokuments mit eindeutig islamistischem Gedankengut ist die Schutzbehauptung des Klägers, es komme ihm nicht auf die Inhalte, sondern nur auf die technische Anleitung an, nicht glaubhaft und zeigt, dass das Gericht vom Kläger bewusst mit der Unwahrheit bedient wird. Ein versehentliches Herunterladen ist nach den umfangreichen Erkenntnissen zum Kläger ausgeschlossen. Bei einer Anfrage des Gerichts mit der Suchmaschine „Google“ wird gerade eine Vielzahl an Anleitungen des Internetdownloadmanagers gelistet, die gerade neben der technischen Anleitung keine inkriminierten Inhalte aufweisen (Suchanfrage der Berichterstatterin am 11.4.2018). Der Kläger zeigte ein verschleierndes Verhalten während des gesamten gerichtlichen Verfahrens und insbesondere in der mündlichen Verhandlung. Dies offenbart, dass es dem Kläger – wie auch schon mit dem Herunterladen des Tor-Browers für verdeckte Kommunikation im Darknet – einzig darum ging und geht, seine Identifikation mit der IS-Ideologie und seine umfangreichen Unterstützungshandlungen bewusst zu verdecken. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass einige der im Rahmen der Durchsuchung beschlagnahmten technischen Geräte nicht ausgelesen werden konnten, da der Kläger die Daten entsprechend geschützt hatte (vgl. Schlussbericht der KPI vom 6.3.2017, S. 55). Ziel all dieser Handlungen war für den Kläger die möglichst vollumfängliche Verschleierung seiner islamistischen Einstellung und Aktivitäten.
Nicht nachvollziehbar ist, dass der Kläger die Anleitung als Word-Datei abgespeichert hat, um sie dauerhaft nutzen zu können, jedoch die Anleitung nicht erstellt haben soll. Das Auffinden von Teilen des Anleitungstextes in einem islamischen Forum (Bericht der KPI vom 14.7.2017) legt nahe, dass der Kläger den Inhalt auch weiterverbreitet hat. Unabhängig davon, ob der Kläger Verfasser des Textes war, steht für das Gericht zur Überzeugung fest, dass der Kläger die Anleitung mit islamistischen Bezügen bewusst heruntergeladen und abgespeichert hat. Gerade weil er sie als Word-Datei abgespeichert hat, liegt es nahe, dass er den teils islamistischen Inhalt des Textes teilt.
cc) Auch das Herunterladen einer Video-Anleitungsserie zur Erstellung von eigenen Videos zur Rekrutierung von Unterstützern des IS Anfang 2011 bestätigt der Kläger, führte aber erstmals in der mündlichen Verhandlung weiter aus, dass es ihm nicht um die islamistischen Inhalte gegangen sei. Auch hier zeigt das immer gleichförmige Verhalten des Klägers, dass der Kläger seine Einstellung zur IS-Ideologie verschleiern will. Ein wiederholtes Herunterladen von Dokumenten von islamistischen Seiten, ohne dass es dem Kläger auf die islamistischen Inhalte angekommen wäre, ist in der Gesamtschau der zum Kläger vorliegenden Erkenntnisse nach dem Abschlussbericht der KPI vom 6. März 2017 für die erkennende Kammer ausgeschlossen.
dd) Unabhängig von der Frage, ob das im streitgegenständlichen Bescheid genannte Video 2 (Zusammenschnitt mit Gebetsszene Frankfurt a.M. und Nasheed) dem Kläger zurechenbar ist und die Videos 1 (Gebetsszene Frankfurt a.M.) und 3 (Gebetsszene Frankfurt a.M. und Nasheed) vom Kläger auch erstellt wurden, steht jedenfalls fest, dass der Kläger die im Bescheid angeführten Videos 1 und 3 heruntergeladen hat. Die Angabe des Klägers, er habe diese nur heruntergeladen, weil er darauf zu erkennen gewesen sei, ist wieder als reine Schutzbehauptung zu werten. Die Videos 1 und 3 belegen alleine keine islamistische Tendenz, zeigen aber in der Gesamtschau mit den schon genannten Handlungen des Klägers, insbesondere auch mit dem Herunterladen einer Vielzahl von Nasheeds mit islamistischen Inhalt, dass das Handeln des Klägers seit Jahren tief in der islamistischen Ideologie verwurzelt ist. Auch das in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommene Video vom 15. Juni 2011, in dem am Schluss ausgeführt wird „ich bin für Osama bin Laden und die Märtyrer“ bestätigt diese Einschätzung. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger auch Nasheeds mit islamischem Inhalt sowie Videos, die den politischen Umbruch in Tunesien in den vergangenen Jahren thematisieren, heruntergeladen hat und durch sein Studium und seine Tätigkeiten wirtschaftlich gut in Deutschland integriert war. Mithin führt dies nicht dazu, dass das Verhalten des Klägers in der Gesamtschau als mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar wäre. Gerade die Gesamtbetrachtung zeigt, dass der Kläger schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen hat, die einer Einbürgerung von Beginn an entgegenstanden.
ee) In Gesamtschau der zum Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum vor der Einbürgerung im April 2012 vorliegenden Erkenntnisse nach dem Bericht der KPI vom 16. Dezember 2016 und dem Abschlussbericht der KPI vom 6. März 2017, dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck und der einzeln in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2018 in Augenschein genommenen Texte und Videos steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger erkennbar und von seinem Willen getragen Handlungen zum Vorteil des IS vorgenommen hat. Der geforderte, aber auch ausreichende tatsachengestützte hinreichende Verdacht, dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung Bestrebungen verfolgt und unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, liegt vor. Das Gericht weist im Übrigen darauf hin, dass es entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten für die Annahme des Ausschlussgrundes nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG keiner rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung bedarf.
ff) Das Regierungspräsidium Darmstadt als für die Einbürgerung zuständige Behörde hatte ausweislich der Behördenakte zum Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens keine Kenntnis von den Aktivitäten des Klägers. Die spätestens seit 2009 erfolgten Unterstützungshandlungen des Klägers wurden den zuständigen Sicherheitsbehörden erst mit der Wohnungsdurchsuchung im Februar 2016 bekannt. Nach der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2018 ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger seit spätestens 2009 umfangreiche Unterstützungshandlungen für den Islamischen Staat geleistet hat. Die nach Bescheidserlass im Jahr 2012 erfolgten weiteren sicherheitsrechtlichen Erkenntnisse über den Kläger sowie die noch nicht rechtskräftige Verurteilung des Klägers vom 22. März 2018, der überwiegend Taten aus dem Jahr 2015 zu Grunde liegen, sind zwar vorliegend nicht entscheidungserheblich, zeigen aber deutlich, dass sich der Kläger nicht von der IS-Organisation und deren Ideologie losgesagt hat. Vielmehr offenbaren die fortgeführten Aktivitäten des Klägers, dass er sich weiterhin, ja sogar zunehmend intensiver mit der IS-Ideologie identifiziert. Im Übrigen würden die Ausführungen im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 16. April 2018, der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde und daher unberücksichtigt bleiben muss, nicht zu einer anderen Einschätzung führen.
Der Kläger handelte bezüglich der unrichtigen Angaben auch zumindest bedingt vorsätzlich. Die für den Rücknahmegrund des § 35 Abs. 1 StAG kennzeichnende Erwirkungsabsicht setzt voraus, dass die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben (z.B. bei der Mitgliedschaft in „verfassungsfeindlichen“ Organisationen) dem Bewerber im Kontext der Befragung erkennbar ist (Hailbronner/ Hecker, StAG, § 35 Rn. 35).
Der Kläger hat entscheidungserhebliche Angaben gemacht, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, die er aber in Kauf nahm. Im Merkblatt zur Verfassungstreue, das als Anlage der vom Kläger am 11. Januar 2012 unterzeichneten Loyalitätserklärung beigefügt und dem Kläger ausgehändigt worden war, wird ausdrücklich auf radikal-islamistische Gruppierungen hingewiesen und diese im Merkblatt näher erläutert. Dem Kläger wurde somit unmissverständlich dargelegt, dass solche Gruppierungen und Aktivitäten in jeglicher Hinsicht als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Der vom Kläger immer wieder angeführte Vortrag, er sei nicht an den islamistischen Inhalten interessiert gewesen, überzeugt wie oben bereits ausführlich ausgeführt nicht und ist schlechterdings lebensfremd.
Die Beklagte hat auch ihr Ermessen nach § 35 Abs. 1 StAG ordnungsgemäß ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat bei der Abwägung der für und gegen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen und privaten Belange auch alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände berücksichtigt, vertretbar gewichtet und letztlich in nicht zu beanstandender Weise das Überwiegen des öffentlichen Interesses bejaht. Insbesondere hat die Beklagte zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass sich der Kläger schon sehr lange im Bundesgebiet aufhält, gute Deutschkenntnisse hat und beruflich sowie wirtschaftlich gut integriert ist sowie seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder, alle tunesische Staatsangehörige, sich zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung noch in Deutschland aufgehalten haben. Die Beklagte hat ihre Ermessensentscheidung ausführlich begründet und auch gesehen, dass eine solche Rücknahmeentscheidung nicht im Sinne eines intendierten Ermessens vorgegeben ist.
Der Kläger wird durch die Rücknahme der Einbürgerung zudem nicht staatenlos (§ 35 Abs. 2 StAG), da er auch noch die tunesische Staatsangehörigkeit besitzt. Auch der gleichzeitige Verlust der Unionsbürgerschaft führt nicht zu einer anderen Bewertung.
Die Rücknahme der Einbürgerung ist auch nicht unverhältnismäßig. Aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe gegenüber dem Kläger lagen erhebliche Pflichtverletzungen vor. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund der spätestens seit 2009 verfolgten radikal-islamistischen Bestrebungen und der zunehmenden Intensivierung seiner der Ordnung der Bundesrepublik Deutschland widersprechenden Aktivitäten zu keinem Zeitpunkt einbürgerungsfähig war und auch nach den der (noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung des OLG München vom 22. März 2018 zugrundeliegenden Taten auch weiterhin nicht einbürgerungsfähig ist. Die Beklagte hat ermessensgerecht gehandelt, da tatsächliche Anhaltspunkte gerade die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger weiterhin seine Unterstützungshandlungen für den IS unvermindert fortführt und somit einer neuen Einbürgerung der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegensteht.
Die Rücknahme erfolgt gemäß § 35 Abs. 4 StAG mit Wirkung für die Vergangenheit.
2. Die Verpflichtung zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids beruht auf Art. 52 Sätze 1 und 2 BayVwVfG, die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 auf Art. 19, 29, 30, 31 und 36 VwZVG und sind rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (1.000,- Euro) begegnet unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelfallumstände keinen rechtlichen Bedenken (Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG).
Das Gericht weist darauf hin, dass das vorliegende Verfahren auch nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens u.a. wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland aufgrund entsprechender Anwendung des § 12a Abs. 3 StAG auszusetzen gewesen wäre, da jedenfalls dem dortigen Strafverfahren Geschehnisse zu Grunde liegen, die nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Einbürgerung im April 2012 datieren.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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