Steuerrecht

Untersagung der selbstständigen Ausübung des Hörgeräteakustikerhandwerks im Rahmen seines stehenden Gewerbes

Aktenzeichen  M 16 K 15.5455

Datum:
25.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2017, 115106
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HwO HwO § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 16 Abs. 3
SGB V SGB V § 127 Abs. 2
GewO GewO § 35 Abs. 6

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzung der Untersagung nach § 16 Abs. 3 S. 1 HwO. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist.
II.
Der Bescheid des Landratsamts Traunstein vom 30. Oktober 2015 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 13. Juli 2016 wird hinsichtlich Nr. 5 Satz 2 aufgehoben.
III.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
V.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend).
Die Kammer entscheidet ohne weitere mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist weitgehend unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 30. Oktober 2015 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 13. Juli 2016 (im Folgenden: Bescheid) ist mit Ausnahme der Nr. 5 Satz 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger insoweit nicht in seinen Rechten gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Nr. 5 Satz 2 des Bescheids ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, und ist daher aufzuheben.
A. Rechtsgrundlage der Untersagung handwerklicher Tätigkeiten ist § 16 Abs. 3 Satz 1 Handwerksordnung (HwO). Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs untersagen, wenn der selbständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung ausgeübt wird.
I.
Die vom Beklagten aufgrund dieser Vorschrift angeordnete Untersagung der weiteren selbstständigen Ausübung des Hörgeräteakustikerhandwerks in der im Tenor zu Nr. 1 des Bescheids konkret bezeichneten Betriebsstätte ist formell rechtmäßig.
1. Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer haben vor Erlass des Bescheids in einer gemeinsamen Erklärung vom 19. Juni 2015 mitgeteilt, dass sie die Voraussetzungen einer Untersagungsverfügung als gegeben ansehen, § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO. Dass das Anhörungsschreiben lediglich an die Industrie- und Handelskammer verschickt worden ist und diese das Anhörungsschreiben nebst Akten an die Handwerkskammer weitergereicht hat, ist unschädlich. Beide Kammern sollen sich unabhängig voneinander ein Bild darüber machen, ob ein Betroffener handwerklich tätig ist. Eine Weiterreichung des Anhörungsschreibens und der Akten durch die Industrie- und Handelskammer wird diesem Zweck gerecht. Da sowohl die Industrie- und Handelskammer als auch die Handwerkskammer das Anhörungsschreiben und die Akten erhalten haben, konnten sich beide Kammern ein umfassendes Bild von dem Sachverhalt machen. Eine etwaige Beeinflussung der Handwerkskammer durch das Weiterreichen des Anhörungsschreiben und der Akten ist nicht erkennbar. Die Möglichkeit der beiden Kammern unabhängig voneinander zu beurteilen, ob ein Gewerbetreibender handwerklich tätig ist, ist damit gewahrt. Regelmäßig geben die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer die erforderliche gemeinsame Erklärung dann in einem Dokument ab, so dass etwaig divergierende Ansichten spätestens dann zwischen den Kammern erörtert werden müssen, vgl. § 16 Abs. 4 HwO. Vor diesem Hintergrund kann es nicht schaden, wenn die Handwerkskammer gegebenfalls schon bei Erstellen ihrer Stellungnahme eine möglicherweise divergierende Ansicht der Industrie- und Handelskammer kennt.
2. Die Untersagungsverfügung ist auch hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Ein Verwaltungsakt ist dann hinreichend bestimmt, wenn für den Adressaten die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann. Nicht erforderlich ist, dass der wesentliche Inhalt der Regelung getrennt von den übrigen Teilen des Verwaltungsakts, insbesondere seiner Begründung, in einem besonderen Entscheidungssatz nach Art eines Urteilstenors zusammengefasst ist, der alle wesentlichen Punkte vollständig und aus sich allein heraus verständlich wiedergibt. Zur Ermittlung des Inhalts der behördlichen Anordnung darf ergänzend die Begründung des Bescheids herangezogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1992 – 1 C 36/89 – juris Rn. 17 ff.). Dabei ist im Rahmen des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO zu beachten, dass zwar die Fortsetzung eines konkreten Handwerksbetriebs, nicht aber die Ausführung eines Handwerks schlechthin untersagt werden kann. Außerdem muss der Adressat des Bescheids erkennen können, welche konkreten Tätigkeiten ihm untersagt werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1992 – 1 C 36/89 – juris Rn. 17 ff.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Dem Kläger ist die Fortsetzung des im Tenor des angefochtenen Bescheids bezeichneten konkreten Hörgeräteakustikerbetriebs untersagt worden. Ferner werden im Bescheid selbst die wesentlichen Arbeitsschritte des Hörgeräteakustikerhandwerks benannt, die nach Ermittlungen des Beklagten vom Kläger ausgeführt werden und die untersagt werden sollen. Im Einzelnen sind dies: Anamnese, Ton- und Sprachaudiogramm, Auswahl geeigneter Hörhilfen, Messvergleich, Abgabe mit Feinanpassung inklusive Ohrabdrucknahme.
II.
In materieller Hinsicht ist die Untersagungsverfügung – mit Ausnahme der Nr. 5 Satz 2 des Bescheids – ebenfalls rechtmäßig.
1. Die Fortsetzung eines Handwerksbetriebs kann untersagt werden, wenn ein Handwerk als stehendes Gewerbe selbständig ohne die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle betrieben wird. Ein Gewerbebetrieb ist ein Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe vollständig umfasst, das in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist, oder Tätigkeiten ausgeübt werden, die für dieses Gewerbe wesentlich sind, § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO. Dabei sind keine wesentlichen Tätigkeiten insbesondere solche, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO, zwar eine längere Anlernzeit verlangen, aber für das Gesamtbild des betreffenden zulassungspflichtigen Handwerks nebensächlich sind und deswegen nicht die Fertigkeiten und Kenntnisse erfordern, auf die die Ausbildung in diesem Handwerk hauptsächlich ausgerichtet ist, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO, oder nicht aus einem zulassungspflichtigen Handwerk entstanden sind, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 HwO. Die Ausübung mehrerer Tätigkeiten im Sinne des Satzes 2 Nr. 1 und 2 ist zulässig, es sei denn die Gesamtbetrachtung ergibt, dass sie für ein bestimmtes zulassungspflichtiges Handwerk wesentlich sind, § 1 Abs. Satz 3 HwO. Bereits durch die Verrichtung einer wesentlichen Teiltätigkeit eines zulassungspflichtigen Handwerks wird die Grenze des erlaubnisfreien Gewerbes überschritten (BVerwG, U.v. 11.12.1990 – 1 C 41/88 – juris Rn. 12 und 15).
Nicht entscheidend ist, ob die Tätigkeiten, die dem Kläger untersagt wurden, einem HNO-Arzt aufgrund des Berufsbildes des Arztes als freiem Beruf erlaubt wären. Die zum ärztlichen Berufsbild gehörende Tätigkeit ist grundsätzlich keine Handwerksausübung i.S.v. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 HwO, selbst wenn sie sich auch auf die Verrichtung wesentlicher Tätigkeiten eines zulassungspflichtigen Handwerks erstreckt. Die Nichtgeltung der Handwerksordnung für den HNO-Arzt setzt allerdings voraus, dass die in Rede stehenden für sich genommen handwerklichen Tätigkeiten auch zum Berufsbild des HNO-Arztes gehören (Detterbeck, GewArch Beilage WiVerw Nr. 04/2009, 227, 232). Jedoch ist der Kläger kein HNO-Arzt. Er kann sich daher generell nicht darauf berufen, dass die Tätigkeiten, die er ausübt, einem HNO-Arzt erlaubt wären und daher auch für ihn nicht als Ausübung von Tätigkeiten zu qualifizieren wären, die wesentlicher Bestandteil eines Handwerks sind. Auch die vom Kläger mehrmals angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, U.v. 29.06.2000 – I ZR 59/98 – juris) bezieht sich lediglich auf die Leistungserbringung eines HNO-Arztes im Rahmen des verkürzten Versorgungswegs. Darüber hinaus kann der Kläger sich auch nicht darauf berufen, dass er in Arztpraxen unter Aufsicht eines HNO-Arztes tätig wird, diese Tätigkeiten dann dem HNO-Arzt zuzurechnen wären und es sich insoweit dann nicht um eine unerlaubte Handwerksausübung handelt. Tätigkeiten können nämlich nur dann ärztlichen Berufsträgern zugerechnet werden, wenn sie ausschließlich mit eigenen Mitteln der Praxis und mit eigenem Personal erbracht werden (BVerwG, U.v. 11. Mai 1979 – 5 C 16/79 – juris Rn. 14). Hier ist der Kläger für eine Mehrzahl von HNO-Praxen tätig und führt die meisten Tätigkeiten selbständig, also ohne ärztliche Beratung oder Aufsicht durch. Zudem hat er unter der Firma „…“ ein Gewerbe angemeldet, sodass nicht von einer Zurechnung zu den jeweiligen HNO-Ärzten auszugehen ist und der Kläger damit nicht als Mitarbeiter eines HNO-Arztes anzusehen ist. Dem entspricht es, dass es berufsrechtlich nicht zulässig ist, dass ein Arzt gem. § 29a Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns mit anderen Personen als seinen berufsmäßigen Mitarbeitern und Auszubildenden zum ärztlichen Beruf oder zu einem Fachberuf zum Gesundheitswesen Patienten behandelt.
Auch aus der vom Kläger wiederholt betonten Tatsache, dass Rahmenverträge nach §§ 127 II, 128 IV, IVa Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), z.B. zwischen der AOK Bayern, den Leistungserbringern und beigetretenen HNO-Ärzten vorsehen, dass bestimmte dieser Tätigkeiten durch den HNO-Arzt erfolgen sollen, folgt nicht, dass diese Tätigkeiten nicht wesentliche Tätigkeiten des Hörgeräteakustikerhandwerks sind. Zum einen trifft die Zuordnung der jeweiligen Tätigkeiten zum Leistungserbringer oder zum HNO-Arzt nur den Vertrag zwischen der Krankenkasse, den Leistungserbringern und beigetretenen HNO-Ärzten. Das Gesetz sieht in §§ 127 II, 128 IV, IVa SGB V lediglich vor, dass solche Verträge geschlossen werden können, konkretisiert jedoch nicht deren Inhalt. Insbesondere können derartige Verträge gesetzliche Verbote nicht aufheben. Ferner kann ein Hörgeräteakustikermeister im verkürzten Versorgungs Weg tätig werden.
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die in den einschlägigen Ausbildungsverordnungen vorgestellten Ausbildungsberufsbilder für die Frage der fachlichen Zugehörigkeit einer Tätigkeit zu einem handwerksfähigen Gewerbe herangezogen werden. Sie enthalten erläuternde Einzelheiten über das jeweilige Arbeitsgebiet und die zu dessen Bewältigung benötigten Fertigkeiten und Kenntnisse sowie die hierauf entfallenden Ausbildungszeiten (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 8/10 – juris Rn. 26). Heranzuziehen war hierbei die Hörakustikerausbildungsverordnung vom 28. April 2016 (HörAkAusbV). Da es sich bei der Untersagung nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO um einen Dauerverwaltungsakt handelt, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, mithin die Hörgeräteakustikerausbildungsverordnung in der aktuellen Fassung zu Grunde zu legen (vgl. Detterbeck, Handwerksordnung, 3. Online-Aufl. 2016, § 16 Rn. 21). Anders als beispielsweise im Bereich der Gewerbeuntersagung kann maßgeblicher Zeitpunkt im Bereich des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO nicht der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung sein. Im Handwerksrecht gibt es keine dem § 35 Abs. 6 Gewerbeordnung (GewO) vergleichbare Möglichkeit der Wiedergestattung. Daher kann vom Betroffenen im Falle einer Änderung der Sach- und Rechtslage kein gesetzlich vorgesehener positiver Akt beantragt und gegebenenfalls durch Verpflichtungsklage eingeklagt werden, der ausdrücklich oder implizit die Geltungsdauer der belastenden Verfügung beendet. Vielmehr ist eine Änderung der Sach- und Rechtslage – auch zu Lasten des Betroffenen – beachtlich. Da der Kläger seinen Aufhebungsantrag ohne nähere zeitliche Bestimmung und ohne auf die Änderung der Hörakustikerausbildungsverordnung einzugehen, gestellt hat, ist anzunehmen, dass er die Aufhebung des Dauerverwaltungsakts für den gesamten Zeitraum seiner Wirksamkeit begehrt (BVerwG, B.v. 5.1.2012 – 8 B 62/11 – juris Rn. 13). In diesem Fall ist auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. vorliegend auf den Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren abzustellen (vgl. Decker in Posser/Wolff, Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 40. Edition Stand: 1.1.2017, § 113 Rn. 22.1).
4. Abzustellen ist bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit Bescheids auf die dort genannten Tätigkeiten. Dabei müssen nicht alle (möglichen) Aktivitäten im Rahmen der entsprechenden Berufsbilder aufgeführt werden. Erlaubte Tätigkeiten dürfen jedoch nicht (mit-)untersagt werden (Leisner in Beck’scher Online-Kommentar HwO, 4. Edition Stand: 15.11.2016, § 16 Rn. 15). Bei den im Bescheid genannten Tätigkeiten Anamnese, Ton- und Sprachaudiogramm, Auswahl geeigneter Hörhilfen, Messvergleich, Abgabe mit Feinanpassung inklusive Ohrabdrucknahme handelt es sich um Tätigkeiten, die der Kläger nicht ausüben darf.
a. Der Bescheid führt zunächst als Tätigkeit, die der Kläger ausübt, die Anamnese auf. Nach Konkretisierung der Tätigkeitsbeschreibung mit Schriftsatz vom … September 2016 durch den Kläger und nach Aktenlage übt der Kläger diese Tätigkeit wohl nicht aus. Gleichwohl konnte dem Kläger diese wesentliche Tätigkeit des Hörgeräteakustikerhandwerks zumindest klarstellend untersagt werden. Es reicht aus, wenn in einer Untersagungsverfügung neben möglicherweise nicht ausgeübten wesentlichen Tätigkeiten eines Handwerks zumindest eine wesentliche Tätigkeit genannt wird, die vom Betroffenen auch tatsächlich ausgeübt wird. Die im Bescheid schlagwortartig umschriebene „Anamnese“ stellt einen wesentlichen Bestandteil des Hörgeräteakustikerhandwerks, nämlich das „Bestimmen und Beurteilen individueller Hörprofile“ dar. Das Bestimmen und Beurteilen individueller Hörprofile ist in § 4 Abs. 2 Nr. 1 HörAkAusbV aufgeführt. Die Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 1 sieht hierfür insgesamt 13 Wochen Ausbildungsdauer vor. Ein Zeitraum von 13 Wochen ist länger als in die § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO vorgesehenen drei Monate. Dabei ist bei der Prüfung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO eine rein schematische Betrachtung zur Grunde zu legen, so dass auch nicht etwaige Abschläge zugunsten des Klägers vorgenommen werden dürfen (OLG Thüringen, B.v. 1.12.2008 – 1 Ss 145/08 – juris Rn. 18). Es handelt sich bei der Anamnese offensichtlich auch nicht um eine nebensächliche und damit unwesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO.
b. Weiterhin führt der Bescheid als Tätigkeit „Ton- und Sprachaudiogramm“ auf. Der Kläger gab im Verlauf des Gerichtsverfahrens selbst an, dass er auf Weisung und unter Aufsicht des HNO-Arztes Sprach- und Tonaudiogramme und ggf. Tympanogramme durchführe.
Der Kläger übt mit dem Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen Tätigkeiten aus, die dem Berufsbild des Hörgeräteakustikers zuzuordnen und wesentlicher Bestandteil dieses Handwerks sind. Auf eine Mitarbeit bei einem HNO-Arzt und damit auf dessen fachliche Qualifikation kann sich der Klägerwie bereits erläutert – indes nicht berufen, so dass es lediglich auf die Person des Klägers ankommt. Daher ist es nicht entscheidend, dass dem HNO-Arzt das Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen berufsrechtlich erlaubt ist (vgl. dazu umfassend Detterbeck, GewArch Beilage WiVerw Nr. 04/2009, 227, 236 ff.).
Das Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen ist in § 4 Abs. 2 Nr. 2 HörAkAusbV unter dem Punkt „berufsspezifische audiologische und otoskopische Befunde erheben und bewerten“ aufgeführt. Die Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 2 sieht hierfür insgesamt 27 Wochen Ausbildungsdauer vor, so dass § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO nicht eingreift. Der Kläger trägt vor, dass der HNO-Arzt die Ton- und Sprachaudiogramme bewerte und beurteile. Damit sind die in Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 2 lit. i), m) o) s) und u) genannten Tätigkeiten möglicherweise keine vom Kläger ausgeführten Tätigkeiten. Selbst wenn man zugunsten des Klägers einen Abschlag von den in der Anlage zur HörAkAusbV genannten 27 Wochen vornehmen wollte, da er möglicherweise nicht jeden der dort genannten Punkte ausübt, kann dieser nicht so groß ausfallen, dass lediglich ein Zeitraum von 3 Monaten zum Erlernen der erforderlichen Fähigkeiten verbleiben kann.
Es handelt sich bei dem Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen auch nicht um eine nebensächliche und damit unwesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO. Für die Wesentlichkeit einer Tätigkeit ist weder der Zeitanteil maßgeblich, den die Tätigkeit im Betriebsablauf durchschnittlich beansprucht, noch die Qualifikation des Ausübenden, sondern ob die Tätigkeit gerade den Kernbereich des betreffenden Handwerks ausmacht und ihm sein essentielles Gepräge verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 8/10 – juris Rn. 25). Das Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen gehört ausschließlich zum Berufsbild des Hörgeräteakustikers und zudem erstreckt sich auch die Meisterprüfung Teil I gemäß § 3 Nr. 1 Hörgeräteakustikermeisterverordnung (HörgAkMStrV) auf diese Tätigkeit. Dass gerade der praktische Teil der Meisterprüfung auch das Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen vorsieht, spricht gegen lediglich periphere und unbedeutende Arbeitsvorgänge, denn an unwesentlichen, wenig qualifizierten Tätigkeiten kann die meisterliche Beherrschung eines Handwerks nicht nachgewiesen werden (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2012 – 22 ZB 12.22 – juris Rn. 18).
c. Im Bescheid wird als weitere Tätigkeit, die der Kläger ausübt, die Feinanpassung angeführt. Nach zunächst erfolgtem eigenen Vortrag des Klägers nimmt dieser unter anderem auch Nacheinstellungen, Nachoptimierungsarbeiten und Feinjustierungen von Hörgeräten vor und beruft sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, U.v. 29.6.2000 – I ZR 59/98 – juris), das ihm erlaube, diese Tätigkeit durchzuführen. Mittlerweile beruft der Kläger sich explizit darauf, dass er Feineinstellungen im sogenannten „Onlineverfahren“ durchführe. Mithin kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger tatsächlich auch Feinanpassungen vornimmt bzw. vorgenommen hat, ohne dabei auf das Onlineverfahren zurückzugreifen.
Die Feinanpassung von Hörgeräten ist in § 4 Abs. 2 Nr. 6 HörAkAusbV unter dem Punkt „Hörsysteme und Hörassistenzsysteme entsprechend dem individuellen Hörprofil anpassen“ aufgeführt. In der Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 6 findet sich die Feinanpassung unter lit. b), den lit. g) bis n) sowie lit. p) und r). Nach der HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 6 unter Beachtung der oben genannten Ziffern ist für die Feinanpassung durch den Kläger selbst eine Ausbildungszeit von mehr als 12 Wochen anzunehmen so dass § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO nicht eingreift.
Es handelt sich bei der Feinanpassung nicht um eine nebensächliche und damit unwesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO. Da die Feinanpassung auch Bestandteil der Meisterprüfung ist, § 4 Nr. 5, 6 HörgAkMstrV, greift auch keine der Ausnahmen des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 HwO.
d. Weiter handelt es sich bei der Tätigkeit der Abnahme eines Ohrabdrucks nicht um eine nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO unwesentliche Tätigkeit, da sie nicht in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden kann. Die vom Kläger vorgenommene Abnahme eines Ohrabdrucks ist in § 4 Abs. 2 Nr. 4 HörAkAusbV aufgeführt. Die Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 4 sieht hierfür insgesamt 14 Wochen Ausbildungsdauer vor. Ein Zeitraum von 14 Wochen ist länger als in die § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO vorgesehenen drei Monate.
Zu beachten ist dabei, dass die gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO gerade nicht auf den konkret Tätigen, also den Kläger, abstellt, sondern auf einen durchschnittlichen Auszubildenden (BayVGH, B.v. 31.10.2012 – 22 ZB 12.22 – juris Rn. 16). Veranschlagt das relevante Fachrecht eine Ausbildungsdauer von 14 Wochen, darf nicht argumentiert werden, diese Tätigkeit könne von besonders begabten Personen in kürzerer Zeit erlernt werden und sei deshalb für diese Personen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO als unwesentlich zu qualifizieren. Damit spielt es im Rahmen der Frage, ob wesentliche Bestandteile eines Handwerks ausgeübt werden, auch keine Rolle, ob der Kläger bei einem privatwirtschaftlichem Unternehmen Zertifikate zur Abnahme eines Ohrabdrucks für Gehörschutz erworben hat, wobei die Gesamtzeit der vom Kläger besuchten Seminare lediglich acht Tage beträgt. Aus demselben Grund geht die Argumentation in der vom Kläger mehrfach zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, U.v. 29.6.2000 – I ZR 59/98 – juris Rn. 11 ff. und 40), für einen HNO-Arzt sei die Ohrabformung eine leichte Tätigkeit, fehl (vgl. Detterbeck, GewArch Beilage WiVerw Nr. 04/2009, 227, 246). Aber selbst wenn man dieser Rechtsprechung folgen wollte, wäre sie für den Kläger irrelevant, da dieser kein HNO-Arzt ist. Wie bereits ausgeführt, kommt es auch nicht darauf an, ob die Abnahme eines Ohrabdrucks zum Berufsbild des HNO-Arztes gehört und von diesem daher ausgeführt werden dürfte, obwohl es sich um einen wesentlichen Teil des Hörgeräteakustikerhandwerks handelt. Der Kläger ist kein HNO-Arzt und nimmt die Ohrabdrücke – ohne dass es, wie bereits ausgeführt, darauf ankäme – auch nicht unter Anleitung eines HNO-Arztes ab.
Es handelt sich bei der Abnahme eines Ohrabdrucks auch nicht um eine nebensächliche und damit unwesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 HwO. Die Abnahme eines Ohrabdruckes gehört ausschließlich zum Berufsbild des Hörgeräteakustikers und zudem erstreckt sich auch die Meisterprüfung Teil I auf die Abnahme eines Ohrabdrucks, nämlich auf das „Herstellen von vier passgenauen Abformungen des äußeren Ohres“, § 3 Nr. 5 HörgAkMStrV.
2. Weiterhin führt eine Gesamtbetrachtung nach § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO unter Beachtung aller zum Hörgeräteakustikerhandwerk gehörenden und vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten, die im Bescheid genannt werden, zu dem Ergebnis, dass ein zulassungspflichtiges Handwerk von diesem ausgeübt wird. Die nachfolgend untersuchten Tätigkeiten, die im streitgegenständlichen Bescheid aufgeführt werden und nicht bereits nach § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO als wesentliche Tätigkeiten zu qualifizieren sind, sind aufgrund einer gebotenen Gesamtbetrachtung zumindest nach § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO wesentlich für das Hörgeräteakustikerhandwerk.
§ 1 Abs. 2 Satz 3 HwO dient dem Zweck, eine Umgehung der Eintragungspflicht und damit des zwar gelockerten, aber grundsätzlich weiterhin bestehenden Meisterzwangs zu verhindern und so den eintragungspflichtigen Handwerksbetrieben ein erfolgreiches Agieren am Markt zu ermöglichen (vgl. OVG RhPf, U.v. 30.10.2012 – 6 A 10702/12 – juris Rn. 62). In der Literatur wird die Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO kritisch gesehen. Es wird angeführt, dass die Regelung scheinbar widersprüchlich sei, da einzelne für sich genommen unwesentliche Tätigkeiten durch bloße Kumulierung wesentlich werden können (vgl. Detterbeck, Handwerksordnung, 3. Online-Aufl. 2016, § 1 Rn 61). Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man den Begriff der Wesentlichkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO entsprechend dem Sinn dieser Vorschrift anders versteht als nach § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO. Mehrere zum Berufsbild eines eintragungspflichtigen Handwerks gehörende Tätigkeiten sind bei einer Gesamtbetrachtung dann als wesentlich im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO zu erachten, wenn sie einen erheblichen Teil der Tätigkeiten abdecken, auf denen die erfolgreiche Teilnahme eintragungspflichtiger Handwerksbetriebe am Marktgeschehen typischerweise beruht. Allerdings kann auch eine solche Gesamtbetrachtung nicht dazu führen, dass mehrere Tätigkeiten als wesentlich anzusehen sind, wenn es sich ausschließlich um solche handelt, die auch zulassungsfreien Berufen zuzuordnen sind (vgl. OVG RhPf, U.v. 30.10.2012 – 6 A 10702/12 – juris Rn. 63). Bei dieser Gesamtbetrachtung ist zudem in Rechnung zu stellen, ob es sich bei den nach § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO an sich unwesentlichen Tätigkeiten um solche handelt, auf die sich die Meisterprüfung Teil I nach § 45 Abs. 3 HwO erstreckt. Diese Prüfung darf sich nämlich nur auf solche Fertigkeiten erstrecken, die beherrscht werden müssen, um wesentliche Tätigkeiten des Handwerks meisterhaft ausüben zu können. Fertigkeiten, die zu keiner wesentlichen Tätigkeit gehören, dürfen nicht abgeprüft werden. Wenn nun vor allem die gebotene schematische und starre Anwendung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO dazu führt, dass der Sache nach wesentliche Tätigkeiten, auf die sich die Meisterprüfung Teil I erstreckt, zu im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO unwesentlichen Tätigkeiten herabgestuft werden, kommt dem Umstand, dass diese Tätigkeiten für das Handwerk derart wichtig sind, dass sie Gegenstand der Meisterprüfung sind, bei der Gesamtbetrachtung nach § 1 Abs. 2 Satz 3 Hs 2 HwO eine gewichtige Bedeutung zu (vgl. Detterbeck, GewArch Beilage WiVerw Nr. 04/2009, 227, 246).
a. Die im Bescheid genannte Auswahl geeigneter Hörhilfen wird vom Kläger tatsächlich ausgeübt. Nach seiner eigenen Schilderung trifft er eine Vorauswahl der Hörgeräte nach vom Kunden gewünschten Komfortfunktionen und unter Beachtung der Erkrankungen des Gehörgangs, die durch den HNO-Arzt festgestellt wurden. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HwO handelt es sich dabei um eine unwesentliche Tätigkeit des Hörgeräteakustikerhandwerks. Die Vorauswahl eines Hörgeräts lässt sich unter § 4 Abs. 2 Nr. 6 HörAkAusbV fassen. In der Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 6 findet sich unter lit. e) die (Vor-)Auswahl eines Hörgeräts wieder. Dabei kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass es länger als drei Monate dauert, diesen Arbeitsschritt zu erlernen, zumal für die lit a) bis e) in der Anlage zur HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 6 nur 12 Wochen Ausbildungsdauer vorgesehen sind. Gleichzeitig ist die Auswahl geeigneter Hörhilfen auf Grund der ermittelten Daten jedoch Teil der Meisterprüfungsarbeit zum Hörgeräteakustiker gemäß § 3 Nr. 2 HörgAkMstrV.
b. Der ebenfalls im Bescheid genannte Meßvergleich wird vom Kläger nach den Ermittlungen des Gerichts offenbar nicht ausgeübt. Es dauert jedoch nicht länger als drei Monate, diesen Arbeitsschritt zu erlernen, die Ausbildungszeiten sind insoweit der HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 2 lit v) und Nr. 6 lit. k) zu entnehmen. Um die unter diesen Punkten genannten Tätigkeiten zu erlernen, benötigt es offensichtlich keine 3 Monate Ausbildungsdauer. Jedoch ist der Meßvergleich Bestandteil der Meisterprüfung, § 3 Nr. 4 HörgAkMstrV.
c. Sofern der Kläger Schritte der Feinanpassung eines Hörgerätes vornimmt und dabei die Veränderungen der Softwareparameter des Hörgeräts von einem Hörgeräteakustikermeister via Online-Verbindung ausgeführt werden, handelt es sich bei den dann noch vom Kläger ausgeführten Schritten nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HwO um unwesentliche Tätigkeit des Hörgeräteakustikerhandwerks.
Zuletzt trug der Kläger vor, dass ein Hörgeräteakustikermeister eines Leistungserbringers die Feineinstellung der Hörgeräte übernehme und zwar direkt online. Der Kläger schließe lediglich das Hörgerät an einen Computer an, der Hörgeräteakustikermeister selbst programmiere das Hörgerät. Der Kläger nehme demnach die Feinjustierung von Hörgeräten (unter Zuschaltung eines Leistungserbringers via Online-Verbindung), die Beurteilung, ob Nach- und Feinjustierungen nötig seien, den Dialog mit Patienten zur Ermittlung von Problemen / Unzufriedenheit mit der aktuellen Einstellung des Hörgerätes, die Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen und der subjektiven Empfindungen des Patienten während der Feinanpassung, die Durchführung einer Freifeldmessung über Lautsprecher sowie die Beurteilung, ob Ergebnisse der Freifeldmessung zufriedenstellend seien oder weiterer Feinanpassung nötig seien, selbst vor. Die vorgenannten Tätigkeiten sind mit Blick auf die Ausbildungsdauer der HörAkAusbV, Abschnitt A, Lfd. Nr. 6 lit k), n) und r) zuzuordnen. Bei einer Betrachtung der anderen im dritten Unterabschnitt der Nr. 6 genannten Tätigkeiten kann dann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese Tätigkeiten eine wesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO darstellen.
Anders als der Beklagte meint, verstößt der Kläger mit der Vornahme der Feinanpassung im Onlineverfahren nicht gegen das Prinzip der Meisterpräsenz. Vielmehr würde der Hörgeräteakustikermeister des Leistungserbringer gegen dieses Prinzip verstoßen (vgl. Detterbeck, GewArch Beilage WiVerw Nr. 04/2009, 227, 264, 267). Der Kläger ist kein Mitarbeiter des Hörgeräteakustikermeisters, er ist selbst gewerblich tätig. Wird das Hörgerät nun – wie vom Kläger vorgetragen – über das Internet umprogrammiert, ist der Hörgeräteakustikermeister des Leistungserbringers handwerklich tätig und nicht der Kläger. Selbst wenn der Kläger die Hörprobleme des Patienten weiterreichen würde, wäre es insoweit nur als Medium zu betrachten, da er keine Arbeiten am Hörgerät vornimmt. Ob der Meister des Leistungserbringers durch seine körperliche Abwesenheit gegen das Meisterpräsenzprinzip verstößt oder nicht, ist hier jedoch nicht entscheidungserheblich.
Dies gilt jedoch nicht für das „Ob“ der Feinanpassung, da der Kläger entscheidet, ob eine (weitere) Feinanpassung notwendig ist und dieser Arbeitsschritt nicht durch den Hörgeräteakustikermeister des Leistungserbringers erfolgt. Mithin ist der Kläger bei der Feinanpassung im Onlineverfahren zwar nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 HwO handwerklich tätig, gleichwohl übt er mit der Entscheidung des „Ob“ der Feinanpassung und der Freifeldmessung Tätigkeiten aus, die auch Bestandteil der Meisterprüfung sind. Diese Tätigkeiten lassen sich trotz des Fehlens der eigentlichen Feinanpassung zumindest teilweise unter § 4 Nr. 5 und 6 HörgAkMStrV einordnen.
d. Die Auswahl geeigneter Hörhilfen, der Messvergleich und die Feinanpassung von Hörgeräten im Onlineverfahren sind bei einer Gesamtbetrachtung wesentliche Tätigkeiten des Hörgeräteakustikerhandwerks. Dies gilt auch, wenn im Rahmen der Feinanpassung lediglich über das „Ob“ der Feinanpassung entschieden wird und insoweit unter anderem Freifeldmessungen vom Kläger durchgeführt werden. Würde man die vorgenannten Tätigkeiten aus dem Handwerk des Hörgeräteakustikers herausnehmen, bliebe von diesem Handwerk nicht mehr viel übrig. Die Tätigkeiten stellen damit das typische Betätigungsfeld von Hörgeräteakustikern – auch unter Ausklammerung der eigentlichen Feinjustierung – und damit ihre wirtschaftliche Basis dar, auf der ihre erfolgreiche Behauptung am Markt beruht. Da das Gewerbe des Klägers nicht nur Tätigkeiten umfasst, die auch zulassungsfreien Berufen zuzuordnen sind (vgl. oben), sind die Tätigkeiten bei einer Gesamtbetrachtung somit wesentlich im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO.
3. Die Aufklärung des Patienten über die Wahlfreiheit der Versorgungsmöglichkeiten, die Vervollständigung der Versorgungsanzeige, die Weiterleitung der Versorgungsanzeige an die zuständige Krankenkasse, die Beratung und Information bzgl. Geräten ohne Aufzahlung und mit Aufzahlung, Informationen hinsichtlich kostenlosem Probetragen, sowie die Einweisung in Gebrauch und Pflege des Hörgerätes und die Serviceleistungen, wie Reinigung oder Kleinstreparaturen stellen keine wesentlichen Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO dar (vgl. auch BGH, U.v. 17.7.2013 – I ZR 222/11 – Rn. 17 juris). Sie wurden demnach richtigerweise auch nicht im Bescheid als wesentliche Tätigkeiten des Hörgeräteakustikerhandwerks angeführt. Sie können auch aus Sicht des § 1 Abs. 2 Satz 3 HwO aus dem wesentlichen Bereich des Hörgeräteakustikerhandwerks ausgeklammert werden, da diese Tätigkeiten nicht zwingend die wirtschaftliche Basis eines Hörgeräteakustikerhandwerksbetriebs darstellen.
III.
Die angefochtene Untersagungsverfügung lässt auch keine Ermessensfehler erkennen. Sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO erfüllt, so ist es in der Regel auch ermessensgerecht, die Fortführung des Betriebes zu untersagen. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn zwar kein Eintrag in die Handwerksrolle erfolgt ist, die Voraussetzungen für eine Eintragung aber vorliegen (VG Oldenburg, B.v. 14.10.2002 – 12 B 3584/02 – juris). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Andere Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
IV.
Die durch den Bescheid vom 16. Juli 2016 abgeänderte Zwangsgeldandrohung entspricht den Voraussetzungen der Art. 29, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Es liegen sowohl die allgemeinen (Art. 18 ff. VwZVG) als auch die besonderen (Art. 29 ff. VwZVG) Vollstreckungsvoraussetzungen vor. Die Pflicht zur Einstellung der Betriebstätigkeit stellt eine Pflicht zu einer Handlung, einer Duldung oder einem Unterlassen im Sinne von Art. 31 VwZVG dar, zu deren Erfüllung das Zwangsgeld gemäß Art. 31 Abs. 1 VwZVG das richtige und auch das mildeste Zwangsmittel ist. Insbesondere ist die Zwangsgeldandrohung auch hinreichend bestimmt. Sie ist so formuliert, dass der Kläger ihr konkret entnehmen kann, unter welchen Voraussetzungen das jeweilige Zwangsgeld fällig wird. Auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes von EUR 2.000,00 ist im Hinblick auf Art. 31 Abs. 2, 4 VwZVG nicht zu beanstanden. Die Frist von vier Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids ist angemessen im Sinne von Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
V.
Der Bescheid ist hinsichtlich der Nr. 5 Satz 2 rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kosten für die Einholung des Sachverständigengutachtens konnten nicht als Kosten in Form der Auslage nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Kostengesetz (KG) geltend gemacht werden und müssen damit nicht vom Kläger als Kostenschuldner nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KG getragen werden. Bei den Kosten, die im eingestellten Ordnungswidrigkeitenverfahren entstanden sind, handelt es sich nicht um Auslagen im Sinne des Kostengesetzes. Auslagen die erhoben werden dürfen, sind in Art. 10 Abs. 1 KG geregelt. Zu den zu erhebenden Auslagen gehört grundsätzlich auch die dem Sachverständigen „zustehende Entschädigung“ nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 KG. Damit eine „zustehende Entschädigung“ entstehen kann, müssen jedoch die Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 3 BayVwVfG vorliegen, denn nur dann erhalten Sachverständige eine Vergütung, die letztlich wieder von dem Kostenschuldner als Auslage im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 KG erhoben werden kann. (vgl. VG Ansbach, U.v. 04.06.2008 – AN 11 K 06.02507 – juris Rn. 50). Es muss also ein Sachverständiger im konkreten Verwaltungsverfahren herangezogen werden. Sachverständigengutachten sind damit nur die zu dem konkreten Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten, weder Privatgutachten noch in anderen Verfahren erstattete Gutachten (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 26 Rn. 70). Damit können die im eingestellten Ordnungswidrigkeitenverfahren angefallene Kosten für den Sachverständigen nicht im Verwaltungsverfahren dem Kläger als Kosten auferlegt werden, da es sich insoweit nicht um eine „zustehende Entschädigung“ handelt.
B. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Da der Beklagte lediglich zu einem geringen Teil unterlag, (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 155 Rn. 5 und Hartung in Posser/Wolff, Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 40. Edition Stand: 01.04.2015, § 155 Rn. 4), entspricht es billigem Ermessen dem Kläger die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen.
C. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO (Zivilprozessordnung).


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