Aktenzeichen Au 1 K 16.1770
VwGO VwGO § 57 Abs. 2, § 58 Abs. 2, § 60 Abs. 1, Abs. 2, § 74 Abs. 1 S. 2
BGB BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz
1 Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Unzureichende Sprachkenntnisse entbinden den Betroffenen auch nicht von jeglicher Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte, insbesondere kann von einem Ausländer verlangt werden, sich Gewissheit über den genauen Inhalt eines amtlichen Schriftstücks zu verschaffen (BVerfG BeckRS 1992, 08097). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist unzulässig, da die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO versäumt wurde und keine Wiedereinsetzungsgründe vorliegen.
1. Die Klage wurde vorliegend nach Ablauf der Klagefrist erhoben. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden, wenn – wie hier – ein Widerspruch i.S.d. § 68 VwGO nicht erforderlich und dem Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:(vgl. § 58 Abs. 2 VwGO) beigefügt ist. Der streitgegenständliche Bescheid wurde dem Kläger ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 14. November 2016 persönlich ausge händigt (s. Bl. 503 der Behördenakte). Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO begann daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 15. November 2016 zu laufen und endete am Mittwoch, den 14. Dezember um 24.00 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB). Der Kläger erhob erst am 16. Dezember 2016 über seinen Bevollmächtigten Klage beim Gericht, so dass diese offensichtlich verfristet ist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war abzulehnen, da die Voraussetzungen nach § 60 VwGO hierfür nicht gegeben sind. Der Kläger hat die Klagefrist nicht unverschuldet versäumt.
a) Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist jemandem, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 60 Abs. 2 VwGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
b) Hier hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten.
Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2014 – 10 CS 14. 1784 Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 60 Rn. 9 m.w.N.).
Davon ausgehend hat der Kläger seine Sorgfaltspflicht vorliegend nicht erfüllt. Ihm wäre es zumutbar gewesen, nach dem Empfang des Bescheids am 14. November 2016 entweder selbst Klage zu erheben oder rechtzeitig einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen. Die von seinem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 16. Dezember 2016 und 20. Januar 2017 geltend gemachten Hinderungsgründe sind nicht geeignet, dem Wiedereinsetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen.
Mangelnde Sprachkenntnisse des Klägers wurden nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger konnte sich zur Überzeugung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nahezu perfekt auf Deutsch verständigen. Unabhängig davon entbinden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzureichende Sprachkenntnisse den Betroffenen auch nicht von jeglicher Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte. Es kann von einem Ausländer insbesondere verlangt werden, sich Gewissheit über den genauen Inhalt eines amtlichen Schriftstücks zu verschaffen (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris Rn. 19 ff.).
Ebenso reicht die Inhaftierung des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheids nicht dafür aus, fehlendes Verschulden des Klägers zu begründen. Denn die Inhaftierung als solche hindert den Kläger nicht, bei Gericht – beispielsweise auf dem Postweg – Klage zu erheben (vgl. BayVGH, B.v. 27.01.2014 – 12 C 13.2685 – juris Rn. 3).
Des Weiteren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass er nach Erhalt des Bescheids seinen Cousin beauftragt habe, für ihn einen Anwalt aufzusuchen, ohne ihm jedoch den streitgegenständlichen Bescheid mitzugeben. Der Cousin habe sich dann etwa zwei bis drei Wochen später an den jetzigen Bevollmächtigten des Klägers gewandt. Die Unterstützung durch einen Angehörigen oder Freund entbindet den Betroffenen jedoch nicht von der Verantwortung, in erster Linie selbst dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Fristen eingehalten werden. Von einem gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden wäre zu erwarten gewesen, dass sich dieser nochmals vergewissert, ob rechtzeitig Klage eingelegt wird.
Schließlich ist ein etwaiges zusätzliches Verschulden seines Bevollmächtigten gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO als eigenes Verschulden des Klägers anzusehen (Schmidt in Eyermann, 14. Auflage 2014, § 60 Rn. 14). Der Kläger muss sich daher die verspätete Klageerhebung seines Anwalts zurechnen lassen.
3. Nur ergänzend, ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt, wird darauf hingewiesen, dass die Klage auch in der Sache erfolglos geblieben wäre.
Diesbezüglich wird in vollem Umfang auf die Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO), denen das Gericht folgt. Der Kläger hat weder die Klage inhaltlich begründet, noch in der mündlichen Verhandlung Tatsachen vorgebracht, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.
4. Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Verfahrenskosten zu tragen.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO,