Steuerrecht

Verlustvortrag mindert Krankenversicherungsbeitrag nicht

Aktenzeichen  S 7 KR 136/21

Datum:
9.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15075
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 240 Abs. 1, Abs. 4a
SGB IV § 15
EStG § 10d

 

Leitsatz

1. Ein steuerrechtlicher Verlustvortrag findet bei der Festsetzung des Krankenversicherungsbeitrags freiwillig Versicherter keine Berücksichtigung. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ausschluss des abschnittsübergreifenden Verlustausgleichs und das Abstellen allein auf die positiven Einkünfte des letzten Kalenderjahres aus selbständiger Erwerbstätigkeit verletzt kein Verfassungsrecht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage gegen den Bescheid vom 27.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2021 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist die endgültige Beitragsfestsetzung zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2019 hinsichtlich der Berücksichtigung von Verlusten aus einem Gewerbebetrieb aus dem Jahr 2018.
Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die Klage ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 SGG) statthaft. Die Klagebefugnis des Klägers (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) ergibt sich aus einer möglichen Verletzung seines Grundrechts auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Das Widerspruchsverfahren wurde gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG durchgeführt.
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 27.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die endgültige Beitragsfestsetzung für das Jahr 2019 ist rechtmäßig.
Die Beklagte ist berechtigt, die Beiträge für das Jahr 2019 rückwirkend neu festzusetzen, da die Beiträge für das Jahr 2019 lediglich vorläufig durch Verwaltungsakt festgesetzt waren.
Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge werden gemäß § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig festgesetzt; dabei ist der Einkommensteuerbescheid für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen. Die vorläufig festgesetzten Beiträge werden gemäß § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V auf der Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt.
Da bei Selbständigen die Einnahmen praktisch nur in einem komplizierten Verfahren unter Berücksichtigung seiner Ausgaben festgestellt werden können, hat man sich entschieden, hier an den Steuerbescheid anzuknüpfen, da sich dort das gleiche Problem stellt und eine bürokratische doppelte Feststellung auf diese Weise vermieden werden kann (vgl. BT-Drs. 18/11205, 71). Der Steuerbescheid liegt nie für das laufende Jahr der Beitragsbemessung vor, sondern frühestens im Folgejahr. Daher sieht § 240 Abs. 4a SGB V zunächst eine vorläufige Feststellung vor (BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020, SGB V § 240 Rn. 18).
Nach der vorläufigen Festsetzung der Beiträge hat das Mitglied nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V seine tatsächlichen Einnahmen innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachzuweisen. Der erforderliche Nachweis für die endgültige Beitragsfestsetzung kann bei Selbständigen nur durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides geführt werden. § 240 Abs. 4a Satz 3 SGV V stellt auf die tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen ab. Daraus ergibt sich, dass das Arbeitseinkommen bei Selbständigen gleichmäßig auf das Jahr zu verteilen ist (BSG, Urteil vom 07.05.2014 – B 12 KR 2/12 R; BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12. 2020, SGB V § 240 Rn. 24, 25).
Die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge werden auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides gemäß § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V vorläufig festgesetzt; dabei ist der Einkommensteuerbescheid für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen. Die vorläufigen Festsetzungen entfalten keine Bindungswirkung für die spätere Beitragsfestsetzung, sondern erledigen sich im Sinne von § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit der formellen endgültigen Festsetzung der Beiträge (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2011 – B 12 KR 18/09 R – Rn. 18).
Ein steuerrechtlicher Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aus dem Jahr 2018 ist bei der Festsetzung des Krankenversicherungsbeitrags – beitragsrechtlich – nicht zu berücksichtigen. Nach Auffassung des Gerichts kann ein Verlustvortrag entsprechend § 10d Abs. 2 EStG nicht erfolgen, weil weder der Gesetzgeber noch der Spitzenverband Bund der Krankenkassen – bezüglich der Beitragsgrundsätze Selbstzahler – die Voraussetzungen hierfür geschaffen haben.
Gemäß § 10d Abs. 2 EStG sind nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag). Die Vorschrift ermöglicht den Abzug nicht ausgeglichener negativer Einkünfte des Entstehungsjahres durch Verlustvortrag in die folgenden Veranlagungszeitraum. Damit durchbricht § 10d EStG in begrenztem Umfang das Prinzip der Abschnittsbesteuerung und schafft einen Ausgleich mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Blümich/Vogel, 156. EL März 2021, EStG § 10d Rn. 2-5).
1. Der steuerrechtliche Verlustvortrag gehört jedoch nicht zu den beitragsrechtlich maßgeblichen „allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften“ im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).
Für die Beitragserhebung bestimmen § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IV, dass Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit ist. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Mit dieser Vorschrift werden die Teilrechtsordnungen des Steuerrechts und des Sozialversicherungsrechts miteinander partiell verknüpft, unter Beibehaltung der begrifflichen Eigenständigkeit dieser Rechtsgebiete. Die Versicherungspflicht sowie die Höhe der Beiträge und Leistungen Selbstständiger kann abhängig sein von der Höhe ihres Einkommens. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, einen für alle Zweige der Sozialversicherung einheitlichen Einkommensbegriff festzulegen. Dies soll durch die Definitionen in § 15 erreicht werden. Außerdem dient die Verweisung auf das Steuerrecht und der darin enthaltene Verzicht auf ein sozialrechtsspezifisches Verständnis zum „sozialrechtlichen Einkommen“ der Verwaltungsvereinfachung (BT-Drs. 12/5700, 92; KassKomm/Zieglmeier, 113. EL März 2021 Rn. 1, SGB IV § 15 Rn. 1). Ein Verlustvortrag nach § 10d EStG ist bei der Feststellung des Arbeitseinkommens demnach nicht zu beachten. Maßgebend ist also nicht das laut Steuerbescheid festgelegte „zu versteuernde Einkommen“ (BeckOK SozR/ Wagner, 60. Ed. 1.3.2021, SGB IV § 15 Rn. 3-4).
Ein steuerrechtlicher Verlustvortrag nach § 10d Einkommensteuergesetz (EStG) ist bei der Beitragsfestsetzung auch nicht zu berücksichtigen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Ein Verlustvortrag nach § 10d EStG ist daher nicht zu berücksichtigen. Diese Norm zählt nach Gesetzeswortlaut des EStG nicht zu den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts. Lediglich Abzüge, die auf der Ebene der Ermittlung der Einkünfte vorgenommen werde dürften, sind innerhalb der allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts zu berücksichtigen (BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020, SGB V § 240 Rn. 16.1; Knickrehm/Kreikebohm/ Waltermann/von Koppenfels-Spies, 6. Aufl. 2019, SGB IV § 15 Rn. 6; Winkler, Sozialgesetzbuch IV, SGB IV § 15 Rn. 18, beck-online).
Der abschnittsübergreifende Verlustabzug nach § 10d EStG (Verlustrücktrag, Verlustvortrag) zählt nicht zu den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts und ist daher bei der Feststellung des Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen (Krauskopf/Stäbler, 110. EL März 2021 Rn. 16, SGB IV § 15 Rn. 16).
Wegen der beitragsrechtlichen Maßgeblichkeit der „allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften“ hat das BSG (Urt. vom 16.5.2001 – B 5 RJ 46/00 R, BeckRS 2001, 41752 Rn. 19, 20) bereits entschieden, bei Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten nur auf die Gewinne Selbständiger im Veranlagungszeitraum abzustellen und weder einen Verlustrücktrag noch einen Verlustvortrag zuzulassen.
Dieser Ansicht ist auch das LSG Baden-Württemberg (Urteil v. 12.10.2020 – L 11 KR 3394/19) bei der Ermittlung von Einkünften aus Gewerbetrieb ausdrücklich gefolgt. Zu den beitragspflichtigen Einkünften zählen bei freiwillig Versicherten das Arbeitseinkommen, Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs. 1 SGB IV). Zum Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts rechnen auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 EStG). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Ein Verlustvortrag nach § 10d EStG ist daher nicht zu berücksichtigen (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 12.10.2020 – L 11 KR 3394/19, BeckRS 2020, 30546 Rn. 30 u. 33).
2. Auch nach den Beitragsgrundsätzen Selbstzahler, die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen als demokratisch legitimierten Selbstverwaltungsorgan erlassen worden sind, ist ein Verlustvortrag nicht anerkannt. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen darf, kann und muss die Einzelheiten der Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder allgemeinverbindlich, aber konkret regeln, damit für typische Sachverhalte eine einheitliche Bewertung sichergestellt ist, soweit nicht zwingende gesetzliche Regelungen (insbesondere das Gleichbehandlungsgebot mit Pflichtversicherten) dem entgegenstehen. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler binden als untergesetzliche Normen auch die Versicherten; es handelt sich um Rechtssetzung (BSG BeckRS 2013, 69654; BeckOK SozR/Ulmer, 60. Ed. 1.3.2021, SGB V § 240 Rn. 1-2.1).
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 Beitragsgrundsätze Selbstzahler sind laufende beitragspflichtige Einnahmen dem Beitragsmonat zuzuordnen, in dem der Anspruch auf sie entsteht oder in dem sie zufließen, sofern nicht eine typisierende Zuordnung bei der Beitragsbemessung der einzelnen Personengruppen vorgeschrieben ist. Hiervon abweichend ist das innerhalb eines Kalenderjahres erzielte Arbeitseinkommen, geteilt durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde, dem jeweiligen Beitragsmonat dieses Kalenderjahres zuzuordnen. Nach diesen (untergesetzlichen) Vorgaben ist für Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb also allein das Kalenderjahr maßgeblich. Damit ist zugleich die Möglichkeit eines Verlustvortrags entsprechend § 10d Abs. 2 EStG ausgeschlossen.
3. Das Eigentumsrecht des Klägers gemäß Art. 14 Grundgesetz wird nicht verletzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt ein Eigentumsschutz in Betracht, wenn der ein subjektiv-öffentliches Recht begründende Sachverhalt dem Einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht (vgl. BVerfGE 53, 257, 289; 88, 384, 401). Sozialversicherungsrechtliche Positionen sind geschützt, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und der Sicherung seiner Existenz dienen (vgl. BVerfGE 69, 272, 301; 100, 1, 32 f.; BVerfG Beschluss vom 07.10.2008 – 1 BvR 2995-06, BeckRS 2008, 40231). Im vorliegenden Fall führt die Unzulässigkeit eines Verlustvortrags zwar zu einer höheren Beitragsbelastung, daraus ergibt sich jedoch im Ergebnis kein Verlust einer vom Eigentumsrecht geschützten Rechtsposition.
Das Gericht ist weiterhin der Auffassung, dass der Grundsatz gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt, gewahrt ist. Mit § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V erteilte der Gesetzgeber dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen einen Regelungsauftrag (KassKomm/Peters, 113. EL März 2021, SGB V § 240 Rn. 28). Auch im Steuerrecht gilt der Verlustvortrag nicht unbegrenzt, sondern wurde durch den Gesetzgeber vielfach neu justiert. Letztlich ist bei der Ausgestaltung des Verlustabzugs ein Ausgleich zwischen dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung und dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu schaffen, der beiden Prinzipien gerecht wird. Innerhalb dessen obliegt es der politischen Entscheidung des Gesetzgebers, wie weit oder eng er die Grenzen des Verlustabzugs zieht (Blümich/ Vogel, 156. EL März 2021, EStG § 10d Rn. 7). Die Unzulässigkeit des Verlustabzugs im Beitragsrecht ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität gerechtfertigt, weil der Vollzug mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Mit der Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 223 Abs. 3 SGB V wird zudem gewährleistet, dass der GKV-Beitrag im Einzelfall eine im Verhältnis zum Leistungsanspruch unangemessene Höhe erreicht und das Solidarprinzip überstrapaziert wird. Daher erscheint es dem Gericht in verfassungsmäßiger Hinsicht gerechtfertigt, dass das Steuerrecht gegenüber dem Beitragsrecht ein höheres Maß an Belastungsgerechtigkeit bietet, indem ein Verlustabzug im Steuerrecht zu berücksichtigen ist.
Der Ausschluss des abschnittsübergreifenden Verlustausgleichs durch das Abstellen auf die nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des EStG ermittelten positiven Einkünfte des letzten Kalenderjahres aus selbständiger Erwerbstätigkeit (§ 18b Abs. 2 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) verletzt kein Verfassungsrecht – wie das BSG (Urt. v. 16.5.2001 – B 5 RJ 46/00 R, BeckRS 2001, 41752 Rn. 19, 20) hinsichtlich der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten festgestellt hat. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor. Dabei ist nicht nur an die Vergleichsgruppe der abhängig Beschäftigten anzuknüpfen. In Betracht kommt Art. 3 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab auch deshalb, weil eine Ungleichbehandlung mit der Gruppe derjenigen Selbständigen vorliegt, die (mehr oder weniger zufällig) von starken jährlichen Einkommensschwankungen mit „negativen“ Einkünften verschont blieben und in den einzelnen Veranlagungszeiträumen keine höheren Einkünfte erzielen als die Klägerin im Durchschnitt der Jahre. Jene erhalten im Gegensatz zur Gruppe der Selbständigen mit stark schwankenden Jahreseinkommen die Hinterbliebenenrente ohne wesentliche Kürzungen. Es bestehen gewichtige Gründe, bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten nur auf die Gewinne Selbständiger im Veranlagungszeitraum abzustellen und weder einen Verlustrücktrag noch einen Verlustvortrag zuzulassen. Der Hintergrund des abschnittsübergreifenden Verlustabzugs sind meist Sonderabschreibungen mit Subventionscharakter. Das Verbot, solche „fiktiven Verluste“ auch in den folgenden Veranlagungszeitraum im Rahmen des § 15 Abs. 1 SGB IV zu berücksichtigen, ist in jedem Falle sachgerecht, denn objektiv (das heißt über die reguläre Abschreibung hinausgehend) hat sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Hinterbliebenen nicht gemindert. Durch das generelle Verbot des abschnittsübergreifenden Verlustausgleichs bei der Feststellung des Gewinns nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV wird aber auch verhindert, durch Ausnutzung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten die Kürzung der Hinterbliebenenrente zu umgehen.
Ein steuerrechtlicher Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 2 EStG aus dem Jahr 2018 ist auch bei der Festsetzung des Pflegeversicherungsbeitrags nicht zu berücksichtigen. Bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung ist gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für die Beitragsbemessung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung § 240 SGB V entsprechend anzuwenden. Damit gelten die vorgenannten Gründe auch für die Festsetzung der Pflegeversicherungsbeiträge. Die Klage hat daher insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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