Steuerrecht

VG München: Aberkennung, Ortschaft, Höchstgeschwindigkeit, Bewertungssystem, Überschreitung, ILM, Führerschein, Kraftfahrt, Fahrberechtigung, Einzelrichterin, Fahrerlaubnisbehörde, Rechtsquelle, Aufbauseminar, Autotelefon, Verkehrszentralregister, ohne mündliche Verhandlung, Kraftfahrtbundesamt, Umrechnung, Klageschriftsatz, Zwangsgeld

Aktenzeichen  26 S 15.5550

Datum:
27.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 und 2 StVG
StVG § 4 Abs. 5 StVG
StVG § 4 Abs. 5 StVG
VwGO § 80 Abs. 5 VwGO
StVG § 4 Abs. 5 Sätze 6 und 7 StVG
StVG § 3 Abs. 1 und 2 StVG

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts A… wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner polnischen Fahrerlaubnis der Klassen B und C im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Mit Schreiben vom … Januar 2014, dem Antragsteller zugestellt am … Januar 2014, verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller bei einem Stand von 9 Punkten und wies ihn auf die Möglichkeit hin, durch die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar eine Reduzierung seines Punktestands zu erreichen. Im Einzelnen lagen folgende Eintragungen im Verkehrszentralregister zugrunde:
TattagRechtskraft der EntscheidungTatbestandPunkte
…07.2012…08.2012Verstoß gegen Überholverbot1
…07.2012…12.2012Verstoß gegen Rechtsfahrgebot mit Unfall2
…08.2012…10.2012Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um a… km/h 3
…06.2013…09.2013Verstoß gegen Abstandsgebot (weniger als 4/10 des halben Tachowertes [a… m] bei 82 km/h); Verstoß gegen Abstandsgebot (weniger als b… m bei 50 km/h mit Lkw)3
Ausweislich einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom … Oktober 2014 beging der Antragsteller die folgenden weiteren Verkehrszuwiderhandlungen:
TattagRechtskraft der EntscheidungTatbestandPunkte
…02.2014…04.2014Verbotswidrige Nutzung Mobil- oder Autotelefon1
…07.2014…10.2014Verstoß gegen Abstandsgebot (weniger als b… m bei 50 km/h mit Lkw); Verstoß gegen Abstandsgebot (weniger als 5/10 [c… m] bei 85 km/h)1
Mit Schreiben vom … November 2014, dem Antragsteller zugestellt am … November 2014, verwarnte der Antragsgegner diesen bei einem Stand im Fahreignungsregister von 6 Punkten. Dem Antragsteller wurde erläutert, dass die bis zum … April 2014 eingetragenen 9 Punkte nach einer Umrechnung am 1. Mai 2014 4 Punkte ergeben hätten. Er wurde außerdem auf die Möglichkeit zum freiwilligen Besuch an einem Fahreignungsseminar hingewiesen, ohne dass dies die Reduzierung des Punktestands zur Folge habe, sowie darauf, dass dann, wenn inzwischen alle in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen ergriffen worden seien, bei Erreichen eines Punktestands von 8 die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse.
Mit Schreiben vom … Oktober 2015 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt einen weiteren Verkehrsverstoß des Antragstellers mit:
TattagRechtskraft der EntscheidungTatbestandPunkte
…06.2015…09.2015Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um b… km/h2
Nach Anhörung mit Schreiben vom … Oktober 2015, worauf der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom … November 2015 erwiderte, erkannte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom … Dezember 2015 das Recht ab, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1 des Bescheids). Er gab ihm auf, seinen polnischen Führerschein bis spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheids zwecks Eintragung des Vermerks der Aberkennung abzuliefern (Nr. 2), drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von a… EUR an (Nr. 4) und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an (Nr. 3).
Am … Dezember 2015 trug der Antragsgegner den Sperrvermerk hinsichtlich des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland in den Führerschein des Antragstellers ein.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München zugegangen am Folgetag, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers in dessen Namen Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom … Dezember 2015 aufzuheben. Im Klageschriftsatz und mit weiterem Schriftsatz vom … Dezember 2015 beantragte er außerdem,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … Dezember 2015 anzuordnen bzw. die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.
Daneben beantragte er,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts A… zu bewilligen.
Zur Begründung der Klage und des Antrags in diesem Verfahren führte der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass der Bescheid des Antragsgegners wegen der unterbliebenen Ermahnung evident rechtswidrig sei. Es gehe vorliegend nicht um eine unterbliebene Ermahnung aufgrund der neuen Einordnung im Sinne des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG. Einer solchen habe es aufgrund der Umrechnung nicht bedurft. Eine Ermahnung sei aber aufgrund des danach gespeicherten, neuen Verstoßes vom … Februar 2014 erforderlich gewesen. Für eine Entbehrlichkeit der Ermahnung aufgrund „Durchlaufens“ der ersten Stufe nach dem Mehrfachtätersystem fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Das Unterbleiben der erforderlichen Ermahnung habe die Reduzierung des Punktestandes von 8 auf 5 Punkte zur Folge.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf den Bescheid vom … Dezember 2015 verwiesen und ausgeführt, dass nach Auffassung des Antragsgegners alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden seien.
Mit Beschluss vom … Januar 2016 wurde die Rechtssache zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen. Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 26 K 15.5549 sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Akten verwiesen.
II.
1. Der Antrag hat keinen Erfolg.
1.1. Er ist mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig, soweit mit ihm die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 4 des Bescheids des Antragsgegners vom … Dezember 2015 begehrt wird. Denn der Antragsteller hat den Sperrvermerk im Sinne des § 47 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – (vgl. Nr. 2 des Bescheids) in den Führerschein bereits eintragen lassen. Es ist weder etwas dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsgegner das angedrohte Zwangsgeld entgegen Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl beitreiben wird.
1.2. Im Übrigen ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
Bei der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom … Dezember 2015 hinsichtlich der Regelung unter seiner Nr. 1 als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. In einem solchen Fall hat es bei der vorliegend kraft Gesetzes bestehenden, sofortigen Vollziehbarkeit der Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (s. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 4 Abs. 9 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehrsgesetz – StVG), zu verbleiben.
Auf den vorliegenden Fall findet § 4 StVG in der ab 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl. I S. 1802) Anwendung, nachdem in Folge der unmittelbaren Klageerhebung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am … Dezember 2015 abzustellen ist.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich 8 oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen einer Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Der Antragsteller hat durch die bereits am … Juni 2015 begangene und am … September 2015 rechtskräftig geahndete Ordnungswidrigkeit 8 Punkte erreicht. Tilgungsfristen für vorangegangene Taten waren am … Juni 2015 noch nicht abgelaufen (vgl. § 4 Abs. 5 Sätze 6 und 7 StVG; vgl. auch § 4 Abs. 5 Sätze 6 und 7 StVG in der bis 4.12.2014 anwendbaren Fassung). Bei der polnischen Fahrerlaubnis des Antragstellers hat die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVG).
Der Antragsteller kann entgegen der von seinem Bevollmächtigten vorgetragenen Auffassung keine Punktereduzierung beanspruchen. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StVG (Verwarnung oder Fahrerlaubnisentziehung) zwar erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davorliegenden Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG bereits ergriffen worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist die noch ausstehende Maßnahme zu ergreifen (§ 4 Abs. 6 Satz 2 StVG), was eine Verringerung des Punktestands mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung auf 5 Punkte und der Verwarnung auf 7 Punkte zur Folge hätte, soweit nicht der Punktestand zu diesem Zeitpunkt bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG). Diese Regelungen wurden (inhaltlich) bereits zum 1. Mai 2014 eingeführt, wenngleich § 4 Abs. 6 StVG mit Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl. I, S. 1802) zum 5. Dezember 2014 neu gefasst und durch weitere Regelungen ergänzt wurde.
Der Antragsteller hat das Stufensystem jedoch durchlaufen, ohne dass eine Punktereduzierung eingetreten wäre. Der Antragsgegner verwarnte ihn ordnungsgemäß mit Schreiben vom … Januar 2014 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (BGBl. I, S. 310 – StVG a. F.), damals zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 3044), bei einem Stand von 9 Punkten (erste Stufe der Maßnahmen nach dem Punktsystem). Diese Verwarnung war nach Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems zum 1. Mai 2014 nicht – nun als Ermahnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG – zu wiederholen, da die (Neu-)Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein (Umrechnung der Punkte) nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG). Der Antragsgegner musste dementsprechend auch nicht bei Erreichen von 5 Punkten in Folge der am … Mai 2014 gespeicherten Tat vom … Februar 2014 (vgl. § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG) noch einmal die erste Stufe der Maßnahmen ergreifen, sondern hatte, wie mit Schreiben vom … November 2014 ordnungsgemäß vollzogen, die zweite Stufe der Maßnahmen nach dem Punktsystem bei einem im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von 6 Punkten zu durchlaufen (vgl. zu vergleichbaren Fallkonstellationen BayVGH, B. v. 2.12.2015 – 11 CS 15.2138, B. v. 10.6.2015 – 11 CS 15.814, B. v. 8.6.2015 – 11 CS 15.718 – jeweils juris m. w. N.).
Die erst nach der Zustellung der Verwarnung vom … November 2014 am … Juni 2015 begangene, am … September 2015 rechtskräftig gewordene und am … Oktober 2015 ins Fahreignungsregister eingetragene weitere Ordnungswidrigkeit führte dann zum Stand vom insgesamt 8 Punkten und zum zwingenden Entzug der Fahrerlaubnis bzw. im Fall des Antragstellers zur zwingenden Aberkennung des Rechts, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Es muss folglich auch beim Sofortvollzug der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein innerhalb der genannten Frist zwecks Eintragung des Sperrvermerks nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 2 FeV vorzulegen, verbleiben. Der bereits angebrachte Sperrvermerk ist nicht wieder zu entfernen.
2. Die Kostenentscheidung zu diesem Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).
3. Bereits aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens war auch die beantragte Prozesskostenhilfe abzulehnen. Auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers kam es insoweit daher nicht mehr an.


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