Steuerrecht

Vorläufiger Rechtsschutz (Stattgabe), Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, Unterhaltsvorschuss, Dauerverwaltungsakt, Rücknahme

Aktenzeichen  M 18 E 22.3041

Datum:
5.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16876
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB X § 45
SGB X § 48

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 3. Mai 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2022 aufschiebende Wirkung hat.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass ihr die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz über den mit Widerspruch angegriffenen Einstellungsbescheid hinaus gewährt werden.
Die Antragstellerin gebar am … … 2014 ein Kind und beantragte für dieses am 6. Mai 2014 Unterhaltsvorschussleistungen. In dem formularmäßigen Antrag gab die Antragstellerin an, dass der Vater des Kindes in Brasilien lebe, ihr sei nur dessen Name, nicht aber sein Geburtsdatum sowie der Geburtsort bekannt. Unterhaltszahlungen von diesem würden nicht erfolgen, da ihr die Adresse des Kindsvaters unbekannt sei.
Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 bewilligte der Antragsgegner Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Mai 2014. In den Folgejahren fand eine jährliche Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen anhand eines Formblattes statt, welches die Antragstellerin regelmäßig ausgefüllt zurücksandte. Der Antragsgegner erließ regelmäßig Änderungsbescheide mit denen die Höhe der monatlich bewilligten Leistung jeweils angepasst wurde.
Mit – ebenfalls als „Änderungsbescheid“ bezeichnetem – Bescheid vom 9. Dezember 2021 hob der Antragsgegner den (zuletzt erlassenen [Einschub durch das Gericht]) Bescheid vom 1. Dezember 2020, mit dem Unterhaltsvorschussleistungen gewährt wurden, mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 vollständig auf (Ziffer 1 des Bescheides). In Ziffer 2 des Bescheides wurden die Leistungen nach dem UVG ab dem 1. Januar 2022 monatlich auf 236 EUR festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Mindestunterhalt zum 1. Januar 2022 erhöht worden sei, sodass der Bescheid vom 1. Dezember 2020 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 aufgehoben werde und nunmehr monatliche Leistungen in Höhe von 236 EUR gewährt würden.
Mit Schreiben vom 9. März 2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass diese eine erhöhte Mitwirkungspflicht im Zuge der Vaterschaftsfeststellung habe. Da diese Mitwirkungspflicht bisher nicht gefordert worden sei, hole man dies nun nach. Dies bedeute, dass die Antragstellerin einen im Folgenden aufgeführten Fragenkatalog (Ziffer 1-12) beantworten müsse. Es wurde darauf hingewiesen, dass geprüft werde, ob die Anspruchsvoraussetzungen zur Leistungsgewährung bestünden und bei Feststellung des Nichtvorliegens beabsichtigt sei, den Leistungsbescheid aufzuheben. Sofern die Fragen nicht ausführlich und vollständig beantwortet würden, könnten die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung entzogen werden.
Mit Schreiben vom 14. März 2022 erfolgte erneut die jährliche formularmäßige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen durch den Antragsgegner, welche die Antragstellerin wie zuvor beantwortete.
Mit E-Mail vom 1. April 2022 sowie Schreiben vom 4. April 2022 erinnerte der Antragsgegner die Antragstellerin an die Beantwortung der Fragen im Schreiben vom 9. März 2022, um eine Glaubhaftigkeitsüberprüfung durchführen zu können.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantwortete mit Schreiben vom 26. April 2022 gegenüber dem Antragsgegner die Fragen 1-8 im Ergebnis dahingehend, dass der Antragstellerin die aktuelle Anschrift des Kindsvaters nicht bekannt sei. Sie habe diesen über die Schwangerschaft informiert, er habe sich nicht weiter um diese Tatsache gekümmert. Die Antragstellerin habe auch zum Zeitpunkt der Schwangerschaft keine Kenntnis über die persönlichen Daten des Kindsvaters gehabt. Der Kontakt habe etwa zwei Monate, nachdem die Antragstellerin ihre Schwangerschaft festgestellt und den Kindsvater hierüber informiert habe, geendet. Sie habe den Kindsvater über Facebook kennengelernt und nur hierüber mit ihm Kontakt gehabt. Der Kontakt sei dadurch beendet worden, dass dieser über Facebook nicht mehr auffindbar gewesen sei. Bei einem Urlaub bei ihrer Familie in Brasilien habe sie den Kindsvater persönlich kennengelernt und mehrfach getroffen; dabei habe sie auch sexuell mit dem Kindsvater verkehrt. Die Schwangerschaft sei trotz Verhütungsmaßnahmen, also ungewollt, eingetreten. Sie kenne auch keine weiteren Personen, die wissen könnten, wo sich der Kindsvater aufhalte.
Die weiteren unter Ziffer 9-12 gestellten Fragen zum Geschlechtsverkehr und zur Zeugung des Kindes seien äußerst indiskret und würden nicht beantwortet werden. Es sei nicht ersichtlich, wie die Beantwortung dieser Fragen dabei hilfreich sein könne, Rückforderungsansprüche gegen den Vater geltend zu machen. Sie seien schlicht übergriffig und ohne sachliche Rechtfertigung.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. April 2022 nahm der Antragsgegner die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zum 30. April 2022 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin eine gesteigerte Mitwirkungspflicht bei der Feststellung der Vaterschaft habe und ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ausgeschlossen sei, wenn keine bzw. nur unzureichende Angaben gemacht würden. Nach § 1 Abs. 3 UVG bestehe eine Auskunftspflicht des betreuenden Elternteils im Hinblick auf die Feststellung der Vaterschaft. Auch wenn es peinlich sein möge, die Umstände der Schwangerschaft darzulegen, so bilde dies keinen hinreichenden Grund, die Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft abzulehnen. Die Antragstellerin müsse nachvollziehbar darlegen und glaubhaft machen, aus welchen Gründen sie im Hinblick auf die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche keine Informationen über die Person des etwaigen Vaters besitze. Dazu müsse sie umfassende und möglichst belegbare Auskünfte über die Umstände im Zusammenhang mit der Entstehung der Schwangerschaft erteilen. Im Zuge der Abwägung und Bewertung bezüglich der Glaubhaftigkeit der Aussagen zum Kindsvater würden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage bestehen, da die Antragstellerin sich während ihres Urlaubs bei ihrer Familie mehrfach mit diesem getroffen habe, aber keine Angaben zu seinem Wohnort oder Geburtsort machen könne. Es bestehe der Eindruck, dass vorhandenes Wissen oder Erkenntnisse über die näheren Umstände der Vaterschaft zurückgehalten würden. Des Weiteren sei nicht ersichtlich, dass Versuche zur Kontaktaufnahme, um erforderliche Informationen in zumutbarer Weise zu erhalten, erfolgt seien. Da die Überprüfung während des Antragsverfahrens nicht ausreichend ausgeführt worden sei, seien die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bewilligt worden. Die Überprüfung werde nun nachgeholt und dabei habe sich herausgestellt, dass die bewilligten Leistungen rechtswidrig gewesen seien. Somit sei der ergangene rechtswidrige Bewilligungsbescheid mit den darauf erlassenen Änderungsbescheiden zurückzunehmen. Die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes sei vorliegend auch geboten. Gemäß den Vorgaben von § 45 Abs. 2 und 3 SGB X sei es, um eine besondere Härte zu vermeiden, sachgerecht, die bewilligten Leistungen nicht rückwirkend für die Zeit ab Leistungsbeginn zurückzunehmen, sondern erst mit Wirkung für die Zukunft.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2022 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin gegen den Rücknahmebescheid Widerspruch ein, welchen der Antragsgegner mit Schreiben vom 10. Mai 2022 der Regierung von Oberbayern zur Entscheidung vorlegte. Eine Entscheidung hierzu ist bisher nicht ergangen.
Nachdem der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Antragsgegner mit Schreiben vom 31. Mai 2022 aufforderte, die Unterhaltsvorschusszahlungen umgehend wiederaufzunehmen, führte der Antragsgegner – nach Rücksprache mit der Regierung von Oberbayern – mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 aus, dass die verbreitete Rechtsprechung annehme, dass jedenfalls im Recht der Sozialhilfe und in diesen verwandten Rechtsgebieten, darunter auch im Recht des Unterhaltsvorschusses, vorläufiger Rechtsschutz alleine nach § 123 VwGO zu gewähren sei und dem Widerspruch keine aufschiebende Wirkung zukomme, sodass die Zahlungen nicht weiter veranlasst werden könnten.
Der Bevollmächtigte beantragte mit Schriftsatz vom 10. Juni 2022 beim Verwaltungsgericht München für die Antragstellerin,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, der Antragstellerin für ihr Kind ab dem 1. Mai 2022 vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens Unterhaltsvorschuss in Höhe von 236 EUR monatlich zu zahlen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass, unabhängig von der Frage, ob die Rechtsauffassung des Antragsgegners zur aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zutreffend sei, die Antragstellerin dringend auf den weiteren Bezug der Unterhaltsvorschussleistungen angewiesen sei. Der Rücknahmebescheid sei rechtswidrig. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage, dem Antragsgegner weitere Informationen zu liefern. Sie habe alle ihr zur Verfügung stehenden Informationen bei Antragstellung mitgeteilt. Der Antragsgegner habe damals die Leistung bewilligt. Neue Tatsachen, die es rechtfertigen würden, diese Bewilligung aufzuheben, lägen nicht vor. Der nunmehrige Sinneswandel des Antragsgegners stelle keine neue Tatsache dar, die es rechtfertige, den Bewilligungsbescheid aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 17. Juni 2022,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, dass Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Leistungsgewährung vorliegend – entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten der Antragstellerin zu § 48 SGB X – § 45 Abs. 1 SGB X sei. Es werde ein begünstigender unanfechtbarer Leistungsbescheid zurückgenommen, der bereits bei Erlass rechtswidrig gewesen sei. Die Abwägungsentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X sei vorliegend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles aufgrund des gesetzlichen Gebots der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Verwaltungshandelns zugunsten des öffentlichen Aufhebungsinteresses ausgefallen. Schwerwiegende Vertrauensgesichtspunkte für das Behaltendürfen würden nicht vorliegen. Die Kindesmutter sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Das Vertrauen des Begünstigten auf die Fortdauer der Begünstigung in der Zukunft sei auch in geringerem Maße schutzbedürftig, als das Vertrauen auf das Behaltendürfen der bereits empfangenen Leistung. Dies gelte umso mehr, weil es sich vorliegend um eine laufende Leistung handle. Die Fehlerhaftigkeit eines Bescheides rechtfertige nicht automatisch ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten auf den Fortbestand dieser Entscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die elektronisch vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der sachdienlich ausgelegte Antrag hat Erfolg.
Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, der Antragstellerin vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens Unterhaltsvorschuss zu leisten, ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass ihrem Widerspruch gegen die Rücknahme der Unterhaltsvorschussleistungen mit Bescheid vom 27. April 2022 aufschiebende Wirkung zukommt.
Nachdem der Antragsgegner mit Schreiben vom 8. Juni 2022 der Antragspartei explizit mitgeteilt hat, dass er nicht von einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ausgehe und dementsprechend nicht zu einer Weiterleistung bereit sei, besteht für den Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
Missachtet eine Behörde die von Gesetzes wegen eingetretene aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt, können die Verwaltungsgerichte die (ohnehin schon automatisch nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretene) aufschiebende Wirkung nicht anordnen. Sie können aber analog § 80 Abs. 5 VwGO feststellen, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 10.10.2019 – 10 ME 191/19 – juris Rn. 16 m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine solche Feststellung liegen vor.
Der Widerspruch der Antragstellerin vom 3. Mai 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2022 entfaltet aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Gericht folgt nicht der zum Teil in der (insbesondere älteren) Rechtsprechung verbreiteten Ansicht – auf die sich der Antragsgegner bezieht -, dass im Recht der Sozialhilfe und in diesem verwandten Rechtsgebieten, darunter auch im Recht des Unterhaltsvorschusses, vorläufiger Rechtsschutz alleine nach § 123 VwGO zu gewähren sei. Zur Begründung wird insoweit angeführt, dass solche Leistungen grundsätzlich nicht als rentengleiche Dauerleistungen, sondern stets unter dem Vorbehalt jederzeitiger Einstellung gewährt würden (vgl. VG Freiburg, B.v. 6.4.2020 – 4 K 345/20 – juris Rn. 22 f. m.w.N.). Es läge durch die (erstmalige) Leistungsbewilligung folglich kein Dauerverwaltungsakt vor, der dem Leistungsempfänger Rechte für die Zukunft einräume, welche durch die Einstellung der Leistung verletzt sein könnten.
Das Gericht vertritt vielmehr die Ansicht, dass es sich bei einem Bewilligungsbescheid für Unterhaltsvorschussleistungen regelmäßig um einen Dauerverwaltungsakt handelt.
Der Bewilligungsbescheid entfaltet für die Zukunft zumindest insoweit ein Recht, als mit ihm (inzident) festgestellt wird, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistung so lange fortbesteht, solange (weiterhin) die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. ausführlich zum Streitstand: Grube, UVG, 2. Auflage 2020, Einleitung Rn. 103 ff.; VG Dresden, B.v. 20.9.2021 – 1 L 520/21 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.). Dieser Ansicht steht nicht entgegen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen der ständigen Überprüfung unterliegt, denn die Rechtsposition ist bei Entfallen der Voraussetzungen regelmäßig zu beseitigen, um einen rechtmäßigen Zustand herbeizuführen. Eine solche Konstellation ist sowohl im Sozialrecht als auch im Recht der Jugendhilfe regelmäßig gegeben und führt auch dort nicht dazu, ausschließlich von einer monatsweisen Betrachtung und Bewilligung auszugehen (grds. BSG, U.v. 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R – juris Rn. 9). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, der bei entsprechender Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 SGB X – welcher ausschließlich eine Regelung für Dauerverwaltungsakte enthält – aufgehoben werden kann. Sachliche Differenzierungsgründe, warum eine Anwendbarkeit von § 48 SGB X auf Bewilligungsbescheide nach dem UVG nicht gegeben sein soll, kann das Gericht nicht erkennen (ebenfalls die Anwendung von § 48 SGB X bejahend: VG Berlin, U.v. 26.10.2021 – 21 K 70/20 – juris Rn. 20 m.w.N.; nunmehr auch VG Freiburg, GB.v. 29.9.2021 – 4 K 3540/20 – juris Rn. 37; VG Bayreuth, U.v. 21.9.2020 – B 8 K 20.500 – juris Rn. 137 ff.; VG Augsburg, U.v. 4.8.2020 – AU 3 K 18.2073 – juris; BayVGH, B.v. 18.4.2019 – 12 C 18.1894 – juris Rn. 26; VG München, U.v. 4.7.2018 – 18 K 16.3912 – juris Rn. 38).
Schließlich gehen auch die Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (in der ab 1. Januar 2022 geltenden Fassung) davon aus, dass der Bewilligungsbescheid einen Dauerverwaltungsakt darstellt, auf den § 48 SGB X Anwendung findet (so z.B. S. 96). Ebenso ging auch der Antragsgegner erkennbar davon aus, dass es sich bei dem Bewilligungsbescheid um einen Dauerverwaltungsakt handelt und erfolgten die in den Folgejahren erforderlichen Anpassungen der Leistungshöhe jeweils durch einen Bescheid gemäß § 48 SGB X.
Sofern es sich bei dem Bewilligungsbescheid jedoch um einen Dauerverwaltungsakt handelt, greift die Aufhebung nach § 48 SGB X ebenso wie eine – im vorliegenden Fall erfolgte – Rücknahme nach § 45 SGB X in eine Rechtsposition des Leistungsempfängers ein. Widerspruch und Klage gegen einen solchen Bescheid kommt damit regelmäßig aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO zu.
Vorliegend ist auch kein Fall nach § 80 Abs. 2 VwGO gegeben; insbesondere hat der Antragsgegner keinen Sofortvollzug angeordnet. Im Übrigen scheidet auch eine entsprechende Anwendung von § 86a Abs. 2 Nummer 3 SGG – unabhängig vom Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen – bei Verfahren vor dem Verwaltungsgericht aus.
Der Widerspruch der Antragstellerin vom 3. Mai 2022 gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 27. April 2022 entfaltet daher aufschiebende Wirkung, sodass der Antragsgegner zur vorläufigen Weiterleistung entsprechend dem Bewilligungsbescheid verpflichtet ist.
Ergänzend weist das Gericht – insbesondere für die weitere Sachbehandlung durch den Antragsgegner – darauf hin, dass nach vorläufiger Beurteilung der Rechtslage Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides bestehen.
Der streitgegenständliche Bescheid stützt sich auf § 45 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlichen erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der folgenden Abs. 2-4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Unabhängig von der nach § 45 Abs. 2 SGB X erforderlichen – und durch den Antragsgegner vorgenommenen – Interessensabwägung im Einzelfall kann entsprechend § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe nach Abs. 2 zurückgenommen werden.
Wie oben bereits ausgeführt, handelt es sich bei dem Bewilligungsbescheid um einen solchen Dauerverwaltungsakt im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X.
Das Gericht erachtet es zumindest als gut vertretbar, dass hinsichtlich des Bewilligungsbescheides auf den Bescheid vom 14. Mai 2014, mit dem erstmals die Leistung bewilligt wurde, abzustellen ist. Zwar erließ der Antragsgegner in den Folgejahren mehrfach Änderungsbescheide, mit denen der jeweilige Vorgängerbescheid aufgehoben und eine neue Leistungshöhe festgesetzt wurde. Sachgerecht dürfte jedoch – unter Zugrundelegung eines rechtmäßigen Handelns des Antragsgegners – davon auszugehen sein, dass der Antragsgegner damit den jeweiligen Bewilligungsbescheid nur hinsichtlich der jeweils festgesetzten Höhe und nicht vollständig aufgehoben hat (vgl. § 48 Abs. 1 SGB X: „soweit“). Dementsprechend dürfte die „Grundbewilligung“ in dem Bescheid vom 14. Mai 2014 weiterhin wirksam sein. Hierfür spricht auch, dass der Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid selbst in den Gründen ausführt, dass die bewilligte Leistung rechtswidrig gewesen und somit der ergangene, rechtswidrige Bewilligungsbescheid (welcher jedoch nicht mit Datum bezeichnet wird) mit den darauf erlassenen Änderungsbescheiden zurückzunehmen sei. Ebenso bezieht sich der Antragsgegner bei seiner Antragserwiderung vom 17. Juni 2022 selbst mehrfach auf den Bewilligungsbescheid vom 14. Mai 2014. Sofern jedoch auf den Bewilligungsbescheid aus dem Jahr 2014 abzustellen ist, dürfte eine Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß dessen Abs. 3 Satz 1 nunmehr ausgeschlossen sein (vgl. allgemein zum Fristensystem des § 45 SGB X: BeckOK SozR, SGB X § 45 Rn. 31 ff., beck-online).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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