Steuerrecht

Zuordnung des Veräußerungsgewinns aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos

Aktenzeichen  4 K 355/21

Datum:
17.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12013
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 16, § 34 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 60 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.
I. Das Finanzamt konnte eine zeitliche Zuordnung des Wegfallgewinns als Merkmal der Besteuerungsgrundlage zum Teilzeitraum vom 12.09. bis 31.12.2017 bereits auf der Ebene des Feststellungsverfahrens vornehmen.
1. Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO werden die durch mehrere Personen gemeinschaftlich erzielten Einkünfte und alle im Zusammenhang mit der gemeinschaftlichen Erzielung stehenden Besteuerungsgrundlagen festgestellt.
a) Dabei erstreckt sich die Feststellung auf die Steuerbarkeit, die Zuordnung zu einer Einkunftsart, die Höhe der Einkünfte, die Zurechnung an die Beteiligten und den Feststellungszeitraum. Daneben können weitere Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die sich auf Ebene der Mitunternehmerschaft vollzogen haben und deshalb sinnvollerweise vom sachnäheren Finanzamt zu ermitteln sind. Hierbei handelt es sich um Sachverhalte, die im Rahmen der Einkünfteerzielung nur einzelne Gesellschafter betreffen, wie z. B. Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben (K., Abgabenordnung, 4. Aufl., § 80 Rn. 22).
b) Zu diesen Umständen gehört auch der Gewinn des K. aus dem Wegfall seines negativen Kapitalkontos, denn dieser führt zwangsläufig zu korrespondieren Verlusten bezüglich der Ausgleichsforderung der Gesellschafter mit positiven Kapitalkonten bzw. des persönlich haftenden Gesellschafters in deren Sonderbetriebsvermögen (BFH-Urteil vom 19.01.1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594; Wacker in Schmidt, EStG 40. Aufl., § 16 Rn. 465). Die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Entscheidung auf der Ebene ergibt sich aus dem Korrespondenzverhältnis des Wegfallgewinns und des Verlusts durch den Untergang der Ausgleichsforderung, die Sachnähe des Feststellungsfinanzamts und der Auswirkung auf ggf. eine Vielzahl von Beteiligten bei Publikumsgesellschaften.
c) Dieselben Gründe sprechen für eine Feststellung, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Veranlagungszeitraums der Wegfallgewinn realisiert worden ist, durch das Feststellungsfinanzamt, das die Besteuerungsgrundlagen ohnehin bereits umfassend geprüft hat und diese Zuordnung wesentlich besser vornehmen kann als das Veranlagungsfinanzamt.
Konsequenterweise ordnet AEAO zu § 251 Tz. 4.4.1.2, 5. Absatz, an, dass die Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, gesondert aufzuführen sind, wenn durch die gesonderte und einheitliche Feststellung gegenüber dem Schuldner (insolventer Feststellungsbeteiligter) sowohl Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen sollten, als auch Besteuerungsgrundlagen, welche der Festsetzung von Masseforderungen dienen sollten, festgestellt werden. Es geht dabei nicht um die – unzweifelhaft im Rahmen der Veranlagung vorzunehmende – Aufteilung der Einkommensteuerforderung in einen zur Tabelle anzumeldenden und einen als Masseforderung durch Bescheid festzusetzenden Teil, sondern allein um die durch einen eigenständigen Verwaltungsakt im Rahmen des Feststellungsbescheides als Sammelbescheid zu treffende Feststellung, zu welchem Zeitpunkt bzw. in welchem Teilzeitraum des Feststellungszeitraums das negative Kapitalkonto weggefallen ist und den Veräußerungsgewinn ausgelöst hat. Damit nicht vergleichbar ist die Entscheidung über die insolvenzrechtliche Zuordnung beispielsweise bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Freigabeerklärung, die im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zu treffen ist (BFH-Urteil vom 01.06.2016 X R 26/14, BFHE 253, 518, BStBl II 2016, 848).
d) Die KG bzw. die K.-GmbH sind nicht gem. § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren notwendig beizuladen, weil allein die zeitliche Zuweisung des der Höhe nach unstreitigen Veräußerungsgewinns, von der nur der Kläger betroffen ist, Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Es kann daher auch dahinstehen, ob der im Sonderbetriebsvermögen der GmbH entstandene, mit dem Wegfallgewinn korrespondiere Verlust bezüglich der Ausgleichsforderung zutreffend erfasst worden ist.
2. Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt in der Anlage zum Feststellungsbescheid vom 28.01.2021 genau diese Aufteilung in vor der Insolvenzeröffnung verwirklichte (laufender Gewinn) und nach der Insolvenzeröffnung verwirklichte Besteuerungsgrundlagen (Veräußerungsgewinn) vorgenommen. Diese Aufteilung war verfahrensmäßig zulässig. Lediglich die – offenbar an die Aufteilung der Einkommensteuerschuld im Veranlagungsverfahren – angelehnte Bezeichnung als „Insolvenzforderung“ und „Masseforderung“ ist sprachlich misslungen. Dem verfahrensrechtlich geschulten Adressaten erschließt sich aber aus dem Umstand, dass es sich um die Anlage zu einem Feststellungsbescheid handelt, ohne Weiteres, dass hier inhaltlich die Besteuerungsgrundlagen für die spätere Einkommensteuerfestsetzung aufgeteilt werden.
II. Der aus der Beteiligung des Insolvenzschuldners an der GmbH & Co. KG resultierende Gewinn aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos ist zutreffend den nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung verwirklichten Besteuerungsgrundlagen, die im Rahmen der Veranlagung zu einer Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit führen werden, zugeordnet worden.
1. Ein Veräußerungsgewinn aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos entsteht entweder im Rahmen der Aufgabe eines Gewerbebetriebs gem. § 16 Abs. 1 Satz 3 EStG oder bereits vor Auflösung einer Kommanditgesellschaft, wenn feststeht, dass künftige Gewinnanteile nicht mehr entstehen (§ 52 Abs. 24 Sätze 3 und 4 EStG). Letztere Vorschrift enthält keine besondere Regelung für den Zeitpunkt des Wegfalls des negativen Kapitalkontos. Maßgeblich ist daher der Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass ein Ausgleich mit künftigen Gewinnanteilen nicht mehr in Betracht kommt, spätestens der Zeitpunkt der Betriebsaufgabe (BFH-Beschluss vom 10.11.1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164; Seeger in Schmidt, EStG, 40. Aufl., § 15a Rn. 182).
a) Der späteste Zeitpunkt für den Wegfall des negativen Kapitalkontos des Insolvenzschuldners ist im vorliegenden Fall die Beendigung der KG zum 31.12.2017, den der Insolvenzschuldner zeitnah gegenüber den Gewerbe- und Finanzbehörden als Zeitpunkt der Betriebseinstellung durch die KG genannt hat. Spätere Einnahmen oder stille Reserven, deren Aufdeckung das negative Kapitalkonto hätten ausgleichen können, sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Auch die Beteiligten gehen zutreffend von einem Wegfall spätestens zum 31.12.2017 aus.
b) Gründe, die Anlass zur Annahme eines Wegfalls des negativen Kapitalkontos vor dem 12.09.2017 geben könnten, liegen nicht vor. Insbesondere konnte vor diesem Tag noch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass keine Einnahmen mehr erzielt werden, die zu einem zumindest teilweisen Ausgleich des negativen Kapitalkontos führen würden. Die betriebswirtschaftliche Auswertung für die KG über die Monatswerte 2017 vom 09.12.2019 weist noch Umsatzerlöse für Oktober 2017 in Höhe von 530,01 €, für November 2017 in Höhe von 1.100,56 € und für Dezember 2017 in Höhe von 637,80 € aus. Solche nachlaufenden Einnahmen kommen bei einem Finanzmakler typischerweise vor, weil er noch Entgelte für die Betreuung bereits früher abgeschlossener Versicherungsverträge erhält. Selbst wenn, wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, für ihn diese Zahlungen bei der späteren Erstellung der Feststellungserklärung nicht mehr nachvollziehbar waren, haben aus der Sicht zum 09.12.2019 jedenfalls für eine mit dem Sachverhalt vertraute, steuerlich versierte Person wie die Steuerberaterin, die die Auswertung erstellt hat, Umstände vorgelegen, die die Buchung von Einnahmen in der Zeit von Oktober bis Dezember 2017 ermöglicht haben. Aus der hier maßgeblichen Ex-ante-Sicht zum Stichtag 12.09.2017 waren weitere Einnahmen daher nicht auszuschließen.
c) Der Umstand, dass sich der negative Saldo des Kapitalkontos des Insolvenzschuldners – wie im Streitfall – über einen längeren Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung aufgebaut hat, steht der Zuordnung des Wegfallgewinns in die Zeit nach der Insolvenzeröffnung nicht entgegen. Wie auch bei der Bildung stiller Reserven (BFH-Urteil vom 11.11.1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477) oder der Auflösung einer Rückstellung (BFH-Urteil vom 18.05.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429) kommt es steuerlich allein auf den Zeitpunkt der Realisierung des Besteuerungstatbestands an. Die vom Kläger angegebene andere Behandlung der aus dem Wegfall eines negativen Verrechnungskontos bei einer GmbH entstehenden verdeckten Gewinnausschüttung führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für die spätere Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit kommt es nicht darauf an, ob der Gewinn als „echter Gewinn“ oder durch Nachholung der Berücksichtigung eines eigentlich früher angefallenen, damals nicht in die Besteuerung eingeflossenen Gewinns entstanden ist. So verhält es sich beim Wegfall des negativen Kapitalkontos.
d) Die Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt das negative Kapitalkonto weggefallen ist und dadurch einen Veräußerungsgewinn ausgelöst hat, ist auf Ebene des Feststellungsbescheides allein nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet ist, richtet sich auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteile vom 16.11.2004 VII R 75/03, BStBl II 2006, 193; vom 29.08.2007 IX R 4/07, BStBl II 2010, 145; vom 29.01.2009 V R 64/07, BStBl II 2009, 682).
Der Umstand, dass der K. zu einer Insolvenzmasse gehört, ändert nichts daran, dass die Zuordnung des Wegfallgewinns nach steuerlichen Gesichtspunkten zu einer Zuordnung in den Zeitraum führt, für den anfallende Erträge der Masse zugeflossen und daher von dieser auch zu versteuern sind. Diese zeitliche Zuordnung ist für die spätere Veranlagung auch bindend.
Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt den Wegfallgewinn zutreffend dem Zeitraum nach Insolvenzeröffnung vom 12.09. – 31.12.2017 zugeordnet.
e) Der Insolvenzverwalter ist hingegen nicht gehindert, später auf Ebene des Veranlagungsverfahrens geltend zu machen, dass der Masse Einkünfte des betreffenden Zeitraums nicht zugeflossen seien, beispielsweise, weil die K.bereits wieder freigegeben worden sei. Vorsorglich weist der Senat für das spätere Veranlagungsverfahren darauf hin, dass eine später – im vorliegenden Fall im Jahr 2018 – erteilte Freigabeerklärung keine Rückwirkung entfaltet. Dies ist bereits zivilrechtlich nicht der Fall, wenn sie – wie vorliegend – nicht ausdrücklich rückwirkend erteilt wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18.11.2021 102 Sch 142/21, ZIP 2021, 2543). Auch steuerlich findet eine Rückwirkung keine gesetzliche Grundlage.
Auch für die spätere Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit im Rahmen der Veranlagung kommt es nicht darauf an, wie der Gewinn aus der K. entstanden ist, ob als „echter Ertrag“ oder durch den Wegfall des negativen Kapitalkontos, also durch Korrektur des früher zugestandenen Verlusts. Allein maßgeblich ist, dass der Gewinn steuerrechtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (BFH-Urteil vom 18.05.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429).
2. Den laufenden Gewinn hat das Finanzamt zwar möglicherweise fehlerhaft in voller Höhe dem Zeitraum vom 01.01. – 11.09.2017 und nicht teilweise dem Zeitraum vom 12.09. – 31.12.2017 zugeordnet. Insoweit ist der Kläger jedoch nicht beschwert, da er gerade umgekehrt eine Gewinnverschiebung aus dem letztgenannten in den erstgenannten Zeitraum begehrt.
Die Anfechtungsklage ist daher unbegründet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (Nr. 2).
Zum einen ist die verfahrensrechtliche Frage, ob der Wegfall des negativen Kapitalkontos eines K. bereits auf Ebene des Feststellungsverfahrens der Zeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuweisen ist, bisher, soweit ersichtlich, nicht entschieden worden.
Die materielle Frage, ob im Fall der Zugehörigkeit des K. zu einer Insolvenzmasse der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisierte Wegfallgewinn – wie bei stillen Reserven oder der Auflösung einer Rückstellung – in voller Höhe dem Teil der Besteuerungsgrundlage zuzurechnen ist, die später zu Masseforderungen führen wird, oder ob er, wenn sich der negative Saldo des Kapitalkontos des Insolvenzschuldners bereits vor der Insolvenzeröffnung aufgebaut hat, aus insolvenzrechtlichen Gründen der Zeit vor der Insolvenzeröffnung zuzurechnen ist, sieht der Senat ebenfalls als grundsätzlich klärungsbedürftig an.


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