Steuerrecht

(Zur Berücksichtigung nacherklärter Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 173 Abs. 1 AO im Rahmen einer Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG)

Aktenzeichen  VIII R 7/18

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.250321.VIIIR7.18.0
Normen:
§ 173 Abs 1 AO
§ 32d Abs 1 EStG 2009
§ 32d Abs 6 EStG 2009
§ 36 Abs 2 S 2 EStG 2009
§ 43 Abs 5 EStG 2009
EStG VZ 2010
EStG VZ 2011
EStG VZ 2012
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2015 – VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806).
2. In einen entsprechenden Vergleich sind auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen.
3. In einen entsprechenden Vergleich sind auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig.

Verfahrensgang

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 17. Mai 2017, Az: 3 K 268/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 17.05.2017 – 3 K 268/15 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2012 (Streitjahre) aufgrund nacherklärter Kapitaleinkünfte geändert werden können.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren neben geringen Einkünften aus gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit auch Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seinen Steuererklärungen für die Streitjahre beantragte er jeweils die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
3
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre in den Bescheiden vom 26.01.2012 (2010), 28.02.2013 (2011) und 05.03.2014 (2012) auf jeweils 0 € fest. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen unterwarf das FA jeweils der tariflichen Einkommensteuer. Dies führte zur Erstattung der anrechenbaren Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags in voller Höhe.
4
Nach Eintritt der Bestandskraft dieser Einkommensteuerbescheide erklärte der Kläger am 10.12.2014 bisher nicht erklärte Kapitalerträge, die nur teilweise dem inländischen Steuerabzug unterlegen hatten, unter Beifügung entsprechend geänderter Anlagen KAP und der Original-Steuerbescheinigungen nach. Bei der beantragten Besteuerung der nacherklärten Kapitalerträge mit der tariflichen Einkommensteuer würden sich in den Streitjahren zwar höhere Steuerfestsetzungen ergeben, die Einbeziehung dieser Kapitalerträge in die Veranlagung würde jedoch zugleich zu einer Erstattung von Kapitalertragsteuer- und Solidaritätszuschlagsbeträgen sowie ausländischer Steuer bzw. EU-Quellensteuer führen.
5
Das FA lehnte die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre mit Bescheid vom 12.03.2015 ab. Den nachfolgenden Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 06.08.2015 zurück. Eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide komme nicht in Betracht, da es an einer Änderungsnorm fehle. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) lägen nicht vor, da sich infolge der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge insgesamt eine niedrigere Steuer ergebe. Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus, da den Kläger grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der nacherklärten Kapitalerträge treffe.
6
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die begehrte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide sei gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig (Urteil des Niedersächsischen FG vom 17.05.2017 – 3 K 268/15, Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1333).
7
Seine hiergegen gerichtete Revision begründet das FA mit der Verletzung von Bundesrecht.
8
Das FA beantragt sinngemäß,das angefochtene Urteil des Niedersächsischen FG vom 17.05.2017 – 3 K 268/15 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
10
Er ist der Auffassung, die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 12.05.2015 – VIII R 14/13 (BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806) seien auf den Streitfall nicht anwendbar, da es an einem nachträglichen Antrag auf Günstigerprüfung fehle. Folglich seien bei der Prüfung, ob nachträglich bekannt gewordene Tatsachen zu einer höheren oder niedrigeren Steuer i.S. des § 173 AO führten, die Steueranrechnungsbeträge unbeachtlich. Die nachträglich erklärten Kapitalerträge bewirkten ohne Berücksichtigung der Abzugsbeträge eine höhere festzusetzende Steuer. Daher sei die begehrte Änderung der Einkommensteuerbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich. Die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO scheide aus.


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