Strafrecht

2 WDB 13/20

Aktenzeichen  2 WDB 13/20

Datum:
31.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:310321B2WDB13.20.0
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 30. November 2020, Az: S 4 GL 11/20, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Soldatin gegen den Beschluss der 4. Kammer des Truppendienstgericht Süd vom 30. November 2020 wird zurückgewiesen.

Tatbestand

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Die Beschwerde richtet sich gegen eine vorläufige Dienstenthebung und ein vorläufiges Uniformtrageverbot, mit denen die Einbehaltung von Dienstbezügen verbunden worden ist (Nebenentscheidungen).
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1. Die 1989 geborene Soldatin ist Soldat auf Zeit im Dienstgrad eines Oberfeldwebels und verfügt über eine Ausbildung zur Fotografin. Von 2010 bis zu ihrer Versetzung Mitte 2020 war sie beim Zentrum für … in Erstverwendung als … und – aufgrund Verfügung vom 21. August 2018 – als Beauftragte für … eingesetzt. Seit 4. Februar 2019 war sie kommandiert zum Zentrum für … mit Erstverwendung …; zum Juli 2020 wurde sie dorthin versetzt in der Verwendung als …
3
2016 wurde sie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt und disziplinarisch mit einem zweiundvierzigmonatigen Beförderungsverbot gemaßregelt.
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2. Nachdem die Dienststelle der Soldatin im Dezember 2018 die Staatsanwaltschaft über die den Verdacht eines Dienstvergehens begründenden Umstände in Kenntnis gesetzt hatte, wurde gegen sie mit Verfügung vom 13. Januar 2020 ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet. Vorgeworfen wird ihr, zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. Oktober 2012 und dem 3. Dezember 2018 aus dem Lagerbereich des Bereichs Kartenfilm des Zentrums … zwei Fotokameras sowie dazugehörige Objektive und weiteres Zubehörmaterial im Gesamtwert von ca. 17 000 € bis 18 000 € entwendet und diese in eine von ihr genutzte Garage in … verbracht und damit dem Zugriff des Dienstherrn entzogen zu haben.
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3. Mit der Einleitungsverfügung wurde eine vorläufige Dienstenthebung und ein Uniformtrageverbot verbunden. Die Soldatin habe sich unter Ausnutzung ihres besonderen Vertrauensverhältnisses am Vermögen der Bundeswehr bereichert und damit gegen ihre dienstlichen Kernpflichten verstoßen. Ferner wurde die Einbehaltung eines Drittels ihrer Dienstbezüge verfügt, weil ihre Entfernung aus dem Dienstverhältnis zu erwarten sei. Die Vertrauensperson des Zentrums für … ist dazu am 14. Oktober 2019 angehört worden.
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4. Das disziplinargerichtliche Verfahren wurde mit Verfügung vom 3. August 2020 ausgesetzt, weil der Ausgang des sachgleichen strafgerichtlichen Rechtsmittelverfahrens gegen das die Soldatin freisprechende Urteil des Amtsgerichts … vom 12. Juni 2020 abgewartet werden solle. Das Landgericht Koblenz hat mit Urteil vom 28. Januar 2021 das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben, das Verhalten der Soldatin als Diebstahl gewertet und sie zu einer Geldstrafe verurteilt.
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5. Nachdem die Einleitungsbehörde es mit dem Verteidiger der Soldatin am 18. März 2020 zugestellter Verfügung vom 11. März 2020 abgelehnt hatte, ihre Nebenentscheidungen aufzuheben, hat das Truppendienstgericht Süd einen Antrag der Soldatin auf Aufhebung der Nebenentscheidungen mit Beschluss vom 30. November 2020 als unzulässig zurückgewiesen. Der Antrag sei verfristet gestellt worden.
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6. Mit ihrer am 9. Dezember 2020 eingegangenen Beschwerde macht die Soldatin im Wesentlichen geltend, ihr Antrag sei zulässig und auch begründet. Die Entfernung aus dem Dienstverhältnis stehe nicht ernsthaft im Raum. Anders als vom Landgericht festgestellt, habe sie nicht mit Zueignungsabsicht gehandelt. Sie habe die Kamera und die dazu gehörigen Gegenstände in ihrer Garage schlicht vergessen. Die entgegenstehenden Feststellungen im Urteil des Landgerichts begegneten Zweifeln. Zudem liege eine erhebliche Verfahrensverzögerung vor und die Maßnahmebemessung sei fehlerhaft.
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7. Der Vorsitzende der 4. Kammer des Truppendienstgericht Süd hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 nicht abgeholfen. Sie sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass der angeschuldigte schwere Vorwurf die Nebenentscheidungen auch in der Sache rechtfertige.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Beschwerde ist bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 114 Abs. 3 Satz 2 WDO nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage im Ergebnis unbegründet.
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1. Zu Unrecht hat das Truppendienstgericht allerdings angenommen, der Antrag der Soldatin auf Aufhebung der Nebenentscheidungen sei bereits unzulässig, weil verfristet. Er wurde am 9. April 2020 und damit gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO innerhalb eines Monats nach der am 18. März 2020 erfolgten Zustellung der ablehnenden Entscheidung der Einleitungsbehörde fristgemäß gestellt.
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Ob der bereits vom Kammervorsitzenden erkannte Rechtsfehler nicht zuletzt vor dem Hintergrund des ihm – ausweislich der Verfügung vom 2. September 2020 – bekannten freisprechenden Urteils des Amtsgerichts … Anlass hätte geben müssen, eine Abhilfe für angebracht zu halten und die Sache gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO wieder der Kammer vorzulegen, um in der nach § 75 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO vorgesehenen Spruchkammerbesetzung eine Entscheidung nun zur Sache herbeizuführen, lässt der Senat offen. Selbst wenn eine solche Verpflichtung bestanden hätte, weil aus gerichtlichen Fehlern für eine Partei fairerweise keine Nachteile abgeleitet werden dürfen (Sachs/Degenhart, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 103 Rn. 42), sieht der Senat von einer Zurückverweisung ab (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 309 Rn. 9). Eine Zurückverweisung widerspräche dem Beschleunigungsverbot (2.), zumal der Antrag der Soldatin auch in der Sache keinen Erfolg hat (3.) und sie ausweislich ihres Beschwerdeschriftsatzes ausdrücklich eine zeitnahe Sachentscheidung durch den Senat begehrt.
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2. Eine Zurückverweisung widerspräche dem Beschleunigungsgebot nach § 17 Abs. 1 WDO. Mit einer Zurückverweisung zur Entscheidung über den bereits im April 2020 gestellten Aufhebungsantrag würde das Verfahren erstinstanzlich voraussichtlich erheblich mehr als ein Jahr keinen Fortgang nehmen. Auch wenn Gerichte verpflichtet sind, im Falle einer Zurückverweisung Sachen beschleunigt zu bearbeiten, ist angesichts der senatsbekannten Arbeitsbelastung der Truppendienstgerichte nicht mit einer Entscheidung noch im April 2021 zu rechnen. Schlösse sich dem ein weiteres Beschwerdeverfahren an, würde das in besonderer Weise auf zeitnahe Erledigung ausgerichtete Verfahren nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO zu einer Verfahrensdauer führen, die für die Soldatin wegen der im Raum stehenden Höchstmaßnahme unzumutbar ist.
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3. Der Antrag ist jedenfalls bei summarischer Prüfung der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage nach Ergehen des strafgerichtlichen Berufungsurteils unbegründet.
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Nach § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung kann das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 WDO kann sie schließlich eine Kürzung der Dienstbezüge anordnen. Diese Anordnungen haben formell ordnungsgemäß zu ergehen, müssen auf einer wirksamen Einleitungsverfügung beruhen, von einem besonderen, sie rechtfertigenden Grund getragen und nach pflichtgemäßer Ermessensausübung ergangen sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 – 2 WDB 1.05 – Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 2 S. 6).
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a) Die Nebenentscheidungen sind formell ordnungsgemäß ergangen. Sie beruhen auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 1 und 2 WDO und sind in den Bescheiden vom 13. Januar und 11. März 2020 ausreichend begründet (vgl. § 39 VwVfG).
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b) Ihnen liegt auch eine rechtswirksame Einleitungsverfügung zugrunde. Soweit die Soldatin eine fehlerhafte Beteiligung der Vertrauensperson rügt, der keine Möglichkeit gegeben worden sein soll, mit ihr zu sprechen (vgl. Anhörungsniederschrift vom 14. Oktober 2019), wird zwar im Verlauf des Disziplinarverfahrens eine Prüfung erfolgen müssen, ob die Beteiligung tatsächlich fehlerhaft war und Fehler zu heilen sind. Jedoch ist die Vertrauensperson beteiligt worden und deren Ansicht, es seien weitere, gleichsam abschließende Sachverhaltsermittlungen anzustellen, unzutreffend. Für den Erlass der Einleitungsverfügung reicht ein Anfangsverdacht aus (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 – 2 WD 19.18 – BVerwGE 166, 189 Rn. 43) und eine Anhörungspflicht zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts durch die Vertrauensperson besteht nicht (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 WD 24.09 – BVerwGE 138, 263 Rn. 17). Dabei wird zwar noch der Frage nachzugehen sein, ob die zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens (BVerwG, Urteil vom 11. September 2014 – 2 WD 11.13 – juris Rn. 34) für die Soldatin zuständige Vertrauensperson beteiligt worden ist, da sie zu diesem Zeitpunkt zum … nur kommandiert, nicht aber versetzt worden war (BVerwG, Urteil vom 4. September 2009 – 2 WD 17.08 – BVerwGE 134, 379 Rn. 24). Die Beteiligung einer unzuständigen Vertrauensperson führt indes nicht zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung, weil selbst eine unterbliebene Anhörung einer Vertrauensperson dies nicht zur Folge hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Juli 2016 – 2 WD 18.15 – Buchholz 450.2 § 93 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 30 und vom 8. Dezember 2010 – 2 WD 24.09 – BVerwGE 138, 263 Rn. 19; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 4 Rn. 25).
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c) Der für Anordnungen nach § 126 Abs. 1 und 2 WDO erforderliche besondere Grund liegt ebenfalls vor. Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht auf dem Umstand, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür zusätzlich eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Des Weiteren folgt im Gegenschluss aus § 126 Abs. 2 WDO, demzufolge eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, dass für den Erlass der sonstigen Anordnungen die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27). Ein besonderer Grund kommt bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO folglich regelmäßig dann in Betracht, wenn eine Dienstgradherabsetzung oder die schwerste Disziplinarmaßnahme im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 2 WDB 5.20 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 24). Nach Maßgabe dessen liegt für alle Nebenentscheidungen ein besonderer Grund vor, weil die Soldatin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Dienstvergehen begangen hat, welches voraussichtlich mit der Entfernung aus dem Dienstverhältnis zu ahnden ist und weil die Vertrauensgrundlage für einen Verbleib der Soldatin im Dienst dadurch zerstört ist.
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei einem Soldaten in einer Vorgesetztenstellung, der sich vorsätzlich an Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn vergreift und damit gegen § 7 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstößt, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Entfernung aus dem Dienst, wenn der Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten erfolgt, der Gegenstand sich bei gewöhnlichem Ablauf regulär in seinem Arbeitsbereich befindet und der Soldat auch faktisch gewöhnlich mit der Verwahrung und Verwaltung von derartigen Gegenständen befasst ist (BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 – 2 WD 28.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 54 und 55 m.w.N.). Dass die Soldatin eine solche Vertrauensposition innehatte, ist unstreitig. Entgegenstehende Gesichtspunkte sind gegenwärtig nicht ersichtlich.
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Gegen den vollständigen Vertrauensverlust spricht auch nicht der Umstand, dass die Soldatin nicht sogleich nach Bekanntwerden der Pflichtverletzung vorläufig des Dienstes enthoben worden, sondern noch einige Zeit in der Funktion weiterverwendet und sodann auf einen anderen Dienstposten kommandiert worden ist. Ein vorübergehendes Belassen im Dienst zur eingehenden Überprüfung schwerer Vorwürfe schließt die spätere Enthebung vom Dienst nicht aus. Die Beantwortung der Frage nach der erforderlichen fortbestehenden Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten hängt im Übrigen nicht entscheidend von den Erwägungen und Entscheidungen der jeweiligen Einleitungsbehörde oder der Einschätzung der unmittelbaren Vorgesetzten ab. Ob das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und persönliche Integrität des betroffenen Soldaten erschüttert oder gar zerstört ist, ist nach einem objektiven Maßstab, also aus der Perspektive eines objektiv und vorurteilsfrei den Sachverhalt betrachtenden Dritten zu prüfen und zu bewerten (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 WD 33.11 – juris Rn. 73). Dabei sind weder besondere Leistungen eines Soldaten noch eine überlange Verfahrensdauer geeignet, von der Höchstmaßnahme abzuweichen, wenn das Vertrauensverhältnis objektiv zerstört ist (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 – 2 WD 18.18 – Buchholz 450.2 § 63 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 40 und 42 m.w.N.).
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bb) Soweit die Soldatin bestreitet, mit Zueignungsabsicht gehandelt zu haben, stehen dem die rechtskräftigen Tatsachenfeststellungen im Urteil des Landgerichts … entgegen. Sie sind gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO für das Wehrdienstgericht bindend. Rügt ein Soldat Mängel des strafgerichtlichen Verfahrens, die weder offensichtlich noch im strafgerichtlichen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden sind, besteht für die Wehrdienstgerichte regelmäßig auch kein Anlass, sich von den strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ausnahmsweise zu lösen (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 – 2 WD 11.20 – Rn. 37 ff.). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
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Zum einen sind die Einlassungen der Soldatin gegen die Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen unbeachtlich, weil sie gegen die Entscheidung des Landgerichts kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl sie dafür – wenn ihre finanzielle Bedürftigkeit unterstellt wird – die Bestellung eines Pflichtverteidigers hätte beantragen können. Zum anderen lässt das Urteil des Landgerichts auch keine offensichtlichen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung erkennen, die im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren Bedeutung erlangten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich widersprüchlich ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist zudem nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (vgl. BGH, Urteile vom 29. August 2007 – 2 StR 284/07 – juris Rn. 9 und vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 – juris Rn. 8, 15). Dies gilt auch für das Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht in § 242 Abs. 1 StGB.
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Offensichtliche Fehler dieser Art weist das landgerichtliche Urteil nicht auf. Die Einlassungen der Soldatin richten sich nicht gegen die Richtigkeit (BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2006 – 2 StR 417/06 – NStZ-RR 2007, 86), sondern gegen die Überzeugungskraft einzelner, vom Landgericht herangezogener Indizien. Die Soldatin verkennt zudem, dass das Landgericht in freier richterlicher Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) aus der Gesamtschau der Indizien zur Überzeugung gelangt ist, dass bei ihr eine Zueignungsabsicht vorgelegen hat. Die Vornahme einer solchen Gesamtschau ist strafprozessual nicht nur zulässig, sondern auch geboten (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 306/07 – juris Rn. 14). Dem entspricht, dass der Zweifelssatz nicht auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Gewinnung der Überzeugung aufgrund der gesamten Beweissituation anzuwenden ist (BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99 – juris Rn. 5). Soweit die Soldatin das Fehlen vertiefter Ausführungen rügt, ist dies die Folge dessen, dass mangels Einlegung der Revision ein abgekürztes Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO vorliegt.
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3. Der Dienstherr hat die Nebenentscheidungen ermessensfehlerfrei getroffen und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Diese Anforderungen sind dann erfüllt, wenn der Dienstbetrieb bei einem Verbleiben des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Dabei dürfen dem Soldaten keine Nachteile zufügt werden, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, einen Soldaten, der eines schwerwiegenden Dienstvergehens hinreichend verdächtig ist, bis zur endgültigen Klärung dieses Vorwurfs von der Dienstausübung auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27 m.w.N.). Das Wehrdienstgericht ist insoweit auf eine Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung beschränkt und trifft – im Gegensatz zur späteren Disziplinarmaßnahme – keine originäre gerichtliche Entscheidung.
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a) Zwar hat der Dienstherr in seinem Bescheid vom 11. März 2020 ausgeführt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermessensausübung sei der Zeitpunkt zum Erlass der Einleitungsverfügung und damit den Eindruck erweckt, er lege auch bei der Überprüfung der Nebenentscheidungen diesen Zeitpunkt zugrunde; aus seinen sonstigen Ausführungen zur finanziellen Situation der Soldatin in Verbindung mit seiner Aufforderung vom 5. Februar 2020, sich zur finanziellen Situation zu äußern, folgt jedoch, dass er im August 2020 bereit gewesen wäre, neuen Vortrag dazu zu berücksichtigen. Daraus folgt hinreichend deutlich, dass er sich nicht ermessensfehlerhaft auf eine Prüfung der früheren Sachlage beschränkt hat.
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b) Die Entscheidung, einen Soldaten vorübergehend auf keinem Dienstposten mehr einzusetzen, wenn er im Kernbereich seiner Tätigkeit versagt hat und das Vertrauensverhältnis zerstört ist, ist nicht sachwidrig. Dem steht nicht entgegen, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts die Dauer des rechtswidrigen Eigenbesitzes deutlich kürzer und der Wert der Kameras wesentlich geringer gewesen ist als in der Einleitungsverfügung angenommen. Denn ein Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a StGB), der auch disziplinarisch mildernd zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2016 – 2 WD 16.15 – BVerwGE 155, 161 Rn. 69), liegt danach nicht vor. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit auch deshalb gewahrt, weil die Soldatin – wie vom Dienstherrn in seinem Bescheid vom 11. März 2020 betont – bereits mit einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme vorbelastet ist. § 38 Abs. 2 WDO bringt zum Ausdruck, dass eine erneute disziplinare Verfehlung regelmäßig nach einer schwereren Disziplinarmaßnahme verlangt (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Februar 2018 – 2 WD 9.17 – juris Rn. 38 und vom 16. Juli 2020 – 2 WD 16.19 – Rn. 18). Die Schwere des Dienstvergehens erhöht sich des Weiteren dadurch, dass die neue Pflichtverletzung noch während des Laufs des Beförderungsverbots begangen worden ist (BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 2020 – 2 WD 22.19 – Rn. 21). Schließlich ist die Suspendierung auch deswegen verhältnismäßig, da die Soldatin weiterhin Zweidrittel ihrer Dienstbezüge bezieht und eine Nachzahlung der einbehaltenen Beträge erfolgt, wenn sich die Anschuldigung als unberechtigt herausstellen sollte (vgl. § 127 Abs. 1 WDO).
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c) Eine Unverhältnismäßigkeit folgt derzeit auch nicht daraus, dass eine Einbehaltensanordnung nur unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Maßnahme bildet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 2021 – 2 WDB 11.20 – Rn. 14 m.w.N). Der Verdacht eines Dienstvergehens bestand zwar bereits seit Dezember 2018; die Bezüge wurden jedoch erst seit Januar 2020 einbehalten. Vor diesem Hintergrund ist die vierzehnmonatige Einbehaltung der Dienstbezüge noch nicht unverhältnismäßig.
28
Sollte sich das Verfahren indes weiter in die Länge ziehen, ist die Einleitungsbehörde gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO bereits von Amts wegen gehalten, ihre Nebenentscheidungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 2021 – 2 WDB 11.20 – Rn. 13 ff.). Im Falle einer Anschuldigung wird das Truppendienstgericht zudem die Gesamtverfahrensdauer in den Blick nehmen müssen, wodurch sich dessen Pflicht zur zeitnahen Erledigung verdichtet (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 – 2 WD 9.19 – juris Rn. 37).
29
4. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit erfasst (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2009 – 2 WDB 4.09 – Rn. 17).


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