Strafrecht

4 OLG 4 Ss 67/22

Aktenzeichen  4 OLG 4 Ss 67/22

Datum:
7.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Koblenz 4. Strafsenat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OLGKOBL:2022:0607.4OLG4SS67.22.00
Normen:
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Elektronische Dokumente sind gemäß § 32a Abs. 2 Satz 1 StPO nur dann als für die Bearbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden oder das Gericht geeignet anzusehen, wenn sie gemäß § 2 Abs. 1 ERVV im Dateiformat PDF oder TIFF übermittelt werden. Die Übersendung anderer Dateiformate ist ebenso unzulässig wie bloße Mitteilungen im Textfeld einer beA-Nachricht.

Verfahrensgang

vorgehend LG Koblenz, 14. Januar 2022, 2040 Js 54398/20, Urteilvorgehend Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Koblenz, kein Datum verfügbar, 4 Ss 67/22

Tenor

1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 14. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Angeklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO).

Gründe


I.
Das Amtsgericht Betzdorf hat die Angeklagte wegen Diebstahls und wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat die Strafkammer ohne Verhandlung zur Sache mit Urteil vom 14. Januar 2022 verworfen, da die Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung der Berufungshauptverhandlung ferngeblieben und in dieser auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
Gegen das Urteil hat die Angeklagte über ihren Verteidiger Revision einlegen lassen. Die Rechtsmitteleinlegung ist nicht durch Übersendung eines PDF-Dokuments über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfolgt, sondern dem Nachrichtenfeld einer am 19. Januar 2022 von der Geschäftsstelle des Landgerichts ausgedruckten beA-Nachricht des Verteidigers zu entnehmen; diese lautet wie folgt:

beA – Nachricht
Nachrichtentyp
Allgemeine Nachricht
Betreff
Revision gegen Urteil gegen K. vom 14.1.22
Aktenzeichen des Empfängers
13 Ns 2040 Js 54398/20
Aktenzeichens des Absenders
K.    
Nachricht
In der Strafsache gegen K.
Az.: 13 Ns 2040 Js 54398/20
wird gegen das am 14.1.22 gefällte Urteildes Landgerichts Koblenz Revision eingelegt.
gezeichnet B. Rechtsanwalt

Auf demselben Übertragungsweg ist die Revision auch begründet worden. Folgende weitere beA-Nachricht hat die Geschäftsstelle des Landgerichts am 19. Januar 2022 ausgedruckt:

Nachrichtentyp
Allgemeine Nachricht
Betreff
Revisionsbegründung der Revision gegen dasUrteil des Landgerichts Koblenz vom 14.1.22
Aktenzeichen des Empfängers
13 Ns 2040 Js 54398/20
Aktenzeichens des Absenders
K.    
Nachricht
In der Strafsache gegen K.
Az.: 13 Ns 2040 Js 54398/20
wird zu der gegen das 14.1.22 verkündete Urteileingelegten Revision die nachfolgende Revisionsbegründungabgegeben mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuhebenund die Sache zur erneuten Verhandlung undEntscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.
Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechtsgezeichnet B. Rechtsanwalt

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Übersendungsbericht vom 29. April 2022 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Sie ist der Auffassung, dass das Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist. Die Angeklagte hatte über ihren Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2022 hat der Senat die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen, dass sowohl Revisionseinlegung als auch -begründung bislang nicht der durch § 32a StPO vorgeschriebenen Form entsprächen. Dem Verteidiger wurde gemäß § 32a Abs. 6 Satz 1 StPO mitgeteilt, dass die elektronisch eingereichten Dokumente in der vorliegenden Form nicht für eine Bearbeitung durch das Gericht geeignet sind; auf die Heilungsmöglichkeit gemäß § 32a Abs. 6 Satz 2 StPO wurde hingewiesen. Die Angeklagte hat hierzu durch Schreiben ihres Verteidigers vom 31. Mai 2022 Stellung nehmen lassen; sie ist der Auffassung, dass die Formalien der Revision durch die bislang eingereichten elektronischen Dokumente gewahrt sind.
II.
Die Revision der Angeklagten war als unzulässig zu verwerfen, da das Rechtsmittel weder ordnungsgemäß eingelegt noch begründet worden ist. Die gesetzlich vorgeschriebenen Formerfordernisse des § 32a Abs. 2 StPO iVm. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) sind nicht eingehalten worden.
1.
Ein übermitteltes elektronisches Dokument muss nach § 32a Abs. 2 Satz 1 StPO für die Bearbeitung durch den Empfänger, d.h. durch Strafverfolgungsbehörden und Gericht, geeignet sein (BeckOK-StPO/Graf, 43. Ed., Stand: 01.04.2022, § 32a Rn 5 ff.).
Die für die Übermittlung und Bearbeitung elektronischer Dokumente geeigneten technischen Rahmenbedingungen sind in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen und zuletzt durch Gesetz vom 5. Oktober 2021 geänderten Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) geregelt. § 2 Abs. 1 ERVV bestimmt, dass elektronische Dokumente im Dateiformat PDF (portable document format) zu übermitteln sind. Näher ausgestaltet sind die technischen Anforderungen an solche Dokumente zuletzt in der Zweiten Bekanntmachung zu § 5 der ERVV vom 10. Februar 2022 (2. ERVB 2022). Sinn und Zweck der Regelung ist es, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte davor zu bewahren, alle möglichen Dateiformate akzeptieren und entsprechende Programme zum Öffnen dieser Dateien bereithalten zu müssen (BT-Drs. 18/9416, 45). Werden die durch die Rechtsverordnung vorgegebenen Anforderungen nicht beachtet, ist die jeweilige Verfahrenshandlung grundsätzlich unzulässig (BeckOK-StPO/Graf aaO. Rn. 7). Davon sind in Rechtsprechung und Literatur jedoch zu Recht Ausnahmen gemacht worden, die sich im wesentlichen mit Formverstößen gegen § 2 Abs. 1 ERVV in der bis zum 31. Dezember 2021 gültigen Fassung, namentlich den angeordneten technischen Vorgaben zum PDF-Format befassen.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung waren elektronische Dokumente in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, elektronisch durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Daraus folgt, dass die Datei nicht mit einem Kennwort zum Öffnen versehen und die Möglichkeit des Ausdrucks in den Eigenschaften der Datei nicht ausgeschlossen sein darf (für § 130a ZPO: OLG Nürnberg, Beschl. 3 W 149/22 v. 31.01.2022 – Rn. 16 n. juris). Den Bedingungen der ERVV entspricht das Dokument aber auch dann nicht, wenn es verschlüsselt, mit Viren „infiziert“ oder mit einer anderen schädlichen Software verbunden ist (BT-Drs. 18/9416, S. 45). „Kopierbarkeit“ bedeutet, dass die Reproduzierbarkeit der Datei nicht durch ein entsprechendes PDF-Anzeigeprogramm ausgeschlossen werden darf (Müller, NZS 2018, 207 <211>).
Nach der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung soll aber nicht schon jeder Verstoß gegen die ERVV zur – gemäß § 32a Abs. 6 Satz 2 heilbaren – Formunwirksamkeit der entsprechenden Verfahrenshandlung führen. Denn der § 130a Abs. 2 ZPO nachgebildete § 32a Abs. 2 StPO, den die ERVV näher ausgestaltet, soll lediglich gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für den behördlichen Empfänger lesbar und bearbeitungsfähig sind (BT-Drs. 17/12634, S. 25). Formunwirksamkeit soll nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, zB. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen oder der elektronischen Akte nicht hinzufügen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Demgegenüber sollen Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit der Verfahrenshandlung führen, wenn sie lediglich den Bearbeitungskomfort beeinträchtigen, der Les- und Bearbeitbarkeit als solches aber nicht entgegenstehen (für § 130a ZPO: OLG Nürnberg aaO.; LG Mannheim, Urt. 1 S 29/20 v. 04.09.2020 – juris; OLG Koblenz, Beschl. 3 U 1442/20 v. 23.11.2020).
Diese Rechtsprechung aufgreifend hat der Verordnungsgeber klarstellen wollen, dass bei bloß formalen Verstößen gegen die ERVV Formunwirksamkeit dann nicht eintreten soll, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann (BT-Drs. 19/28399, S. 39 iVm. S. 33). Dementsprechend bestimmt § 2 Abs. 2 ERVV in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung, dass das elektronische Dokument den nach § Abs. 1 Nrn. 1 und 6 ERVV bekanntgemachten technischen Standards entsprechen soll. Demgegenüber ist das elektronische Dokument auch nach der Neufassung der ERVV im Dateiformat PDF zu übermitteln (§ 2 Abs. 1 S. 1 ERVV). Aus der vorstehend dargelegten Genese des Wortlauts und aus der Unterscheidung zwischen Muss- und Soll-Vorschriften wird deutlich, dass die Einreichung des elektronischen Dokuments im PDF-Format als zwingendes Erfordernis vom Gesetzgeber vorausgesetzt wird (BGH, Beschl. 3 StR 89/22 v. 03.05.2022 – Rn. 12 n. juris; BAG, Beschl. 3 AZB 2/22 v. 25.04.2022 – Rn. 23 n. juris [obiter dictum]; OLG Nürnberg aaO. Rn. 17). Damit handelt es sich bei § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV nicht um eine in das Belieben des Einreichers gestellte technische Vorgabe und die Nichtbeachtung des PDF-Formats begründet mehr als einen rein formalen Verstoß gegen technische Vorschriften. Dem Einreicher ist daher kein Wahlrecht einzuräumen, in welcher Form er ein elektronisches Dokument bei Gericht einreicht.
Dies gilt auch für den hier zu entscheidenden Fall, dass der Verteidiger die Prozesserklärung im Nachrichtenfeld der beA-Nachricht platziert, eine Möglichkeit, die ihm die beA-Softwareanwendung zur Verfügung stellt. Denn die Ausgestaltung der technischen Umsetzung einer Softwareanwendung hat sich am Inhalt der gesetzlichen Vorgaben zu orientieren und nicht umgekehrt, zumal nach Auskunft des rheinland-pfälzischen Justizministeriums die Auslesbarkeit dieses Nachrichtenfeldes justizseitig zeitnah abgeschaltet werden wird.
2.
Die zwingende Formvorgabe in § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV, ein elektronisches Dokument im Dateiformat PDF einreichen zu müssen, steht dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht entgegen. Die vorgegebenen technischen Anforderungen an ein elektronisches Dokument beschränken den Justizgewährungsanspruch nicht unangemessen. Der gemäß Art. 20 Abs. 3 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Justizgewährungsanspruch verlangt, einer Partei den Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 3185/09 26.03.2014 – juris). Hieran gemessen, erschwert die Pflicht zur Einreichung eines elektronischen Dokuments im PDF-Format den Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise.
Denn ein entsprechender Formverstoß führt nicht sofort und ohne weiteres zum Rechtsverlust. Um zu verhindern, dass der Rechtssuchende an den technischen Anforderungen an ein bei Gericht einzureichendes elektronisches Dokument scheitert, hat der Gesetzgeber in § 32a Abs. 6 StPO bei etwa auftretenden Fehlern eine rückwirkende Heilungsmöglichkeit vorgesehen. Die Vorschrift gewährleistet ein effektives, in Bezug auf die fehlerhafte Ersteinreichung verschuldensunabhängiges Instrument zur Heilung von Formverstößen (BT-Drs. 17/12634, 26). Sofern ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet oder nicht im PDF-Format eingereicht ist, ist dies dem Rechtsanwalt nach § 32 Abs. 6 Satz 1 StPO unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Wenn der Absender das Dokument unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form, also im PDF-Format, nachreicht und glaubhaft macht, dass dieses mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt, gilt das Dokument gemäß § 32a Abs. 6 Satz 2 StPO als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen. Ein Rechtsverlust tritt für die Partei in diesem Fall nicht ein.
3.
Dementsprechend hat der Senat den Verteidiger der Angeklagten auf die Formunwirksamkeit der Rechtsmittelerklärungen hingewiesen und ihm den Weg zur Nachholung und Heilung gemäß § 32a Abs. 6 StPO aufgezeigt. Von dieser Möglichkeit ist seitens der Angeklagten kein Gebrauch gemacht worden.
Soweit die Angeklagte geltend macht, dass die Generalstaatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel als ordnungsgemäß eingelegt und begründet erachtet habe, ist darauf hinzuweisen, dass dies für den Senat keine Bindungswirkung entfaltet. Im übrigen beziehen sich die Ausführungen im Votum der Generalstaatsanwaltschaft ersichtlich auf das Schriftformerfordernis und die Erforderlichkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 32a Abs. 3 StPO (vgl. hierzu: Senatsbeschl. 3 OWi 32 SsBs 119/21 v. 18.11.2021 – juris).
Über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen hat der Senat nicht zu entscheiden, da die versäumte Handlung nicht nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 3 StPO).
4.
Die Revision ist somit entgegen § 32a Abs. 1 StPO nicht ordnungsgemäß als elektronisches Dokument eingereicht worden, was die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach sich zieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Ähnliche Artikel


Nach oben