Strafrecht

4 Ws 142/22

Aktenzeichen  4 Ws 142/22

Datum:
12.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Koblenz 4. Strafsenat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OLGKOBL:2022:0412.4WS142.22.00
Normen:
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Statthaftes Rechtsmittel gegen einen (vorläufigen) Einstellungsbeschluss nach § 205 StPO ist die (einfache) Beschwerde gemäß § 304 StPO. Dies gilt auch für den Fall, dass der Angeklagte die endgültige Verfahrenseinstellung anstrebt.
2. Die Ablehnung eines Antrags auf Einstellung gemäß § 206a StPO ist nicht anfechtbar. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 206a Abs. 2 StPO unstatthaft und eine (einfache) Beschwerde gemäß § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, weil das vermeintliche Verfahrenshindernis in der fortlaufenden Hauptverhandlung erneut geltend gemacht werden kann.

Verfahrensgang

vorgehend LG Koblenz, 1. März 2022, 2020 Js 34447/15, Beschlussvorgehend Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Koblenz, kein Datum verfügbar, 4 Ws GSTA 84/22

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 1. März 2022 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Gegen den Angeklagten ist bei der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz ein Strafverfahren wegen versuchten Betrugs anhängig. Mit Schreiben vom 3. Januar 2022 beantragte der Angeklagte die Einstellung des Verfahrens wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 206a StPO. Die Kammer holte daraufhin ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand des Angeklagten ein.
Nach Eingang des Gutachtens wurde dieses an die Verfahrensbeteiligten mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 7. März 2022 übersandt. Bereits am 1. März 2022 hat die Kammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Strafverfahren vorläufig gemäß § 205 StPO eingestellt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Angeklagte derzeit nicht verhandlungsfähig sei.
Hiergegen richtet sich das als sofortige Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem dieser sein Ziel einer endgültigen Einstellung gemäß § 206a StPO wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit weiter verfolgt. Die Kammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14. März 2022 nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Der Angeklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat eine Gegenerklärung vorgelegt.
II.
Das als sofortige Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist gemäß § 300 StPO als (einfache) Beschwerde gemäß § 304 StPO gegen den vorläufigen Einstellungsbeschluss auszulegen. Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1.Statthaftes Rechtsmittel gegen einen Einstellungsbeschluss nach § 205 StPO ist die (einfache) Beschwerde gemäß § 304 StPO (vgl. MüKo-StPO/Wenske, 1. Aufl. § 205 Rn. 61). Der Zulässigkeit dieses Rechtsmittels steht entgegen der Ansicht der Strafkammer und der Generalstaatsanwaltschaft vorliegend nicht entgegen, dass der Angeklagte mit der Beschwerde sein ursprüngliches Ziel der endgültigen Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO weiter verfolgt.
a) Die angefochtene Entscheidung, mit der eine vorläufige Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO ausgesprochen wurde, beinhaltet konkludent auch eine Ablehnung des Antrags des Angeklagten auf Einstellung gemäß § 206a StPO.
Die Ablehnung eines Antrags auf Einstellung gemäß § 206a StPO ist nicht anfechtbar. Einer Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde steht § 206a Abs. 2 StPO entgegen, der die sofortige Beschwerde nur für den Fall des Erlasses eines Einstellungsbeschlusses nach § 206a Abs. 1 StPO vorsieht. Aber auch die Anfechtung eines die Einstellung nach § 206a StPO ablehnenden Beschlusses mit der einfachen Beschwerde nach § 304 StPO kommt nicht in Betracht, weil das vermeintliche Verfahrenshindernis in der fortdauernden Hauptverhandlung erneut geltend gemacht werden kann und deshalb die Beschwerde nach § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen ist (vgl. Löwe/Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl. § 206a Rn 108).
b) In Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird aufgrund dieser Rechtslage die Ansicht vertreten, dass die Anfechtung eines vorläufigen Einstellungsbeschlusses nach § 205 StPO ausnahmsweise in den Fällen ausgeschlossen sei, in denen der Angeklagte allein das Ziel verfolgt, statt der vorläufigen Einstellung eine endgültige Einstellung nach § 206a StPO zu erreichen (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. 1 Ws 262/20 v. 21.07.2020 – BeckRS 2020, 17340 Rn. 8; OLG Celle, Beschl. 2 Ws 153/77 v. 29.09.1977 – MDR 1978, 160; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 205 Rn. 4). Als Argument wird dabei angeführt, dass es einer Umgehung der in § 206a Abs. 2 StPO und § 305 Abs. 1 StPO niedergelegten gesetzlichen Wertung gleichkäme, wenn eine in der vorläufigen Einstellung gemäß § 205 StPO enthaltene Ablehnung der endgültigen Einstellung gemäß § 206a StPO im Wege der Anfechtung mittels einfacher Beschwerde nach § 304 StPO der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterstellt werde.
c) Dieser Ansicht folgt der Senat nicht, sondern sieht vielmehr ein Rechtsschutzbedürfnis des Angeklagten, auch in dieser Fallkonstellation einen vorläufigen Einstellungsbeschluss nach § 205 StPO mit der Beschwerde anfechten zu können. Das Hauptargument für die Unanfechtbarkeit eines die Einstellung ablehnenden Beschlusses nach § 206a StPO, das § 305 Abs. 1 StPO entnommen wird, greift in der vorliegenden Fallkonstellation nämlich gerade nicht. Üblicherweise folgt der Ablehnung einer endgültigen Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO der Beginn oder die Fortsetzung der Hauptverhandlung und somit ein baldiger Abschluss des Verfahrens. Einer Anfechtbarkeit der ablehnenden Einstellungsentscheidung bedarf es daher nicht, weil das vermeintliche Verfahrenshindernis im laufenden Verfahren weiterhin bzw. in der Rechtsmittelinstanz erneut geltend gemacht werden kann.
Die Besonderheit der hiesigen Fallkonstellation liegt jedoch darin, dass zwar keine endgültige Verfahrenseinstellung erfolgt ist, das Verfahren aber gleichwohl infolge der vorläufigen Einstellung trotzdem weder fortgeführt wird noch endgültig erledigt ist. Für den Angeklagten besteht somit keine Möglichkeit, das von ihm behauptete Verfahrenshindernis zeitnah erneut vorzutragen. Stattdessen sieht er sich weiterhin eines über ihm schwebenden Strafverfahrens ausgesetzt, dessen Abschluss in zeitlicher Hinsicht nicht absehbar ist und das ihn weiter belastet. Dem Angeklagten muss daher die Möglichkeit eingeräumt werden, die Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO auch in dieser Konstellation gerichtlich überprüfen lassen zu können (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. § 205 Rn. 21; MüKo-StPO/Wenske, aaO; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg, aaO, § 205, Rn. 45; OLG Hamburg, Beschl. 2 Ws 588/68 v. 04.03.1969 – NJW 1969, 998).
§ 305 Abs. 1 StPO steht einer Anfechtbarkeit des Einstellungsbeschlusses im vorliegenden Fall somit nicht entgegen.
2.Der Umstand, dass die Kammer vor ihrer Entscheidung das rechtliche Gehör des Angeklagten dadurch verletzt hat, dass sie vor Ablauf der bis zum 7. März 2022 gesetzten Stellungnahmefrist über die Verfahrenseinstellung entschieden hat, verbleibt angesichts des weiteren Verfahrensgangs ohne Auswirkungen. Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs sind im Beschwerdeverfahren geheilt worden, denn das rechtliche Gehör wurde durch dessen Nachholung im Instanzenzug ausreichend gewahrt. Insbesondere bestand ausreichend Gelegenheit zur Begründung der sofortigen Beschwerde und zur Abgabe einer Gegenerklärung.
3.Die Beschwerde des Angeklagten ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat die Kammer das Verfahren vorläufig gemäß § 205 StPO eingestellt. So bedauerlich sich der Gesundheitszustand des Angeklagten ausweislich des Sachverständigengutachtens auch darstellt, kommt die Sachverständige jedoch gleichwohl zu dem Schluss, dass eine Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist. Eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit ist damit derzeit nicht gegeben.
Einer ausdrücklichen Ablehnung des Antrags des Angeklagten auf endgültige Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO bedurfte es vorliegend nicht. Die Kammer hat die hierfür relevanten Anknüpfungstatsachen ihrer Entscheidung nach § 205 StPO zugrunde gelegt und durch die vorläufige Verfahrenseinstellung hinreichend deutlich gemacht, dass die Voraussetzungen einer endgültigen Verfahrenseinstellung aufgrund dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit gerade nicht vorliegen, sondern es sich vorliegend um einen Fall einer vorübergehenden Verhandlungsunfähigkeit handelt.
4.Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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