Strafrecht

Abgelehnter Antrag gegen die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  Au 7 S 16.398

Datum:
27.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 3, Abs. 2, § 47 Abs. 2 S. 2
BayVwZVG BayVwZVG Art. 31 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein einmaliger Probierkonsum ist nicht überzeugend dargetan, wenn bei der Verkehrskontrolle in der Brusttasche des Fahrers ein Tütchen mit Marihuana und im Rahmen der Hausdurchsuchung weitere Rauschmittel aufgefunden werden und ein Wert von 1,2 ng/ml THC festgestellt worden ist. (red. LS Jan Luckey)
Die Grenze eines hinnehmbaren Cannabis-Konsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (Anschluss BVerwG NJW 2015, 2439). Dies ist bei dem  Wert von 1,2 ng/ml der Fall. (red. LS Jan Luckey)
Bei dieser Sachlage ist die Einlassung, der Fahrer habe bei der Polizeikontrolle aus Angst vor Strafverfolgung seinen Konsum “in die Vergangenheit” gelegt, als unglaubhafte Schutzbehauptung rechtlich unbeachtlich. (red. LS Jan Luckey)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1996 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Dem Antragsteller wurde am 25. November 2014 erstmalig die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L erteilt; zuvor hatte er seit 24. Februar 2014 die Fahrerlaubnis der vorgenannten Klassen im Rahmen des „Begleiteten Fahrens mit 17“.
Am 29. Februar 2016 erfuhr der Antragsgegner durch eine Mitteilung der Polizei, dass der Antragsteller am 4. Januar 2016 gegen 22:50 Uhr ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels geführt hat. Entsprechend der polizeilichen Unterlagen habe der Antragsteller auf Nachfrage angegeben, am Vortag Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Er würde gelegentlich Gras konsumieren. In dem Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut gab der Antragsteller an, am 4. Januar 2016 gegen 3.30 Uhr einen kleinen Joint geraucht zu haben. Ein durchgeführter Urin-Test habe positiv auf THC reagiert. In einer Brusttasche der Jacke sei ein Tütchen mit Marihuana aufgefunden worden. Im Rahmen der am 5. Januar 2016 gegen 1:30 Uhr durchgeführten Wohnungsdurchsuchung habe der Antragsteller den Polizeibeamten freiwillig zwei weitere Tütchen mit Marihuana herausgegeben.
Die am 5. Januar 2016 um 00:43 Uhr entnommene Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 14. Januar 2016 (chemisch-toxikologische Analyse) eine Aufnahme von Cannabisprodukten.
Quantitativ sind u. a. folgende Substanzen erfasst worden:
– THC 1,2 ng/ml
– THC-Metabolit (THC-COOH) 29,1 ng/ml.
Im Gutachten wird u. a. ausgeführt, in der Serumprobe sei THC in einer Konzentration aufgefunden worden, die dafür spreche, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter dem Einfluss berauschender Mittel gestanden habe.
Weiter ist festgehalten, dass im ärztlichen Bericht sowie im Beiblatt „Drogen“ keine Auffälligkeiten festgestellt worden seien.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2016 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der im Blut des Antragstellers festgestellte THC-Carbonsäure-Wert lasse auf gelegentlichen Cannabiskonsum schließen. Der gelegentliche Konsum von Cannabis sei durch die Angabe des Antragstellers, wonach er am Vortag Cannabis konsumiert habe und dem Abbauverhalten von Cannabis im Blut nachgewiesen.
Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 22. Februar 2016 im Wesentlichen vortragen:
Der Antragsteller habe am 4. Januar 2016 gegen 19.30 Uhr Cannabis konsumiert. Wenig später gegen 22.50 Uhr sei er einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Dem Antragsteller sei bewusst gewesen, dass in seinem Blut aufgrund des kurz zuvor erfolgten Konsums von Cannabis dieses nachgewiesen werden könne. Wegen drohender Ermittlungen wegen einer Straftat (§ 316 StGB Trunkenheit im Verkehr) habe der Antragsteller seinen Konsum als Schutzbehauptung weiter in die Vergangenheit gelegt, als er sich tatsächlich abgespielt habe. Diese Angaben seien wider besseren Wissens erfolgt, da der Antragsteller natürlich genau gewusst habe, dass er kurz vor Fahrtantritt Cannabis konsumiert gehabt habe.
Dieser zeitnahe Konsum vor Fahrtantritt werde letztlich durch das rechtsmedizinische Gutachten auch bestätigt, so dass sich bereits daraus ergebe, dass seine Angaben gegenüber den Polizeibeamten nicht der Realität entsprochen hätten. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass die Polizei durch die Angabe eines weiter zurückliegenden Konsums seine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit nicht anzweifle und habe gehofft, so einem Strafverfahren zu entgehen.
Tatsächlich habe der Antragsteller jedoch weder vor dem 4. Januar 2016 noch nach dem 4. Januar 2016 je Betäubungsmittel, insbesondere Cannabis konsumiert. Es habe sich insoweit um einen experimentellen Erstkonsum von Cannabisprodukten gehandelt. Aufgrund der ausdrücklichen Berufung des Antragstellers auf einen einmaligen Konsum könne aus dem eingeräumten einmaligen Konsum von Cannabisprodukten nicht der Schluss auf einen gelegentlichen Konsum gezogen werden. Trotz des zumindest fehlenden objektiven Trennungsvermögens liege bei einem einmaligen Konsum von Cannabis keine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Andere Umstände, die anderweitig eine Nichteignung begründen könnten, seien vorliegend nicht bekannt.
Mit Bescheid vom 2. März 2016 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis in vollem Umfang entzogen (Ziffer 1). Der Antragsteller sollte seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Entzugsbescheides beim Antragsgegner abliefern (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Führerschein nicht fristgerecht abgeliefert wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250 € angedroht (Ziffer 3).
Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 4).
Dieser Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers laut Postzustellungsurkunde am 4. März 2016 zugestellt.
Am 14. März 2016 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten per Telefax Klage erheben lassen mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids.
Die Klage wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 16.397 geführt.
Mit weiterem Telefax vom 14. März 2016 wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Verfügungen aus dem Bescheid vom 2. März 2016 wiederherzustellen.
Zur Begründung des Eilantrags wurde ausgeführt, dass der Bescheid vom 2. März 2016 rechtswidrig sei. Unzweifelhaft sei vorliegend zunächst ein Konsumvorgang gegeben, der sich anhand der festgestellten Messwerte aus dem Gutachten ergebe. Ein zweiter Konsum des Antragstellers existiere jedoch nicht.
Bereits mit Schriftsatz vom 22. Februar 2016 sei ausgeführt worden, dass die Angaben des Antragstellers gegenüber der Polizei unzutreffend gewesen seien und sich dieser damit nur vor einer, aus seiner Sicht, drohenden Strafverfolgung habe schützen wollen. Es habe ein einmaliger experimenteller Probekonsum vorgelegen. Hieran ändere auch der Besitz zweier weiterer Konsumeinheiten von Cannabis nichts. Diese habe der Antragsteller gerade nicht konsumiert, sondern den Polizeibeamten übergeben. Er habe weder vor dem 4. Januar 2016 noch danach Cannabis konsumiert. Eine Äußerung dahingehend, gelegentlich Cannabis zu konsumieren, habe der Antragsteller nicht abgegeben.
Mit weiteren Schreiben vom 22. März 2016 und vom 1. April 2016 wurde vorgetragen, dass die Grenzwertkommission im September 2015 aufgrund von neuen Erkenntnissen aus Studien die Empfehlung herausgegeben habe, dass eine Trennung zwischen Konsum und Fahren erst ab einem Grenzwert von 3,0 ng/ml THC im Blutserum zu verneinen sei. Nachdem die im Blutserum gemessenen Werte mit 1,2 ng/ml unterhalb des aktuellen Grenzwertes liegen würden, könne vorliegend nicht mehr von einem fehlenden Trennungsvermögen ausgegangen werden.
Eine Äußerung des Antragstellers, gelegentlich Gras zu konsumieren, sei den Akten nicht zu entnehmen.
Der Argumentation des Antragsgegners, dass der Besitz einer weiteren Kleinmenge von Cannabis einem einmaligen Konsum widerspreche, könne nicht nachvollzogen werden, da dieses Cannabis gerade nicht konsumiert, sondern der Polizei freiwillig ausgehändigt worden sei. Der Nichtverbrauch der Gesamtmenge könne bei einem experimentellen Erstkonsum nicht zu dem Schluss führen, dass ein mehrmaliger Konsum gegeben sein müsse.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 21. März 2016,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller sei aufgrund seiner Angaben gegenüber der Polizei als gelegentlicher Cannabiskonsument einzustufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nach § 122 Abs. 1, § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummern 1. und 2. des Bescheids vom 2. März 2016 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO wiederherzustellen ist, da die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung der in Nummern 1. und 2. getroffenen Verfügungen in Nummer 4. des Bescheids angeordnet hat (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23 m. w. N.)
Hinsichtlich der bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Nummer 3. des Bescheids (Zwangsgeldandrohung, vgl. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes/BayVwZVG) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO).
1. Der Antrag ist in dieser Form unzulässig, soweit er sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung richtet. Insoweit fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Zwangsgeldandrohung erfolgt für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb der gesetzten Frist beim Antragsgegner abliefert. Der Antragsteller kam jedoch dieser Verpflichtung am 9. März 2016 fristgemäß nach. Nach Art. 31 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayVwZVG kommt eine Vollstreckung der Zwangsgeldandrohung nicht mehr in Betracht (BayVGH, B. v. 25.6.2008 – 11 CS 08.269 – juris). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nach der Ablieferung des Führerscheins noch hätte vollstrecken wollen oder dies künftig tun würde, sind nicht ersichtlich, so dass sich für den Antragsteller durch die Zwangsgeldandrohung keine Beschwer mehr ergeben kann und somit für den vorliegenden Antrag das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses zu verneinen ist (vgl. BayVGH, B. v. 7.1.2009 – 11 CS 08.1545 – juris).
2. Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Übrigen zulässig ist, führt er in der Sache nicht zum Erfolg.
a) Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs unter II.f. der Gründe des Bescheids vom 2. März 2016 entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommen, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat (vgl. BayVGH, B. v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 22). Dabei sind allerdings an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 80 Rn. 43).
Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid dargelegt, warum er den Antragsteller als nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ansieht.
Das besondere öffentliche Interesse, bereits mit Zustellung des Bescheids die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr zu unterbinden, wird mit der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und der damit einhergehenden Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer (Leben, körperliche Unversehrtheit, Eigentum) begründet. Dieses öffentliche Interesse wurde mit den persönlichen Interessen des Antragstellers abgewogen. Dies genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt; der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorliegt (st. Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B. v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
In Bezug auf die bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbare Anordnung in Ziffer 3. des Bescheides (Art. 21 a BayVwZVG) ist eine Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO nicht erforderlich.
b) Bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen, hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, hier also der Klage vom 14. März 2016. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
c) Diese Interessenabwägung führt hier zum Überwiegen der öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des streitgegenständlichen Bescheids, da die Klage des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird; der angefochtene Bescheid ist nach der im Eilverfahren ausreichenden, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung rechtmäßig.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711, juris). Damit ist hier auf die Zustellung des Bescheids vom 2. März 2016 – dies war der 4. März 2016 – abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 9042) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2213), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis – ohne Ermessensspielraum – zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.
Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nur dann vorhanden, wenn Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr sicher getrennt werden, nicht zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert werden und wenn keine Störung der Persönlichkeit sowie kein Kontrollverlust vorliegt.
Die Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV für die Annahme fehlender Fahreignung sind nach Aktenlage und der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung gegeben, weil der Antragsteller als gelegentlicher Konsument von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mit einer THC-Konzentration von 1,2 ng/ml geführt hat und damit den Konsum dieser Droge und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen kann.
aa) Gelegentlicher Cannabis-Konsum liegt nach ständiger Rechtsprechung bereits dann vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (grundlegend hierzu BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – juris, Rn. 16 ff.; vgl. auch BayVGH, B. v. 21.7.2014 – 11 CS 14.988; B. v. 13.12.2010 – 11 CS 10.2873; B. v. 27.3.2006 – 11 CS 05.1559 – alle zitiert nach juris).
Angesichts der Einlassungen des Antragstellers gegenüber der Polizei bei der Verkehrskontrolle und den Ergebnissen der Blutuntersuchung am 5. Januar 2016 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Antragsteller (jedenfalls) im Zeitpunkt der Drogenfahrt vom 4. Januar 2016 zweimal Cannabis konsumiert hat und daher als gelegentlicher Konsument von Cannabis im oben dargestellten Sinn einzustufen ist.
In dem Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut (Bl. 36 der Behördenakte) hat der Antragsteller angegeben, am 4. Januar 2016 gegen 3.30 Uhr einen kleinen Joint geraucht zu haben. Diese Angabe hat er mit seiner Unterschrift bestätigt. Weiter ergibt sich aus der polizeilichen Sachverhaltsdarstellung über die Verkehrskontrolle am 4. Januar 2016, dass der Antragsteller angegeben hat, am Vorabend Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Diese beiden Angaben belegen, dass der Antragsteller jedenfalls in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 2016 Cannabis konsumiert und diesen Konsum auch eingeräumt hat. Darüber hinaus hat der Antragsteller nach dem Aktenvermerk der Polizei vom 25. Februar 2016 weiter selbst angegeben, gelegentlich Gras zu konsumieren (Bl. 39 der Behördenakte).
Der (spätere) Vortrag des Antragstellers im Verfahren der Entziehung der Fahrerlaubnis und im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, er habe seine Konsumzeiten gegenüber der Polizei in die Vergangenheit gelegt, um einem Strafverfahren entgehen zu können, ist als unglaubhafte Schutzbehauptung rechtlich unbeachtlich. Wenn der Antragsteller wusste, vor der Verkehrskontrolle gegen 19.30 Uhr Cannabis konsumiert zu haben, erscheint es völlig lebensfremd, den Konsumzeitpunkt in die Vergangenheit zu verlegen in der Hoffnung, dass keine weiteren polizeilichen Ermittlungen erfolgen und sich damit keine Zweifel an der Fahreignung auftun würden.
Auch der Argumentation des Antragstellers, der Nichtverbrauch der Gesamtmenge könne bei einem experimentellen Erstkonsum nicht zu dem Schluss führen, dass ein mehrmaliger Konsum vorliege, kann nicht gefolgt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bei dem vom Antragsteller geltend gemachten einmaligen Probierkonsum sowohl bei der Verkehrskontrolle in seiner Brusttasche ein Tütchen mit Marihuana als auch im Rahmen der Hausdurchsuchung weitere Rauschmittel aufgefunden wurden. Einem einmaligen Probierkonsum widerspricht vielmehr ein Vorhalten weiterer Cannabismengen.
An einem detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhaltsvortrag hinsichtlich eines einmaligen Probierkonsums jedenfalls fehlt es im vorliegenden Fall.
Vielmehr steht nach dem Befundbericht des Universitätsklinikums … vom 8. Januar 2016 (Bl. 4f. Behördenakte) fest, dass der Antragsteller einige Stunden vor der Blutentnahme am 5. Januar 2016 (um 0.43 Uhr) Cannabis konsumiert und mit einem Wert von 1,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut ein Kraftfahrzeug geführt hat.
Der vom Antragsteller eingeräumte Cannabiskonsum am Vorabend des 4. Januar 2016 bzw. am 4. Januar 2016 gegen 3:30 Uhr kann damit für den in der Blutprobe vom 5. Januar 2016 gemessenen THC-Wert von 1,2 ng/ml nicht ursächlich sein (vgl. auch BayVGH, B. v. 5.3.2009 – 11 CS 08.3046 – Rn. 15).
Vielmehr ist dieser eingeräumte Cannabiskonsum als zweiter Konsumakt zu werten.
Zu den Abbauwerten von THC führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2015 (Az. 11 CS 15, 2377) unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien aus:
„…, dass aus einem THC-Wert, der in einer Blutprobe festgestellt wurde, im Wege der Rückrechnung nicht mit jener Genauigkeit ermittelt werden kann, wie hoch der THC-Spiegel zu einem bestimmten, vor der Blutentnahme liegenden Zeitpunkt war, wie das z. B. beim Rauschmittel „Alkohol“ möglich ist (vgl. B. v. 27.9.2010 – 11 CS 10.2007 – juris Rn. 10). Auf die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC darf insoweit zurückgegriffen werden, als sich aus ihnen – gleichsam im Wege des Ausschlussverfahrens – “negative” Aussagen dergestalt herleiten lassen, dass ein für einen bestimmten Zeitpunkt eingeräumter oder sonst feststehender Konsum von Cannabis keinesfalls (alleine) für die Konzentrationen ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden waren.
Der psychoaktive Wirkstoff THC wird bei inhalativem Konsum von Cannabis sehr schnell vom Blut resorbiert und ist nach einem Einzelkonsum sechs bis zwölf Stunden im Blut nachweisbar (Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung -Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, S. 247). Im Rahmen der Maastricht-Studie wurde ebenfalls festgestellt, dass bei der überwiegenden Zahl der Cannabiskonsumenten THC im Blut relativ schnell abgebaut wird und bereits nach sechs Stunden nur noch THC-Werte zwischen 1 und 2 ng/ml festgestellt werden konnten (vgl. BayVGH, B. v. 13.5.2014 – 11 ZB 13.523 – NJW 12014, 407 Rn. 19 ff. m. w. N.)“.
Nach Auffassung des Gerichts liegen damit im Fall des Antragstellers jedenfalls zwei selbstständige Konsumvorgänge vor. Dieses Ergebnis stimmt auch mit den Angaben des Antragstellers, gelegentlich Gras zu konsumieren, überein.
Daher ist die Einstufung des Antragstellers als gelegentlicher Cannabiskonsument gerechtfertigt.
Die Fahrt des Antragstellers mit einem Wert von 1,2 ng/ml THC am 4. Januar 2016 belegt mangelndes Trennvermögen zwischen Cannabis-Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs. Der Antragsteller hat an diesem Tag mit einem Blutwert von mehr als 1,0 ng/ml THC ein Kraftfahrzeug geführt. Damit steht fest, dass der Antragsteller Cannabis-Konsum und Führen von Kraftfahrzeugen nicht im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV trennen kann. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – juris), der sich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in letzter Zeit mindestens im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes angeschlossen hat (BayVGH, B. v. 10.3.2015 – 11 CS 14.2200 – juris), ist der Antragsteller mit der ermittelten THC-Konzentration fahrungeeignet. Danach ist die Grenze eines hinnehmbaren Cannabis-Konsums nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (BVerwG a. a. O., juris Rn. 38). Dies ist bei dem vorliegend ermittelten Wert von 1,2 ng/ml gegeben. Das Gericht sieht insofern keinen Anlass, der vom Bevollmächtigten des Antragstellers angegebenen Empfehlung der Grenzwertkommission zu folgen.
bb) Die normative Wertung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entfaltet Bindungswirkung, solange keine Umstände des Einzelfalls vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Durch die entsprechende Regelung in der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 der FeV, wonach die Bewertungen nur für den Regelfall gelten, wird dem in Art. 20 Abs. 3 des GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch den Verordnungsgeber Genüge getan. Ausnahmen von diesen Regelvermutungen sind im vorliegenden Fall jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
cc) Der Antragsteller hat seit der Drogenfahrt vom 5. Januar 2016 seine Fahreignung nicht wiedererlangt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids am 4. März 2016 war die „verfahrensrechtliche“ Jahresfrist noch lange nicht abgelaufen (vgl. BayVGH, B. v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl. 2006, 18, juris).
dd) Die von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt hier zu dem Ergebnis, dass dem öffentliche Interesse daran, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr weiterhin zu unterbinden, ein größeres Gewicht einzuräumen ist, als dem Interesse des Antragstellers, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit eines auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Entziehungsbescheids die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Aufgrund der festgestellten Fahrungeeignetheit des Antragstellers hatte der Antragsgegner dessen Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen; ein Ermessen stand ihm bei dieser Entscheidung nicht zu.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG sowie den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anhang zu § 164 Rn. 14). Der sich aufgrund der Fahrerlaubnisklasse B ergebende Streitwert von 5.000,- EUR ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.


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