Strafrecht

Alternativrüge bei Widerspruch zwischen Urteilsgründen und Akteninhalt

Aktenzeichen  205 StRR 9/20

Datum:
28.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16528
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 244 Abs. 2, § 349 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Verfahrensrüge eines Verstoßes alternativ gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) oder gegen die bei Urteilsabfassung bestehenden Erörterungspflichten (§ 261 StPO, sog. „Alternativrüge“) kann in den Fällen eines Widerspruchs zwischen Urteilsgründen und Akteninhalt durchgreifen, wenn dieser Widerspruch einen für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkt betrifft sowie einerseits eindeutig feststellbar ist und andererseits für das Tatgericht potentiell aufklärbar bzw. behebbar gewesen wäre. (Rn. 12 – 14)

Verfahrensgang

1 Ns 35 Js 12443/17 2019-07-03 Urt LGPASSAU LG Passau

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 3. Juli 2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe

I.
Die Sachrüge hat keinen Erfolg. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft München vom 10.12.2019 Bezug genommen. Näherer Erörterung bedürfen allein die von der Revision behaupteten Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung:
1. Dem Schuldspruch liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde (UA S. 3 f.): Der Angeklagte lud die Nebenklägerin für den 17.08.2017 zu Kaffee und Kuchen in seine Wohnung ein. Er servierte ihr dort zwei von ihm gebackene und in Tassen vorbereitete Cupcakes mit flüssigem Schokoladenkern, wobei er diese auf dem Tisch vor der Nebenklägerin platzierte und zwei weitere für sich nahm. Die der Nebenklägerin zugeordneten Kuchen hatte er zuvor mit wenigstens zwei Ecstasy-Tabletten mit einem Gehalt von insgesamt 400 bis 600 mg MDMA im geschmolzenen Schokoladenkern versehen, um die gutgläubige Besucherin in einen Rauschzustand zu versetzen, wobei er das Eintreten von Nebenwirkungen wie Zittern und erhöhter Körpertemperatur sowie Muskelkrämpfe jedenfalls billigend in Kauf nahm. Nachdem die Nebenklägerin den Kuchen ab 16:20 bis 16:30 Uhr aufgegessen hatte, ohne mit dessen Versetzung mit Drogen zu rechnen, bekam sie kurz nach 17:00 Uhr erhebliche Kreislaufschwierigkeiten. Nachdem sie sich in der Wohnung auf eine Couch legte, fiel sie binnen kurzem in Schlaf, aus dem sie vom Angeklagten nach eineinhalb Stunden geweckt wurde. Auch im weiteren Verlauf konnte sie sich kaum auf den Beinen halten, war schläfrig, zitterte und schwitzte stark, war unfähig zu kauen und hatte vergrößerte Pupillen. Erst im Lauf der Nacht begann es der Nebenklägerin besser zu gehen. Sie verließ die Wohnung des Angeklagten erst am nächsten Morgen.
2. Diese Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Ohnehin ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 10.10.2018, Az. 1 StR 438/18, NJW 2019, 945, Rn. 4 bei juris).
Solche Mängel weist die außerordentlich sorgfältige Beweiswürdigung des Landgerichts nicht auf. Insbesondere wurden hinsichtlich des verabreichten Rauschgifts weder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Halbwertszeit des körpereigenen Substanzabbaus missachtet noch Erörterungspflichten bzgl. der Wirkungen einer Intoxikation verletzt.
a) Seine Feststellung, wonach die Nebenklägerin am Nachmittag des 17.08.2017 eine Menge von 400 bis 600 mg MDMA aufgenommen habe, hat das Landgericht u.a. auf das Ergebnis einer am 18.08.2017 um 15:10 Uhr abgenommenen Blutprobe sowie auf die Annahme gestützt, dass sich die Wirkstoffkonzentration bis zu diesem Zeitpunkt zweimal halbiert hatte. Bei dieser Erwägung hat es sich an Angaben der einschlägigen Fachliteratur zu den Halbwertzeiten des Substanzabbaus von MDMA im menschlichen Körper orientiert und sich hierbei durch eine Forensische Toxikologin des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München sachverständig beraten lassen.
Die Revision hält die Rückrechnung für rechtsfehlerhaft, weil ihr nicht eine im Internet zu findenden Angabe zur Halbwertszeit zugrunde gelegt wurde, anhand der sich eine geringere Wirkstoffdosis ergeben hätte. Das Vorgehen des Landgerichts ist jedoch nicht zu beanstanden. Zwar darf sich das Tatgericht über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, bei denen es sich um rational erschlossene Gesetzmäßigkeiten (Denkgesetze) oder um empirisch gewonnene spezielle Erfahrungssätze handeln kann, nicht hinwegsetzen (vgl. z.B. LR/Sander, 26. Aufl. 2012, § 261 StPO Rn. 51 f.). Dass das Landgericht dies missachtet hätte, ist jedoch nicht ersichtlich und wird durch die Revision auch nicht geltend gemacht. Denn gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, die das Tatgericht seiner Würdigung zwingend zugrunde zu legen hat, liegen erst dann vor, wenn die jeweilige Lehre in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig anerkannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.1953, Az. 1 StR 809/52, BGHSt 5, 34, 36). Hiervon kann bei nicht weiter belegten Angaben auf einer einzelnen Internetseite keine Rede sein, mag diese entsprechend dem Revisionsvortrag auch wohlmeinende und öffentlich geförderte Ziele verfolgen. Dass es sich um eine wissenschaftliche Veröffentlichung handelt, wird nicht behauptet und liegt auch nicht nahe bei einem Onlineangebot, dass sich an „ganz junge bzw. (noch) nicht konsumierende Partygänger“ wendet. Für den Senat bietet der Vortrag der Revision daher auch keinen Anlass, gegenüber den auf sachverständiger Beratung beruhenden Feststellungen des Landgerichts eigene Ermittlungen zum allgemein anerkannten Forschungsstand vorzunehmen.
Nicht infrage gestellt wird die Würdigung des Landgerichts auch dadurch, dass bei der Rückrechnung auf den zeitlichen Abstand zwischen der Entnahme der Blutprobe und dem Symptomeintritt abgestellt wurde, nicht aber auf denjenigen zur Aufnahme des Wirkstoffs (UA S. 7). Die fachlichen Angaben zur Halbwertszeit des Substanzabbaus von MDMA weisen eine weites Spektrum auf, das im Urteil auch referiert wurde. Dem wurde Rechnung getragen, indem der Rückrechnung ein dem Angeklagten günstiges, möglichst langes Intervall zugrunde gelegt und auch für die errechnete Wirkstoffmenge ein erheblicher Spielraum von 400 bis 600 mg MDMA (UA S. 8) angenommen wurde. Demgegenüber fällt der zeitliche Abstand zwischen Konsum und Wirkungsbeginn, der mit maximal 120 Minuten (UA S. 13) und damit einem Elftel des – mit nur zwei Halbwertszeiten angesetzten – zweiundzwanzigstündigen Zeitraums zwischen Symptomeintritt und Blutprobe (UA S. 7) angenommen wurde, nicht entscheidend ins Gewicht, was auch die Revision anerkennt (vgl. Revisionsbegründung S. 3).
b) Die Beweiswürdigung zur Frage der Täterschaft des Angeklagten weist, auch soweit sie aus bestimmten Wirkungen eines Ecstasykonsums auf ein Tatmotiv schließt, keinen Erörterungsmangel auf. Dabei erscheint fraglich, ob ihr entsprechend der Auffassung der Revision eine „Aussage gegen Aussage“- Situation i.S.d. einschlägigen Rechtsprechung zugrunde liegt. Zwar divergieren die Angaben der Nebenklägerin und des Angeklagten bzgl. der Frage, ob erstere die Cupcakes auswählen konnte oder letzterer diese zugeteilt hat. Hinsichtlich der Äußerung des Angeklagten zu diesem Thema, die er am Tag nach dem Geschehen im Krankenhaus gegenüber der Nebenklägerin tätigte, stimmen sie dagegen überein. Gleiches gilt für den bitteren Geschmack der Kuchen und einem im flüssigen Schokoladenkern jeweils enthaltenen grünen Bestandteil. Insoweit hat das Landgericht seine Schlüsse darauf gestützt, dass dieser Befund aufgrund des Geschmacks, des Schmelzpunkts und der typischen Darreichungsform von Ecstasy deutlich besser mit einer nicht voll geschmolzenen Ecstasy-Tablette vereinbar ist als mit einer Zugabe von Smarties, wie sie vom Angeklagten geschildert wurde (UA S. 12). Außerdem hat es seine Überzeugung, nachdem es andere Szenarien wie einen Übergriff des Zeugen M. und einen eigeninitiativen Konsum der Nebenklägerin ausgeschlossen hatte, auch noch auf die gute Vereinbarkeit der zeitlichen Abläufe von Kuchenverzehr und Symptombeginn mit der Wirkungsweise von MDMA gestützt, die positiv auf eine Intoxikation durch den Angeklagten hindeutet (UA S. 13).
Jedenfalls aber ist das Landgericht den Anforderungen gerecht geworden, die für „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen zu stellen sind, denn es hat alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen, die die Entscheidung beeinflussen können (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26.11.2019, Az. 2 StR 300/19, Rn. 9 bei juris). Die Angabe, wonach der Konsum von Ecstasy zu „Orgasmusverzögerungen und herabgesetzter Libido“ führe, was aus Sicht der Revision ein Tatmotiv des Angeklagten infrage stellen soll, bildete keinen solchen Umstand: Nachdem die Annahmen zur Wirkung von MDMA, die das Landgericht seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt hat, auf sachverständiger Beratung beruhen, bestand schon keine Veranlassung, daneben noch unspezifische Angaben auf einer einzelnen Internetseite einzubeziehen, mit denen kein wissenschaftlicher Anspruch verbunden ist (siehe bereits oben Ziff. I.2.a). Ferner ist das Tatgericht nicht nur von einer „leicht aphrodisierenden“, sondern auch von einer die Kontaktfreudigkeit steigernden Wirkung ausgegangen (UA S. 14). Hierzu stehen die von der Revision ins Feld geführten Effekte nicht in Widerspruch und begründen damit keinen Erörterungsbedarf. Außerdem wurde im Berufungsurteil im gleichen Zusammenhang auch auf das Ziel einer „Berauschung“ abgestellt und damit auch auf den hiermit zwangsläufig verbundenen Kontrollverlust, der sich mit einer auf sexuellem Interesse beruhenden Tatmotivation ohne weiteres in Einklang bringen lässt. Auch dem stehen die von der Revision benannten Effekte nicht entgegen.
II.
Die erhobene Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch. Mit ihr macht die Revision geltend, dass das Landgericht entweder seine Aufklärungspflicht oder seine Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der erhobenen Beweise missachtet habe im Hinblick auf mehrere von der Revision behauptete Indiztatsachen. Diese hätten das Landgericht nach Ansicht der Revision dazu geführt, eine Intoxikation der Nebenklägerin durch den Zeugen M. für möglich zu erachten und keine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen. Zu entsprechenden Ermittlungen gedrängt sehen müssen hätte sich das Landgericht nach Auffassung der Revision aufgrund mehrerer im Protokoll der erstinstanzlichen Verhandlung festgehaltener Äußerungen der Nebenklägerin im Rahmen ihrer dortigen Zeugenaussage. Die Revision meint, dass die genannten Indiztatsachen u.a. bei den Vernehmungen der toxikologischen Sachverständigen sowie der Nebenklägerin und des Zeugen M. hätten erfragt und anschließend in die Beweiswürdigung hätten einbezogen werden müssen. Aus dem Schweigen des Urteils hierzu sei zu schließen, dass das Landgericht eine dieser beiden Pflichten missachtet haben müsse.
Dieses Vorbringen zeigt keinen Rechtsverstoß auf. Dabei bedarf nicht der Klärung, ob dem im vorliegenden Fall schon entgegensteht, dass bei einer derartigen „Alternativrüge“ regelmäßig der Inhalt der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung rekonstruiert werden müsste (BGH, Urteil vom 02.06.1992, Az. 1 StR 182/92, NJW 1992, 2840, Rn. 11 bei juris; BGH, Urteil vom 27.07.2005, Az. 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55, Rn. 26 bei juris). Denn jedenfalls setzt ein derartiger Ansatz voraus, dass die behaupteten Tatsachen sowohl in der Hauptverhandlung aufklärungs- als auch im Urteil würdigungs- bzw. darlegungspflichtig waren (vgl. auch LR/Sander a.a.O. Rn. 183; MüKo-StPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, § 261 StPO Rn. 422), weil ein Schweigen der Urteilsgründe nur dann zwingend ein Versäumnis bedeuten kann, wenn diese beiden Pflichten kumulativ bestanden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, da für die ins Feld geführten Indiztatsachen weder eine Erörterungs- noch eine Aufklärungspflicht feststellbar sind, zumindest aber gegen solche nicht verstoßen wurde.
1. Soweit eine alternativer Verstoß entweder gegen § 244 Abs. 2 StPO oder § 261 StPO in der Rechtsprechung bislang – trotz der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Rüge der „Aktenwidrigkeit der Urteilsgründe“ (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 27.07.2005, Az. 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55, Rn. 26 bei juris m.w.N.) – für möglich erachtet wurde, ergaben sich die Aufklärungs- und Erörterungspflicht regelmäßig gemeinsam aus einem Widerspruch zwischen dem Urteilsinhalt und anderen, der Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglichen Umständen, so dass durch den Akteninhalt ohne weiteres die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen bewiesen wurde (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 03.09.1997, Az. 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, Rn. 17 bei juris; BGH, Urteil vom 07.04.1999, Az. 2 StR 440/98, NStZ 1999, 423, Rn. 8 bei juris; LR/Franke, 26. Aufl. 2012, § 337 StPO Rn. 60, 62; ausschließlich sich „aus den Urteilsgründen selbst ergebende“ Widersprüche zwischen Urteilsinhalt und Akten für relevant erachtet wurden demgegenüber z.B. durch BGH, Urteil vom 02.06.1992, Az. 1 StR 182/92, NJW 1992, 2840, Rn. 10 bei juris; BGH, Urteil vom 12.12.1996, Az. 4 StR 499/96, NStZ 1997, 294, Rn. 9 bei juris).
Das wurde etwa angenommen, wenn eine Überzeugung auf die „konstanten“ Angaben eines Zeugen gestützt wurde, obwohl eine der betroffenen Aussagen laut polizeilichem Vernehmungsprotokoll inhaltlich von den anderen abwich (BGH, Beschluss vom 06.09.1991, Az. 2 StR 248/91; StV 1992, 2, Rn. 5 bei juris; ähnlich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.09.1999, Az. 3 Ss 109/99, StV 2000, 658, Rn. 9, 13 bei juris), oder wenn ein solches Protokoll gerade nicht den Inhalt aufwies, den es laut den Urteilsfeststellungen haben sollte (BGH, Beschluss vom 19.01.2000, Az. 3 StR 531/99, BGHSt 45, 367, Rn. 5 bei juris). Als ausreichend angesehen wurde es auch, wenn im Urteil bei der Würdigung einer Zeugenaussage versäumt wurde, sich mit inhaltlich abweichenden Angaben des Zeugen auseinander zu setzen, die im Protokoll der Hauptverhandlung erster Instanz enthalten waren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20.04.1994, Az. 1 Ss 43/94, StV 1994, 545, 546; allgemein befürwortend bei einem Widerspruch des Urteils zum Inhalt einer nach § 273 Abs. 2 oder 3 StPO protokollierten Aussage auch LR/Franke a.a.O. Rn. 60, 62 m.w.N.).
Gemeinsam ist den genannten Fällen ein Widerspruch zwischen Urteilsgründen und Akteninhalt, der einen für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkt (vgl. hierzu z.B. LR/Sander a.a.O. Rn. 58) betrifft und der einerseits eindeutig feststellbar und andererseits potentiell aufklärbar bzw. behebbar ist. Schweigen hierzu die Urteilsgründe, so muss das Gericht entweder den möglichen und damit nach § 244 Abs. 2 StPO gebotenen Versuch einer Klärung des absehbaren Widerspruchs versäumt oder aber es entgegen § 261 StPO unterlassen haben, sich in der Beweiswürdigung mit dem Ergebnis dieses Versuchs auseinanderzusetzen und dies im Urteil darzustellen, obwohl nur so ein Widerspruch zu den Akten hätte vermieden werden können.
2. Ein derartiger Widerspruch liegt im vorliegenden Fall nicht vor und wird auch nicht behauptet. Einen Aufklärungs- und Erörterungsbedarf folgert die Revision vielmehr allein aus Ermittlungsansätzen, welche sie in den protokollierten Angaben der Nebenklägerin in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erblickt. Sie hätten ihrer Ansicht nach zur Aufklärung bestimmter weiterer Indiztatsachen gedrängt, welche wiederum – im Fall ihres Nachweises – Schlüsse auf die Täterschaft einer anderen Person als dem Angeklagten hätten erlauben sollen. Dieses Vorbringen vermag einen zwingenden Verstoß entweder gegen die Aufklärungs- oder gegen die Erörterungspflicht jedoch nicht zu begründen.
a) Es erscheint schon im Ansatz zweifelhaft, ob diese Konstellation den bislang gebilligten Fällen einer zulässigen „Alternativrüge“ an die Seite gestellt werden kann. Denn zumindest die Würdigungs- und Mitteilungsbedürftigkeit des Ergebnisses eines Aufklärungsversuchs versteht sich bei scheinbar „übergangenen“ Ermittlungsansätzen nicht in gleicher Weise von selbst wie bei einem entscheidungserheblichen, im Urteil keine Auflösung findenden Widerspruch zu in den Akten enthaltenen Dokumenten. Beim Versuch einer Gewinnung von Indiztatsachen für einen denkbaren Geschehensablauf wird die Erörterungspflicht regelmäßig davon abhängen, inwieweit Ergebnisse erzielt wurden, die aus einem bloß denkbaren Alternativsachverhalt nunmehr einen „ernsthaft in Betracht kommenden“ (vgl. LR/Sander a.a.O. Rn. 58) bzw. „naheliegenden“ (MeyerGoßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 261 StPO Rn. 6) Geschehensablauf gemacht haben. Denn die Erörterungspflicht eines Umstands hängt von der Beweislage zum Zeitpunkt der Urteilsfindung ab (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 02.03.2017, Az. 4 StR 406/16, NStZ-RR 2017, 185; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 38b; LR/Franke a.a.O. Rn. 58; Schäfer StV 1995, 147, 154 ff.). Jenseits der genannten Widerspruchskonstellationen wird dies regelmäßig nur anhand einer im Revisionsverfahren unzulässigen Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme möglich sein (vgl. BGH a.a.O.), wobei in der Rechtsprechung sogar für Widersprüche zwischen dem Inhalt einer polizeilichen Vernehmungsurkunde und der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung bereits als möglich erachtet wurde, dass sie für alle Verfahrensbeteiligten eine solche Erklärung gefunden haben können, die dem Tatrichter keinen Anlass mehr gab, sie als wesentliche Punkte in der Beweiswürdigung zu erörtern (BGH, Beschluss vom 07.08.2007, Az. 4 StR 142/07, NStZ 2008, 55, Rn. 10 bei juris).
b) Ein Verstoß gegen die Anforderungen an Beweiswürdigung und Urteilsdarlegungen ist im Revisionsverfahren jedenfalls dann nicht feststellbar, wenn der potentielle Geschehensablauf – wie hier (UA S. 8 ff.) – im Urteil durchaus behandelt wurde und dabei lediglich die ggf. aufzuklärenden Indiztatsachen keine Erwähnung fanden. Denn zumindest dies kann dann ohne weiteres darauf beruhen, dass zugehörige Ermittlungsansätze keine brauchbaren Erkenntnisse erbracht haben, während eine Ausblendung des denkbaren Alternativsachverhalts als solchem nicht zu besorgen ist. Sähe man in seinem solchen Fall gleichwohl eine Darlegung jeglicher ergebnisloser Ermittlungsbemühungen als erforderlich an, so liefe dies auf eine Pflicht zu umfassender Dokumentation der Beweisaufnahme im Urteil hinaus, die jedoch gerade nicht besteht und der Funktion der Urteilsgründe nach § 267 StPO sogar widerspräche (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 30.05.2018, Az. 3 StR 486/17; LR/Franke a.a.O. Rn. 58; Schäfer a.a.O. S. 157).
c) Unabhängig von der Frage eines Verstoßes gegen § 261 StPO scheitert die Rüge vorliegend aber auch daran, dass für die von der Revision behaupteten Indiztatsachen, soweit das Landgericht sie seiner Beweiswürdigung nicht ohnehin zugrunde gelegt hat, schon gar keine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO bestand.
aa) Nach Ansicht der Revision wären Schlüsse auf eine Täterschaft des Zeugen M. aufgrund mehrerer Umstände möglich gewesen, deren Ermittlung das Landgericht versäumt haben soll. So soll die Wirkung von Ecstasy insbesondere bei Aufnahme mit Kohlenhydraten auch erst drei Stunden nach oraler Aufnahme zu Symptomen wie Zittern und Temperaturanstieg führen, namentlich bei einer Wirkstoffmenge von nur 190 mg MDMA. Ferner soll die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Tat eine auch sexuelle Beziehung zum Zeugen M. unterhalten haben. Zudem soll dieser Zeuge schon vor der Tat Kontakt zu harten Drogen gehabt und Amphetamin konsumiert haben.
Zur Aufklärung dieser Indiztatsachen hätte sich das Landgericht nach Auffassung der Revision gedrängt sehen müssen, weil die Nebenklägerin laut Protokoll der erstinstanzlichen Hauptverhandlung dort als Zeugin bekundet hatte, dass
– der Zeuge M. „Speed“ konsumiert habe,
– sie mit ihm bei einem Treffen am Mittag des Tattages über eine Absage der Verabredung mit dem Angeklagten gesprochen, sich dann aber „durchgesetzt“ und an dieser Verabredung festgehalten habe,
– ihre Beziehung zum Zeugen M. ziemlich „emotional“ bzw. „nicht so lasch und sachlich“ gewesen sei sowie
– der Zeuge sehr stark in sie verliebt sei und nach ihrem Umzug nach Berlin ebenfalls dorthin gezogen sei.
bb) Durch § 244 Abs. 2 StPO geboten ist eine Aufklärungsmaßnahme dann, wenn eine umfassende, verständige und allgemeiner Lebenserfahrung Rechnung tragende Würdigung der Sachlage danach „drängt“, ein bekanntes oder erkennbares weiteres Beweismittel zu nutzen oder ein bereits genutztes Beweismittel weiter auszuschöpfen. In diese Würdigung sind der Beweiswert der zur Verfügung stehenden weiteren Beweismittel einerseits und der schon erlangte Beweisstoff, seine Beweiskraft und die aus ihm demgemäß ableitbaren Folgerungen andererseits einzustellen (vgl. z.B. LR/Becker, 27. Aufl. 2019, § 244 StPO Rn. 47 m.w.N.).
cc) Anhand dieses Maßstabs hat das Landgericht seine Aufklärungspflichten nicht verletzt. Die erstinstanzlichen Aussagen der Nebenklägerin boten weitgehend schon gar keinen Ansatz für Ermittlungen in Richtung der von der Revision angeführten Indiztatsachen. Soweit solche aber bestanden, waren die Tatsachen nicht entscheidungserheblich oder wurden der Beweiswürdigung ohnehin zugrunde gelegt. Im Einzelnen:
Zu den Behauptungen der Revision zum möglichen Zeitablauf zwischen einer Aufnahme von MDMA und dem Wirkungsbeginn weisen die Angaben der Nebenklägerin keinerlei Bezug auf. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich auch sonst nicht, woraus die dortige zeitliche Angabe („drei Stunden“) abgeleitet wurde. Ein zu weiterer Aufklärung drängender Umstand wird so nicht aufgezeigt.
Auch auf die verabreichte Wirkstoffmenge erlauben die Angaben der Nebenklägerin keinen Rückschluss. So würde selbst bei Wahrunterstellung, dass der Zeuge M. bereits einmal „Speed“ konsumiert hatte, hierdurch keine Schlussfolgerung nahegelegt zu der Frage, welche Dosis MDMA er für einen unterstellten Übergriff auf seine Freundin verwendet hätte. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Fehldosierung wäre hierdurch nicht zwingend tangiert. Ein sexuelles Interesse des Zeugen an der Nebenklägerin ließe dafür zwar ein Eifersuchtsmotiv ihr gegenüber bzw. ein Rachebedürfnis gegenüber dem Angeklagten als möglich erscheinen. In keiner Weise indiziert wäre damit aber, welche Dosierung der Zeuge für eine entsprechende Aktion gewählt hätte. Nachdem die Revision für ihre Annahme zur Wirkstoffmenge sonst keine Anhaltspunkte anführt, vermag sie mit ihr für den Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht ebenso wenig einen Maßstab zu begründen wie für die Beweiswürdigung (siehe bereits oben Ziff. I.2.a).
Soweit die Revision im behaupteten Drogenkonsum des Zeuge M. eine zu ermittelnde Indiztatsache sieht, bieten die Angaben der Nebenklägerin hierfür zwar einen Ansatz, jedoch ist eine Entscheidungsrelevanz nicht erkennbar. Vielmehr erscheint offen, warum frühere Rauschgiftkontakte eine Täterschaft des Zeugen wahrscheinlicher machen sollten. Die Revision hat an anderer Stelle (Revisionsbegründung S. 7) selbst darauf hingewiesen, dass sich die Wirkung des verabreichten Rauschgifts aus offen zugänglichen Quellen ergebe und allgemein bekannt sei. Die Intoxikation der Nebenklägerin setzte damit keine einschlägigen eigenen Erfahrungen voraus. Dass der Zeuge über besondere Bezugsquellen verfügt hätte, behauptet die Revision nicht; solchen käme bei einem verbreitet konsumierten Stoff wie Ecstacy zudem kaum Indizwert für die Frage der Täterschaft zu.
Hinsichtlich der Beziehung zwischen dem Zeugen M. und der Nebenklägerin hat das Landgericht deren emotionalen Charakter erkannt und seiner Beweiswürdigung ausdrücklich zugrunde gelegt (vgl. UA S. 9, 11). Insofern ist ein verbliebenes Ermittlungsdefizit nicht erkennbar. Dabei stand dem Gericht auch vor Augen, dass eine solche Beziehung ein Motiv für einen Übergriff geschaffen haben könnte, denn es hat sich ausführlich damit befasst, dass sogar die Nebenklägerin nach ihren Bekundungen zunächst einen Verdacht gegen den Zeugen M. gehegt hatte (UA S. 10 f.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.


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