Strafrecht

Anordnung der elektronischen Überwachung des Aufenthaltsortes mittels elektronischer Fußfessel im Rahmen der Führungsaufsicht

Aktenzeichen  1 Ws 221/21

Datum:
6.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberlandesgericht 1. Strafsenat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OLGTH:2021:0806.1WS221.21.00
Normen:
§ 68b Abs 1 S 1 Nr 12 StGB
§ 68b Abs 1 S 3 Nr 1 StGB
§ 68b Abs 1 S 3 Nr 2 StGB
§ 68b Abs 1 S 3 Nr 3 StGB
§ 68b Abs 1 S 3 Nr 4 StGB
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Zu den Anforderungen an die Weisung der elektronischen Überwachung des Aufenthaltsortes im Rahmen der Führungsaufsicht.(Rn.23)

Verfahrensgang

vorgehend LG Meiningen, 14. Mai 2021, 4 StVK 1087/13 (2)

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Meiningen – Strafvollstreckungskammer – vom 14.05.2021 wird aufgehoben, soweit darin die Anordnung der Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Landgericht Meiningen – Strafvollstreckungskammer – zurückgegeben.

Gründe

I.
Das Landgericht Erfurt verhängte gegen den Verurteilten mit seit dem 17.08.2013 rechtskräftigem Urteil vom 09.08.2013 (Az.: 140 Js 2526/12 3 KLs jug) wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie Vergewaltigung in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Apolda vom 03.05.2012 (Az.: 512 Js 11594/11 1 Ds) und vom 27.11.2021 (Az.: 881 Js 19170/12 1 Ds) eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren sowie eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten, wobei für die Vergewaltigungen Einzelstrafen von 3 Jahren und 3 Monaten, 3 Jahren und 6 Monaten und 3 Jahren und 10 Monaten in Ansatz gebracht wurden.
Zugleich ordnete das Landgericht die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt an.
Die Maßregel wurde ab dem 04.11.2013 in den H. Fachkliniken … vollzogen.
Mit Beschluss vom 13.03.2017 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Meiningen die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die der restlichen Gesamtfreiheitsstrafen aus dem eingangs genannten Urteil zur Bewährung aus.
Nach im Zeitraum vom 29.01.2019 bis 28.03.2019 zunächst durchgeführter Krisenintervention, die allerdings nur kurzfristig den Bewährungsverlauf zu verbessern vermochte, erklärte das Landgericht Meiningen die angeordnete Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt wegen nicht mehr bestehender Erfolgsaussicht für erledigt, widerrief die gewährte Reststrafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Weisungsverstoßes und ordnete den Vollzug dieser Restfreiheitsstrafen an, die der Verurteilte bis zu seiner Entlassung aus der JVA … am 18.06.2021 vollständig verbüßte.
Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten hat das Landgericht Meiningen – Strafvollstreckungskammer – mit Beschluss vom 14.05.2021 zunächst den Eintritt der gesetzlichen Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 1 StGB festgestellt, angeordnet, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt, ihre Höchstdauer nicht abgekürzt und den Verurteilten für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht hat die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten Weisungen erteilt, u.a. in Ziff. 4.b) des Beschlusses „zu Kindern unter 14 Jahren, Jugendlichen unter 18 Jahren, zu dem im vorliegenden Verfahren Geschädigten M. H. und zu der im Verfahren der Staatsanwaltschaft Meiningen, Az.: 416 Js 1932/20, Geschädigten A.-S. S. keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen (§ 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB)“ und in Ziff. 4.g) des Beschlusses „einmal monatlich an einer ambulanten Suchtberatung teilzunehmen und die Teilnahme dem Bewährungshelfer nachzuweisen (§ 68b Abs. 2 StGB)“.
Von der Erteilung einer Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB sah die Strafvollstreckungskammer mit der Begründung ab, dass angesichts des bisherigen Tatmusters des Verurteilten (Tatopfer aus seinem Bekanntenkreis, Taten in der Wohnung des Verurteilten) die elektronische Aufenthaltsüberwachung nicht geeignet sei, den Verurteilten von der Begehung weiterer gleichgelagerter Straftaten abzuhalten.
Gegen den ihr am 20.05.2021 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit beim Landgericht Meiningen am 25.05.2021 eingegangener Verfügung vom 21.05.2021 Beschwerde eingelegt, soweit die von ihr mit Verfügung vom 29.03.2021 beantragte elektronische Aufenthaltsüberwachung des Verurteilten abgelehnt worden ist.
Der Beschwerde hat das Landgericht Meiningen mit Verfügung vom 26.05.2021 nicht abgeholfen und veranlasst, dass die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt wird.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ist in ihrer Zuschrift an den Senat vom 17.06.2021 der Beschwerde mit dem Antrag beigetreten, den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 14.05.2021 im Umfang seiner Anfechtung aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Prüfung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Meiningen zurückzuverweisen.
Hierzu hat der Verteidiger des Verurteilten mit dem Antrag auf Verwerfung der Beschwerde Stellung genommen.
II.
Die nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 StPO statthafte und auch sonst zulässig eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
In ihrer Stellungnahme vom 17.06.2021 führt die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft aus:

„(…)
Die Weisung der elektronischen Überwachung des Aufenthaltsortes hat ihre gesetzliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
Nach den speziellen Anordnungsvoraussetzungen des § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 StGB ist eine solche Weisung unter anderem nur zulässig, wenn
1. die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist,
2. die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde,
3. die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und
4. die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Abs. 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
a)
Zu Recht ist das Landgericht in dem angegriffenen Beschluss von dem Vorliegen der unter § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Voraussetzungen ausgegangen. Insbesondere besteht seitens des Verurteilten eine erhebliche Gefahr, dass er weitere, vor allem gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtete Straftaten begehen wird, nachdem er sich im Rahmen der hiesigen Strafvollstreckung sowohl einer Suchtberatung als auch einer Straftataufarbeitung mit dem psychologischen Fachdienst verweigert hat. Damit ist unter Zugrundelegung der gutachterlich festgestellten Gefährlichkeit des Verurteilten, die sich im Wesentlichen aus dem Zusammenwirken dissozialer Persönlichkeitsanteile, einer besonderen Form der Gewaltbereitschaft sowie einer Betäubungsmittelabhängigkeit ergibt, nach Einschätzung des Psychologischen Dienstes der JVA … eine deutlich ungünstige Prognose zu stellen und das Risiko der Begehung weiterer Straftaten als hoch einzuschätzen.
Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gegen den Verurteilten zwischenzeitlich neu geführten Strafverfahren, die u. a. den Verdacht der Vergewaltigung zum Gegenstand hatten.
b)
Unter Berücksichtigung dieser bestehenden Gefahr ist das Landgericht ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung nicht erforderlich und geeignet sei, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art abzuhalten (§ 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB).
Gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB ist eine solche Weisung nur dann zulässig, wenn sie erforderlich und geeignet erscheint, um den Verurteilten durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Abs. 4 Satz 2 StPO von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art abzuhalten. Hierbei sind jedoch keine überspannten Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellen (OLG München, Beschl. v. 24.06.2015 – 1 Ws 405-407/15, Rn. 51 m.w.N., juris).
Bereits das Wissen des Verurteilten, dass sein räumlicher Aufenthalt stets registriert und dabei nachweisbar festgehalten wird, ist geeignet, ihn davon abzuhalten, außerhalb seines Wohnortes auf potentielle Opfer zu treffen. Aber auch dann, wenn der Verurteilte eine Straftat in seiner eigenen Wohnung begehen wollte, ist ihm bewusst, dass sein Aufenthalt zur Tatzeit am Tatort sofort nachvollzogen werden kann, was auch hier eine erhebliche Hemmschwelle begründet. Dadurch sind eine erhebliche spezialpräventive Wirkung auf den Verurteilten und eine Erleichterung der Strafverfolgung im repressiven Sinne gegeben (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.03.2013 – 1 Ws 307/12, Rn. 46, juris).
Unter diesen Voraussetzungen ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung auch erforderlich, weil die weiteren Weisungen, insbesondere das unter Ziffer 4.b) ausgesprochene Kontaktverbot sowie die Unterstellung unter die Bewährungsaufsicht nicht in gleicher, effektiver Weise geeignet sind, den Verurteilten von der Begehung weiterer schwerer Straftaten abzuhalten.
c)
Durch die Weisung werden an die Lebensführung des Beschwerdeführers keine unzumutbaren Anforderungen gestellt (§ 68b Abs. 3 StGB).
Ob die Grenze der Zumutbarkeit beachtet ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie der besonderen Verhältnisse der verurteilten Person und deren Interessen zu beurteilen. Die Weisungen müssen in einem Mindestmaß stützend wirken und dürfen die Resozialisierungspotentiale der verurteilten Person nicht aus reinen Überwachungsinteressen heraus überfordern oder gefährden. Wie bei § 56c Abs. 1 Satz 2 StGB darf die Weisung in keinen Lebensbereich eingreifen, der nach dem Willen des Gesetzgebers frei von staatlichem Zwang sein soll. Dem Verurteilten dürfen – unter besonderer Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – keine Weisungen erteilt werden, die seine ganze Lebensführung beeinträchtigen, wenn er lediglich von unbedeutenden Straftaten abgehalten werden soll oder er nur eine geringfügige Straftat begangen hat (OLG Hamburg, Beschl. v. 05.11.2013 – 2 Ws 190/13, Rn. 98, juris).
Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Intensität des Grundrechtseingriffs nach dem geschützten Individualinteresse des Einzelnen richtet. Die Verhältnismäßigkeit hängt mit davon ab, wie weit der Betroffene selbst Anlass dafür gegeben hat, dass in sein Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung eingegriffen wird (OLG Hamburg, Beschl. v. 05.11.2013 – 2 Ws 190/13, Rn. 99, juris).
Gemessen hieran stellt die Weisung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung keine unzumutbare Belastung für den Verurteilten dar. Der mit der Weisung verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung ist auch verhältnismäßig.
Die Weisung dient dem Schutz wichtiger Rechtsgüter, denen vorliegend gegenüber dem Recht auf informelle Selbstbestimmung der Vorrang einzuräumen ist. Sie ist erforderlich, um der erheblichen Gefahr neuerlicher Tatbegehungen – etwa nach § 177 StGB – zu begegnen. Sie dient damit dem Schutz wichtiger Rechtsgüter, namentlich der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit möglicher Tatopfer. Gleichzeitig dient sie der Resozialisierung des Verurteilten, indem sie ihn von der Begehung derartiger Taten abhält. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte eine Straftataufarbeitung und damit die Auseinandersetzung mit seiner Delinquenz beharrlich ablehnt.
Die gebotene Abwägung der persönlichen Interessen des Verurteilten mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit ergibt außerdem, dass der Verurteilte die mit der „elektronischen Fußfessel“ zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmen muss. In diesem Zusammenhang sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Verurteilte durch eine entsprechende Weisung in nicht hinnehmbarer Weise in seiner privaten oder (zukünftig) beruflichen Lebensführung beeinträchtigt wäre. Der Verurteilte selbst hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung hierzu keine Aussagen getroffen, sondern lediglich ausgeführt, dass er eine Fußfessel zwar ungern hätte, wenn es jedoch notwendig wäre, dann sei das halt so. Damit kommt den persönlichen Interessen des Verurteilten weder einzeln noch in der Gesamtschau ein solches Gewicht zu, dass sie die im Falle eines Rückfalls des Verurteilten bedrohten hochwertigen Rechtsgüter potentieller Opfer überwiegen.
Da somit die Weisung der elektronischen Überwachung des Aufenthaltsortes ermessensfehlerhaft unterblieben ist, ist der Beschluss insoweit aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. An einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat aufgrund der gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO eingeschränkten Prüfungsaufgabe des Beschwerdegerichts gehindert (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 309 Rn. 4).
(…)“

Dem schließt sich der Senat an.


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