Strafrecht

Aufhebung einer Sicherstellungsverfügung – Rechtswidrige Sicherstellung von Bargeld

Aktenzeichen  M 7 K 16.6006

Datum:
28.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34216
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZollVG § 1 Abs. 3a, § 12a Abs. 1, Abs. 2
ZFdG § 1 Abs. 1, § 26 Abs. 2 S. 1, § 32, § 32b Abs. 1
ZPO §§ 708 ff.
StGB § 261
VwGO § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine gegenwärtige Gefahr iSd § 32b Abs. 1 ZFdG liegt vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Sicherstellung von Bargeld zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr kommt dabei insb. auch dann in Betracht, wenn das Bargeld zur Begehung von Straftaten verwendet werden soll. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Sicherstellungsverfügung vom 1. Juni 2016 des Zollfahndungsamts München in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Zollkriminalamts vom 28. November 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Die Sicherstellungsverfügung vom 1. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der Sicherstellungsverfügung ist § 32 b Abs. 1 ZFdG. Danach können die Behörden des Zollfahndungsdienstes (hier nach § 1 Abs. 1 ZFdG das zuständige Zollfahndungsamt) im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren – wobei auch Bargeld (Banknoten, Münzen) als bewegliche Sache bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen präventiv sichergestellt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2015 – 10 CS 15.1435 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt eine besondere Qualifikation der konkreten Gefahr dar, welche eine besondere zeitliche Nähe der Gefahrenverwirklichung und ein gesteigertes Maß an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bezeichnet (vgl. Schenke in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 1. Aufl. 2014, § 14 BPolG Rn. 27). Eine konkrete Gefahr ist gegeben, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall eine Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 21). Eine gegenwärtige Gefahr liegt demgegenüber vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 47). Die Gefahrenprognose muss eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. OVG Bremen, U.v. 24.6.2014 – 1 A 255/12 – juris Rn. 25 m.w.N.). Dabei sind allerdings nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1974 – I C 31.72 – juris Rn. 41).
Die Sicherstellung von Bargeld zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr kommt dabei insbesondere auch dann in Betracht, wenn das Bargeld zur Begehung von Straftaten verwendet werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2015 – 10 CS 15.1435 – juris Rn. 21). Denn nach § 26 Abs. 2 Satz 1 ZFdG treffen die Zollfahndungsämter alle geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, zur Aufdeckung unbekannter Straftaten sowie zur Vorsorge für künftige Strafverfahren im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung. Dabei ist sowohl eine besondere zeitliche Nähe als auch ein besonders hoher Grad an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich. Letzteres bedingt eine entsprechend abgesicherte Prognose, d.h. es müssen hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Geld unmittelbar oder in allernächster Zeit zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwendet werden wird; ein bloßer Gefahrenverdacht oder bloße Vermutungen reichen dafür nicht; allerdings gilt – wie ausgeführt – ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2015, a.a.O. m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. OVG Bremen, U.v. 24.6.2014 – 1 A 255/12 – juris Rn. 25; OVG NW, B.v. 22.2.2010 – 5 A 1189/08 – juris Rn 2; BVerwG, B.v. 4.7.2006 – 5 B 90/05 – juris Rn 6), hier der Erlass des Widerspruchsbescheids am 28. November 2016.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung lagen die Voraussetzungen für eine Sicherstellung des Bargeldes nach § 32 Abs. 1 ZFdG nicht vor. Es bestanden zwar Verdachtsmomente dafür, dass das Geld aus illegalen Geschäften stammt. Allerdings lagen zu diesem Zeitpunkt – bei Berücksichtigung der Gesamtumstände – keine hinreichend konkreten und nachvollziehbaren tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass das Geld auch unmittelbar oder in allernächster Zeit zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwendet werden wird.
Ausgehend von den in der Rechtsprechung hinsichtlich der Herkunft eines sichergestellten Bargeldbetrages aus dem Drogenhandel anerkannten Grundsätzen – die auch im Hinblick auf illegalen Zigarettenschmuggel herangezogen werden können – bestanden hinreichende Verdachtsmomente dafür, dass der bei dem Kläger aufgefundene Bargeldbetrag in Höhe des sichergestellten Betrages aus illegalen Geschäften herrührte.
In der Rechtsprechung sind folgende Gesichtspunkte, die für eine Herkunft des Geldes aus dem Drogenhandel sprechen, anerkannt (vgl. NdsOVG, U.v. 7.3.2013 – 11 LB 438/10 – Rn. 37): hoher Geldbetrag, Versteckthalten oder zumindest Aufbewahrung an einem ungewöhnlichen Ort, szenetypische Stückelung der Geldscheine, nicht plausibel erklärte Herkunft der Mittel, Verdachtsmomente aus der organisierten Kriminalität, einschlägige strafrechtliche Ermittlungsverfahren bzw. Verurteilungen.
Hiervon ausgehend durfte die Beklagte vorliegend insbesondere aufgrund der Höhe des Geldbetrages, des Verbergens des Geldes, dessen Stückelung sowie der nicht glaubhaften Schilderung des Klägers eine Herkunft des Geldes aus illegalen Geschäften annehmen.
So wurde vorliegend der Bargeldbetrag in Höhe von 20.000,- Euro bei der Kontrolle am 27. April 2016 trotz Verbergens aufgefunden. Dabei vermag der Einwand des Klägers, dass dieser als Angehöriger der Volksgruppe der Roma über kein Bankkonto verfüge und daher darauf angewiesen sei, alle Zahlungsvorgänge durch Bargeld abzuwickeln nicht zu überzeugen. Denn selbst dies als zutreffend unterstellt, vermag dies nicht das Verstecken des Geldes sowie dessen Stückelung zu erklären. Der Geldbetrag befand sich nicht in einer Geldbörse des Klägers, sondern war vollständig im Armaturenbrett im Bereich der Beifahrerseite hinter der Plastikblende des Beifahrerairbags in einer weißen Papiertasche versteckt. Die Banknoten waren weiterhin zu 15 Bündel à 1.000,- Euro und einem Bündel à 5.000,- Euro gebündelt. Die Bündel waren zudem jeweils mit Gummibändern umwickelt, so dass auszuschließen ist, dass eine Bank an dem Geldkreislauf beteiligt war. Zudem setzte sich der Betrag aus 422 10-Euroscheinen, 384 20-Euroscheinen, 154 50-Euroscheinen und vier 100-Euroscheinen zusammen. Insbesondere die auffällige Häufung von 10- und 20-Euroscheinen legt dabei den Verdacht der Herkunft aus illegalen Geschäften nahe.
Selbst wenn der beim Kläger aufgefundene Bargeldbetrag hinsichtlich der Häufigkeit und Verteilung der Banknoten auf die einzelnen Nennwerte statistisch dem jeweiligen Anteil der einzelnen Note am gesamten Eurobanknotenumlauf entspräche, wäre nicht geklärt, warum der Kläger einen derart gestückelten Bargeldbetrag mit sich geführt hat. Diesbezüglich vermag auch die Erklärung des Klägers zur Herkunft bzw. zur beabsichtigten Verwendung des Geldes nicht zu überzeugen. So gab der Kläger im Rahmen seiner Befragung am 27. April 2016 an, dass er das Geld von seinen Eltern bekommen habe, um damit in Paris ein Auto zu kaufen. Zugleich erklärte er, dass er und seine Eltern keine Arbeit hätten. Es erscheint nicht überzeugend, dass die Eltern des Klägers ohne gesichertes, regelmäßiges Einkommen in der Lage gewesen sein sollen, diesem zusätzlich zu den laufenden Kosten der eigenen Lebensführung einen Geldbetrag in Höhe von 20.000,- Euro zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls vermag nicht zu überzeugen, dass der Kläger telefonisch über den Tod eines Verwandten informiert und zur sofortigen Rückkehr aufgefordert worden sein will, aber zugleich im Rahmen seiner Befragung am 27. April 2016 nicht in der Lage war den Namen des Verwandten zu benennen. Selbst wenn man nach dem Einwand des Klägervertreters berücksichtigt, dass es unter der Volksgruppe der Roma üblich ist, Spitznamen zu verwenden bzw. deutlich ältere Personen mit „Alter“ anzusprechen und zu bezeichnen, so wäre zu erwarten, dass bei einem Verwandten, dessen Tod den unmittelbaren Abbruch einer zweckgebundenen ca. 2.300 km weiten Reise ohne Zweckerreichung und eine sofortige Rückreise zu begründen vermag, zusätzlich dessen bürgerlicher Name benannt werden kann. Dies gilt umso mehr, als auch eine Identifikation unter den Verwandten allein aufgrund der Verwendung der Globalbezeichnung „Alter“ nicht praktikabel und dem Gericht auch unter Verwandten nur schwer möglich erscheint, so dass davon auszugehen ist, dass jedenfalls unter Verwandten eine weitere Form der Bezeichnung zur konkreten Identifizierung der jeweiligen Person gebräuchlich ist. Insgesamt erscheinen die Einlassungen des Klägers nicht glaubhaft und vermögen das Gericht nicht von der Richtigkeit der angegebenen Herkunft und des Verwendungszwecks des Geldes zu überzeugen.
Allerdings vermochten alleine diese Verdachtsmomente im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung keine hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Grundlage für die Annahme, dass das Geld unmittelbar oder in allernächster Zeit zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwendet werden wird, zu begründen. Zwar ist anerkannt, dass es kriminalistischer Erfahrung entspricht, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird. Dies kann jedoch nicht allgemein auf Fälle wie der vorliegenden Art übertragen werden, da alleine die ungeklärte oder deliktische Herkunft noch nicht die Annahme einer deliktischen Verwendung des Geldes rechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2016 – 10 CS 16.895 – juris Rn. 13; OVG Bremen, U.v. 24.6.2014 – 1 A 255/12 – juris Rn. 26). Vielmehr muss nach der konkreten, durch Indizien abgesicherten Situation der Schluss gerechtfertigt sein, dass das Geld mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wieder zu illegalen Zwecken verwendet werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2016 a.a.O.).
Der Kläger war und ist bislang nicht nachweisbar in Zusammenhang mit Zigarettenschmuggel in Erscheinung getreten. Insbesondere wurde der Kläger vor und nach der streitgegenständlichen Kontrolle mehrfach kontrolliert, ohne dass sich hierbei Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Klägers an einem Zigarettenschmuggel ergeben hätten. Soweit die Beklagte berücksichtigt hat, dass am 29./30. April 2016 zwei rumänische Staatsangehörige mit insgesamt 376 Stangen Zigaretten, die nach Paris verbracht werden sollten, aufgegriffen wurden, vermag dies – entgegen der Auffassung der Beklagten – alleine keinen hinreichenden Anhaltspunkt für eine geplante illegale Verwendung des Geldes zu begründen. Zwar erscheint es mehr als bloß zufällig, dass mehrere Personen aus einem 11.500 Einwohner-Ort binnen vier Tagen mehr als 1.300 km von deren Heimatort entfernt mit in dem jeweiligen Fahrzeug verbauten Zigaretten bzw. Bargeld angetroffen werden. Ein gesicherter Schluss, dass das beim Kläger aufgefundene Geld zum Ankauf von „Schmuggelzigaretten“ verwendet werden und dadurch wieder in die illegale „Kreislaufwirtschaft“ eingespeist werden sollte, ist dem jedoch nicht zu entnehmen. Zudem lässt sich die Sicherstellung auch nicht wegen der gegenwärtigen Gefahr der Begehung eines Geldwäschedelikts rechtfertigen. Es fehlt an hinreichenden Belegen für das Vorhandensein einer nach § 261 Strafgesetzbuch – StGB – erforderlichen Vortat. Da die einzelnen Varianten des Geldwäschetatbestandes sehr weitgehend sind, müssen an die notwendige Feststellung einer Vortat qualifizierte Anforderungen gestellt werden. Zwar ist die Feststellung einer bestimmten Vortat nicht erforderlich. Es müssen aber Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Katalogtat begangen wurde und es muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass der Tatgegenstand aus einer (von ggf. mehreren) Katalogtat(en) herrührt. Die Katalogtat muss dabei konkretisiert festgestellt sein (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 64. Aufl. 2017, § 261 Rn. 9). Dass das sichergestellte Bargeld aus einer solchen Katalogtat herrührt, steht nach den obigen Ausführungen jedoch nicht hinreichend konkret fest. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Mitnahme des Bargeldes durch den Kläger von Rumänien nach Paris und zurück nicht nach dem – ausschließlich für den die Gemeinschaftsgrenzen überschreitenden Bargeldverkehr geltenden – § 12 a Abs. 1 Zollverwaltungsgesetz – ZollVG – generell anmeldepflichtig war, da eine Anmeldepflicht nach § 12 a Abs. 2 ZollVG vielmehr erst im Falle eines – vorliegend nicht belegten – ausdrücklichen Verlangens der Zollbediensteten, mitgeführtes Bargeld von mehr als 10.000 Euro anzugeben, bestanden hätte (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2016 – 10 CS 16.895 – juris Rn. 15).
Nach einer Gesamtschau der Umstände konnte die Beklagte somit mangels hinreichend konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte somit nicht vertretbar davon ausgehen, dass das Bargeld im Falle einer Rückgabe an den Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten verwendet worden wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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