Strafrecht

Aussetzung eines Disziplinarverfahrens; Fristsetzung auf Antrag des Beamten

Aktenzeichen  15 B 8/22 MD

Datum:
4.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 15. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0404.15B8.22MD.00
Normen:
§ 60 Abs 1 S 1 DG ST 2006
§ 60 Abs 3 DG ST 2006
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Wird ein behördliches Disziplinarverfahren nach Ablauf der vom Gesetzgeber in § 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA (juris: DG ST 2006) vorgesehenen 6-monatigen Bearbeitungszeit wegen Erhebung der öffentlichen Klage nach § 60 Abs. 1 DG LSA (juris: DG ST 2006) ausgesetzt, ist bei einem Antrag auf Fristsetzung nach § 60 DG LSA (juris: DG ST 2006) der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Aussetzung zu prüfen und ob die Aussetzung rechtmäßig vorgenommen wurde.(Rn.2)
(Rn.10)

2. Fortsetzung der Kammerrechtsprechung nach VG Magdeburg, Beschluss v. 01.04.2022, 15 B 1/22 zur Aussetzung nach § 60 Abs. 3 DG LSA (juris: DG ST 2006).(Rn.8)

Tenor

Der Antrag auf Fristsetzung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist unbegründet.
§ 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA bestimmt, dass „der Beamte beim Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen“ kann, wenn „ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Einleitung durch Erlass einer Einstellungsverfügung oder Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden“ ist. Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vor, ist der Antrag abzulehnen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 DG LSA).
Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegt zum augenblicklichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens vor, so dass eine gerichtliche Fristsetzung nicht geboten ist.
1.) Die gerichtliche Fristsetzung dient der Beachtung des dem Disziplinarrecht innewohnenden Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA). Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die Frage des zureichenden Grundes für den fehlenden Abschuss des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dies entspricht inhaltlich der unangemessenen Verzögerung, die sprachlich treffender ist (Köhler in: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, Kommentar, 7. Auflage 2021, § 62 BDG Rdnr. 10). Unangemessen ist eine über sechs Monate hinausgehende Verzögerung, wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind. Dabei hat das Gericht einerseits die Unabhängigkeit des mit den Ermittlungen betrauten Beamten (Ermittlungsführer) und dessen Beurteilungsspielraum zu den einzelnen Aufklärungspunkten und Aufklärungsmitteln sowie die notwendige Bearbeitungs- und Prüfungszeit, andererseits das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Bearbeitung zu berücksichtigen.
Ob unangemessen verzögert wurde, lässt sich nicht durch den bloßen Vergleich einer pauschalen Prognose der notwendigen Gesamtbearbeitungszeit mit dem Sechsmonatszeitraum beantworten, sondern nur durch die konkrete Nachprüfung des bisherigen realen Bearbeitungszeitaufwandes feststellen. Das Verfahren nach § 60 DG LSA zielt nicht darauf ab, eine fiktive Bearbeitungszeit zu errechnen und daran die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zu messen. Dies würde in rechtlich bedenklicher Weise in die Disziplinarbefugnisse des Dienstherrn eingreifen. Der Zweck der Fristsetzung zielt allein darauf ab, die – auf der Grundlage der zu akzeptierenden Aufklärungserwägungen – tatsächlich erfolgten Verfahrensverzögerungen zu erfassen. Bei der Feststellung des Arbeitsaufwandes ist nicht von dem Arbeitsaufwand auszugehen, den das Gericht nach seiner Beurteilung der Rechtslage annehmen würde, sondern von demjenigen, der sich aus der Aufklärungsbeurteilung des Ermittlungsführers ergibt. Hierbei ist Großzügigkeit geboten. Unangemessene Verzögerung ist gleichbedeutend mit sachlich nicht gerechtfertigter Untätigkeit der jeweils befassten Disziplinarorgane. Untätigkeit des Ermittlungsführers liegt nicht in den Einarbeitungs- und Überlegungszeiten, in den unvermeidbaren Zwischenzeiten zwischen Ladung und Anhörungs- oder Beweistermin, in den üblichen Bürolaufzeiten, in den durch die Beschuldigten selbst veranlassten Unterbrechungen oder Vertagungen von Terminen oder Fristverlängerung für Schriftsätze, in den Urlaubs- oder Krankheitsbedingten Abwesenheiten der Beteiligten. Ergibt aber die genaue Nachprüfung, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis seiner Aufklärungsbeurteilung längere Zeiten ohne sachlichen Grund untätig geblieben ist, so liegt darin eine unangemessene Verzögerung.
Das sodann weiter erforderliche Verschulden ergibt sich daraus, dass die Organe nicht für die ihnen mögliche Beschleunigung des Verfahrens gesorgt haben. So ist der Ermittlungsführer zur Aufbietung all seiner Kräfte und seiner Zeit zur vorrangigen Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet. Die Einleitungsbehörde muss dafür sorgen, dass er nach Bedarf so weit von den Aufgaben seines Hauptamtes freigestellt wird, dass er sich mit Vorrang den behördlichen Ermittlungen widmen kann (ständige Rechtsprechung der Kammer; vgl. nur: VG Magdeburg, B. v. 13.12.2021, 15 B 17/21; B. v. 06.08.2018 – 15 B 21/18 -, juris, Rdnr. 15 m. w. N.). Ebenso muss die Einleitungsbehörde qualitativ und quantitativ personell ausgestattet sein. Eine sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe muss gewährleistet sein (ständige Rechtsprechung der Kammer; vgl. zum Ganzen nur: BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; VG Magdeburg, Beschlüsse v. 21.12.2020, 15 B 23/20 und 15 B 21/20; v. 08.01.2018, 15 B 27/17; v. 16.5.2018, 15 B 5/18; v. 30.01.2014, 8 A 22/13; v. 15.01.2014, 8 A 20/13; v. 28.03.2012, 8 A 2/12; v. 21.03.2013, 8 A 4/13; v. 26.11.2013, 8 A 18/13; zuletzt: VG Magdeburg, Beschluss v. 09.03.2021, 15 B 1/21; B v. 13.12.2021, 15 B 17/21; alle juris; jeweils mit w. Nachw.)
Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln (§§ 21 ff. DG LSA) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (§ 30 DG LSA). Gestalten sich die Ermittlungen schwierig oder umfangreich, so lässt sich die Bearbeitungsfrist nicht einhalten, ohne die Aufklärungs- und die Anhörungspflicht zu verletzten (BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; juris). Darüber hinaus sind vom Disziplinargesetz vorgesehene behördeninterne Beteiligungen und Zustimmungen (vgl. §§ 35, 76 DG LSA) zu beachten.
Die gesetzliche Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens in § 60 Abs. 1 DG LSA ist Ausdruck des das Disziplinarrecht beherrschenden Beschleunigungsgrundsatzes und soll die für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständige Behörde veranlassen, das Verfahren ohne unangemessene Verzögerungen durchzuführen. Das Gesetz soll die Behörde insbesondere daran hindern, nach der Einleitung des Verfahrens untätig zu bleiben (vgl. zum Ganzen ständige Rechtsprechung der Kammer: zuletzt nur: Beschluss v. 13.12.2021, 15 B 17/21; Beschlüsse v. 21.12.2020, 15 B 23/20 und 15 B 21/20; Beschluss v. 09.03.2021, 15 B 1/21, alle juris).
2.) Gemessen an diesen Voraussetzungen kann vorliegend nicht von einer – schuldhaften – verzögerten Bearbeitung ausgegangen werden.
Die Beurteilung der verzögerten Bearbeitung des Disziplinarverfahrens hat sich an dem Zeitpunkt der Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens zu orientieren. Denn durch die Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens am 24.02.2022 ist das behördliche Disziplinarverfahren mit dem Sach- und Streitstand zu diesem Zeitpunkt „eingefroren“ worden. Von einer schuldhaften verzögerten Bearbeitung kann bis dato nicht ausgegangen werden (a.) und auch die Aussetzung ist rechtmäßig erfolgt, dient nicht der Verzögerung und bequemen verfahrensmäßigen Erledigung des Disziplinarverfahrens (b.) und führt somit nicht zu einer gerichtlichen Fristsetzung:
a.) Gegen den Antragsteller wird als Oberbürgermeister der Stadt A-Stadt seit dem 19.02.2021 wegen eines Dienstvergehens im Zusammenhang mit den vorzeitigen Corona-Schutz-Impfungen nicht schutzberechtigter Personen disziplinarrechtlich ermittelt. Unter dem 21.04.2021 wurde das Disziplinarverfahren bezüglich weiterer Handlungen ausgedehnt. Weitere Ausdehnungen erfolgten am 20.08.2021 und am 08.10.2021. Zu dem genauen Inhalt der Vorwürfe wird auf die Aufstellung in den Beschlüssen des Disziplinargerichts vom 16.12.2021 (15 B 20/21; juris) und vom 21.02.2022 (15 B 5/22; juris) zur vorläufigen Dienstenthebung verwiesen.
Bezüglich der auch strafrechtlich relevanten Teile der disziplinarrechtlich vorgehaltenen Handlungen der vorzeitigen Impfung erhob die Staatsanwaltschaft A-Stadt am 24.02.2022 die öffentliche Anklage. Daraufhin setzte der Antragsgegner das behördliche Disziplinarverfahren unter dem 04.03.2022 bezüglich dieser Teile der Vorwürfe nach § 22 Abs. 1 Satz 1 DG LSA aus.
Das Disziplinargericht folgt nicht der Auffassung des Antragstellers in seiner Antragsschrift, wonach das Disziplinarverfahren „offenkundig vom Landesverwaltungsamt verschleppt“ werde und auch die „nachgelegten Vorwürfe ausermittelt“ seien. Diesbezüglich führte das Disziplinargericht bereits in dem Beschluss vom 16.12.2021 (15 B 20/21 MD; juris) zur vorläufigen Dienstenthebung aus, dass es nicht den Ausführungen des Antragstellers folgt, wonach die gegen ihn erhobenen disziplinarrechtlichen Vorwürfe „unter keinen denkbaren Gesichtspunkten aufrechterhalten werden“ können, sich „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht eines Dienstvergehens“ ergäben und das „Disziplinarverfahren sofort einzustellen“ sei. Das Disziplinargericht stellte bereits in dem Beschluss fest, dass die Einleitung und Erweiterungen des Disziplinarverfahrens am Legalitätsprinzip orientiert und nicht zu beanstanden sind.
Es liegt auf der Hand, dass bei der Vielzahl der dem Antragsteller vorgehaltenen Pflichtverletzungen (je nach Zählweise bis zu 12 Vorwürfe) längerfristige Ermittlungen durchgeführt werden müssen und der vom Gesetzgeber angedachte Bearbeitungszeitraum von 6 Monaten illusorisch ist. Entscheidend bei solchen „Mammutermittlungen“ ist, dass die Vorwürfe nicht vorgeschoben sind und die Ermittlungen nicht mit Nebensächlichkeiten aufgebläht werden. Das Disziplinargericht hat bereits in seinem Beschluss vom 16.12.2021 (15 B 20/21 MD; juris) zur vorläufigen Dienstenthebung darauf hingewiesen, dass es „einem bundesweit öffentlichkeitswirksamen Disziplinarverfahren dieser Art gegen den Hauptverwaltungsbeamten und Oberbürgermeister einer Großstadt […] zwangsläufig inhärent [ist], dass es auf eine Vielzahl konkreter organisatorischer und zeitlicher Probleme stößt“ (VG Magdeburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 15 B 20/21 MD –, Rn. 38, juris) und der Umfang der Vorwürfe einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung im behördlichen Disziplinarverfahren bedürfen. Gleichzeitig hat es den Antragsgegner als Ermittlungsbehörde darauf hingewiesen und auch ermahnt,
„dass eine Bündelung der Vielzahl der Vorhalte und deren Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Effektivität und letztendlich des Beschleunigungsgrundsatzes (§ 4 DG LSA) dringend angeraten scheint. Letztendlich müssen schwerpunktmäßige Ermittlungen erfolgen und keine zeitraubenden Abschweifungen in Nebensächlichkeiten. Derartige mögliche (rechtliche) Mängel mögen aber bei tatsächlicher Erhebung der Disziplinarklage relevant sein. Das Disziplinargericht darf zur Problematik der ausufernden Ermittlungen und unsubstantiierten Disziplinarklageschrift schon jetzt auf die ausführliche Darstellung in dem Urteil der Kammer vom 24.11.2020 (15 A 12/19; juris) verweisen.“ (VG Magdeburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 15 B 20/21 MD –, Rn. 38, juris).
Daher sieht das Disziplinargericht in den nunmehr 13 Monaten andauernden disziplinarrechtlichen Ermittlungen in dem vorliegenden Einzelfall keine Anhaltspunkte für eine verzögerte Bearbeitung, die zudem schuldhaft wäre. Der Antragsteller macht vielmehr Ausführungen dazu, wonach die Ermittlungen seiner Meinung nach – wegen der fehlenden Pflichtwidrigkeit – nicht vorgenommen werden müssten. „Unzureichende, sachfremde Beweiserhebungen“ oder gar „Willkür“ wie von dem Antragsteller vorgetragen, sieht das Disziplinargericht aufgrund des Umfangs der Ermittlungen nicht. Einzelne Terminplanungen, Zeugenvernehmungen und Umladungen sind der oben beschriebenen Organisation des Ermittlungsführers vorbehalten und halten sich noch im Rahmen des erforderlichen Aufklärungsaufwandes.
b.) Auch die Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gegen diese Entscheidung der Behörde sieht das DG LSA im Gegensatz zu der Vorgängerreglung in § 16 Abs. 4 DO LSA kein eigenständiges Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf vor (VG Magdeburg, Urteil vom 05. Oktober 2009 – 8 B 16/09 –, Rn. 10, juris). Ebenso wie die in § 60 Abs. 1 Satz 2 DG LSA geregelte Fristhemmung bei der Berechnung der 6monatigen Bearbeitungszeit als Zulässigkeitsvoraussetzung für den gerichtlichen Fristsetzungsantrag, ist im Fall einer behördlichen Aussetzung bei einem gerichtlichen Antrag nach § 60 DG LSA inzident zu prüfen, ob die Aussetzung rechtmäßig erfolgte. Anders gewendet: nur wenn die Aussetzung rechtswidrig und nicht am Sinn und Zweck des Disziplinarrechts orientiert erfolgt, kann die dadurch vertane Zeit nicht zu Gunsten der Einleitungsbehörde wirken.
Entscheidend muss daher sein, ob die Besonderheiten, welche zu einer Aussetzung des anhängigen Disziplinarverfahrens aufgrund der Abhängigkeit von einem anderen „geordneten Verfahren“ führen, mit dem Beschleunigungsgrundsatz nach § 4 DG LSA in Vereinbarung zu bringen sind oder ob es einer gerichtlichen Fristbestimmung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 DG LSA wegen nicht hinreichender Förderung des Disziplinarverfahrens durch die Behörde bedarf (VG Magdeburg, Beschluss v. 01.04.2022; 15 B 1/22; juris gemeldet). Insoweit kann die (frühere) Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Aussetzung eines disziplinarrechtlichen Verfahrens herangezogen werden.
Vorliegend ist das behördliche Disziplinarverfahren wegen der Erhebung der öffentlichen Klage bezüglich der strafrechtlich relevanten Umstände um die vorgezogene Corona-Schutz-Impfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ausgesetzt worden. Dabei steht die Aussetzung – anders als nach § 22 Abs. 3 DG LSA (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Beschluss v. 01.04.2022, 15 B 1/22; juris gemeldet) – nicht im Ermessen der Einleitungsbehörde. Auch die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, wonach die Aussetzung zu unterbleiben hat, liegen nicht vor.
Die Aussetzung des Disziplinarverfahrens dient grundsätzlich dem Zweck, widersprüchliche Entscheidungen in einem Straf- oder einem sonstigen fachgerichtlichen oder einem berufsständischen Verfahren einerseits und dem Disziplinarverfahren andererseits zu vermeiden. Darüber hinaus sprechen die besseren Möglichkeiten der Sachaufklärung und die dortigen fachspezifischen Kenntnisse für den Vorrang dieser Verfahren. Dementsprechend besteht bezüglich der tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil eines – vorherigen – rechtskräftigen Straf-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren (§ 23 Abs. 1, § 54 Abs. 1 DG LSA) bzw. die Feststellungen in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren können der Entscheidung im Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§ 23 Abs. 2; § 54 Abs. 2 DG LSA).
Hier ist die strafrechtliche Aufklärung der Hauptvorwürfe gegen den Antragsteller bezüglich der vorgezogenen Corona-Schutz-Impfung auch für das Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung. Es handelt sich daher bei der Aussetzung zum Abwarten dieser strafrechtlichen Entscheidungen nicht um eine „vorgeschobene“ Entscheidung, um eine verfahrensmäßige bequeme Erledigung des Disziplinarverfahrens herbeizuführen (vgl. VG Lüneburg, Beschuss v. 06.11.2020, 10 E 1/20; VG Wiesbaden, Beschl. v. 25.06.2012, 25 L 248/12.WI.D; beide juris; VG Magdeburg, Beschluss v. 01.04.2022, 15 B 1/22; juris gemeldet).
Soweit der Antragsgegner mitteilt, dass die „übrigen Vorwürfe derweil weiter ermittelt werden“, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar spricht aufgrund des disziplinarrechtlichen Grundsatzes der „Einheitlichkeit des Disziplinarverfahrens“ vieles dafür, dass das durch mehrere Geschehnisse geprägte behördliche Disziplinarverfahren insgesamt auszusetzen ist, wenn auch nur ein Teilbereich strafrechtlichen Ermittlungen und der öffentlichen Klage unterliegt. Entscheidet sich die Ermittlungsbehörde dafür, die disziplinarrechtlichen Ermittlungen wegen der nicht strafrechtlich relevanten Teile fortzusetzen, ist dagegen nichts einzuwenden. Jedenfalls ist – wegen der Einheitlichkeit des Disziplinarverfahrens – eine Fristsetzung nach § 60 DG LSA für diesen – isolierten – Teil der Ermittlungen nicht angebracht. Denn der Antragsteller ist diesbezüglich nicht beschwert. Die Ermittlungen gehen quasi „freiwillig“ weiter, was dem Antragsteller hinsichtlich der Beschleunigung nur zu Gute kommen kann. Letztendlich gibt diese Art der „Zweiteilung“ dem Antragsgegner auch die Möglichkeit, nicht relevante Vorwürfe frühzeitig auszuklammern und einer eventuellen späteren disziplinarrechtlichen Maßnahme oder der Erhebung der Disziplinarklage nicht mehr zugrunde zu legen und so der vom Disziplinargericht angemahnten substantiierten Klageschrift unter Beachtung der Evidenz und Gewichtung der Vorwürfe nachzukommen (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 24.11.2020, 15 A 12/19; juris).
Daher sieht das Gericht keinen Anlass, aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls hier eine gerichtliche Fristsetzung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 DG LSA vorzunehmen.
3.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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