Strafrecht

Bescheid, Beamte, Anordnung, Wiederholungsgefahr, Kostenentscheidung, Attest, Vollstreckung, Schmerzen, Ermessensfehler, Behandlung, Klage, Fahrer, Sicherheitsleistung, Landesrecht, erkennungsdienstliche Behandlung, Kosten des Verfahrens, polizeiliche Anordnung

Aktenzeichen  RO 4 K 20.163

Datum:
2.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49472
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die zulässige Klage, über die das Gericht wegen des Verzichts der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)), bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 2.1.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite fehlt es nicht an der formellen Rechtmäßigkeit, weil eine unzuständige Behörde gehandelt hätte. Die Strafprozessordnung (StPO) enthält keine Regelung über die Zuständigkeit für Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge nach § 81 b 2. Alt. StPO, so dass sich die Zuständigkeit nach Landesrecht beurteilt (BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2/05, juris, Rn. 19). Somit gilt für die Zuständigkeit Art. 3 Abs. 1 Polizeiorganisationsgesetz (POG), wonach jeder im Vollzugsdienst tätige Beamte zur Wahrnehmung von Aufgaben im gesamten Staatsgebiet befugt ist.
Der Kläger wurde auch vor dem Erlass des Bescheides den gesetzlichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) entsprechend angehört. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Kläger zumindest mündlich über die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung informiert wurde und diese ausdrücklich verweigert hat. Damit bestand für den Kläger ausreichend Gelegenheit, sich vor Erlass der Anordnung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dass die Anhörung mündlich erfolgte, ist unschädlich, weil für die Anhörung der Grundsatz der Formfreiheit gilt (Ramsauer in Kopp, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 28 Rn. 39).
2. Der Bescheid vom 6.2.2020 ist auch materiell rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers ist § 81b Alt. 2 StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Vorschrift ermächtigt zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge und dient – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten (vgl. z.B. BVerwG, U. v. 23.11.2005 – 6 C 2/05 -, juris Rn. 18; BayVGH, B, v. 23.11.2009 – 10 CS 09.1854 -, juris Rn. 9).
b) Der Kläger war zum Zeitpunkt der Anordnung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung unstreitig Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das gegen ihn wegen Körperverletzung geführt wurde. Dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn durch Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 20.5.2020 eingestellt wurde, ändert weder an der einschlägigen Rechtsgrundlage noch an der in § 81b 2. Alt. StPO genannten Beschuldigteneigenschaft etwas. Für die Anwendung des § 81b 2. Alt. StPO und die Beschuldigteneigenschaft kommt es allein darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides formell betrachtet Beschuldigter eines Strafverfahrens war. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass deren Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss (BVerwG, U. v. 23.11.2005 – 6 C 2/05, juris, Rn. 20). Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unberührt (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 – 10 B 12.2078, juris, Rn. 19 m.w.N.).
c) Der Beklagte ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers notwendig ist. Da diese noch nicht vollzogen wurde, kommt es für die Beurteilung der Notwendigkeit der Maßnahme auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts an (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 – 10 B 12.2078, juris, Rn. 20 m.w.N.).
Die Notwendigkeit i.S.d § 81b Alt. 2 StPO bestimmt sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen Straftat einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen, den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend, fördern könnten (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005 – 6 C 2/05, juris, Rn. 22). Für die Prognose zur Wiederholungsgefahr sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit und der Zeitraum, währenddessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, als Anhaltspunkte heranzuziehen (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 – 10 B 12.2078, juris, Rn. 25).
Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Einschätzung des Beklagten, dass nach sachgerechter und vertretbarer kriminalistischer Erfahrung tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der Kläger könne als Tatverdächtiger eines Körperverletzungsdelikts auch künftig in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden, als zutreffend. Die dem Kläger vorgeworfene Körperverletzung eignet sich als Anlasstat (dazu aa)), es ist auch von einer Gefahr auszugehen, dass der Kläger erneut tatverdächtig werden könnte (dazu bb)) und es fehlt auch nicht an der Verhältnismäßigkeit (dazu cc)).
aa) Zu Unrecht meint der Kläger, die Ereignisse vom 30.09.2019 stellten keine geeignete Anlasstat dar. Denn weder handelt es sich bei den dem Kläger vorgeworfenen Delikt um ein Bagatelldelikt (dazu (1)) noch ist der Restverdacht durch die Einstellungsverfügung des Amtsgerichts Regensburg am 20.05.2020 entfallen (dazu (2)).
(1) Körperverletzungsdelikte schützen die körperliche Unversehrtheit (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 223, Rn. 1) und damit ein hochrangiges, verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschütztes Rechtsgut. Sie lassen sich, auch wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik die einfache Körperverletzung nicht explizit als Gewaltdelikt ausweist, letztlich der Gewaltkriminalität zuordnen, so dass die Überlegung, es handle sich um „Bagatellkriminalität“ schon im Ansatz verfehlt ist.
(2) Durch die Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO ist auch nicht der Restverdacht eines Körperverletzungsdelikts gegen den Kläger entfallen. Dabei geht der Einwand des Klägervertreters, es gebe bei einer Einstellung nach § 153 StPO keinen positiv festgestellten Sachverhalt schon deshalb ins Leere, weil es darauf gar nicht ankommt. Zwar setzt die Anwendung von § 153 StPO keine Schuldfeststellung voraus, anderseits bleibt es aber eben ausdrücklich gerade offen, ob sich der Betroffene wirklich schuldig gemacht hat (vgl. Diemer in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153, Rn. 5).
Vorliegend stehen sich unterschiedliche Versionen des Klägers und des Anzeigeerstatters über den Tathergang gegenüber. Letztlich hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 StPO offen gelassen, ob es der vom Kläger oder der vom Anzeigeerstatter geschilderten Version folgt. Bei dieser Sachlage bleibt ein Restverdacht gegen den Kläger bestehen.
bb) Der Beklagte ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Gefahr besteht, der Kläger könne erneut in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einer Straftat einbezogen werden. Der Kläger trat nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Angaben des Beklagten seit 1990 insgesamt 28mal polizeilich in Erscheinung. Der gegen ihn vorliegend fortbestehende Restverdacht reiht sich somit in eine lange Kette weiterer Fälle ein, in welchen der Kläger in den vergangenen Jahren im Verdacht stand, Straftaten begangen zu haben. Entgegen der Auffassung des Prozessvertreters des Klägers liegen die schwerwiegenden Delikte auch nicht zehn Jahre und länger zurück. Vielmehr hat der Beklagte unwidersprochen dargelegt, dass zuletzt am 20.3.2016 und am 12.4.2016 wegen Körperverletzung und am 1.11.2017 wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Kläger ermittelt wurde.
Unzutreffend ist auch der Einwand, der Beklagte gehe davon aus, es sei in diesen Fällen lediglich nicht gelungen, den Tatnachweis gegen den Kläger zu führen. Vielmehr liegt der Grundkonzeption der präventiven Norm des § 81b 2. Alt. StPO zugrunde, dass aus der Tatsache, dass jemand mehrfach ins Blickfeld der Strafverfolgungsorgane geraten ist, der Schluss gezogen werden kann, dass sich dieses Risiko – ganz unabhängig von der Frage, ob der Betreffende tatsächlich das entsprechende Delikt begangen hat – erneut verwirklichen kann. Dies entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung. Daher belegen die gegen den Kläger mehrfach geführten Ermittlungen wegen Körperverletzungsdelikten eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger wieder in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen Straftat, insbesondere nach den §§ 223 ff. Strafgesetzbuch (StGB), einbezogen werden könnte.
Auch mit dem Einwand, eine Wiederholungsgefahr bestehe nur bei Sexualdelikten, kann der Kläger nicht durchdringen. Vielmehr handelt es sich gerade bei Körperverletzungsdelikten um Straftaten, bei denen nach kriminalistischer Erfahrung eine statistisch deutlich erhöhte Rückfallgefahr besteht (vgl. Harrendorf, Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern, 2007, S. 388). Diesem Erfahrungssatz hat der Kläger nichts Substantiiertes entgegengesetzt, was eine andere Einschätzung rechtfertigen könnte.
cc) Die angeordnete Maßnahme ist im Hinblick auf den vergleichsweise geringen Eingriff auch nicht unverhältnismäßig. Ermessensfehler der Beklagtenseite bei Erlass der Anordnungen sind nicht ersichtlich. Dass Finger- und Handflächenabdrücke, Lichtbilder, festgestellte äußere körperliche Merkmale sowie Messung und Personenbeschreibung bei einer noch aufzuklärenden anderen Straftat für Ermittlungserfolge oder auch für die Widerlegung eines etwaigen, gegen den Kläger bestehenden Verdachts hilfreich sein können, liegt auf der Hand.
Das Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung künftiger Straftaten und dem Schutz der betroffenen hochrangigen Rechtsgüter überwiegt daher deutlich das Interesse des Klägers, von dem durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten, vergleichsweise geringfügigen Grundrechtseingriff verschont zu bleiben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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