Strafrecht

Beschwerde, Verteidiger, Krankenhaus, Anklage, Nichtabhilfeentscheidung, Strafkammer, Unterbringung, Sachschaden, Tatverdacht, Betreuung, Gutachten, Schriftsatz, Nachstellung, Unterbringungsbefehl, weitere Beschwerde, einstweilige Unterbringung, psychiatrischen Krankenhaus

Aktenzeichen  1 Ws 163/21

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44015
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

3 KLs 112 Js 3439/20 2021-02-17 Bes LGCOBURG LG Coburg

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Angeschuldigten wird der Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg vom 17.02.2021 aufgehoben. Der Unterbringungsbefehl der 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg vom 25.01.2021 wird aufgehoben.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeschuldigten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.
Der Angeschuldigten liegen gemäß Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Coburg vom 11.01.2021 Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Nachstellung in drei Fällen, in einem Fall davon in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und in einem weiteren Fall davon in Tateinheit mit Verleumdung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und in einem weiteren Fall davon in Tateinheit mit Verleumdung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beleidigung in acht tateinheitlichen Fällen zur Last. Wegen der Einzelheiten der Taten wird auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug genommen.
Die 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg hat mit Beschluss vom 25.01.2021 auf der Grundlage der Anklage die einstweilige Unterbringung der Angeschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 126a StPO angeordnet (wobei die Strafkammer hier von insgesamt vier Fällen der Nachstellung ausging, richtigerweise betreffen die Ziff. 3 und 4 der Anklage bzw. des Unterbringungsbefehls nur einen einzigen Fall der Nachstellung). Auf den Inhalt des Beschlusses wird ebenfalls Bezug genommen.
Die 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg hat auf Antrag der Angeschuldigten mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 02.02.2021 am 10.02.2021 eine mündliche Unterbringungsprüfung durchgeführt und mit Beschluss vom 17.02.2021 den Unterbringungsbefehl des Landgerichts Coburg vom 25.01.2021 aufrechterhalten und in Vollzug gehalten. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird ebenfalls Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss hat die Angeschuldigte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 18.02.2021, beim Landgericht Coburg eingegangen am 19.02.2021, Beschwerde eingelegt.
Die 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg hat mit Beschluss vom 22.02.2021 der Beschwerde nicht abgeholfen.
Hiergegen hat der Verteidiger der Angeschuldigten mit Schriftsatz vom 24.02.2021, beim Landgericht Coburg eingegangen am selben Tage, eine als solche bezeichnete weitere Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat mit Verfügung vom 03.03.2021 beantragt, die Beschwerde der Angeschuldigten gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts 1 Ws 163/21 – Seite 3 – Coburg vom 17.02.2021 in Verbindung mit dem Unterbringungsbefehl der 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg vom 25.01.2021 kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 18.02.2021 eingelegte Beschwerde der Angeschuldigten gegen die zeitlich letzte Entscheidung über Bestand und Fortdauer der einstweiligen Unterbringung mit Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Coburg vom 17.02.2021 ist statthaft (§ 304 Abs. 1 StPO) und zulässig eingelegt (§ 306 Abs. 1 StPO). Das nach § 306 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Abhilfeverfahren hat stattgefunden.
Der Senat wertet die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 24.02.2021 eingelegte als solche bezeichnete weitere Beschwerde gegen die Nichtabhilfeentscheidung als bloße Bekräftigung und Aufrechterhaltung der bereits mit Schriftsatz vom 18.02.2021 eingelegten Beschwerde. Die Erklärung geht ins Leere, weil die Nichtabhilfeentscheidung keine eigene anfechtbare Entscheidung darstellt, insbesondere ihrem Wesen nach keine neue, von der angefochtenen Entscheidung verschiedene Sachentscheidung enthält. Eine Abhilfeentscheidung bildet mit der durch sie berichtigten Entscheidung verfahrensrechtlich eine Einheit (vgl. MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 306, Rn. 8 m. w. N.); für die Nichtabhilfeentscheidung kann – erst recht – nichts Anderes gelten.
Die Beschwerde erweist sich als begründet.
Zwar ist die Angeschuldigte der ihr zur Last gelegten Taten dringend verdächtig und es bestehen auch dringende Gründe für die Annahme, dass die Angeschuldigte diese Taten im Zustand der zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nämlich aufgrund vermutlich erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit infolge eines hirnorganischen Psychosyndroms begangen hat. Insoweit kann der Senat uneingeschränkt auf den angefochtenen Beschluss Bezug nehmen.
Es bestehen jedoch keine dringenden Gründe für die Annahme, dass die Angeschuldigte deswegen gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist.
Die der Angeschuldigten zur Last gelegten Taten und auch die von ihr künftig zu erwartenden Taten erreichen nicht die Erheblichkeitsschwelle, die § 63 StGB voraussetzt.
Bei den zu erwartenden rechtswidrigen Taten muss es sich um Taten handeln, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, wenn also die zu erwartenden Taten 1 Ws 163/21 – Seite 4 – die Schwelle der erheblichen Schädigung oder Gefährdung oder des schweren wirtschaftlichen Schadens überschreiten. Die Gefahr von Gewalt- und Aggressionsdelikten reicht in der Regel aus, die von Bagatelltaten nicht, auch wenn gegebenenfalls serienweise Begehung zu erwarten ist. Angesichts des äußerst belastenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB müssen die Anforderungen hoch sein; die Anordnung ist daher nur bei der Gefahr von solchen Störungen des Rechtsfriedens verhältnismäßig, die mindestens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen. So reicht auch die Gefahr konkretisierter, von den Betroffenen ernst genommener Bedrohungen mit schweren Gewalttaten im Einzelfall aus, wenn aus Sicht des Betroffenen eine erhebliche Gefahr der Verwirklichung gegeben ist. Bei der Beurteilung kommt es auch auf die konkret zu erwartende Art der Tatbestandserfüllung an. Dass bislang begangene Taten deshalb nicht zu gravierenden Folgen führten, steht der Anordnung nicht entgegen. Körperverletzungen durch Faustschläge ins Gesicht sind keine Bagatelltaten mehr. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen unter 5 Jahren bedroht sind, sind nicht ohne weiteres als erheblich anzusehen. Umgekehrt sind Taten mit Strafdrohungen bis 5 Jahre nicht ohne weiteres der mittleren Kriminalität zuzuordnen (zu alledem Fischer, StGB, 68. Aufl. § 63, Rn. 26ff m. w. N.). Die Neufassung durch das Gesetz vom 08.07.2016 hat den Begriff der erheblichen Tat durch die Umschreibung erläutert, die drohende (erhebliche) Tat müsse das Opfer seelisch oder körperlich erheblich schädigen oder schweren wirtschaftlichen Schaden anrichten. Eine erhebliche Schädigung körperlicher Art ist hierbei nicht nur eine schwere Körperverletzung; andererseits reicht eine Verletzung nicht aus, die gerade eben die Schwelle des § 223 Abs. 1 StGB überschreitet. Entsprechendes gilt für seelische Schädigungen. Insoweit ist nicht erforderlich, dass psychiatrische Erkrankungen oder typische Symptome psychiatrischer Erkrankungen gegeben sind. Es genügen gravierende Angstzustände, Unsicherheitsgefühle und im weiteren Sinn „Traumatisierungen“. Die Grenze des schweren wirtschaftlichen Schadens soll sich bei 5000 € orientieren (hierzu weiter Fischer, a.a.O., Rn. 29). An den Begriff der Erheblichkeit sind nach herrschender Meinung in § 63 StGB zwar nicht so hohe Anforderungen zu stellen wie in § 66 StGB; jedoch darf die Unterbringung gemäß § 62 StGB in keinem Fall außer Verhältnis zum Gewicht der zu erwartenden Taten stehen. Die Erheblichkeit drohender zukünftiger Taten kann sich im Einzelfall, ohne dass weitere Darlegungen erforderlich sind, aus der Anlasstat ergeben, auch aus der Art der drohenden Delikte, etwa wenn dies Verbrechen sind. In der Regel reicht es 1 Ws 163/21 – Seite 5 – aber nicht aus, allein das Gewicht des Straftatbestandes festzustellen, dessen Begehung droht; vielmehr kommt es entscheidend auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung an (Fischer, a.a.O., Rn. 30).
Nach diesen Maßstäben ist festzustellen, dass der Angeschuldigten bislang im Wesentlichen ehrverletzende und belästigende rechtswidrige Taten zur Last liegen. Schwerere Straftaten sind auch dem Auszug aus dem Bundeszentralregister nicht zu entnehmen. Soweit auch Körperverletzungsdelikte sowie gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr im Raume stehen, sind diese bislang nicht mit besonders hoher krimineller Energie oder mit besonders gefährlichen Mitteln sondern ersichtlich spontan und nicht planvoll verübt worden. Die der Angeschuldigten zur Last liegende Sachbeschädigung wurde zwar wohl planvoll verübt. Der entstandene Sachschaden erreicht jedoch noch nicht die Erheblichkeitsschwelle. Dass die Angeschuldigte – so der dringende Tatverdacht – durch eine erhebliche Perseveranz ihres strafbaren Verhaltens imponiert, genügt nach vorstehenden Ausführungen nicht, um unter diesen Umständen die Erheblichkeit ihrer Taten i.S. v. § 63 StGB zu begründen.
Es bestehen auch keine konkreten Umstände für die Erwartung, dass die Angeschuldigte aufgrund des bei ihr dringend zu vermutenden Störungsbildes künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Der Sachverständige Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 25.11.2020 hierzu lediglich ausgeführt (dort Seite 44), dass ohne Änderung der derzeitigen Wohn-, Lebens- und Kontaktsituation der Angeschuldigten nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich auch zukünftig körperliche Übergriffe ereignen, die mitunter den Bereich der Körperverletzung sicherlich erreichen, aber sodann auch zu erheblich höheren Verletzungen der Geschädigten führen können, insbesondere dann, wenn Tatwerkzeuge zur Anwendung kämen, die einen wesentlich gewichtigeren Verletzungscharakter der Geschädigten implizierten. Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, dass lediglich durch die von ihm vorgeschlagene Veränderung der Lebenssituation und psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung der Angeschuldigten die Minimierung weitere Risiken des Rückfalls in das bereits bekannte aber auch – nicht ausschließbar – darüber hinausgehende Tatmuster zu erzielen sei.
Dass eine Steigerung der Qualität rechtswidriger Handlungen, insbesondere im Hinblick auf schwerwiegendere Folgen bei Eintritt weiterer Bedingungen besteht bzw. nicht ausschließbar ist, genügt nicht. Der Sachverständige benennt darüber hinaus keine konkreten Umstände, die eine solche Steigerung bei der Angeschuldigten erwarten lassen. Dagegen spricht, dass 1 Ws 163/21 – Seite 6 – sich das Tatmuster bei der Angeschuldigten in der Gesamtschau über Jahre hinweg nicht wesentlich geändert hat.
Auch der angefochtene Beschluss in Verbindung mit dem Unterbringungsbefehl vom 25.01.2021 benennt keine solchen konkreten Umstände. Hinsichtlich des Sachverständigen Dr. F. ist eine Steigerung der Intensität der Handlungen der Angeschuldigten zwar hinsichtlich Anzahl und Frequenz feststellbar, nicht jedoch hinsichtlich ihrer Qualität.
Die Sicherung des Fortgangs des Verfahrens ist nicht Zweck der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO, wenn zudem die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Nr. 3 b) StPO oder des § 112a StPO nicht vorliegen. Woraus die Strafkammer im Übrigen die Überzeugung nimmt, dass ein langjähriger erfahrener Gutachter sich durch das Verhalten der Angeschuldigten, welches er ohne Weiteres als krankheitsbedingt einordnen kann, derart zermürben ließe, dass in seiner Person die Besorgnis der Befangenheit besteht, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch, soweit im Unterbringungsbefehl das Verhalten der Angeschuldigten gegenüber dem Sachverständigen konkret geschildert wird.
Es ist zwar zu vermuten, dass die unbehandelte und in Freiheit befindliche Angeschuldigte gegenüber beliebigen anderen Personen, mit denen sie in eine soziale Interaktion eintritt und auf irgendeine Art und Weise, sei es objektiv, sei es subjektiv, in Konfliktsituationen gerät, das ihr angelastete Verhalten in gleicher Art und Weise fortsetzen würde; jedoch begründet auch dies ohne weitere konkrete Anhaltspunkte nicht die Annahme, dass die Angeschuldigte dabei die Qualität ihres Verhaltens hin zu erheblichen rechtswidrigen Taten steigern würde.
Daher war auf die Beschwerde der Angeschuldigten hin die Haftprüfungsentscheidung der Strafkammer aufzuheben und stattdessen die Aufhebung des Unterbringungsbefehls anzuordnen.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 473, Rn. 2).


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