Strafrecht

Besondere Umstände als Voraussetzung für Reststrafaussetzung nach Verbüßung von Halbstrafe

Aktenzeichen  3 Ws 140/16

Datum:
8.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 106792
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB StGB § 57 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Besondere Umstände iSd § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen vor, wenn sich das Gesamtbild des vorliegenden Vollstreckungsfalls deutlich positiv von durchschnittlichen Fällen ähnlicher Art abhebt. Dabei ist ein Umstand von einer Einbeziehung in die wertende Prüfung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er bei der Festsetzung der Strafe bereits berücksichtigt worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Je weiter sich die zu verbüßende Freiheitsstrafe von der 2-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfernt, umso mehr muss sich der zu beurteilende Sachverhalt von vergleichbaren Durchschnittsfällen positiv abheben, damit besondere Umstände iSd § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht werden können. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 KLs 501 Js 127135/95 2015-12-14 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten Kxx Sxx wird der Beschluss der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. Dezember 2015 aufgehoben.
II. Die Vollstreckung des Strafrests der Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten aus dem Urteil der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. November 2013 wird zur Bewährung ausgesetzt.
III. Die Bewährungszeit wird auf 5 Jahre festgesetzt.
IV. Der Verurteilte wird angewiesen, während des Laufs der Bewährungszeit jeden Wechsel des Wohnsitzes der Strafkammer unter Angabe des Aktenzeichens mitzuteilen.
V. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
Der Senat war mit diesem Strafverfahren bereits mehrfach befasst. Zuletzt verwarf der Senat mit Beschluss vom 16. Januar 2014 die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. November 2013 mit der Maßgabe als unbegründet, dass der Beschluss der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. Mai 2012, modifiziert durch den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 13. Juli 2013, in Ziffer II. 2. dahingehend abgeändert wird, dass sich der Verurteilte zweimal pro Woche und zwar jeden Dienstag und jeden Donnerstag einer Woche bis spätestens 10.00 Uhr bei der Polizeiinspektion Landsberg zu melden habe und dass Ziffer II. 3. aufgehoben werde (3 Ws 988/13). Für den Verfahrensgang bis zu diesem Zeitpunkt wird auf die Beschlüsse des Senats vom 16. Januar 2014 (3 Ws 988/13), vom 13. Juni 2013 (3 Ws 460/13), vom 13. September 2012 (3 Ws 806/12), vom 18. Mai 2012 (3 Ws 471/12), vom 22. Februar 2012 (3 Ws 151/12) und vom 12. Januar 1998 (3 Ws 756/97) Bezug genommen.
Ergänzend für das vorliegende Vollstreckungsverfahren wird folgendes ausgeführt.
Mit Urteil der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. November 2013, rechtskräftig seit 28. August 2015, wurde der Beschwerdeführer wegen Steuerhinterziehung in 6 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten verurteilt. Ferner wurde die vom Beschwerdeführer im Ausland erlittene Freiheitsentziehung von 166 Tagen im Maßstab 1:1 angerechnet.
In der Zeit vom 3. August 2009 bis 21. Mai 2012 befand sich der Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt Augsburg in Untersuchungshaft. Unter Anrechnung der im Ausland erlittenen Freiheitsentziehung und der Untersuchungshaft hat der Beschwerdeführer etwas mehr als die Hälfte der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten verbüßt. Bis zum Zweidritteltermin sind je nach Strafantritt gemäß der Mitteilung der Vollstreckungsbehörde noch ca. 394 Tage zu verbüßen. Mit Verfügung vom 31. August 2015 wurde der Verurteilte von der Staatsanwaltschaft Augsburg bis spätestens 17. September 2015 zum Strafantritt in die Justizvollzugsanstalt Landsberg geladen.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 4. September 2015 beantragte der Verurteilte bei der Staatsanwaltschaft Augsburg den Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit. Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 4. September 2015 beantragte der Beschwerdeführer bei der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg, die zweite Hälfte der mit Urteil der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten gemäß § 57 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen.
Mit Verfügung vom 4. September 2015 teilte die Staatsanwaltschaft Augsburg dem Beschwerdeführer mit, dass bis zur Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Strafe zur Bewährung von Zwangsmaßnahmen abgesehen werde. Mit Verfügung vom 21. September 2015 trat die Staatsanwaltschaft Augsburg einer Strafaussetzung zur Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt entgegen. Die Justizvollzugsanstalt Augsburg trat in einer Stellungnahme vom 20. Oktober 2015 einer Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB entgegen, da aus dortiger Sicht besondere Umstände nicht erkennbar seien.
Am 16. November 2015 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Verteidiger, Rechtsanwalt E. und Rechtsanwalt Prof. Dr. K., von der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg mündlich angehört.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2015 setzte die 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung der Hälfte der mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. November 2013, rechtskräftig seit 28. August 2015, verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten nicht zur Bewährung aus.
Gegen diesen seinem Verteidiger Rechtsanwalt Prof. Dr. K. am 17. Dezember 2015 zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom 22. Dezember 2015, welcher am gleichen Tag bei Gericht einging, sofortige Beschwerde ein, welche er mit Anwaltsschriftsatz vom 18. Januar 2016 begründete.
Der Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 25. Januar 2016 und die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München vom 8. Februar 2016 wurden dem Beschwerdeführer zur Kenntnis- und zur möglichen Stellungnahme zugeleitet. Mit Verteidigerschriftsatz vom 4. März 2016 begründete der Verurteilte seine sofortige Beschwerde weiter.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 454 Abs. 3 Satz 1, 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO statthaft und zulässig. Die sofortige Beschwerde erweist sich auch als begründet.
Die 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg war gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO zur Entscheidung über die Strafrestaussetzung gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB berufen, da sich der Beschwerdeführer bislang in diesem Verfahren nicht in Strafhaft befunden hat.
Nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann im vorliegenden Verfahren der Strafrest bereits nach 3 Ws 140/16 – Seite 4 Verbüßung von etwas mehr als der Hälfte zur Bewährung ausgesetzt werden. Dabei hindert die Tatsache, dass sich der Verurteilte nicht in Strafhaft befindet, die Anwendung des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht (vgl. Fischer in Kommentar zum Strafgesetzbuch 63. Aufl. § 57 Rn. 8; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 29. Aufl. § 57 Rn. 6). Nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann das Gericht schon nach der Verbüßung der Hälfte der zeitigen Freiheitsstrafe den Strafrest zur Bewährung aussetzen, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen und die übrigen Voraussetzungen von § 57 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Es handelt sich hierbei um eine zeitliche Erweiterung der Entlassungsmöglichkeit, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Es reicht für eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt nicht aus, dass die Führung des Verurteilten im Strafvollzug beanstandungsfrei ist, das Vollzugsziel, den Verurteilten zu einem Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu befähigen, erreicht scheint und im Falle einer Haftentlassung ein geordneter sozialer Empfangsraum besteht. Hieraus folgt vielmehr, dass die Legalprognose günstig ist und somit nicht bereits die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB einer vorzeitigen Entlassung entgegenstehen (vgl. Oberlandesgericht München vom 15. Februar 2011, 1 Ws 135-136/11).
Vorliegend ist dem Beschwerdeführer auf Grund der zutreffenden Ausführungen der Strafkammer, denen sich der Senat anschließt, eine positive Legalprognose zu stellen.
Eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nach Verbüßung von mindestens der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe ist möglich, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen nach § 57 Abs. 1 StGB, insbesondere der dort verlangten positiven Sozialprognose, bei einer Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs besondere Umstände anzunehmen sind. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn das Gesamtbild der begangenen Taten und der Persönlichkeit des Verurteilten ihn in seiner Entwicklung deutlich positiv von durchschnittlichen Fällen ähnlicher Art abheben. Dabei ist ein Umstand von einer Einbeziehung in die wertende Prüfung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er bei der Festsetzung der Strafe – sei es im Rahmen der Findung des Strafrahmens, sei es bei der Festsetzung der konkreten Strafhöhe -bereits berücksichtigt worden ist. Das Gesamtbild muss von Milderungsgründen deutlich gekennzeichnet sein, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen und einfachen Milderungsgründen besonderes Gewicht besitzen und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der Vorschrift des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB um eine Ausnahmevorschrift handelt (vgl. Fischer a.a.O. § 57 Rn. 29; Stree/Kinzig a.a.O. § 57 Rn. 23 b; Dünkel in Nomos-Kommentar StGB 4. Aufl. § 57 Rn. 55 ff.; OLG München vom 3. März 2008, 2 Ws 173, 180/08; Beschluss des Senats vom 22. September 2009, 3 Ws 824/09).
Ferner ist zu beachten, dass je weiter sich die zu verbüßende Freiheitsstrafe von der 2-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfernt, umso mehr der zu beurteilende Sachverhalt von vergleichbaren Durchschnittsfällen sich positiv abheben muss, damit besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht werden können (vgl. OLG München vom 25. August 2009, 2 Ws 710/09; OLG München vom 15. Februar 2011, 1 Ws 135-136/11).
Nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze liegen bei dem Beschwerdeführer besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Beschwerdeführer wegen 6 Taten der Steuerhinterziehung, davon in 5 Fällen in einem besonders schweren Fall, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten verurteilt worden ist. Hierbei stellte die 10. Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung im Urteil vom 14. November 2013 fest, dass der Beschwerdeführer bei der Tatbegehung in einer über das Übliche der Steuerhinterziehung weit hinausgehenden Art und Weise kriminelle Energie aufgewandt hatte, um sich seinen steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen und die begangenen Taten mit der Einschaltung ausländischer Domizilgesellschaften und der Implementierung eines schwer durchschaubaren Kontensystems in der Schweiz zu verschleiern. Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Gesamtfreiheitsstrafe aus Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von 6 Monaten, zweimal 1 Jahr 9 Monaten, 2 Jahre 6 Monaten, 3 Jahre und 4 Jahre 6 Monaten zusammensetzt. Es ist mithin festzuhalten, dass zwei der verhängten Einzelstrafen knapp unter der 2-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegen und drei verhängte Einzelstrafen zum Teil deutlich über der 2-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung wirkt sich auch zu Lasten des Verurteilten aus, dass dieser die Straftaten über einen langen Zeitraum hinweg begangen hat. So erzielte der Beschwerdeführer Einkünfte in der Zeit von 1988 bis 1993 und gab falsche Einkommensteuererklärungen in der Zeit vom 20. Dezember 1989 bis 20. Februar 1995 ab. Schließlich hat der Beschwerdeführer ausweislich der Urteilsfeststellungen Steuern in einem ganz erheblichen Umfang von insgesamt mehr als 17 Mio. DM verkürzt. Auf diese Steuerschulden hat der Verurteilte nach Auskunft des Finanzamts Augsburg-Stadt vom 13. November 2015 keine aktiven Zahlungen geleistet. Es wurde allerdings am 21. Mai 2012 vom Finanzamt Landsberg die Kaution in Höhe von 100.000,– € gepfändet.
Diesen schulderhöhenden Umständen stehen mehrere gewichtige strafmildernde Umstände gegenüber, die zwar jeweils für sich allein nicht ausreichen, um besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzunehmen, abgesehen vielleicht von der Frage des gesundheitlichen Zustands des Beschwerdeführers, die aber jedenfalls in ihrer Gesamtheit den vorliegenden Vollstreckungsfall von vergleichbaren Durchschnittsfällen deutlich strafmildernd abheben.
Die Tatzeiten der abgeurteilten Straftaten liegen zum Teil mehr als 26 Jahre zurück. Die letzte Einkommensteuererklärung gab der Beschwerdeführer am 20. Februar 1995 ab und der Einkommensteuerbescheid erging am 22. Juni 1995. Auch die letzte Tatbegehung liegt mithin bereits mehr als 20 Jahre zurück. Ferner ist zu berücksichtigen, dass bereits am 9. August 1995 die Vernehmung des Beschwerdeführers angeordnet worden ist. Das Ermittlungs- und Strafverfahren dauerte also bis zu seinem rechtskräftigen Verfahrensabschluss 20 Jahre, sodass der Beschwerdeführer durch die Kenntnis von dem Strafverfahren und den drohenden strafrechtlichen Folgen für eine lange Dauer psychischen Belastungen ausgesetzt war. Dieser Gesichtspunkt gilt trotz der Tatsache, dass der Beschwerdeführer durch die legitime Ausschöpfung von Rechtsbehelfen einen nicht unerheblichen Teil der langen Verfahrensdauer selbst mitverursacht hat. Dementsprechend hat die Strafkammer im Urteil vom 14. November 2013 zu Recht keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angenommen. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kann damit entgegen den Ausführungen der Verteidigung dem Beschwerdeführer nicht zugute gehalten werden, die psychischen Belastungen durch ein lang andauerndes Verfahren allerdings schon.
Daneben ist in die Abwägung einzustellen, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Erstverbüßer handelt (zu diesem Gesichtspunkt vgl. Fischer a.a.O. § 57 Rn. 29; Stree/Kinzig a.a.O. § 57 Rn. 25). Dagegen hat die lange Dauer der Untersuchungshaft keinen Einfluss auf die Gesamtabwägung, weil erst durch deren Anrechnung der Anwendungsbereich der Halbstrafenregelung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB überhaupt eröffnet ist. Zu berücksichtigen sind aber die Beschränkungen, denen der Beschwerdeführer während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls aufgrund der Auflagen und Weisungen aus den Außervollzugsetzungsbeschlüssen unterlag. So ordnete der Außervollzugsetzungsbeschluss der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 14. Mai 2012 an, dass sich der Beschwerdeführer täglich bei der für seinen Wohnort zuständigen Polizeiinspektion in Landsberg am Lech zu melden hatte und der Beschwerdeführer sein Wohnsitzgrundstück nicht ohne vorangegangene Genehmigung durch das Landgericht Augsburg verlassen durfte. Dabei hat die 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg allerdings von der Möglichkeit solcher Genehmigungen umfassend Gebrauch gemacht. Mit Beschluss des Senats vom 13. Juni 2013 wurde dem Beschwerdeführer erlaubt, sich nach Erfüllung der Meldeauflage im unmittelbaren Anschluss daran zwei Stunden im Stadtgebiet der Stadt Landsberg am Lech bzw. im Gebiet des Markts Kaufering aufzuhalten. Mit Beschluss des Senats vom 16. Januar 2014 wurde die tägliche Meldeauflage dahingehend abgeändert, dass sich der Beschwerdeführer nur mehr zweimal pro Woche bei der Polizeiinspektion Landsberg am Lech zu melden hatte. Damit unterlag der Beschwerdeführer für einen Zeitraum von über 3 Jahren zwischen seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft und der Rechtskraft des Urteils einer hoch frequenten Meldeauflage und für einen langen Zeitraum auch einer Art „Hausarrest“.
Erheblich zugunsten des Angeklagten ist sein fortgeschrittenes Lebensalter (vgl. Dünkel a.a.O. § 57 Rn. 56) und die damit einhergehende hohe Strafempfindlichkeit (vgl. Stree/Kinzig a.a.O. § 57 Rn. 23 b) zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer wird am 25. März 2016 82 Jahre alt. Während der Untersuchungshaft erlitt er im März 2012 einen Herzinfarkt. Nach den Arztbriefen von Prof. Dr. W., dem behandelnden Facharzt für innere Medizin und Kardiologie, handelt es sich bei dem Beschwerdeführer um einen kardialen Hochrisikopatienten aufgrund seiner Diabetes Mellitus Typ II-Erkrankung, seines schweren Bluthochdrucks und einer Fettstoffwechselstörung. Bei den von ihm erhobenen Koronarbefunden könnten Blutdruckentgleisungen und auch Stresssituationen jederzeit wieder schwere Angina-Pectoris-Anfälle auslösen. Bei dem Beschwerdeführer liege eine Angststörung und Depression nach jahrelangem Haftaufenthalt vor. Aus Sicht von Prof. Dr. W. ist zu betonen, dass emotionaler Stress einen wesentlichen Risikofaktor für Angina-Pectoris-Anfälle, die Stress-Kardiomyopathie und den plötzlichen Herztod darstellt. Dies gelte insbesondere für kardial bereits vorgeschädigte Patienten wie den Beschwerdeführer. Diesen ärztlichen Befund hielt Prof. Dr. W. auch in seinen Arztbriefen vom 17. November 2014 und vom 9. September 2015 aufrecht. Auch Prof. Dr. S., Internist und Kardiologe des Klinikums Augsburg, hielt in seinem Arztbrief vom 2. Oktober 2015 nach einer ambulanten kardiologischen Untersuchung des Beschwerdeführers vom 28. September 2015 fest, dass bei dem Zustand des Beschwerdeführers nach stattgehabtem Herzinfarkt und bestehender Diabetes Mellitus ein ausgesprochen hohes Risiko für koronare Ereignisse bestehe. Es müsse daher das Ziel sein, die gegenwärtig stabilisierte kardiale Situation zu erhalten. Dies geschehe zum einen durch Fortführung der Medikation, zum anderen durch striktes Vermeiden stressreicher, belastender Situationen, die durch Aktivierung des Sympatikussystems und anderer Stresshormone zu einer Gefährdung des Patienten bezüglich koronarer Plaque-Rupturen mit erneutem Herzinfarkt und schlimmstenfalls plötzlichem Herztod führen könnten. Es handle sich um ein chronisches Krankheitsbild. Zwar bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die lang andauernde Hauptverhandlung bei Einhaltung der ärztlich angeordneten kurzen Verhandlungsdauer und Einhaltung der angeordneten Verhandlungspausen, soweit aus den Akten ersichtlich, ohne weiteres Infarktgeschehen überstanden hat, allerdings stellt der tatsächliche Haftantritt und der Vollzug der Strafhaft für den Beschwerdeführer nochmals eine ganz andere Stresssituation dar.
Nach Abwägung aller vorgenannten Umstände ist trotz der hohen Gesamtfreiheitsstrafe und der hohen Einzelstrafen sowie dem hohen Steuerhinterziehungsschaden aufgrund der langen Zeit, die seit der Tatbegehung vergangen ist, der langen Verfahrensdauer, des hohen Lebensalters des Beschwerdeführers und insbesondere seines erheblich angegriffenen Gesundheitszustands, von einem deutlichen Überwiegen der Milderungsgründe auszugehen, so dass besondere Umständen im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen.
Der Senat sieht sich auch nicht aus generalpräventiven Gründen gehalten, in der vorliegenden besonderen Fallkonstellation von einer Strafrestaussetzung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB abzusehen. Das Vorliegen besonderer Umstände muss nicht zwingend zur Strafrestaussetzung führen, vielmehr ist eine Ermessensentscheidung zu treffen. Im Vordergrund bleiben jedoch auch bei der Halbstrafenaussetzung spezialpräventive Erwägungen (vgl. Stree/Kinzig a.a.O. § 57 Rn. 25). Im vorliegenden Fall sprechen insbesondere die erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers gegen ein Überwiegen der generalpräventiven Aspekte. Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass etwaigen generalpräventiven Erwägungen nur die Tat in ihrem tatsächlichen Unrechts- und Schuldgehalt zugrunde zu legen ist und nicht der Eindruck von der Tat, den Pressemitteilungen erwecken (vgl. Stree/Kinzig a.a.O. § 57 Rn. 25).
Unter Berücksichtigung aller vorgenannten Erwägungen erweist sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers als begründet mit der Folge, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben war.
2. Die Festsetzung der Bewährungszeit folgt aus §§ 57 Abs. 3 Satz 1, 56 a Abs. 1 StGB. Die Weisung beruht auf §§ 57 Abs. 3 Satz 1, 56 c StGB.
3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 464, 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.

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