Aktenzeichen 1 StR 415/17
Verfahrensgang
vorgehend LG München II, 20. Mai 2016, Az: 2 KLs 44 Js 39925/14nachgehend BGH, 21. März 2018, Az: 1 StR 415/17, Beschluss
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts München II vom 20. Mai 2016, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und Wertersatzverfall hinsichtlich eines Betrages von 18.000 € angeordnet.
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Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Der Angeklagte konsumierte nach dem Verlassen der Schule im Jahr 1999 regelmäßig 1,5 Gramm Marihuana oder Haschisch am Tag. Anschließend konsumierte er – mit Ausnahme eines Zeitraums von fünf bis sieben Monaten im Jahr 2005 – bis Anfang 2007 täglich zwei bis drei Gramm Cannabis, bevor er diesen Konsum stark einschränkte. Von Ende 2009 bis April 2015 rauchte er durchschnittlich noch bei vier bis fünf Gelegenheiten pro Jahr Cannabisprodukte. Von 2005 bis Ende des Jahres 2008 nahm der Angeklagte nahezu jedes Wochenende LSD. Daneben konsumierte der Angeklagte in diesem Zeitraum vereinzelt Psychedelika sowie Metamphetamin. Von 2005 bis Anfang 2010 schnupfte der Angeklagte – mit Ausnahme von ein bis zwei Monaten im Jahr 2007 – an den Wochenenden ca. zwei bis drei Gramm Amphetamin. Nach einer mehrmonatigen Abstinenzphase im Jahr 2010 setzte der Angeklagte den Konsum von Amphetamin mit Mengen von ein bis zwei Gramm pro Tag an ungefähr 20 Tagen pro Monat bis zum Frühherbst 2012 fort. In den Wintermonaten 2012/2013 sowie 2013/2014 konsumierte er das Betäubungsmittel wiederum regelmäßig bis zu zwei Gramm am Tag. Von 2006 bis April 2015 konsumierte der Angeklagte MDMA bzw. MDA – vorbehaltlich seiner Konsumpausen – häufig am Wochenende, wobei der maximale Konsum pro Wochenende zwischen zwei bis acht Mal 0,1 Gramm MDMA bzw. MDA lag. Zudem nahm der Angeklagte von 2006 bis zu seiner Inhaftierung im April 2015 verschiedentlich Kokain, überwiegend nasal, zu sich.
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Der Angeklagte übte seit dem Jahr 2012 Fallschirmspringen als Hobby aus. Während der Fallschirmspringeraktivitäten in den Jahren 2013 bis 2015 verzichtete er jeweils darauf, Betäubungsmittel zu sich zu nehmen, so dass er teilweise mehrwöchig keine bzw. nur sehr vereinzelt Betäubungsmittel konsumierte, nämlich im Frühjahr und im Sommer 2013, von Mai bis Juli 2014, im Frühherbst 2014 und im Februar/März 2015. Auch während der Beziehung des Angeklagten mit der Zeugin M. von Anfang November 2014 bis Ende März 2015 nahm der Angeklagte keine Betäubungsmittel zu sich. Während der Konsumunterbrechungen fühlte sich der Angeklagte bis zu zwei Wochen nach Absetzen der verschiedenen Betäubungsmittel deprimiert, was er jeweils bewältigen konnte. Zu keinem Zeitpunkt litt er unter ausgeprägten, ihn stark belastenden, entzugsbedingten Beeinträchtigungen.
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Das Landgericht hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten festgestellt, dass diese neben dem Verschaffen von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum auch der Finanzierung seines Lebensunterhalts dienen sollten (UA S. 28 ff.).
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b) Die Strafkammer geht – gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen – davon aus, dass bei dem Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei (UA S. 140 f.). Der Angeklagte habe zwar langjährig einen Missbrauch von verschiedenen Betäubungsmitteln betrieben, dieser habe aber ab dem Jahr 2013 bis zu seiner Inhaftierung im April 2015 nicht dazu geführt, dass seine Gesundheit sowie seine Arbeits- und Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen seien. Der von dem Angeklagten betriebene Betäubungsmittelkonsum habe nicht zur Folge gehabt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung als sozial gefährdet oder sozial gefährlich einzustufen gewesen wäre. Der Angeklagte sei in der Lage gewesen, seinen Konsum aus eigener Kraft und eigenständiger Willensbildung zu reduzieren und zu kontrollieren, unter anderem, um den Anforderungen des Freizeitsports gerecht werden zu können. Dem Konsumverhalten des Angeklagten wohne daher nicht die „Dynamik süchtigen Konsums“ inne, sondern sei eher Folge eines gewählten Lebensstils und dissozialer Persönlichkeitsakzentuierungen. Vor diesem Hintergrund sei auch aus den verfahrensgegenständlichen Straftaten, mit denen der Angeklagte letztlich auch seinen zeitweiligen Drogenkonsum finanzierte, nicht zu schließen, dass der Angeklagte infolge pathologischer Konsumgewohnheiten sozial gefährlich oder gefährdet sei. Der Angeklagte habe die Taten gerade und vor allem auch zur Finanzierung seines – nicht durch seinen Drogenkonsum bedingten – Lebensunterhalts ausgeführt und dies uneingeschränkt auch während der mehrwöchigen bzw. mehrmonatigen Zeiträume, in denen er wegen anderer für ihn vorrangiger Interessen bewusst auf den Konsum von Betäubungsmitteln vollständig oder nahezu vollständig verzichtete.
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2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
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Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17 Rn. 10; vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 und vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07, StV 2008, 76 mwN; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210).
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Angesichts der Feststellung des Landgerichts, dass die verfahrensgegenständlichen Taten auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum dienen sollten (UA S. 28 ff.), kann die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von verschiedenen Betäubungsmitteln für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten daher nicht verneint werden. Dies gilt auch besonders vor dem Hintergrund der drei Vorahndungen des Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Im Übrigen erscheint im vorliegenden Fall eine eindeutige Abgrenzung von jahrzehntelangem, multiplem Substanzkonsum und dissozialen Persönlichkeitsakzentuierungen kaum möglich. Der Annahme eines Hanges steht schließlich nicht entgegen, dass der Angeklagte immer wieder in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).
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3. Rechtsfehlerhaft ist überdies die – von der Strafkammer nicht näher begründete – Verneinung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und den verfahrensgegenständlichen Taten. Eine Tat hat dann Symptomcharakter, wenn sie in dem Hang ihre Wurzel findet, also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat (BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128; Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75), also – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114 und vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75), was nach den Feststellungen des Landgerichts – wie zuvor ausgeführt – gegeben ist.
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4. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des – therapiewilligen (UA S. 14) – Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden.
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5. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
Raum
Jäger
Bellay
Bär
Hohoff