Strafrecht

Beweisanforderungen im Disziplinarverfahren

Aktenzeichen  M 19L DK 16.3604

Datum:
26.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 161886
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 9, Art. 14 Abs. 1 S. 2
BeamtStG § 34 S. 1, S. 3, § 35 S. 2

 

Leitsatz

1. Der disziplinarische Vorwurf und seine Bewertung dürfen nur aus einem tatsächlich erwiesenen Pflichtenverstoß abgeleitet werden. Das Gericht muss von dem vorgeworfenen Sachverhalt überzeugtund dieser muss gewiss sein. Verbleiben Zweifel, darf das Gericht aufgrund dieses Sachverhalts eine Disziplinarmaßnahme nicht verhängen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat ein Beamter eine Unachtsamkeit im Dienst dadurch verschlimmert, dass er diese weder am selben Tag noch in der Folgezeit eingestanden, sondern vielmehr weitere Taten zur Vertuschung unternommen hat, so ist Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung die Bezügekürzung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um 1/20 die Dauer von 30 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Bezügekürzung um 1/20 für die Dauer von 30 Monaten verhängt (vgl. Art. 9 Bayerisches Disziplinargesetz – BayDG).
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Entgegen der Rüge des Bevollmächtigten findet sich der angeschuldigte Sachverhalt in der Einleitungsverfügung und der abschließenden Anhörung des Beklagten wieder. Die Einleitungsverfügung des Polizeipräsidiums … vom 24. November 2014 stellt den bis dahin bekannten Sachverhalt offen dar. Die abschließende Anhörung des Polizeipräsidiums München vom 12. Oktober 2015 gibt den Sachverhalt sowohl aus der Sicht des Klägers als auch des Beklagten wieder.
2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von dem Sachverhalt aus, den der Beklagte in seiner Äußerung vom 28. Dezember 2014 angegeben hat.
Nicht als erwiesen sieht das Gericht dagegen den Vorwurf an, der dem Beklagten in der Disziplinarklage gemacht wird, nämlich dass er am 23. Juni 2014 eine ordnungsgemäße Messung durchgeführt und die Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit seines Bekannten vorsätzlich vereitelt hat. Der disziplinarische Vorwurf und seine Bewertung dürfen nur aus einem tatsächlich erwiesenen Pflichtenverstoß abgeleitet werden (Hummel/Köhler/Mayer/Baunach, BDG, 6. Aufl. 2016, Rn. A.10 S. 77). Dabei muss der Sachverhalt zur vollen Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststehen. Eine Definition des Begriffs „Überzeugungsgewissheit“ findet sich – soweit ersichtlich – in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung nicht. Eine Zerlegung des Begriffs in seine Bestandteile ergibt, dass das Gericht von dem vorgeworfenen Sachverhalt „überzeugt“ und dieser „gewiss“ sein muss. Verbleiben Zweifel, darf das Gericht aufgrund dieses Sachverhalts eine Disziplinarmaßnahme nicht verhängen.
Im vorliegenden Fall kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der dem Beklagten in der Disziplinarklage angelastete Sachverhaltsablauf tatsächlich so vorliegt. Vielmehr hat der Dienststellenleiter der Autobahnpolizeistation Günzburg in seiner Stellungnahme vom 4. März 2015 angegeben, der vom Beklagten geschilderte Sachverhalt könne nicht widerlegt werden. Ebenso hat das Sachgebiet E2 des Polizeipräsidiums … mit Stellungnahme vom 20. März 2015 angegeben, die Schilderung des Beklagten könne nicht bewertet werden. Auch wenn einige Umstände für die Darstellung des Klägers sprechen, ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo von dem vom Beklagten zugestandenen Sachverhalt auszugehen.
Grundlage für die vorliegende Disziplinarmaßnahme ist damit folgender Sachverhalt: Bei der Verkehrskontrolle am 23. Juni 2015 hat der Beklagte vor Dokumentation der bei der Geschwindigkeitsmessung von Herrn R.-S. vorliegenden Entfernung seinen Standort verlassen, ist ins Stolpern geraten und hat die Entfernungsangabe auf dem Lasergerät gelöscht, weshalb die Messung ungültig geworden ist. Dennoch hat er es unterlassen, PHK B. hierüber in Kenntnis zu setzen. Weiter hat er vorsätzlich falsch protokolliert, indem er einen Phantasiewert zur Entfernung in das Fallblatt eingetragen hat. Zurück in der Dienststelle hat er die Weiterleitung von dienstlichen Unterlagen (echtes Fallblatt mit Anhörungsbogen) unterlassen. Zudem hat er das Fallblatt unzulässigerweise unter Auslassung der Messung seines Bekannten neu ausgestellt. Daneben hat er eine Verfahrenseinstellung entgegen den Zuständigkeitsvorschriften ins Auge gefasst, weil eine solche nur vom Dienststellenleiter hätte verfügt werden dürfen. Außerdem hat er PHK B. auf seine Nachfrage vom 3. September 2014 unrichtigerweise mitgeteilt, er habe die Unterlagen zur Messung vom 23. Juni 2014 bereits ordnungsgemäß weitergeleitet.
3. Durch die ihm zur Last gelegten Taten hat der Beklagte innerdienstlich ein einheitliches Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
Durch sein Verhalten hat er die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf (§ 34 Satz 1 BeamtStG), zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) und zur Beachtung von Weisungen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) verletzt.
Im vorliegenden Fall liegt ein innerdienstliches Fehlverhalten des Beklagten vor, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und die dienstlichen Pflichten des Beamten eingebunden war (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14).
Der Beklagte handelte dabei vorsätzlich; sämtliche Manipulationshandlungen erfolgten mit seinem Wissen und Wollen. Ihm war klar, dass die Abwicklung der Ordnungswidrigkeit ordnungsgemäß durchzuführen war; er hat jedoch nicht nach diesem Wissen gehandelt.
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer und führt bei einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände zur Disziplinarmaßnahme einer Bezügekürzung (Art. 9 BayDG).
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9/14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist hier die Bezügekürzung (Art. 9 BayDG). Der Beklagte hat seine Unachtsamkeit bei der Verkehrskontrolle am 23. Juni 2016 dadurch verschlimmert, dass er diese weder an diesem Tag noch in der Folgezeit eingestanden, sondern vielmehr weitere Taten zur Vertuschung unternommen hat. So hat er es versäumt, PHK B. über das Löschen des Entfernungswerts zu informieren, und hat er den Entfernungswert vorsätzlich falsch in das Fallblatt eingetragen. Weiter hat er es unterlassen, die Originalunterlagen an die für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zuständige Stelle weiterzuleiten. Stattdessen hat er das Fallblatt durch Neuausstellung unter Auslassung der Zeile 2 manipuliert. Zudem hat er eine Verfahrenseinstellung entgegen den Zuständigkeitsvorschriften erwogen. Zuletzt hat er PHK B. auf dessen Erkundigung hin unzutreffenderweise mitgeteilt, er habe die Originalunterlagen bereits weitergeleitet. Mit diesem planmäßigen Handeln hat der Beklagte über einen längeren Zeitraum gegen seine dienstlichen Pflichten verstoßen. Zu berücksichtigen ist weiter seine besondere Stellung als Polizeibeamter. Als solcher nimmt er auch innerdienstlich besonderes Vertrauen in Anspruch, dem er durch sein planmäßiges pflichtwidriges Handeln nicht gerecht wurde.
Zu Gunsten des Beklagten ist zu berücksichtigen, dass er disziplinar- und strafrechtlich nicht vorbelastet ist. Neutral zu sehen ist das von der Autobahnpolizeistation Günzburg erstellte Persönlichkeitsbild vom 29. März 2017. Eher negativ wirkt das Persönlichkeitsbild vom 5. Januar 2015.
Weitere zu Gunsten oder zu Lasten des Beklagten sprechende Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.
Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände unter Einbeziehung der Schwere des Dienstvergehens und des hierdurch eingetretenen Vertrauensschadens ergibt, dass eine Bezügekürzung in Höhe von 1/20 (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2001 – 1 D 29.00 – juris Ls.) für die Dauer von 30 Monaten die erforderliche und angemessene Disziplinarmaßnahme ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Nach Rechtsmittelverzicht der Parteien in der mündlichen Verhandlung ist das Urteil rechtskräftig.


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