Strafrecht

Eilverfahren, Entziehung der Fahrerlaubnis, Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens, gelegentlicher Cannabiskonsum, Fahrt unter Cannabiseinfluss (1, 0 ng/ml THC)

Aktenzeichen  W 6 S 21.1134

Datum:
10.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36696
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 14 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1980 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
1. Ausweislich einer Mitteilung des Polizeipräsidiums Unterfranken wurde der Antragsteller am 30. Oktober 2020 um 20:00 Uhr einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen. Hierbei konnten drogentypische Auffälligkeiten (starkes Zittern, Gleichgewichtsstörungen, Mundtrockenheit, Lidflattern, Anordnungen müssen mehrfach wiederholt werden) festgestellt werden. Ein freiwilliger Urintest war positiv auf THC, die um 20:57 Uhr entnommene Blutprobe war ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums Bonn vom 25. November 2020 positiv auf Cannabinoide (1,0 ng/ml THC, 4,4 ng/ml THC-COOH). Der Antragsteller gab während der ärztlichen Untersuchung an, zuletzt eine Woche vor dem Vorfall „drei Züge von einem Joint“ genommen zu haben, er konsumiere „ca. einmal im Jahr THC“. Im ärztlichen Bericht ist festgehalten, dass der Antragsteller deutlich bis mäßig unter dem Einfluss von Drogen gestanden habe. Wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels (THC) erging am 21. Dezember 2020 ein Bußgeldbescheid über 500,00 EUR Geldbuße und einen Monat Fahrverbot. Die Tat wurde mit zwei Punkten im Fahreignungsregister eingetragen. Der Bußgeldbescheid ist seit dem 13. Januar 2021 rechtskräftig.
Unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt forderte die Stadt Schweinfurt (nachfolgend: Antragsgegnerin) den Antragsteller mit Schreiben vom 1. Februar 2021 auf, gemäß § 46 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bis zum 19. April 2021 eine medizinisch-psychologische Untersuchung vorzulegen. Zu klären sei die Frage, ob nicht zu erwarten sei, dass der Antragsteller aufgrund der Fahrt unter Cannabiseinfluss am 30. Oktober 2020 zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme). Es stehe fest, dass der Antragsteller aufgrund seiner Einlassungen und dem in der Blutprobe festgestellten THC-Wert als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen sei. Durch die Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung von THC bestünden Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Aufgrund der von Cannabis-Konsum ausgehenden Gefahren für den Straßenverkehr sei es verhältnismäßig und ermessensgerecht, zur Abklärung des künftigen Trennvermögens ein Gutachten vorzulegen. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei einer Nichtvorlage des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden kann. Die Anordnung wurde dem Antragsteller am 3. Februar 2021 zugestellt.
Am 28. April 2021 legte der Antragsteller der Antragsgegnerin einen Untersuchungsbericht der TÜV S. Life Service GmbH (TÜV Süd) vom 20. April 2021 vor, der auf sämtliche Parameter, darunter Cannabinoide, negativ war. Am 19. Mai 2021 legte der Antragsteller eine Terminbestätigung des TÜV Süd für ein verkehrspsychologisches Eingangsgespräch am 1. Juni 2021 vor und wies darauf hin, dass ihm aus persönlichen Gründen ein früherer Termin nicht möglich gewesen sei. Mit Schreiben vom 12. Juni 2021 zeigte der Bevollmächtigte des Antragstellers seine Vertretung an und beantragte Akteneinsicht, welche gewährt wurde. Am 22. Juni 2021 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des Gutachtens an und gab bis zum 9. Juli 2021 eine Gelegenheit zur Äußerung. Eine Reaktion erfolgte nicht.
Mit kostenpflichtigem Bescheid vom 17. August 2021 entzog die Stadt Schweinfurt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und ordnete an, den am 8. September 2005 ausgestellten Führerschein, Nr. …, unverzüglich, spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheides abzugeben, ansonsten erfolge die Einziehung durch die Polizei im Wege des unmittelbaren Zwangs (Nr. 2). Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Antragsteller sei die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen, da er das nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zu Recht geforderte Gutachten nicht vorgelegt und sich so als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe, § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV. Als gelegentlicher Konsument von Cannabis habe der Antragsteller durch die Fahrt am 30. Oktober 2020 gezeigt, dass er Konsum und Fahren nicht trennen könne, was weitere Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründe. Zur Abklärung des künftigen Trennungsvermögens sei es daher erforderlich gewesen, die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Die Androhung, den Führerschein ggf. durch die Polizei sicherstellen zu lassen, beruhe auf Art. 34 Satz 1 VwZVG. Die Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sei dringend geboten, um die Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Straßenverkehr aufrechtzuerhalten. Es sei nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung unter Belassung eines gültigen Führerscheins am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es würde zu nicht vertretbaren Zuständen führen, wenn ein ungeeigneter Fahrerlaubnisinhaber durch Ausschöpfung formeller Rechtspositionen bis zum Abschluss eines eventuellen Verfahrens weiter am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen könnte. Daher habe das private Interesse hinter den Sicherheitsbedürfnissen aller anderen Verkehrsteilnehmer zurückzustehen. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 20. August 2021 zugestellt.
2. Hiergegen ließ der Antragsteller am 26. August 2021 Widerspruch einlegen, über den noch nicht entschieden ist, und zugleich im vorliegenden Eilverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1) und die Anordnung zur Herausgabe des Führerscheins (Nr. 2) wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, sodass die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen sei. Im vorliegenden Fall sei von einem einmaligen Cannabiskonsum sowie einer einmalig nachgewiesenen THC-Konzentration von lediglich 1,0 ng/ml zum Fahrtzeitpunkt auszugehen. Die Äußerung des Antragstellers im Rahmen der Polizeikontrolle könne ihm nicht entgegengehalten werden. Ein Beschuldigter müsse keine wahrheitsgemäßen Angaben im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren machen, daher seien die Aussagen nicht belastbar. Gegen einen zeitnahen mehrmaligen Konsum spreche auch die geringe Konzentration von 4,4 ng/ml THC-COOH, was eindeutig auf einen einmaligen Konsum hindeute. Der Antragsteller nehme am Abstinenzprogramm des TÜV Süd teil, wodurch belegt sei, dass ein weiterer Cannabiskonsum nicht stattgefunden habe. Zudem habe er bei der Fahrt getrennt, da nur noch eine geringe Konzentration von 1,0 ng/ml im Blut verblieben war; ein derart geringer Restbefund könne auch noch Tage nach dem letzten Konsum festgestellt werden. Im Übrigen empfehle die Grenzwertkommission erst bei Feststellungen einer THC-Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen. Es sei letztlich eine Einzelfallbetrachtung anzustellen. Nachdem beim Antragsteller vorliegend keine Ausfallerscheinungen oder drogentypische Auffälligkeiten hätten festgestellt werden können, sei das fehlende Trennungsvermögen letztlich zu verneinen, zumindest aber die Annahme eines gelegentlichen Konsums. Die Anordnung der Begutachtung sei daher ungeeignet und unverhältnismäßig gewesen. Die Ermessensausübung zur Vorlage eines Gutachtens sei fehlerhaft gewesen und befasse sich insbesondere nicht mit der Möglichkeit, lediglich die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens zu fordern. Im Übrigen sei die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zulässig, da keine unmittelbare drohende Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr durch den Antragsteller gegeben sei.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei nicht begründet. Zur Begründung wurde zunächst auf die Ausführungen im Entziehungsbescheid verwiesen und ausgeführt, das Gutachten zur Abklärung des künftigen Trennungsvermögens des Antragstellers zu Recht gefordert worden sei. So habe der Antragsteller bis auf die Aussagen am Tattag keine weiteren Angaben zu seinem Drogenkonsum gemacht, insbesondere gebe es keine substantiierte und plausible Darlegung dahingehend, dass es sich bei dem Konsum am 30. Oktober 2020 um einen einmaligen bzw. Probierkonsum gehandelt haben solle. Bei der Wertung, ob der Antragsteller ein- oder mehrmals konsumiert habe, handele es sich um einen Akt der Beweiswürdigung. Auch sei höchstrichterliche Rechtsprechung, dass ab einer Konzentration von 1,0 ng/ml, welche der Antragsteller nachweislich im Blut hatte, die fehlende Trennung zwischen dem Cannabiskonsum und dem Fahren gegeben sei. Ohne Bedeutung sei insoweit der vorgelegte Laborbericht vom 20. April 2021. Eine etwaige Abstinenz könne höchstens im Wiedererteilungsverfahren eine Rolle spielen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streisands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antragsteller beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides der Stadt Schweinfurt vom 17. August 2021.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheides) und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheides) entfällt im vorliegenden Fall, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfSch 2015, 717).
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt den lediglich formell-rechtlichen Anforderungen. Sie zeigt, dass sich die Antragsgegnerin des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die sie für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat. Dass in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle betreffend die Ungeeignetheit von Fahrzeugführern das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist und die fahr-erlaubnisrechtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung ähnlich begründet wird, ändert an deren Einzelfallbezogenheit nichts (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris; B.v. 15.6.2016 – 11 CS 16.879 – juris). Ob die im streitgegenständlichen Bescheid angeführte Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag oder ob überwiegende und dringende Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs nicht vorlägen bzw. die Interessen des Antragstellers nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses (vgl. SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – DÖV 2015, 304; BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 7 CS 14.275 – juris; OVG NRW, B.v. 12.5.2014 – 16 B 330/14 – juris).
2. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass der Widerspruch des Antragstellers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussichtlich in der Sache keinen Erfolg haben wird. Auch ist bei Abwägung der Gesamtumstände ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu erkennen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Entziehungsbescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
2.1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris). Im Hinblick darauf, dass eine Gutachtensanordnung mit erheblichen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht und/oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit verbunden ist, aber nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – ZfSch 2013, 177). In materieller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Untersuchung vor allem voraus, dass sie den Grundsätzen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2008 – 11 C 08.1030 – juris).
Nach summarischer Prüfung genügt die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 1. Februar 2021 diesen Anforderungen, sodass die Behörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen durfte. Auf diese Rechtsfolge wurde der Antragsteller in der Anordnung auch hingewiesen.
2.2. Die Einwände des Antragstellers greifen nicht durch.
Die Voraussetzungen für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV waren gegeben. Entgegen seiner Auffassung ist der Antragsteller als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen, der mit der Fahrt am 30. Oktober 2020 unter Einfluss von THC gegen das Trennungsgebot verstoßen und somit weitere Zweifel an seiner Fahreignung begründet hat.
Der Antragsteller hatte am Tattag zum Zeitpunkt der Blutentnahme nachweislich 1,0 ng/ml THC im Blut. Der Antragsteller muss sich an seinen Äußerungen im Rahmen der ärztlichen Untersuchung, er habe das letzte Mal vor ca. einer Woche drei Züge von einem Joint genommen und würde ca. einmal im Jahr THC konsumieren, festhalten lassen. Auch wenn ein Beschuldigter im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafverfahren nicht verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen, so ist vorliegend weder dargelegt noch ersichtlich, weshalb diese Äußerungen des Antragstellers unzutreffend gewesen sein sollten. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Beschuldigter dazu tendiert, das in Streit stehende Verhalten zu verharmlosen bzw. zu relativieren, als sich durch unwahre Behauptungen unnötig zu belasten. Eine Erklärung, weshalb der Antragsteller zu seinen Lasten wahrheitswidrige Angaben gegenüber – hier – dem die Blutentnahme vornehmendem Arzt hätte machen sollen, wurde nicht vorgebracht, ebenso wenig wie Ausführungen zum tatsächlichen Konsumverhalten des Antragstellers. Im Rahmen der Beweiswürdigung, ob der Betroffene mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, ist vor dem Hintergrund des äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch von der Polizei kontrolliert wird, die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte und plausible Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss. Dabei ermöglichen die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC die Beurteilung, ob ein für einen bestimmten Zeitraum eingeräumter Konsum von Cannabis für die Konzentration ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden war, oder ob entweder kurz vor der Fahrt nochmals oder aber häufig Cannabis konsumiert worden ist (BayVGH, B.v. 23.3.2021 – 11 CS 20.2643, BeckRS 2021, 7419, m.w.N.). Daher muss sich der Antragsteller an seinen Äußerungen festhalten lassen, die zur Überzeugung des Gerichts auf einen gelegentlichen Konsum schließen lassen.
Soweit vom Bevollmächtigten auf den geringen THC-COOH-Wert (4,4 ng/ml) des Antragstellers verwiesen wird, kann hieraus lediglich abgeleitet werden, dass der Antragsteller jedenfalls kein regelmäßiger Cannabiskonsument ist, jedoch nicht, dass es sich um einen einmaligen Konsum gehandelt habe. Der Hinweis darauf, der Antragsteller nehme an einem Abstinenzprogramm des TÜV Süd teil, kann höchstens für die Frage der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Rolle spielen. Im Übrigen ist durch den Untersuchungsbericht des TÜV Süd vom 20. April 2021 lediglich nachgewiesen, dass der Antragsteller kurz zuvor bzw. unmittelbar bis zur Urinabgabe keine Drogen konsumiert hat. Einen einmaligen Cannabiskonsum für die weitere Vergangenheit kann dies jedenfalls nicht belegen.
Der Verweis auf die Stellungnahme der Grenzwertkommission vom September 2015, wonach empfohlen wird, bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren im Sinne der Anlage 4 zur FeV (erst) ab einer Konzentration von 3,0 ng/ml THC im Blutserum zu verneinen, greift nicht durch. So hat sich das Bundesverwaltungsgericht erst unlängst (BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17) dezidiert mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und sieht keine Notwendigkeit von der Abkehr vom Grenzwert des 1,0 ng/ml, wie er in § 24a Abs. 2 StVG zugrunde gelegt ist. Für den Gefährdungsmaßstab im Fahrerlaubnisrecht ist nämlich ausreichend, dass bereits ab 1,0 ng/ml THC eine cannabisbedingte verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbuße nicht ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Antragsteller entgegen den Ausführungen seines Bevollmächtigten nachweislich drogentypische Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen an den Tag gelegt hat (starkes Zittern, Gleichgewichtsstörungen, Mundtrockenheit, Lidflattern, Anordnungen müssen mehrfach wiederholt werden) und nach Einschätzung des die Blutentnahme durchführenden Arztes mindestens mäßig unter der Wirkung von Drogen gestanden hat. Dies zeigt eindeutig auf, dass der Antragsteller bei einem an der Grenze des § 24a Abs. 2 StVG liegenden Wert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum auch nach außen hin wahrnehmbar unter dem Einfluss des Cannabis stand, sodass im vorliegenden Fall tatsächlich von drogentypischen Ausfallerscheinungen oder zumindest Beeinträchtigungen des Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögens auszugehen ist. Dies stellt auch das rechtsmedizinische Gutachten des Universitätsklinikums Bonn vom 25. November 2020 fest, dass der Antragsteller unter der berauschenden Wirkung stand, woraufhin dies als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldbescheid vom 21. Dezember 2020 geahndet wurde. Nachdem der Antragsteller unter der Wirkung von THC am Straßenverkehr teilnahm, konnte er nachweislich nicht zwischen dem Fahren und dem Konsum trennen. Damit lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV vor und die Behörde hat von dem ihr eröffneten Ermessen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht und die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für erforderlich und verhältnismäßig erachtet. Inwiefern die Ermessensausübung fehlerhaft sein soll, erschließt sich nicht und wurde auch nicht weiter dargelegt. Nachdem § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV als lex specialis bei Betäubungsmitteln ausschließlich die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens eröffnet, geht der Einwand irr, dass sich die Behörde nicht mit der Beibringung eines (nur) medizinischen Gutachtens auseinandergesetzt habe.
Sonstige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom 1. Februar 2021 sind weder ersichtlich noch dargelegt.
2.3. Nachdem das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht vorgelegt wurde, durfte die Behörde auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, sodass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen war, § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV.
2.4. Die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheides) ist nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf die Ausführungen im Bescheid vom 17. August 2021 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO entsprechend).
2.5. Auch bei Abwägung der gegenseitigen Interessen war deshalb kein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs festzustellen. Es ist nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung ist eine präventive Maßnahme zum Schutz der Sicherheit im Straßenverkehr. Sie mag im Einzelfall einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben, jedoch können persönliche Härten für den Antragsteller beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, nicht berücksichtigt werden. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprächen, dass der Antragsteller nicht bzw. nicht mehr fahrungeeignet ist und sich abschätzen ließe, dass das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Nachdem der Antragsteller nichts vorgetragen hat, was die im Vorfall vom 30. Oktober 2020 zutage getretenen Fahreignungszweifel beseitigen könnte, insbesondere nicht das angeforderte Gutachten vorgelegt, ist derzeit von dessen Ungeeignetheit auszugehen. In diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, dass der Antragsteller einen vereinzelten Nachweis über Drogenfreiheit (Urinscreening vom 20.4.2021) vorgelegt hat, da sich hieraus lediglich die Drogenfreiheit im Zeitpunkt der Urinabgabe bzw. wenige Tage zuvor ergibt. Es überwiegen deshalb die öffentlichen Interessen an der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und das Interesse, die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr wirkungsvoll zu verhindern. Sein Antrag bleibt deshalb ohne Erfolg.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Demnach ist für die Fahrerlaubnis der Klasse B, welche mit dem Auffangstreitwert in Ansatz zu bringen ist, der nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war, 2.500,00 EUR festzusetzen.


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