Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis bei gelegentlichem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  11 BV 17.1036

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2991
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Die Fahrerlaubnisbehörde kann bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Vielmehr sieht § 14 Abs. 1 S. 3 FeV hierfür die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor (vgl. Fortführung BayVGH BeckRS 2017, 108147; Urt. v. 21.09.2017 – 11 BV 17.685; BeckRS 2017, 138467). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 K 17.762 2017-04-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 5. April 2017 und der Bescheid des Landratsamts Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 6. Februar 2017 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. Februar 2017 gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis samt der getroffenen Nebenverfügungen ist rechtswidrig und verletzt den Kläger damit in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger war nach eigenem Bekunden zwar zumindest bis 30. November 2016 gelegentlicher Cannabiskonsument und hat den Konsum von Cannabis einmal nicht vom Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Damit steht aber nicht fest, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts und die Behördenentscheidung sind daher aufzuheben.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl I S. 2722), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis vor, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden können, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psycho-logischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.
Auch wenn der Kläger eigenen Angaben zufolge gelegentlicher Cannabiskonsument im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 war, am 30. November 2016 unter der Wirkung von Cannabis mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen und damit gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen hat, steht damit noch nicht im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV fest, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nach einer erstmaligen, – wie hier – als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Vielmehr sieht § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV hierfür die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor (vgl. U.v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33 – juris; U.v. 21.9.2017 – 11 BV 17.685 – juris; U.v. 13.12.2017 – 11 BV 17.1876 – juris). Somit hätte das Landratsamt zuerst von den Aufklärungsmöglichkeiten des nach § 46 Abs. 3 FeV im Entziehungsverfahren entsprechend anzuwendenden § 14 FeV Gebrauch machen und im Ermessenswege darüber entscheiden müssen, ob es nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnet (vgl. BayVGH, U.v. 25.4.2017 a.a.O.). Eine solche Anordnung im Ermessenswege erscheint im Hinblick auf den festgestellten hohen THC-Gehalt im Blut, der auf eine deutlich zu kurze Zeitspanne zwischen dem Konsum von Cannabisprodukten und der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr und daher auf mangelnde Trennungsfähigkeit bzw. -bereitschaft hindeutet, auch als angemessen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es ist klärungsbedürftig, ob einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten schon nach der ersten Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2, 3 StVG unter Cannabiseinfluss ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis entzogen werden muss.


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