Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach regelmäßigem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  11 CS 19.1432

Datum:
26.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21168
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 2 Nr. 1, § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die zur Begründung eines Ausnahmefalls nach Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 zur FeV vorgetragenen Gründe müssen sich auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf seine Fahreignung beziehen (vgl. VGH München BeckRS 2011, 33128 Rn. 9). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 19.1073 2019-06-24 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der im Jahr 1994 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
Bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle am 8. Februar 2019 um 13.00 Uhr stellte die Polizei beim Antragsteller drogentypische Auffälligkeiten fest. Das L. K. GbR, Bad Salzuflen, führte mit Gutachten vom 27. Februar 2019 aus, dass in dem am 8. Februar 2019 um 13.35 Uhr entnommenen Blut des Antragstellers 15 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) sowie 334 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH) festgestellt werden konnten.
Nach Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 29. April 2019 die Fahrerlaubnis, verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins innerhalb von drei Tagen nach Zustellung des Bescheids und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei regelmäßiger Cannabiskonsument und daher ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der Antragsteller gab seinen Führerschein am 10. Mai 2019 ab.
Über die gegen den Bescheid vom 29. April 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach noch nicht entschieden (Az. AN 10 K 19.01074). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids abgelehnt. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 7 FeV seien erfüllt, da der Antragsteller nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Ab einem THC-COOH-Wert von 150 ng/ml sei von regelmäßigem Cannabiskonsum auszugehen. Eine Ausnahme von der Regelvermutung der Anlage 4 habe der Antragsteller nicht schlüssig vorgetragen.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, er konsumiere kein Cannabis mehr und habe am 18. April 2019 ein Urinscreening durchführen lassen, mit dem Drogenfreiheit nachgewiesen werde. Ein Entzug der Fahrerlaubnis sei daher nicht möglich, sondern es müsse zuerst ein medizinisch-psychologisches Gutachten angeordnet werden. Es liege ein Ausnahmefall nach Nummer 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4 zur FeV vor. Er habe sein Verhalten gegenüber Drogen komplett geändert. Im September beginne er eine Ausbildung und benötige dafür die Fahrerlaubnis. Im Rahmen der Interessenabwägung würde sein privates Interesse das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegen. Er wäre auch mit Auflagen und der Beibringung eines Gutachtens einverstanden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. März 2019 (BGBl I S. 218), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist nicht fahrgeeignet, wer regelmäßig Cannabis einnimmt.
Nach gesicherter, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhender Erkenntnis ist ab einer Konzentration des THC-Metaboliten THC-COOH von 150 ng/ml im Blutserum von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 11 CS 18.2605 – NJW 2019, 2339 Rn. 13; B.v. 27.1.2017 – 11 CS 16.2403 – juris Rn. 14 f.; OVG Berlin-Bbg., B.v. 27.8.2018 – OVG 4 S 34.18 – juris Rn. 5 m.w.N.; HessVGH, B.v. 15.9.2016 – 2 B 2335/16 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 11.2.2015 – 16 B 50/15 – juris Rn. 8; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, Vor §§ 29 ff. Rn. 471; Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 3 StVG Rn. 4a; Zwerger, ZfS 2007, 551/552). Mit der Beschwerde ist nichts vorgetragen worden, was diese in medizinischen Studien und Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse in Frage stellt. Auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten, der erstmals gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstößt (U.v. 11.4.2019 – 3 C 13.17 u.a. – Presseerklärung auf www.bverwg.de), kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an.
Soweit der Antragsteller vorträgt, bei ihm liege ein Ausnahmefall nach Nummer 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vor, der eine andere Bewertung rechtfertige, da er seit dem Vorfall kein Cannabis mehr konsumiere, kann dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar gelten die in Anlage 4 zur FeV vorgenommenen Bewertungen nach Nummer 3 der Vorbemerkung nur für den Regelfall und Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und Verhaltensumstellungen sind möglich und bei Zweifeln in dieser Hinsicht kann im Einzelfall eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat der Antragsteller aber nicht vorgetragen. Da es um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier regelmäßige Einnahme von Cannabis) gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV geht, müssten sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf seine Fahreignung beziehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2011 – 11 ZB 11.462 – BeckRS 2011, 3..2252 Rn. 9). In dieser Richtung wurde vom Antragsteller aber nichts vorgetragen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass er aufgrund einer besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit trotz regelmäßigen Cannabiskonsums fahrgeeignet ist. Davon geht er wohl auch selbst nicht aus, da er nunmehr vorträgt, kein Cannabis mehr zu konsumieren, sondern abstinent zu leben.
Das Verwaltungsgericht hat daher zutreffend angenommen, dass die mangelnde Fahreignung des Antragstellers im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses feststand und ihm deshalb ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Auch die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts, die sich an den mangelnden Erfolgsaussichten der Klage orientiert, ist nicht zu beanstanden. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen auch unter Berücksichtigung der persönlichen, familiären und beruflichen Folgen für den betroffenen Fahrerlaubnisinhaber regelmäßig nicht unverhältnismäßig.
Erst im Wiedererteilungsverfahren wird nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu klären sein, ob der Antragsteller sein Konsumverhalten nachhaltig geändert hat.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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