Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verletzung des Trennungsgebots durch einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis

Aktenzeichen  3 C 25/17

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:110419U3C25.17.0
Normen:
§ 3 Abs 1 S 1 StVG
§ 11 Abs 7 FeV 2010
§ 11 Abs 8 FeV 2010
§ 13 FeV 2010
§ 14 Abs 1 S 3 FeV 2010
§ 14 Abs 2 Nr 3 FeV 2010
Art 3 Abs 1 GG
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden (Teilweise Aufgabe von BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13).

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 21. September 2017, Az: 11 BV 17.685, Urteilvorgehend VG Augsburg, 17. Februar 2017, Az: Au 7 K 16.556, Urteil

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
2
Der 1992 geborene Kläger wurde am 10. August 2015 gegen 16:48 Uhr als Führer eines Kraftfahrzeugs einer Verkehrskontrolle unterzogen. In der bei ihm um 18:01 Uhr entnommenen Blutprobe wurden 3,4 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC), des psychoaktiven Wirkstoffs von Cannabis, 37,4 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH) und 0,8 ng/ml 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) im Blutserum festgestellt.
3
Mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid vom 3. September 2015 wurden gegen den Kläger wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG eine Geldbuße in Höhe von 500 € und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
4
In dem vom Kläger auf Anforderung des Landratsamts Ostallgäu vorgelegten verkehrsmedizinischen Gutachten vom 25. November 2015 wurden die von der Fahrerlaubnisbehörde gestellten Fragen wie folgt beantwortet: a) das Konsummuster des Klägers ist nach seinen eigenen Angaben als gelegentliche Einnahme von Cannabis zu bezeichnen; b) es besteht bei ihm kein Hinweis auf Abhängigkeit; c) nach den Befunden ist kein fortgesetzter und/oder aktueller oder regelmäßiger bzw. gewohnheitsmäßiger Drogenkonsum gegeben; d) es liegen bei festgestellter früherer Einnahme von Betäubungsmitteln zwei Urinbefunde als Abstinenznachweis vor; e) es liegen keine Hinweise auf die Einnahme weiterer illegaler Drogen oder der Missbrauch legaler Drogen (Alkohol, Medikamente) vor.
5
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2015 entzog das Landratsamt Ostallgäu dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis “sämtlicher Klassen” und verpflichtete ihn zur Ablieferung seines Führerscheins. Er habe gelegentlich Cannabis konsumiert. Durch die Fahrt vom 10. August 2015 sei das fehlende Trennungsvermögen zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen belegt. Deshalb sei der Kläger als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.
6
Den Widerspruch des Klägers wies die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2016 zurück. Seine Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger sei nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 4) im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, weil er gelegentlich Cannabis konsumiert und mit einer THC-Konzentration von 3,4 ng/ml Blutserum ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Stehe die Nichteignung aufgrund gelegentlichen Cannabiskonsums und fehlenden Trennungsvermögens fest, sei für eine Gutachtensanforderung kein Raum. Der Normgeber verfolge mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 das Ziel, Risiken für die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Cannabiskonsumenten unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so weit wie möglich auszuschließen. Angesichts der unterschiedlichen Wirkungsweise von Alkohol und Cannabis, des unterschiedlichen Wissens über die Auswirkungen der Drogen auf die Fahreignung und der unterschiedlichen sozialen Kontrolle des Konsums sei eine Ungleichbehandlung von Alkohol und Cannabis in Bezug auf das Trennungsvermögen gerechtfertigt.
7
Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der Kläger sei zwar gelegentlicher Cannabiskonsument und habe einmal gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 verstoßen. Bei den in der Blutprobe festgestellten Werten von THC u.a. sei eine durch den Drogeneinfluss bedingte Beeinträchtigung seiner Fahreignung nicht auszuschließen. Damit stehe aber noch nicht im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV fest, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Die Fahrt begründe Zweifel an seiner Fahreignung, die nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV mit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufgeklärt werden könnten. Für die Anwendbarkeit von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV spreche neben dem Wortlaut der Regelung und der amtlichen Überschrift die Entstehungsgeschichte von § 14 FeV. Nach der Verordnungsbegründung seien die §§ 13 und 14 FeV Spezialvorschriften zu § 11 FeV und dienten der Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik und im Hinblick auf den Konsum von Betäubungs- und Arzneimitteln. Der Verordnungsgeber habe damit verbindlich festlegen wollen, welche Aufklärungsmaßnahmen in welchen Fällen zu ergreifen seien. Nach der Begründung zu § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV könnten weitere Umstände im Sinne dieser Regelung u.a. dann gegeben sein, wenn der gelegentliche Cannabiskonsum im Zusammenhang mit dem Fahren erfolge. Die Begründung gebe keinen Anhalt dafür, dass der Verordnungsgeber § 11 Abs. 7 FeV bereits bei der ersten Verkehrsordnungswidrigkeit unter Cannabiseinfluss für anwendbar gehalten habe. Für die Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV streite auch die Systematik der §§ 11, 13 und 14 FeV i.V.m. der Anlage 4. Bei der Klärung der Eignungszweifel nach § 13 Satz 1 Nr. 2 und § 14 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 FeV sei anhand des bekannt gewordenen Verhaltens des Betroffenen prognostisch zu untersuchen, ob Wiederholungsgefahr bestehe. Aus der Anlage 4 ergebe sich nichts anderes. Deren Nr. 9.2.2 und 8.1 legten keine Grenzwerte fest, bei denen automatisch von Ungeeignetheit wegen fehlenden Trennungsvermögens auszugehen sei. Es bedürfe stets einer psychologischen Beurteilung, ob nach dem bekannt gewordenen Verhalten die Prognose zu stellen sei, dass auch in Zukunft keine Trennungsbereitschaft bestehe. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 bestimme nicht, dass bereits ein einmaliger Verstoß zur Ungeeignetheit führe; das ergebe sich auch nicht aus der gegenüber der Nr. 8.1 der Anlage 4 unterschiedlichen Formulierung. Auch bei diesem Normverständnis verbleibe für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ein sinnvoller Anwendungsbereich, etwa wenn zwei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a Abs. 2 StVG unter Cannabiseinfluss oder je eine unter Alkohol- und Cannabiseinfluss begangen worden seien. Der Verordnungsgeber habe mit § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV eine Gleichbehandlung von Alkohol- und Drogenkonsumenten erreichen wollen. Bei fehlendem Trennungsvermögen habe er sie durch die Vorgabe hergestellt, beim zweiten Verstoß zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Auch der Sinn und Zweck von § 14 FeV, Eignungszweifel zu klären und die Sicherheit des Straßenverkehrs zu wahren, lege die dargestellte Auslegung nahe. Es sei nicht ersichtlich, dass gelegentliche Cannabiskonsumenten, die erstmals das Trennungsgebot verletzt hätten, eine größere Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellten als Alkoholkonsumenten, die das Trennungsgebot gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis d FeV nicht beachtet hätten und sich danach “nur” einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterziehen müssten. Außerdem sehe die Fahrerlaubnis-Verordnung bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1, Abs. 3 StVG anders als § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV bei gelegentlichem Cannabiskonsum nicht die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung vor. Ein solches Verständnis von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV füge sich außerdem sinnvoll in das ordnungs- und sicherheitsrechtliche Maßnahmensystem ein. Der Normgeber nehme hin, dass Verkehrsteilnehmer in gewissem Umfang Verkehrsordnungswidrigkeiten begingen, ohne dass ihnen sofort die Fahrerlaubnis entzogen werde. Gemäß § 25 StVG komme bei Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24, 24a StVG nur die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht. Nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem des § 4 StVG sei regelmäßig erst bei Erreichen von acht Punkten zwingend von mangelnder Fahreignung auszugehen und die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die erstmalige, gegebenenfalls nur fahrlässige Übertretung ordnungsrechtlicher Vorschriften trage nicht zwingend eine Wiederholungsgefahr in sich, die ohne weitere Aufklärung die Annahme der Ungeeignetheit nach § 11 Abs. 7 FeV rechtfertige. Der Bußgeldkatalog sehe für den ersten Verstoß gegen § 24a Abs. 1 oder 2 StVG ein Bußgeld in Höhe von 500 € und ein einmonatiges Fahrverbot vor. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das zur Warnung reiche und eine Verhaltensänderung hervorrufe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Fahrten unmittelbar nach dem Konsum von Cannabis mit einer sehr hohen THC-Konzentration ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Straftat nach den §§ 315c, 316 StGB seien und deshalb eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB nicht in Betracht komme. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grenzwerte für relative und absolute Fahrunsicherheit bei Alkoholkonsum fänden keine Entsprechung für Fahrten unter Cannabiseinfluss. Das könne nicht dazu führen, dass entgegen der abschließenden Festlegung der Anlässe für eine medizinisch-psychologische Untersuchung in § 14 FeV Grenzwerte definiert würden, die bei einem ordnungswidrigen Verhalten zur Fahrerlaubnisentziehung führten.
8
Zur Begründung seiner Revision macht der Beklagte geltend: Die angegriffene Fahrerlaubnisentziehung sei rechtmäßig. Aufgrund der Fahrt des Klägers am 10. August 2015 stehe gemäß § 11 Abs. 7 FeV fest, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Er habe gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum nicht vom Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Die Argumentation des Berufungsgerichts mit dem Wortlaut von § 14 FeV beruhe auf einem Zirkelschluss. Der Überschrift “Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel” lasse sich nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten solche Eignungszweifel bestünden. Auch der Wortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV sage nichts darüber aus, ob die Fahrt eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten unter dem Einfluss einer fahrsicherheitsrelevanten THC-Konzentration lediglich Zweifel an seiner Fahreignung begründe oder sie zwingend ausschließe. Mit der Entstehungsgeschichte von § 14 FeV könne das Berufungsgericht seine Auffassung ebenfalls nicht begründen. Die Erwägungen des Verordnungsgebers ließen nicht den Schluss zu, die Regelungen zum Alkohol- und zum Cannabiskonsum hätten einander pauschal und vollständig angeglichen werden sollen. Ebenso wenig ergäben sich aus der Systematik der §§ 11, 13 und 14 FeV i.V.m. der Anlage 4 Anhaltspunkte für eine Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Der Wortlaut von Nr. 9.2.2 der Anlage 4, wonach die Fahreignung nur bei Trennung von Konsum und Fahren zu bejahen sei, stehe der Auslegung des Berufungsgerichts entgegen.
9
Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.
10
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der Auffassung, der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot genüge nicht, um gemäß § 11 Abs. 7 FeV fehlende Fahreignung anzunehmen. Ein solcher Verstoß begründe nur Zweifel an der Fahreignung, aufgrund derer die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV im Ermessenswege die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen könne. “Trennen-Können” im Sinne der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei im Unterschied zur “Trennung” nach Anlage 4 die Fähigkeit, dauerhaft Konsum und Fahren zu trennen. Das setze eine Prognose voraus. Damit sie zugunsten des Betroffenen ausfalle, müsse er darlegen, dass er ein angemessenes Problembewusstsein hinsichtlich seines Cannabiskonsums habe, und nachweisen, dass er über das notwendige Wissen über die Wirkungsweise, die Wirkdauer und die damit verbundenen Gefahren von Cannabis verfüge. Aus einem einmaligen Verstoß könne für die Prognose weder die Überzeugung der Nichteignung im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV noch ein sittlich-charakterlicher Mangel hergeleitet werden. Es gebe keinen Grund, gelegentliche Cannabiskonsumenten bei einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot von der Gefährlichkeit her auf dieselbe Stufe zu stellen wie Personen, die schweren Drogenmissbrauch betrieben oder drogenabhängig seien.


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