Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens – Prüfungsmaßstab im Eilverfahren

Aktenzeichen  M 6 S 17.141

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1, § 24a
FeV FeV § 13 S. 1 Nr. 2b, § 14 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Angesichts der streitigen Frage, ob ein gelegentlicher Konsument bereits ohne Anordnung eines Gutachtens als fahrungeeignet angesehen werden muss (verneinend BayVGH BeckRS 2016, 51088; BeckRS 2016, 52318), hat im einstweiligen Rechtsschutz eine Entscheidung allein aufgrund einer Interessenabwägung zu erfolgen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Diese fällt zu Lasten des Konsumenten aus, wenn er wegen Cannabiskonsums auffällig geworden ist und bereits wahrheitswidrige Angaben zum Konsum gemacht hat; das Angebot einer Auflage, etwa durch Drogenscreenings, bietet keine hinreichende Gewähr, der Gefahr weiterer Drogenfahrten vorzubeugen. Das Interesse an der Sicherheit und am Schutz des sonstigen Verkehrs überwiegt dann. (Rn. 37 – 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der 19… geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheids zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, B, L.
Am … Juli 2016 gegen 7:30 Uhr wurde der Antragsteller als Führer eines PKW einer polizeilichen Verkehrskontrolle unterzogen. Den Beamten fielen beim Antragsteller drogentypische Auffälligkeiten in Form von geröteten, glasigen Augen, Mundtrockenheit, Kauzwang sowie eine nervöse Grundstimmung auf. Daraufhin wurde der Antragsteller auf den Verdacht des Drogenkonsums angesprochen. Er gab an, vor etwa 2 Wochen Marihuana in Form von Joints konsumiert zu haben. Nach einem freiwilligen Drogenvortest mit positiver Reaktion auf Tetrahydrocannabinol (THC) erfolgte mit Einverständnis des Antragstellers um 8:00 Uhr eine Blutentnahme. In der Blutprobe wurden laut Gutachten des … … Centrums … A … vom … Juli 2016 folgende Substanzen festgestellt: 1,4 ng/ml THC, 1,0 ng/ml Hydroxy-THC, 29,9 ng/ml THC-Carbonsäure. Das Gutachten kam zu der Beurteilung, dass durch die vorgenommenen chemisch-toxikologischen Untersuchungen nachgewiesen sei, dass beim Antragsteller ein akuter Konsum von Cannabisprodukten stattgefunden habe. In der Serumsprobe seien THC und Hydroxy-THC in Konzentrationen aufgefunden worden, die dafür sprächen, dass zum Zeitpunkt der Blutentnahme von einer akuten Wirkung auszugehen sei. Aufgrund der Befunde könne davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt der Blutentnahme eine Überschreitung sogenannter „analytischer Grenzwerte“ im Sinne einer anzunehmenden Wirkung gemäß § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) gewesen sei.
Mit Bußgeldbescheid vom … September 2016, rechtskräftig seit … September 2016 verhängte das bayerische Polizeiverwaltungsamt wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG ein Bußgeld sowie ein einmonatiges Fahrverbot.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2016 wurde der Antragsteller vom Antragsgegner zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört. Der Bevollmächtigte des Antragstellers äußerten mit Schriftsatz vom 7. November 2016 (nach erfolgter Akteneinsicht), dass, selbst wenn gelegentlicher Konsum von Cannabis vorliegen würde, dies nicht rechtfertigen würde, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss nicht per se von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen. Es werde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller existenziell auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2016, zugestellt am 10. Dezember 2016, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), verlangte die Ablieferung des Führerscheins bis spätestens 7 Tage nach Zustellung des Bescheids (Nr. 2), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR an (Nr. 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der in Nr. 1 und 2 getroffenen Regelungen an (Nr. 4). Die Nrn. 5 und 6 enthalten Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) wurde mit dem Verlust der Fahreignung des Antragstellers nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV begründet. Es wurde unter anderem darauf verwiesen, dass die in der Anhörung zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht im Einklang mit der jahrelang gefestigten Rechtsprechung zahlreicher Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 23.10.2014, Az. 3 C 3.13) stünden.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde auf Seite 4 des Bescheids insbesondere damit begründet, dass der Antragsteller als jedenfalls gelegentlicher Konsument von Cannabisprodukten ein Kraftfahrzeug unter THC-Einwirkung im Straßenverkehr geführt und damit seine Fahreignung verloren habe. Unter dem Einfluss von Cannabis könnten psycho-physische Leistungseinbußen, wie z.B. Fehleinschätzungen von Geschwindigkeiten und Entfernungen bei Fahrzeugen, erhöhte Risikobereitschaft, gestörte oder verzerrte Wahrnehmung visueller und akustischer Reize sowie Desorientiertheit und Bewegungsunsicherheiten auftreten. Weiterhin komme es zu Defiziten in der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, die Ablenkbarkeit sei erhöht und die Kritikfähigkeit vermindert. Angesichts der Gefahren für Leib und Leben Dritter, die demnach von der motorisierten Verkehrsteilnahme eines Cannabiskonsumenten, der seine Fahreignung noch nicht wieder erlangt habe, ausgingen, überwiege das besondere öffentliche Interesse – unter dem Aspekt des Schutzes von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer – das private oder berufliche Interesse des Antragstellers am weiteren Gebrauch der Fahrerlaubnis. Das besondere öffentliche Interesse verlange es, dass zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignete Personen sofort an der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr gehindert würden.
Der Antragsteller gab seinen Führerschein am … Dezember 2016 bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München per Telefax eingegangen am gleichen Tag, erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamts Freising vom 9. Dezember 2016 Klage (M 6 K 17.76), zunächst ohne einen Antrag zu stellen. Mit weiterem Schriftsatz vom 30. Januar 2017 beantragte der Prozessbevollmächtigt den Bescheid des Landratsamts Freising vom 9. Dezember 2016 aufzuheben, hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 12. Januar 2017, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts Freising vom 9. Dezember 2016 hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des Bescheids unter Auflagen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 3 anzuordnen.
Ausweislich der aktuellen Rechtsprechung des BayVGH sei jedenfalls offen, ob bereits bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss, selbst wenn gelegentlicher Konsum angenommen werde, von einer Ungeeignetheit nach § 11 Abs. 7 FeV in Verbindung mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ausgegangen werden könne oder ob nicht entsprechend dem Vorgehen bei fahrerlaubnisrechtlichem Alkoholkonsum (der nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen führe und bei dem nach § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV erst bei der 2. Zuwiderhandlung die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen ist) bei der ersten Zuwiderhandlung zunächst ein Fahreignungsgutachten im Ermessenswege nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angeordnet werden könne und erst bei der 2. Zuwiderhandlung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV zwingend ein Fahreignungsgutachten angeordnet werden müsse. Jedenfalls sei die Möglichkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege zu prüfen bzw. anzuordnen gewesen. Eine Interessenabwägung gehe selbst bei offenen Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage zugunsten des Antragstellers aus. Der Antragsteller konsumiere Cannabis nicht mehr. Es liege ein stabiles und motivational gefestigtes Trennungsvermögen vor, sodass der Antragsteller als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden könne. Der Antragsteller erkläre sich ausdrücklich mit den in den genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vorgesehenen Auflagen einverstanden.
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2017 beantragte der Antragsgegner die Abweisung der Klage. Er legte im Antragsverfahren am 7. Februar 2017 seine Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe als zumindest gelegentlicher Cannabiskonsument Konsum und die Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr nicht getrennt und gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV seine Fahreignung verloren. An diesem Ergebnis ändere auch die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 29. August 2016 (Az. 11 CS 16.1460) angedeutete Rechtsauffassung nichts, denn in dieser Entscheidung habe sich der Senat noch nicht festgelegt.
Mit einem weiterem Schriftsatz vom 28. April 2017 wies der Bevollmächtigte des Antragstellers auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. April 2017 hin, in dem entschieden worden sei, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer einmaligen Fahrt unter Cannabiseinfluss bei gelegentlichem Konsum eine Fahrerlaubnisentziehung nicht rechtfertige. Auch wenn laut der Pressemitteilung zu diesem Urteil die Revision zugelassen worden sei, sei deshalb zum jetzigen Zeitpunkt die Aussetzung des Sofortvollzugs angezeigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten im Klage- und Antragsverfahren, sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet und daher insgesamt ohne Erfolg. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 9. Januar 2017 gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2016 war hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids nicht wiederherzustellen, auch nicht unter Auflagen.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids unzulässig, weil ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris). Die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids ist erfüllt, denn der Antragsteller hat seinen Führerschein bereits bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird.
Nicht erledigt hingegen hat sich durch die Abgabe des Führerscheins die Verpflichtung hierzu in Nr. 2 des Bescheids, denn sie stellt den Rechtsgrund für das vorläufige behalten dürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.
2.1 Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 9. Dezember 2017 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).
Dem genügt die Begründung auf den Seite 4 im Bescheid vom 9. Dezember 2017. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dort dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung anordnet. Sie hat dies auf den vorliegenden Einzelfall bezogen, dass der Antragsteller bereits einmal unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hat und zum Schutz für Leib und Leben Dritter sofort an der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr gehindert werden muss.
Im Übrigen ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Bereich des Sicherheitsrechts regelmäßig – so auch hier – gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren.
2.2 Hinsichtlich der in Nr. 4 des Bescheids vom 9. Dezember 2017 angeordneten sofortigen Vollziehung war die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Januar 2017 bezüglich der Nrn. 1 und 2 nicht wiederherzustellen.
2.2.1 Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
2.2.2 Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich der in Nr. 1 des Bescheids vom 9. Dezember 2017 enthaltenen Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als offen darstellt und die Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausgeht.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend, wegen der unmittelbaren Klageerhebung, derjenige der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids vom 9. Dezember 2017 am 10. Dezember 2017 (BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2667 – juris).
Mit dieser Maßgabe ist festzustellen, dass im Ergebnis offen ist, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – rechtlich zu beanstanden ist. Hat sich der Antragsteller als fahrungeeignet im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV erwiesen, weil er als gelegentlicher Konsument von Cannabis den Konsum vom Fahren nicht getrennt hat, so durfte die Fahrerlaubnisbehörde ohne vorherige Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu seinen Konsumgewohnheiten oder einer medizinisch-psychologischen Begutachtung von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen, § 11 Abs. 7 FeV (bislang st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 18.4.2016 – 11 ZB 16.285 – juris Rn. 10 und Rn. 15 a.E. [unter Verweis auf BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13]).
Dass der Antragsteller bis zum Vorfall am … Juli 2016 gelegentlich, d.h. mindestens zwei Mal, Cannabis eingenommen hat steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer, aufgrund seiner Angaben im Rahmen der Verkehrskontrolle, er habe vor etwa 2 Wochen Marihuana in Form von Joints konsumiert, in Verbindung mit den Ergebnissen des toxikologischen Gutachtens vom … Juli 2016 und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nachweisbarkeit bzw. zur Abbaugeschwindigkeit von Tetrahydrocannabinol – THC – (aktiver Wirkstoff des Cannabis), fest.
Das toxikologische Gutachten weist hinsichtlich THC einen Wert von 1,4 ng/ml aus. Somit muss der Antragsteller zwischen den von ihm eingeräumten Joints etwa 2 Wochen vor der Verkehrskontrolle und seiner Verkehrsteilnahme am … Juli 2016 mindestens ein weiteres Mal und somit insgesamt mindestens zwei Mal Cannabis konsumiert haben. Diese Annahme deckt sich mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. So führt Toennes et alia „Beweismittelverlust bei verzögerter Blutentnahme“ (Arch. Kriminol. 235, 73 bis 79) unter Bezug auf Studien aus den Jahren 2007 und 2009 aus, bei erstmaligem oder nur gelegentlichem Cannabiskonsum sei bei 95% aller Probanden nach 6 bis 8 Stunden THC nur noch in Konzentrationen < 1 ng/ml nachweisbar, nach 11 Stunden liege der Wert unter der Nachweisgrenze (aktuell 0,3 ng/ml). Hiervon geht auch die Grenzwertkommission aus, die Vorschläge für die in der Anlage zu § 24a StVG enthaltenen bzw. aufzunehmenden Stoffe auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse gegenüber dem Bundesminister für Verkehr unterbreitet (Naturwissenschaftliche Grundlagen der Fahrlässigkeit - Zeitspanne der Nachweisbarkeit - Zuverlässigkeit von Drogenvortests, Blutalkohol 4/8/2011).
Ein gelegentlicher Konsum von Cannabis i. S. d. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist bereits bei zwei selbständigen Konsumvorgängen in einem gewissen auch zeitlichen Zusammenhang gegeben. Ein nur einmaliger Konsum wurde vom Antragsteller am … Juli 2016 auch nicht gegenüber der Polizei behauptet.
Der Antragsteller hat zudem den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht getrennt. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – juris; vgl. auch z.B. BayVGH, B.v. 27.10.2016 – 11 CS 16.1388 – juris Rn. 5) trennt ein Konsument von Cannabis bereits dann nicht, wenn er fährt, obwohl wegen des Cannabiseinflusses auf ihn eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist. Dabei kommt es nicht auf sein Empfinden an, sondern auf einen objektiv festgestellten Wert von 1,0 ng/ml THC oder mehr im Blut. Beim Antragsteller lag der THC-Wert um 8:00 Uhr – 30 Minuten nach der Anhaltung durch die Polizei gegen 7:30 Uhr – mit 1,4 ng/ml noch darüber. Dieser Sachverhalt steht fest durch den am … September 2016 rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid vom … September 2016 (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 19; B.v. 29.8.2016 – 11 CS 16.1460 – juris Rn. 15).
Das Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers weist zwar zutreffend auf die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes vom 29. August 2016 (11 CS 16.1460 – juris Rn. 16 f.) und 14. September 2016 (11 CS 16.1467 – juris Rn. 15, 20 f.) hin, allerdings handelte es sich hierbei zunächst um Eilentscheidungen. Laut einer Pressemitteilung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat dieser mit Urteil vom 25. April 2017 unter Abänderung einer erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 21. November 2016 einen Fahrerlaubnisentzug aufgehoben, den das Landratsamt Starnberg ausgesprochen hatte. Dem Führerscheinentzug soll eine einmalige Autofahrt des Klägers unter Cannabiseinfluss vorausgegangen sein. Die Urteilsgründe dieser Entscheidung liegen der erkennenden Kammer noch nicht vor.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Ergebnis als offen anzusehen sind. Zwar wird der Kläger in der Hauptsache im Berufungsverfahren mutmaßlich obsiegen, mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2014 (Az. 3 C 3.13) und die nunmehr uneinheitliche Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 2.3.2011 – 10 B 11400/10 – juris; VGH Baden-Württemberg, B.v. 7.3.2017 – 10 S 328/17 – juris) kann jedoch gleichwohl von offenen Erfolgsaussichten ausgegangen werden. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem oben genannten Urteil vom 25. April 2017 die Revision zugelassen.
Aufgrund der nach wie vor offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist eine Interessenabwägung veranlasst, die jedoch zulasten des Antragstellers ausgeht.
Zunächst ist festzustellen, dass auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stets darauf bedacht ist, dass von dem Betreffenden aktuell keine höhere Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ausgeht als von anderen Verkehrsteilnehmern (B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 25). Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Oktober 2014 (3 C 3/13 – juris Rn. 52) explizit ausgeführt hat, dass die Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum auf der unterschiedlichen Bewertung des mit dem jeweiligen Konsum verbundenen Gefährdungspotenzials in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung beruhe, die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergebe.
Gegen den Antragsteller spricht, dass er gegenüber den Polizeibeamten eindeutig wahrheitswidrige Angaben zu seinem zurückliegenden Cannabiskonsum gemacht hat. Die von ihm eingeräumten Joints, die er vor etwa 2 Wochen geraucht haben will, können unmöglich zu der THC Konzentration im Blut von 1,4 ng/ml am Tattag geführt haben. Zwar muss sich ein Kfz-Fahrzeugführer gegenüber der Polizei nicht selbst belasten, er darf jedoch auch keine unwahren Angaben machen. Das Vorbringen von Ausflüchten bzw. Lügen spricht für gewisse charakterliche Mängel des Antragstellers und somit für eine negative Prognose im Hinblick darauf, dass er künftig Cannabiskonsum und das Führen eines Kfz im Straßenverkehr trennen wird.
Soweit sich der Antragsteller mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Auflagen einverstanden erklärt, können die Erfahrungen der Kammer aus einer Reihe ähnlich gelagerter Fälle nicht unerwähnt bleiben. Häufig werden Drogenkontrollprogramme unterbrochen und Urinabgaben abgesagt oder deren Versäumung nachträglich gerechtfertigt, etwa weil der Betroffene sich im Ausland befunden habe, der Handy Akku leer gewesen oder er spontan im Urlaub gewesen sei. Doch selbst während einer, der Untersuchungsstelle angekündigten, Abwesenheit (z.B. zwecks Montageeinsatz im Ausland oder mehrwöchigem Urlaub) bieten sich hinreichend Gelegenheiten für nachher nicht feststellbaren Cannabiskonsum. Die Annahme, solche Screenings könnten der Gefahr weiterer Drogeneinnahme wirksam entgegenwirken, lässt sich aus Sicht der Kammer daher nicht bestätigen. Hierin liegt das Risiko, Personen, die sich wegen einer Verkehrsteilnahme unter fahreignungsrelevantem Einfluss dieser Droge als fahrungeeignet erwiesen haben, weiterhin die Verkehrsteilnahme zu erlauben, noch bevor geklärt ist, ob sie tatsächlich ihre Fahreignung wiedererlangt haben. Zu einem fortlaufenden Drogenscreening hat sich der Antragsteller bislang auch nicht explizit bereit erklärt.
In Erwägung all dessen müssen die persönlichen Interessen des Antragstellers – auch solche beruflicher Art – hinter den Interessen der Allgemeinheit – hier insbesondere an der Sicherheit des Straßenverkehrs – zurücktreten.
2.2.3 Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.2 sowie 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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