Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Regelmäßiger Cannabiskonsum, Wiedererlangung der Fahreignung (verneint)

Aktenzeichen  11 CS 21.3010

Datum:
19.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9296
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV §§ 11 Abs. 7, 46 Abs. 1 S. 1
Anlage 4 Nr. 9.2.1 der

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 10 S 21.1574 2021-11-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und B (samt Unterklassen).
Im März 2021 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass sich beim Antragsteller im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle am 9. Februar 2021 drogentypische Auffälligkeiten gezeigt hatten und ein freiwilliger Drogenvortest positiv verlaufen war. Die am selben Tag entnommene Blutprobe enthielt nach dem Gutachten der Forensisch Toxikologisches Centrum GmbH München vom 23. Februar 2021 19,7 ng/ml THC und ca. 507 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH).
Mit Bescheid vom 22. März 2021 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Mittelfranken mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2021 zurück. Aufgrund der festgestellten THC-COOH-Konzentration müsse der Antragsteller als regelmäßiger Cannabiskonsument angesehen werden. Von einer Wiedererlangung der Fahreignung könne auch mit Blick auf den mit dem Widerspruch vorgelegten Befund vom 14. April 2021 zur zwischenzeitlichen Drogenabstinenz nicht ausgegangen werden. Die Fahreignung sei erst dann wieder gegeben, wenn der Antragsteller im Anschluss an eine einjährige Drogenabstinenz durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nachweise, dass er keine Betäubungsmittel mehr konsumiere und eine ausreichend stabile Verhaltensänderung vollzogen habe. Diese Voraussetzungen lägen zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch nicht vor.
Am 25. August 2021 erhob der Antragsteller Klage (AN 10 K 21.1575) und stellte zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 11. November 2021 ablehnte.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung sich hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und insoweit den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Selbst wenn man von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3108), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV). Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist nicht fahrgeeignet, wer regelmäßig Cannabis nimmt.
2. Davon ausgehend begegnet die von der Antragsgegnerin verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist nach gesicherter, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhender Erkenntnis ab einer Konzentration des THC-Metaboliten THC-COOH von 150 ng/ml im Blutserum von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2019 – 11 CS 19.1432 – juris Rn. 9 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 14.7.2021 – 6 B 257/21 – juris Rn. 5; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022, Vor § 29 ff. Rn. 471). Mit der Beschwerde ist nichts vorgetragen worden, was diese Annahme in Frage stellt.
Wenn die Beschwerde auf die Vorbemerkung zur Anlage 4 zur FeV verweist, greift dies nicht durch. Zwar gelten die in Anlage 4 zur FeV vorgenommenen Bewertungen nach Nummer 3 der Vorbemerkung nur für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und Verhaltensumstellungen sind möglich und bei Zweifeln in dieser Hinsicht kann im Einzelfall eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat der Antragsteller aber nicht vorgetragen. Da es um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier regelmäßige Einnahme von Cannabis) gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV geht, müssten sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf seine Fahreignung beziehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2019, a.a.O. Rn. 10). In dieser Richtung hat der Antragsteller nichts vorgebracht.
Der Antragsteller hatte die Fahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 13), hier also bei Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken vom 27. Juli 2021, auch noch nicht wiedererlangt. Im Falle eines die Fahreignung ausschließenden Cannabiskonsums im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig eine Abstinenz von einem Jahr und ein stabiler, motivational gefestigter Einstellungswandel nachzuweisen, um annehmen zu können, dass der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung wiedererlangt hat (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2016 – 11 ZB 16.1124 – juris Rn. 14 f. m.w.N.; B.v. 24.11.2017 – 11 CS 17.2105 – juris Rn. 15; B.v. 23.8.2021 – 11 CS 21.1837 – juris Rn. 17; vgl. auch Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien). Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids offensichtlich nicht vor. Schon angesichts der unzureichenden Dauer der behaupteten Abstinenz war die Widerspruchsbehörde auch nicht gehalten, eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV oder ein Drogenabstinenzkontrollprogramm anzuordnen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 24.11.2017 – 11 CS 17.2105 – juris Rn. 18; B.v. 17.12.2021 – 11 CS 21.2179 – juris Rn. 20 f.).
Somit stand die Ungeeignetheit des Antragstellers fest und war die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zustand (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2021 – 11 CS 21.1933 – juris Rn. 9). Der von der Beschwerde behauptete und mit einer nicht gewährten Akteneinsicht begründete Anhörungsfehler wäre daher jedenfalls nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, da eine rechtmäßige gebundene Entscheidung vorliegt und somit offensichtlich ist, dass die gerügte Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. dazu BayVGH, B.v. 7.5.2021 – 11 CS 21.556 – juris Rn. 19; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 90; Schneider in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 46 Rn. 51).
3. Damit bleibt die Klage des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg und überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Denn bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 14; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 46). Insofern bestehen auch gegen die (formelle) Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Bedenken. Es reicht aus, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 17; B.v. 16.10.2019 – 11 CS 19.1434 – juris Rn. 20; SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 14.11.2014 – 16 B 1195/14 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 20.9.2011 – 10 S 625/11 – juris Rn. 4; Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 46, 55). Dem hat die Antragsgegnerin genügt, indem sie – ausgehend von der Annahme der fehlenden Fahreignung des Antragstellers – seinen sofortigen Ausschluss vom Straßenverkehr im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer für erforderlich erklärt hat.
Soweit der Antragsteller einer Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das Verwaltungsgericht seine Stellungnahmen nicht hinreichend beachtet habe, verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist allerdings nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu befassen oder diesem bzw. der Rechtsansicht eines Beteiligten in der Sache zu folgen (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2020 – 5 PB 26.19 – juris Rn. 6 f.; B.v. 29.4.2014 – 10 B 15.14 – juris Rn. 8; BVerfG, B.v. 13.12.1994 – 2 BvR 894/94 – NJW 1995, 2839 = juris Rn. 7). Abgesehen davon konnte der Antragsteller sich im Beschwerdeverfahren zu der rechtlichen Bewertung durch das Verwaltungsgericht äußern und ist sein rechtliches Gehör auch dadurch gewahrt.
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben