Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsums – Einstweiliger Rechtsschutz

Aktenzeichen  Au 7 S 19.837

Datum:
18.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 24553
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 1 S. 2, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.1, Nr. 9.2.2
Anlage 4a zur FeV

 

Leitsatz

1. Die Verwertbarkeit eines medizinisch-psychologischen Gutachtens hängt nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung ab, wenn sich der Betroffene dieser Begutachtung gestellt und das Gutachten der Behörde vorgelegt hat. Das Ergebnis des Gutachtens schafft dann eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat (st. Rspr. vgl. BVerwG BeckRS 2010, 50799 Rn. 19; BayVGH BeckRS 2018, 14567 Rn. 9, jeweils mwN). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. War ein Betroffener nach seinen eigenen Angaben gelegentlicher Cannabiskonsument und hat er durch eine Fahrt unter Cannabiseinfluss gegen das Trennungsgebot (Trennen von Cannabiskonsum und Fahren) verstoßen, kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangt werden, wobei das behördliche Ermessen aufgrund einer Fahrt unter Cannabiseinfluss mit einem hohen Wert, wie etwa von 6,2 ng/ml THC, auf Null reduziert ist (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 133221 Rn. 13).        (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Trennungsfähigkeit ist nur bei ausschließlich gelegentlichem Cannabiskonsum, wenn auch ausschließlich Cannabisprodukte mit geringer Wirkstoffmenge konsumiert werden, als ein Kriterium zur Problembewältigung anerkannt, das im Hinblick auf eine günstige Prognose erfüllt sein muss. Aber auch bei nur gelegentlichem Cannabiskonsum muss ein Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber, der behauptet, kein Cannabis mehr konsumieren zu wollen, die Stabilität dieser Verhaltensänderung nachweisen. (Rn. 34 und 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wenn nicht nur ein gelegentlicher, sondern ein regelmäßiger Cannabiskonsum vorliegt, kann die (Wiedergewinnung der) Fahreignung nur bejaht werden, wenn eine Drogenabstinenz ausreichend lange und stabil eingehalten wird bzw. ein nachvollziehbarer Einsichtsprozess zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt hat. Nach den dafür zu erfüllenden Kriterien wird eine bestehende Drogenabstinenz von günstigen Faktoren im Sozialverhalten und im sozialen Umfeld gestützt bzw. dürfen keine Hinweise auf besondere Risikofaktoren vorliegen, wie etwa der Kontakte zu Personen, von denen der Betroffene früher Drogen bezogen oder mit denen er Drogen konsumiert hat. (Rn. 36 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5. Beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind, können persönliche Härten nicht berücksichtigt werden. Selbst bei gravierenden Folgen sowohl beruflicher als auch privater Art für den Fahrerlaubnisinhaber rechtfertigt die Sicherheit des Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung (vgl. etwa BayVGH BeckRS 2017, 107833 Rn. 23; BeckRS 2013, 57711 Rn. 17; OVG Bln-Bbg BeckRS 2015, 48989 Rn. 7). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1997 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L.
1. Gemäß Bußgeldbescheid des … vom 1. Februar 2017 (rechtskräftig seit 18.2.2017) führte der Antragsteller am 27. Dezember 2016 ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis. In seinem Blut wurden 6,2 ng/ml THC festgestellt.
Das Landratsamt … (nachfolgend: Landratsamt) entzog dem Antragsteller daraufhin nach Anhörung mit Bescheid vom 27. April 2017 die Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L. Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass der Antragsteller, ein gelegentlicher Cannabiskonsument, nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei, da er unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt habe.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stellen. Nachdem das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 24. August 2017 (Az.: Au 7 S 17.839) abgelehnt hatte, stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf die Beschwerde des Antragstellers mit Beschluss vom 8. November 2017 (Az.: 11 CS 17.1850) die aufschiebende Wirkung der Klage unter der Auflage wieder her, dass der Antragsteller bis 22. Dezember 2017 ein besonderes Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 2b Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. §§ 35, 36 FeV für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, die unter dem Einfluss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel am Verkehr teilgenommen haben, besuchen und dem Landratsamt die entsprechende Teilnahmebescheinigung bis 31. Dezember 2017 (§ 37 FeV) vorlegen müsse. Der Antragsteller erfüllte die Auflage; das Teilnahmezertifikat ging am 21. Februar 2018 beim Landratsamt ein. Mit (mittlerweile rechtskräftigem) Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. November 2018 (Az.: Au 7 K 17.838) wurde der Entziehungsbescheid des Landratsamtes vom 27. April 2017 aufgehoben.
2. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2018 ordnete das Landratsamt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis 5. Februar 2019 an. Es sei zu klären, ob der Antragsteller trotz der Hinweise auf (früheren) gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug der Klassen AM, B, L sicher führen könne und ob insbesondere nicht mehr zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme).
Die vom Antragsteller mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte … sandte dem Landratsamt unter dem 12. Februar 2019 die Führerscheinakte zurück.
Da der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, hörte ihn das Landratsamt mit Schreiben vom 27. Februar 2019 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an und legte diesem Schreiben die „Entscheidungsniederschrift über die Entziehung der Fahrerlaubnis“ bei. Der im vorangegangenen Entziehungsverfahren mandatierte Bevollmächtigte des Antragstellers, dem dieses Anhörungsschreiben am 28. Februar 2019 zugestellt wurde, teilte dem Landratsamt mit Schreiben vom 18. März 2019 mit, dass er vom Antragsteller für die neuerliche Entziehung der Fahrerlaubnis kein Mandat habe. Der Führerschein des Antragstellers wurde am 15. März 2019 von dessen Mutter bei der Fahrerlaubnisbehörde abgeliefert. Mit Schreiben des Landratsamtes vom 22. März 2019 wurden dem Antragsteller das Anhörungsschreiben vom 27. Februar 2018 und die „Entscheidungsniederschrift über die Entziehung der Fahrerlaubnis“ jeweils in Kopie übersandt.
Am 2. April 2019 gab der Antragsteller das medizinisch-psychologische Gutachten der … (Untersuchungsdatum: 29.1.2019, Gutachtenversand: 12.2.2019) – nachfolgend: Gutachten – beim Landratsamt ab und erhielt seinen Führerschein wieder ausgehändigt. Die vom Landratsamt gestellten Fragen wurden im Gutachten dahingehend beantwortet (unter dem Punkt „Gutachtenergebnis“), dass der Antragsteller trotz der Hinweise auf (früheren) gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug der Klassen AM, B, L sicher führen könne. Es sei insbesondere zu erwarten, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde (keine Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme). Unter dem Punkt „Zusammenfassende Befundwürdigung“ wird ausgeführt, dass beim Antragsteller eine fortgeschrittene Drogenproblematik vorliege, die sich im missbräuchlichen Konsum von Suchtstoffen gezeigt habe. Sichere Hinweise auf das Vorliegen einer Drogenabhängigkeit ergäben sich nicht. Der Antragsteller schildere, seit zwei Jahren auf Drogen zu verzichten, sehe ein, dass ein konsequenter Verzicht für ihn notwendig sei und möchte auch zukünftig dauerhaft und konsequent auf den Konsum von Drogen verzichten. Der Verzicht könne durch objektive Befunde belegt werden. In der Untersuchung habe sich gezeigt, dass der Antragsteller sich ausreichend mit den persönlichen Ursachen, die zur Entwicklung der Drogenproblematik geführt hätten, auseinander gesetzt habe. Als kritisch zu sehen sei aber, dass sich der Antragsteller noch immer in einem drogenkonsumierenden Umfeld befinde und in seiner Anwesenheit Betäubungsmittel konsumiert würden. Dies erhöhe die Rückfallgefahr in erheblichem Maße, so dass trotz der sich abzeichnenden Entwicklung eine positive Prognose in der Gesamtschau derzeit noch nicht möglich sei.
3. Daraufhin wurde dem Antragsteller nach Anhörung (Anhörungsschreiben vom 3.4.2019) mit Bescheid vom 29. April 2019, der ihm laut Postzustellungsurkunde am 6. Mai 2019 zugestellt wurde, die Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L entzogen (Nr. 1). Er wurde verpflichtet, seinen Führerschein mit der Nummer … innerhalb einer Woche nach Zustellung des Entzugsbescheids beim Landratsamt abzuliefern (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Nummer 2 des Bescheides wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht (Nr. 3).Die sofortige Vollziehung der Nummer 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4). Die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen stehe aufgrund des Gutachtens, das die Fahrerlaubnisbehörde für schlüssig und nachvollziehbar erachte, fest.
4. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg per Fax am selben Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 29. April 2019 erheben.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. April 2019 wiederherzustellen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass bereits die Gutachtensanordnung rechtswidrig gewesen sei. Der Antragsgegner habe sein Ermessen nicht ausgeübt, was sich aus der Formulierung ergebe, dass die Beibringung eines MPU-Gutachtens „erforderlich“ sei. Der Antragsgegner habe die Fahrerlaubnis aber auch nicht aufgrund der Erkenntnisse entziehen können, die er durch die schließlich noch erfolgte Gutachtensvorlage gewonnen habe. Zum einen habe der Antragsgegner das Gutachten auf rechtswidrige Weise erlangt und könne damit den Inhalt nicht verwerten. Er habe den Antragsteller zur Vorlage des Gutachtens erpresst, indem er ihm aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens die Entziehung der Fahrerlaubnis angedroht und ihm bei Vorlage des Gutachtens die Herausgabe des (abgegebenen) Führerscheins in Aussicht gestellt habe. Zum anderen sei das Gutachten im Hinblick auf die Fragestellung unlogisch und könne nicht als Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis dienen. Der Antragsteller habe beim Gutachtenstermin durch die dort genommene Urinprobe und die Vorlage entsprechender Abstinenznachweise dokumentiert, dass er bereits zwei Jahre lang kein Cannabis mehr konsumiere. Das Gutachten fokussiere danach im Wesentlichen auf die Abstinenz des Antragstellers und nicht auf sein Vermögen, zwischen der Teilnahme am Straßenverkehr und dem Konsum von Cannabis zu trennen. Der Gutachter begründe sein Ergebnis, dass nicht auszuschließen sei, dass der Antragsteller zukünftig wieder Cannabis konsumieren werde, damit, dass der Antragsteller weiterhin einen unreflektierten Umgang mit seinen alten Freunden habe. Dabei sei schon nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter zu dieser Erkenntnis bzw. zu dieser Bewertung der Schilderung des Antragstellers komme. Der Gutachter habe den Antragsteller intensiv zu Konsumgewohnheiten und der anlassgebenden Fahrt, zu seinem Freundeskreis und zu einer eventuellen Rückfallsituation befragt, habe aber keine Frage danach gestellt, welche Strategie der Antragsteller für den Fall entwickelt habe, wie er, falls er doch Cannabis wieder konsumieren sollte, die Teilnahme am Straßenverkehr vom Konsum trennen könne. Diese Frage wäre aber in einem Gutachten, welches das Trennungsvermögen des Antragstellers für die Zukunft darstellen solle, dringend erforderlich gewesen. Der Antragsteller habe in einzeltherapeutischen Sitzungen mit einem Verkehrspsychologen entsprechende Strategien erarbeitet. Hierzu sei er aber nicht befragt worden. Der Gutachter habe irgendwann bei der Ausarbeitung gemerkt, dass er die entscheidende Frage eigentlich nicht gestellt habe, und sei über seinen Notweg zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller zwar nie mehr Cannabis rauchen wolle, ihm dies aber nicht gelingen werde und es ihm deshalb auch nicht gelingen werde, zukünftig Konsum von Cannabis und Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen. Der Gutachter verrate aber nicht, warum der Antragsteller, selbst wenn er rückfällig werden sollte, sich ausgerechnet dann wieder in sein Fahrzeug setzen und am Verkehr teilnehmen werde. Auch sage der Gutachter nicht, ob hier mit einem einmaligen Rückfall oder grundsätzlichen Rückfall zu rechnen wäre. Diese Aussage sei aber entscheidend, da Cannabis, was der Gutachter wohl nicht gewusst habe, zu keiner physischen Abhängigkeit führe, was das Risiko, dass der Antragsteller wieder unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilnehmen werde, nachhaltig reduziere. Auch dem Antragsgegner, der das Gutachten als nachvollziehbar und logisch bewerte, sei offensichtlich entgangen, dass der Gutachter im Interview nicht auf das Trennungsvermögen eingegangen sei.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 19. Juni 2019,
den Antrag abzulehnen.
Das Gutachten sei geeignet, eine Entscheidung über die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stützen. Das Gutachten erkenne beim Antragsteller eine fortgeschrittene Drogenproblematik, die zu nahezu täglichem, jedenfalls regelmäßigem Cannabiskonsum und daher zum Verlust der Fahreignung geführt habe. Die Gutachter hätten deshalb folgerichtig die Motivation und Stabilität der bislang gelebten Cannabisabstinenz untersucht und auch der Antragsteller habe bei seiner Begutachtung geäußert, weiterhin abstinent leben zu wollen. Dass die Voraussetzungen für die Annahme einer dauerhaft stabilen Abstinenz nicht vorlägen, sei von den Gutachtern nachvollziehbar dargelegt worden und begründe sich im Wesentlichen mit der erheblich erhöhten Rückfallgefahr, da der Antragsteller sich weiterhin in einem drogenkonsumierenden Umfeld bewege und eine eher unkritische Einstellung gegenüber der daraus resultierenden Gefährdung offenbare. Soweit der Antragsteller vorbringe, das Gutachten gehe unzureichend auf die Frage ein, ob er zukünftig in der Lage sein werde, Cannabiskonsum und Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen, verkenne er, dass das Trennvermögen nur dann geprüft werden könne, wenn von einem nur gelegentlichen Cannabiskonsum ohne weitergehende Drogengefährdung auszugehen sei. Dies sei hier auf der Grundlage der erlangten Kenntnisse zur Konsumgeschichte aber gerade nicht der Fall.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers replizierte mit Schriftsatz vom 4. Juli 2019, dass nach den Ausführungen des Antragsgegners der Gutachter zu prüfen gehabt hätte, ob der Antragsteller seine Fahreignung wieder erlangt habe. Wenn es tatsächlich Aufgabe des Gutachters und nicht Aufgabe des Antragsgegners gewesen sei, die Gutachtensfrage zu modifizieren, so frage man sich, warum der Gutachter zum Trennungsvermögen Stellung nehme und nicht zur Wiedererlangung der Fahreignung. Der Antragsgegner bestätige damit, dass sich das Gutachten mit der eigentlichen Fragestellung nur mangelhaft auseinandergesetzt habe und die Bearbeitung einer neuen Fragestellung, zu der der Gutachter ohnehin nicht befugt sei, im Ergebnis nicht zu erkennen sei.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 29. April 2019 ist gemäß § 122 Abs. 1, § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids wiederhergestellt werden soll, sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hingegen nicht gegen die bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids (Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) richten soll, hinsichtlich derer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen wäre.
2. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs (siehe S. 5 des Bescheids unter „Hinweise“) entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 22). Dabei sind allerdings an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 80 Rn. 43). Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (Schmidt, a.a.O., § 80 Rn. 36). Ein solcher Fall lag hier aus Sicht des Antragsgegners vor. Er hat vor diesem Hintergrund das besondere Interesse am sofortigen Vollzug unter Bezug auf den Einzelfall hinreichend begründet.
Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigenständige Interessenabwägung durchgeführt (st. Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris Rn. 10; B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
3. Bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, hier also der Anfechtungsklage vom 29. Mai 2017. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass die Anfechtungsklage mit Sicherheit Erfolg haben wird (analog § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
4. So liegt die Sache hier. Die Klage mit dem Ziel, den Bescheid des Landratsamtes vom 29. April 2019 aufzuheben, wird voraussichtlich keinen Erfolg haben.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (st. Rspr. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2667 – juris). Da hier unmittelbar Klage erhoben wurde, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 29. April 2019 abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Davon kann nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 der FeV vorliegt. Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV besteht keine Kraftfahreignung bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis (nur dann) vor, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden können, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens.
Die mangelnde Fahreignung des Antragstellers mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis durch den Bescheid vom 29. April 2019 entzogen wurde, ergibt sich aus dem von ihm vorgelegten Fahreignungsgutachten der … (Bl. 175 bis 193 der Behördenakte), das zu dem Ergebnis kommt (vgl. S. 19 des Gutachtens, unter „Gutachtensergebnis“), dass der Antragsteller trotz der Hinweise auf (früheren) gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss zwar ein Kraftfahrzeug der Klassen AM, B, L sicher führen könne, es aber insbesondere zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde (keine Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme).
a) Entgegen den Ausführungen der Antragstellerseite im Schriftsatz vom 4. Juni 2019 hat das Landratsamt das vorgelegte Gutachten zu Recht zur Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers ausgewertet.
aa) Auf die Frage, ob ein Gutachten zu Recht angeordnet wurde, kommt es nur im Rahmen der Frage an, ob die Fahrerlaubnisbehörde bei Verweigerung der Gutachtensvorlage gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen darf. Denn nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hängt die Verwertbarkeit eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung ab, wenn sich – wie im vorliegenden Fall – der Betroffene dieser Begutachtung gestellt und das Gutachten der Behörde vorgelegt hat. Das Ergebnis des Gutachtens schafft dann eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat (st. Rspr., s. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – juris Rn. 17 ff., m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.6.2018 – 11 CS 18.1027 – juris Rn. 9, m.w.N.).
Im Übrigen bestehen gegen die Gutachtensanordnung des Landratsamtes vom 4. Dezember 2018 (Bl. 146, 147 der Behördenakte) keine rechtlichen Bedenken. Da der Antragsteller bei seiner Fahrt unter Cannabiseinfluss (6,2 ng/ml THC) am 27. Dezember 2016 erstmalig gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen hat und nach seinen eigenen Angaben ein gelegentlicher Cannabiskonsument war, hat das Landratsamt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu Recht verlangt. Das Landratsamt hat auch erkannt, dass die auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gestützte Anordnung in seinem Ermessen steht und hat dieses ausreichend ausgeübt. Dabei ist es zu dem – nicht zu beanstandenden – Ergebnis gekommen, dass sein Ermessen aufgrund der Fahrt des Antragstellers unter Cannabiseinfluss mit dem hohen Wert von 6,2 ng/ml THC auf Null reduziert ist (auf die Ausführungen des BayVGH in seinem, den Beteiligten bekannten Beschluss vom 8.11.2017, Az.: 11 CS 17.1850, Rn. 12, 13, wird verwiesen).
bb) Nicht gefolgt werden kann dem Vortrag der Antragstellerseite, das Landratsamt habe das Gutachten rechtswidrig erlangt, nämlich den Antragsteller zur Vorlage des Gutachtens „erpresst“, indem es ihm zunächst die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Nichtvorlage angedroht und ihm, nachdem der Führerschein abgeliefert worden war, dessen Herausgabe in Aussicht gestellt habe, wenn das Gutachten vorgelegt wird.
Mit seinem (Anhörungs-)Schreiben vom 27. Februar 2019 (Bl. 163 der Behördenakte) und ggf. entsprechenden mündlichen Mitteilungen hat das Landratsamt den Antragsteller lediglich über die (zwingenden) Folgen einer Nichtvorlage des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV informiert. Die Herausgabe des (bereits abgelieferten) Führerscheins nach Vorlage des Gutachtens bzw. das in Aussichtstellen dieser Vorgehensweise begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da das behördliche Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers mit der Vorlage des Gutachtens, das die Fahrerlaubnisbehörde dann als neue Tatsache zu überprüfen hatte, noch nicht abgeschlossen war. Abgesehen davon, dass die Motive des Antragstellers hinsichtlich der Gutachtensvorlage keinen Einfluss auf dessen Verwertbarkeit haben, war das Vorgehen des Landratsamtes rechtmäßig; von einer „erpressten“ Herausgabe des Gutachtens kann keine Rede sein.
b) Nach Nr. 2 Buchst. a Satz 1 der Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV muss ein erstelltes Gutachten nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Dazu müssen nach Nr. 2 Buchst. a Satz 3 der Anlage 4a alle wesentlichen Befunde wiedergegeben und die zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen dargestellt werden. Das Gericht erachtet das gutachterliche Ergebnis, dass dem Antragsteller die Fähigkeit fehlt, zwischen dem Konsum von Cannabis und einer Verkehrsteilnahme zu trennen, als schlüssig und nachvollziehbar.
Die für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP], Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Auflage 2013), die mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27. Januar 2014 (VkBl 2014, 132) als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt sind, unterscheiden bei Betäubungsmitteln zwischen mehreren Abstufungen der Drogenvorgeschichte (diagnostische Kriterien zur Problemausprägung), denen jeweils eine Reihe von Kriterien zur Problembewältigung folgt, die eine Bewertung des Veränderungsprozesses des Klienten erlauben und im Sinne von Anforderungen zu verstehen sind, die auf Kriterienebene vollständig erfüllt sein müssen, damit die Gutachter zu einer günstigen Prognose gelangen können. Dabei sind die Hypothesen hierarchisch aufgebaut. Hypothese D1 geht von einer Drogenabhängigkeit, Hypothese D2 von einer fortgeschrittenen Drogenproblematik und Hypothese D3 von einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik aus. Hypothese D4 hingegen ist bei ausschließlich gelegentlichem Cannabiskonsum, wenn auch ausschließlich Cannabisprodukte mit geringer Wirkstoffmenge konsumiert werden, einschlägig.
Die Trennungsfähigkeit (Trennen von Cannabiskonsum und Fahren) ist nur bei Einschlägigkeit der Hypothese D4 als ein Kriterium zur Problembewältigung, das im Hinblick auf eine günstige Prognose erfüllt sein muss, anerkannt. Bei den übrigen Hypothesen (D1 bis D3) spielt die Trennungsfähigkeit keine Rolle; hier kann nur die Erfüllung der jeweiligen Kriterien für eine stabile bzw. ausreichende Drogenabstinenz zu einer positiven Prognose führen (s. D 2 4. bis D 2.6 und D 3.3 bis D 3.5 der Beurteilungskriterien, S. 103 bis 105 und S. 181 bis 191). Aber auch bei nur gelegentlichem Cannabiskonsum, der unter die Hypothese D4 einzuordnen ist, muss ein Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber, der behauptet, kein Cannabis mehr konsumieren zu wollen, die Stabilität dieser Verhaltensänderung unter sinngemäßer Anwendung der Kriterien D 3.3 und 3.5 nachweisen (s. S. 192 der Beurteilungskriterien zu Hypothese D4).
Der Antragsteller hat gegenüber dem Gutachter zu seinem Drogenkonsum angegeben, dass er Ende 2014 mit dem Konsum von ausschließlich Cannabis begonnen habe und zunächst einmal in der Woche am Wochenende konsumiert habe. Ende 2015 sei es mehr geworden. Er habe dann fast täglich konsumiert. 2016 sei dann der höchste Konsum gewesen, er habe in der Woche zwei bis drei Gramm konsumiert (vgl. S. 11 des Gutachtens, Bl. 185 der Behördenakte). Damit scheidet eine Einstufung der Drogenvorgeschichte des Antragstellers unter die Hypothese D4 offensichtlich aus, da seit Ende 2015 bis zum Beginn der seit Februar 2017 bestehenden Abstinenz (durch Haaranalysen nachgewiesen) ein regelmäßiger, nämlich nahezu täglicher, Cannabiskonsum im Sinne der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV vorgelegen hat. Folglich kam für den Antragsteller, da eine Drogenabhängigkeit (Hypothese D1) im Gutachten verneint wurde, nur eine Einstufung unter die Hypothesen D2 (fortgeschrittene Drogenproblematik, vgl. S. 181 bis 187 der Beurteilungskriterien) oder D3 (Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik, vgl. S. 187 bis 191 der Beurteilungskriterien) in Frage. Dabei wird in den Beurteilungskriterien zur Hypothese D3 darauf hingewiesen, dass für den Bereich des reinen Cannabiskonsums auch die in den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung und in der Anlage 4 zur FeV verwendete Kategorie des „regelmäßigen Konsums“ hier einzuordnen sei (vgl. S. 187 der Beurteilungskriterien).
Der Gutachter hat beim Antragsteller die Hypothese D2 (fortgeschrittene Drogenproblematik) bejaht (siehe S. 17 des Gutachtens: „Es liegt eine fortgeschrittene Drogenproblematik vor, die sich im missbräuchlichen Konsum von Suchtstoffen gezeigt hat.“). Gegen diese Einstufung bestehen keine durchgreifenden Bedenken, auch wenn sie durch den Gutachter nicht näher begründet wurde. Die Einstufung eines Drogenkonsums als „fortgeschrittene Drogenproblematik“ setzt voraus, dass die Kriterien für eine Drogenabhängigkeit (Hypothese D1) nicht vorliegen und dass zumindest eines der Kriterien D 2.1 bis D 2.3 erfüllt sind (vgl. S.181 der Beurteilungskriterien). Kriterium D 2.2 lautet: „Dem Drogenkonsum des Klienten lag wiederholt oder überdauernd eine problematische Motivation zugrunde und/oder es fehlte das grundsätzliche Bedürfnis zu einer angemessenen Verhaltens- und Wirkungskontrolle“. Der Antragsteller gab gegenüber dem Gutachter als Motiv für den Beginn seines Cannabiskonsums insbesondere an, dass er, nachdem er lange Zeit keinen Freundeskreis gehabt und sich hauptsächlich mit Videospielen beschäftigt habe, in der Berufsschule über das Thema Videospiele mit einem ins Gespräch gekommen sei und dann seine Freunde kennen gelernt habe. Als dann dort das Thema Cannabis aufgekommen sei, habe er dazugehören und nicht wieder alleine zu Hause sitzen wollen. Auf die Frage, wieso der Konsum dann angestiegen sei, gab er an, das wisse er nicht, er habe einfach immer mehr gebraucht, um die Wirkung zu haben (vgl. S. 11 des Gutachtens: „…es sei zum Abschalten von der Arbeit gewesen…; er habe immer mehr gebraucht, um die Wirkung zu haben…; er habe es einfach gebraucht, es sei dann mit dem Spielen leichter gewesen…; er habe sich in dem Zustand besser gefühlt und vieles ausblenden können…; er sei in der Schule nie so richtig beliebt gewesen…; nach einem schweren Unfall mit 13 oder 14 Jahren, bei dem sein Gesicht verletzt worden sei, hätten sie sich, so denke er, nur aus Mitleid um ihn gekümmert…; sein Selbstbewusstsein sei im Keller gewesen…; er habe sich dann mit der Konsole beschäftigt, da ihn online keiner habe sehen können und er akzeptiert worden sei…; in der Berufsschule habe er Distanz zu allen gesucht…; über das Thema Videospiele sei er mit einem ins Reden gekommen und habe seine Freunde kennengelernt. Als das Thema Cannabis aufgekommen sei, habe er dazu gehören und nicht wieder alleine zu Hause sitzen wollen.“).
Der Antragsteller hat damit Motive für den Beginn seines Cannabiskonsums und für dessen Intensivierung bis zum regelmäßigen Konsum angegeben, die zeigen, dass er vorwiegend den Cannabiskonsum als Mittel zur Problembewältigung bei persönlichen Belastungen einsetzte und Cannabis z.B. mit der Absicht konsumierte, emotionale Dauerbelastungen (Ängstlichkeit, Unzulänglichkeitsgefühl) zu verändern (siehe auch Indikatoren 1. bis 3. zum Kriterium D 2.2).
Aber selbst wenn beim Antragsteller nicht die Hypothese D2, sondern die Hypothese D3 einschlägig wäre, kann die (Wiedergewinnung der) Fahreignung in beiden Fällen nur bejaht werden, wenn eine Drogenabstinenz ausreichende lange und stabil eingehalten wird (vgl. Hypothese D2) bzw. ein nachvollziehbarer Einsichtsprozess zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt hat (vgl. Hypothese D3). Nach den für eine stabile Drogenabstinenz bzw. einen dauerhaften Drogenverzicht zu erfüllenden Kriterien wird eine bestehende Drogenabstinenz von günstigen Faktoren im Sozialverhalten und im sozialen Umfeld gestützt bzw. dürfen keine Hinweise auf besondere Risikofaktoren vorliegen, die der Erwartung einer zukünftig drogenfreien Lebensführung entgegenstehen. Ein solcher Risikofaktor wird unter anderem dann gesehen, wenn der Betroffene noch Kontakte zu Personen unterhält, von denen er früher Drogen bezogen oder mit denen er Drogen konsumiert hat bzw. eine Ablösung aus dem früheren Drogen konsumierenden Umfeld nicht stattgefunden hat (vgl. Kriterium D 2.6. [Indikator 3.] und Kriterium D 3.5 [Indikator 4.]). Ausgehend von den Angaben des Antragstellers, er sehe seine alten Freunde alle ein bis zwei Monate beim Kartenspielen, die dabei Cannabis konsumieren, aber seine Abstinenz respektieren würden (vgl. S. 11 des Gutachtens), hat der Gutachter nachvollziehbar dargelegt, dass der Umstand, dass der Antragsteller sich noch immer in einem Drogen konsumierenden Umfeld befinde und in seiner Anwesenheit Betäubungsmittel konsumiert würden, die Rückfallgefahr in erheblichem Maße erhöhe, so dass trotz der sich abzeichnenden Entwicklung eine positive Prognose in der Gesamtschau derzeit noch nicht möglich sei (vgl. S. 18 des Gutachtens). Mit diesen Darlegungen hat der Gutachter die Fahreignung des Antragstellers verneint, da hierfür nicht nur eine ausreichend lange, sondern insbesondere auch stabile Abstinenz erforderlich ist.
Das Landratsamt hatte im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung nach Aktenlage nur Hinweise darauf, dass es sich beim Antragsteller, als er die Fahrt unter relevantem Cannabiseinfluss vornahm, um einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten handelte, so dass es nur die aus diesen Umständen resultierenden Eignungszweifel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (hier: Trennungsfähigkeit) seiner Gutachtensanordnung (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV) zugrunde legen konnte bzw. durfte. Mit seiner Frage nach der Trennungsfähigkeit des Antragstellers forderte das Landratsamt eine fachliche Entscheidungshilfe dafür an, ob es dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis belassen könne oder ob es dem Antragsteller wegen Fahrungeeignetheit die Fahrerlaubnis zu entziehen habe. Bei der medizinisch-psychologischen Beurteilung der Fahreignung obliegt es aber den Gutachtern, die anlassbezogenen Hypothesen (hier Untersuchungsanlass Betäubungsmittel) im Einzelfall festzustellen und die Entscheidung zu treffen, ob die der jeweiligen diagnostischen Hypothese zugeordneten Kriterien erfüllt sind oder nicht, also Fahreignung gegeben ist oder nicht. Da der Gutachter aufgrund der Angaben des Antragstellers die (diagnostische) Hypothese D4 (Vorliegen eines ausschließlich gelegentlichen Cannabiskonsums) ausschließen musste, war die Trennungsfähigkeit nicht zu überprüfen. Denn die Trennungsfähigkeit stellt weder im Fall der Hypothese D2 (die der Gutachter hier festgestellt hat) noch im Fall der Hypothese D3 ein Kriterium dar, welches bei der Frage, ob eine angemessene Problembewältigung stattgefunden hat, zu überprüfen ist. Vielmehr kann die Fahreignung in diesen Fällen nur bei einer sowohl ausreichend langen als auch stabilen Abstinenz bejaht werden, setzt also einen tiefgreifenden und hinreichend stabilen Einstellungswandel voraus. Selbst im Rahmen der Hypothese D4 kann die Trennungsfähigkeit, wenn der Betroffene Drogenverzicht als Vermeidungsstrategie angeführt hat, nur dann bejaht werden, wenn auch der Drogenverzicht unter entsprechender Anwendung der Kriterien D 3.3 bis D 3.5 als ausreichend lange und stabil bewertet wird. Dies zeigt, dass der Gutachter, wenn er – wie im vorliegenden Fall – die Fahreignung mangels stabiler Abstinenz verneint, auch die Gutachtensfrage nach der Trennungsfähigkeit, die auf das Bestehen oder Nichtbestehen der Fahreignung abzielt, verneinen muss.
Damit gehen die Ausführungen der Antragstellerseite, die die Schlüssigkeit des Gutachtens mit der Argumentation in Frage stellt, dass der Gutachter das Trennungsvermögen nur unzureichend bzw. gar nicht geprüft habe, ins Leere.
Nach allem bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29. April 2019. Es ist Sache des Antragstellers, die Wiedererlangung seiner Fahreignung in einem etwaigen Verfahren zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis nachzuweisen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG).
5. Abgesehen von den vorstehenden Ausführungen ist die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung auch im überwiegenden öffentlichen Interesse gerechtfertigt. Vorliegend ist es nicht verantwortbar, den Antragsteller – der schon einmal unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hat und dem gutachterlich ausdrücklich eine ungünstige Prognose bescheinigt ist – bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht nämlich ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Die damit für den Antragsteller verbundenen Nachteile sind weniger gewichtig. Persönliche Härten können beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, nicht berücksichtigt werden. Selbst wenn die Fahrerlaubnisentziehung gravierende Folgen sowohl beruflicher als auch privater Art für den Antragsteller hat, gebietet es die Sicherheit des Straßenverkehrs, am Sofortvollzug festzuhalten (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.3.2017 – 11 CS 17.420 – juris; B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – juris; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.7.2015 – OVG 1 S 91.14 – Blutalkohol 52, 349 [2015]). Denn bei erwiesener Ungeeignetheit ist eine Beschränkung des Führens von Fahrzeugen oder die Anordnung von Auflagen nicht ausreichend, um den Verkehr in hinreichendem Maße vor Gefahren zu schützen. Das Gutachten der … bejaht eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit und stellt, wie bereits ausführlich dargelegt, fest, dass derzeit noch zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führen wird. Dem Gutachten ist auch zu entnehmen, dass (unabhängig vom Fahrerlaubnisstatus des Antragstellers) ein Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 70 FeV als nicht erfolgversprechend beurteilt wird, da aufgrund des Ausprägungsgrades und der Schwere der verbleibenden Restbedenken eine hinreichende Aufarbeitung in dieser zeitlich begrenzten und in einer Gruppe stattfindenden Maßnahme nicht ersichtlich sei.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
7. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG sowie den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, a.a.O., Anhang zu § 164, Rn. 14). Danach ist für eine Fahrerlaubnis der Klasse B (die weiteren Klassen sind darin enthalten, § 6 Abs. 3 Nr. 4 FeV) ein Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR anzusetzen, der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren ist.


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