Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen eingeräumten Kokainkonsums

Aktenzeichen  11 CS 21.1477

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41328
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, Anl. 4 Nr. 9.1

 

Leitsatz

1. Nach Anl. 4 Nr. 9.1 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln iSd Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen (hier Kokain) im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber (wie vorliegend ausweislich des Polizeiberichts sowie dem Eintrag im Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut gegenüber dem Polizeibeamten) die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19 S 21.776 2021-04-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Durch eine Mitteilung der Verkehrspolizeiinspektion München erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis davon, dass der Antragsteller am Montag, den 20. Juli 2020 im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle einem Urinvortest unterzogen wurde, der positiv auf Kokain reagierte. Laut Polizeibericht stellten die Polizeibeamten drogentypische Auffälligkeiten fest, u.a. gerötete und glasige Augen, und räumte der Antragsteller ein, Samstagnacht zwei Lines Kokain konsumiert zu haben. Der Konsum wurde auch im Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut festgehalten, den der Antragsteller unterzeichnet hat. In der am selben Tag genommenen Blutprobe wurden keine Cocain-Abbauprodukte festgestellt.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsteller vortragen, dass er kein Kokain konsumiert habe. Derartiges habe er auch bei der Kontrolle nicht angegeben. Er verstehe schlecht Deutsch und habe mit der Unterschrift auf dem Protokoll allein sein Einverständnis mit der Blutentnahme erklären wollen, nicht hingegen einen angeblichen Kokainkonsum.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2021 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Der Antragsteller sei wegen des Konsums von Kokains gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Am 11. Februar 2021 legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Am 15. Februar 2021 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen, den das Verwaltungsgericht als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins auslegte und mit Beschluss vom 29. April 2021 ablehnte. Der Widerspruch bleibe voraussichtlich ohne Erfolg. Die Antragsgegnerin habe zu Recht angenommen, dass der Antragsteller im Juli 2020 Kokain konsumiert habe und damit fahrungeeignet sei. Dieser müsse sich an seiner eigenen Angabe festhalten lassen. Der Vortrag, er habe bei der Kontrolle keinen Konsum eingeräumt und sei sich nicht bewusst gewesen, was er unterschrieben habe, sei als Schutzbehauptung zu werten. Insbesondere lasse sich die behauptete Sprachbarriere angesichts der Angabe der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebe und hier seine gesamte Schulzeit verbracht habe, nicht nachvollziehen. Bestätigt werde die Angabe gegenüber der Polizei durch den positiven Drogenschnelltest.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, er habe in seiner Betroffenenanhörung gegenüber der Polizei erklärt, sich nicht zur Sache äußern zu wollen. Daher verbiete es sich, ihm angebliche Erklärungen aus dem „Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen“ zuzurechnen. Zu einem Drogenkonsum habe er sich dort weder erklären wollen noch habe er eine derartige Angabe in sonstiger Weise gegenüber den Polizeibeamten getätigt. Das Ergebnis des Drogenschnelltests dürfe nicht verwertet werden, da dieses nicht nachvollziehbar dokumentiert sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), in Kraft getreten zum 1. August 2021, und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), in Kraft getreten zum 2. August 2021, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Kokain (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – Blutalkohol 55, 264 = juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 4.6.2019 – 11 CS 19.669 – juris Rn. 11 f.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2020 – 11 ZB 20.1 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 19.4.2021 – 11 CS 21.390 – juris Rn. 16 ff.; zum Stützen auf eigene Angaben des Betroffenen s. auch OVG LSA, B.v. 14.8.2020 – 3 L 121/20 – juris Rn. 11; OVG RP, B.v. 7.3.2018 – 10 B 10142/18 – DVBl 2018, 802 = juris Rn. 2; OVG Bremen, B.v. 16.10.2019 – 2 B 195/19 – juris Rn. 7; VG Hamburg, B.v. 3.6.2020 – 15 E 2087/20 – juris Rn. 20 ff.).
2. Gemessen daran begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Zu Recht sind die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller im Juli 2020 Kokain konsumiert hat. Dies hat er ausweislich des Polizeiberichts vom 20. Juli 2020 sowie dem Eintrag im Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut gegenüber dem Polizeibeamten bekundet. Daran muss der Antragsteller sich festhalten lassen, zumal er das letztgenannte Protokoll unterzeichnet hat.
Dafür, dass diese Dokumentation inhaltlich fehlerhaft ist, liegen keine Anhaltspunkte vor. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der im Beschlussverfahren entsprechend gilt (§ 122 Abs. 1 VwGO), entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Antragsteller hat bereits nichts Konkretes vorgetragen, woraus sich ergeben könnte, dass die Polizeibeamten seine Angaben falsch aufgenommen hätten. Der Annahme, ein Missverständnis könne, da der Antragsteller seit dem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebe, insbesondere nicht mit einer Sprachbarriere erklärt werden, hat dieser nichts Substantielles entgegengesetzt. Ferner kann er auch seine Unterschrift auf dem Protokoll, in dem der eingeräumte Konsum vermerkt ist, nicht schlüssig erklären. Den Einwand, er habe lediglich sein Einverständnis mit der Blutentnahme geben wollen, hat das Verwaltungsgericht zutreffend als Schutzbehauptung gewertet. Dies gilt umso mehr, als in dem Protokoll und Antrag zur Feststellung von Drogen im Blut eine Belehrung des Antragstellers als Betroffener nach § 55 OWiG vermerkt ist; diese beinhaltet einen Hinweis darauf, dass keine Aussagepflicht besteht (§ 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1, § 55 OWiG; vgl. Lutz in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 55 OWiG Rn. 15). Dass der Antragsteller in der Betroffenenanhörung keine Angaben zur Sache gemacht hat, schließt vorherige Angaben gegenüber den Polizeibeamten, insbesondere in Reaktion auf den positiven Drogenschnelltest, nicht aus. Im Übrigen erscheint ein solcher Ablauf auch insoweit stimmig, als im Polizeibericht vermerkt ist, der Antragsteller sei „sehr redselig“. Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass die unterschiedlichen Ergebnisse von Urin- und Bluttest auf unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeiten beruhen können (vgl. dazu BayVGH, B.v. 7.12.2009 – 11 CS 09.1996 – juris Rn. 21 f.; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 322, 324; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 8. Aufl. 2016, Vor §§ 29 ff. Rn. 386 und „Stoffe“ Rn. 104). Das im Polizeibericht vermerkte Ergebnis des Schnelltests durfte die Antragsgegnerin ohne Weiteres als Bestätigung des eingeräumten Konsums mit heranziehen, da dieses schon für sich betrachtet zumindest ein starkes Indiz für einen Kokainkonsum ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2021 – 11 CS 21.332 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Soweit die Beschwerde mit dem Einwand, der Antragsteller habe im Rahmen der Betroffenenanhörung angegeben, sich nicht äußern zu wollen, der Sache nach auf ein Verwertungsverbot zielen sollte, kann sie auch damit nicht durchdringen. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die vorgenannte Einlassung verfahrensfehlerhaft gewonnen wäre. Doch selbst wenn ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften des Strafprozess- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts vorläge, führte dies im vorliegenden Fahrerlaubnisentziehungsverfahren zu keinem Verwertungsverbot (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2021 – 11 CS 20.2643 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 1880/15 – Blutalkohol 53, 490 = juris Rn. 26 m.w.N.).
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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