Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Widerspruchsbescheid, Maßgeblicher Zeitpunkt, Neuerteilung der Fahrerlaubnis, Fahrerlaubnisbehörde, Fahrerlaubnisentzug, Fahrerlaubnisrecht, Fahrerlaubnisentziehung, Führen von Kraftfahrzeugen, Bußgeldverfahren, Verwaltungsgerichte, Einstellung des Strafverfahrens, Trunkenheit im Verkehr, Befähigung zum Richteramt, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Fahreignung, Zwangsgeldandrohung, Betäubungsmitteln, Rechtsmittelbelehrung

Aktenzeichen  W 6 K 20.1735

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6971
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1, § 5, § 3 Abs. 3, § 3 Abs. 4
FeV § 11 Abs. 7
FeV § 46 Abs. 3, Nr. 9.1 der Anlage 4, Nr. 9.5 der Anlage 4
BayVwVfG Art. 46
StGB § 69, § 316
VwZVG Art. 37 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.  

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärten, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage, richtet sich nach sachgerechter Auslegung des Antrags (§ 88 VwGO) im Wege der Anfechtungsklage bloß gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis. Sie umfasst nicht zugleich eine Verpflichtung des Beklagten zur (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis, da die dem Kläger im verfahrensgegenständlichen Bescheid entzogene Fahrerlaubnis bereits im Falle einer Aufhebung des Entzugsbescheids durch das Gericht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ihre Wirksamkeit zurückerhalten würde und es keiner behördlichen Neuerteilung bedürfte.
Die Anfechtungsklage ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist die Klage unbegründet.
1. Die Klage ist insoweit unzulässig, als sie sich gegen die in Nr. 3 des Bescheids vom 11. August 2020 verfügte Zwangsgeldandrohung richtet, die sich zwischenzeitlich erledigt hat.
Zwar hatte der Kläger seinen Führerschein entgegen der in Nr. 2 des Bescheids vom 11. August 2020 auferlegten Abgabepflicht zunächst nicht fristgerecht abgeliefert und auch nicht stattdessen innerhalb der gesetzten Frist eine Erklärung an Eides statt über dessen Verlust (vgl. § 5 StVG) abgegeben. Das Landratsamt hat deshalb das angedrohte Zwangsgeld mit Schreiben vom 31. August 2020 fällig gestellt. Allerdings gab der Kläger inzwischen eine eidesstattliche Versicherung über den Verlust des Führerscheins ab. Die Abgabepflicht wurde dadurch wirksam durchgesetzt, denn der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht ist strafbewehrt, § 156 StGB (vgl. Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 12.12.2016, § 5 StVG, Rn. 5). Die Beitreibung des fällig gestellten Zwangsgeldes ist deshalb einzustellen (Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG) und die Zwangsgeldandrohung hat sich erledigt.
Im Übrigen ist die Klage gegen den Bescheid vom 11. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2020 zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
2. Die Klage hat keinen Erfolg, denn der Bescheid des Landratsamts M.-S. vom 11. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 28. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Gericht verweist zunächst auf die in der Sache zutreffenden Begründungen der streitgegenständlichen Bescheide, § 117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend ist auszuführen:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend derjenige des Erlasses des Widerspruchsbescheids (st.Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13).
2.1 Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids vom 11. August 2020 erfolgte rechtmäßig. Der Kläger hatte seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV in Folge des Konsums von Kokain verloren und bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids auch nicht wiedererlangt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen und unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die vorherige Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens.
Zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen führt nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes – BtMG (ausgenommen Cannabis), sofern nicht gemäß der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV eine vom Regelfall abweichende Bewertung der Umstände zu berücksichtigen ist. Bleibt es bei der Regelannahme der Nr. 9.1. der Anlage 4 zur FeV, steht die Nichteignung fest und die Fahrerlaubnis ist zwingend zu entziehen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (st.Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2019 – 11 ZB 19.1435 – BeckRS 2019, 30470 Rn. 14; B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig sog. harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind, oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (st.Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2020 – 11 CS 20.1292 – BeckRS 2020, 24670 Rn. 11; B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11 m.w.N.). Bei Kokain handelt es sich gemäß § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III um ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes.
2.1.1 Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Mai 2020 Kokain konsumiert hat.
Ausweislich des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt vom 3. Juni 2020 fand sich in der am 17. Mai 2020 beim Kläger entnommen Blutprobe Kokain sowie auch der typische inaktive Kokainmetabolit (Benzoylecgonin) in einer Konzentration, die für eine hochdosierte und/oder wiederholte Aufnahme von Kokain spricht. Eine vom Kläger angeführte Aufnahme verordneter Schmerzmittel wurde nicht nachgewiesen.
An der gerichtlichen Verwertbarkeit des eingeholten Gutachtens bestehen keinerlei Zweifel. Dass die angebliche Einnahme von Schmerzmitteln zu einem fehlerhaft positiven Befund für Kokain führte, kann ausgeschlossen werden. Bei der vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt durchgeführten Flüssigchromatographie in Kombination mit der Massenspektrometrie handelt es sich um den aktuellen Stand der Wissenschaft hinsichtlich beweissicherer Analysen im Bereich der forensischen Toxikologie (vgl. Schubert/Dittmann/Brenner-Hartmann, Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 261 f.). Das vorliegend die Analyse durchführende Institut ist nach DIN EN ISO 17025 für forensische Zwecke akkreditiert, nimmt regelmäßig an Ringversuchungen der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) teil und besitzt insoweit auch gültige Zertifikate. Es ist daher davon auszugehen, dass bei den angewandten Analyseverfahren hinsichtlich Durchführung und Validierung der Tests die Richtlinien der GTFCh (insb. Richtlinie der GTFCh zur Qualitätssicherung bei forensisch-toxikologischen Untersuchungen) beachtet wurden (vgl. Kriterium CTU 3, Schubert/Dittmann/ Brenner-Hartmann, Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 270 f.). Da das Massenspektrum quasi als chemischer Fingerprint einer Substanz angesehen wird (Schubert/Dittmann/ Brenner-Hartmann, Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 261), steht nach der durchgeführten flüssigchromatographisch-massenspektrometrischen Analyse die Einnahme von Kokain seitens des Klägers und zugleich der Ausschluss eines durch andere eingenommene Substanzen – wie etwa Schmerzmittel – herbeigeführten fehlerhaft positiven Befundes unzweifelhaft fest.
2.1.2 Es liegt auch kein Ausnahmefall nach Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV vor.
Ausnahmen von der Regelvermutung der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV werden grundsätzlich nur anerkannt, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeiten, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren obliegt es grundsätzlich dem Fahrerlaubnisinhaber, das in seiner Person gegebene Bestehen solcher atypischen Umstände substantiiert darzulegen.
Relevante Umstände, die eine Ausnahme begründen könnten, wurden jedoch vom Kläger im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht vorgebracht. Die persönlichen Folgen der Fahrerlaubnisentziehung, die den Fahrerlaubnisinhaber nach seiner Darstellung gerade auch aufgrund seiner beruflichen Betätigung unverhältnismäßig träfen, begründen keinen Ausnahmefall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV, da sie sich nicht auf seine Fähigkeit beziehen, ein Kraftfahrzeug sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen.
Es kann auch nicht von einem Bagatellfall ausgegangen werden, wie der Klägerbevollmächtigte meint. Das zugrundeliegende rechtsmedizinische Gutachten der Universitätsklinik Frankfurt spricht vielmehr von Befunden, die für eine hochdosierte und/oder wiederholte Aufnahme von Kokain sprechen. Ferner ergaben sich laut Gutachten Hinweise auf einen gleichzeitigen Beikonsum von Alkohol (Ethanol), was auf einen polyvalenten Konsum fahreignungsrelevanter Substanzen hindeutet. Von einer wie auch immer gearteten Geringfügigkeit des Konsums kann daher schon nicht gesprochen werden, sodass es auch keiner Erörterung bedarf, ob dies eine Ausnahme nach Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV überhaupt begründen könnte.
2.1.3 Der Kläger hatte seine Fahreignung zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids auch nicht wiedererlangt.
Nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (VkBl. S. 110; Stand: 31.12.2019), die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind, können beim Konsum von Drogen die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht. Dies ist bei einem Drogenkonsumenten nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig dann der Fall, wenn eine Abstinenz von einem Jahr und ein motivational gefestigter Verhaltens- und Einstellungswandel, bestätigt durch eine positive medizinisch-psychologische Untersuchung, nachgewiesen werden (st.Rspr. vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 11 CS 19.1066 – BeckRS 2019, 15164; BayVGH, B.v. 14.11.2018 – 11 CS 18.963 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Diese Anforderungen sind vorliegend nicht gegeben. Zum einen ist seit dem festgestellten Kokainkonsum im Mai 2020 noch kein Jahr verstrichen, sodass schon der Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz bislang nicht erbracht werden kann. Zum anderen wurde eine seitdem bestehende Drogenabstinenz vom Kläger auch nicht substantiiert behauptet. Vielmehr wurde in der Klageschrift lediglich pauschal vorgetragen, dass der Kläger bereit sei, eine Drogenabstinenz durch fortlaufende Screenings nachzuweisen. Das Landratsamt bzw. die Widerspruchsbehörde waren daher nicht verpflichtet, vor der Entziehung der Fahrerlaubnis weitere Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen (vgl. § 11 Abs. 7 FeV).
2.1.4 Der Entziehung der Fahrerlaubnis stand auch nicht der in § 3 Abs. 3 StVG angeordnete Vorrang des Strafverfahrens entgegen.
Nach § 3 Abs. 3 StVG darf, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Die Regelung dient dazu, sich widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden. Es soll verhindert werden, dass derselbe einer Eignungsbeurteilung zu Grunde liegende Sachverhalt unterschiedlich bewertet wird; die Beurteilung durch den Strafrichter soll in diesen Fällen den Vorrang haben (vgl. BVerwG, U.v. 28. 6. 2012 − 3 C 30/11 – NJW 2012, 3669 Rn. 36).
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids des Landratsamtes am 11. August 2020 wurde zwar bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt aufgrund des Vorfalls am 17. Mai 2020 noch ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) geführt (Az.: …). Dieses Strafverfahren, bei dem nach § 316 StGB i.V.m. § 69 Abs. 2 StGB auch die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kam, wurde erst mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 19. August 2020 wegen Nichterweislichkeit der Tatvorwürfe gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Bescheid des Landratsamts vom 11. August 2020 erging mithin seinerzeit noch unter verfahrensmäßigem Verstoß gegen den in § 3 Abs. 3 StVG angeordneten Vorrang des Strafverfahrens.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend jedoch aufgrund des vom Kläger zulässig erhobenen Widerspruchs derjenige des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 28. Oktober 2020. Zu diesem Zeitpunkt war das Strafverfahren bereits eingestellt und bestand keine verfahrensmäßige Sperrwirkung mehr. Das Berücksichtigungsverbot des § 3 Abs. 3 StVG betrifft die Zeit bis zum Abschluss des Strafverfahrens. Am maßgeblichen zeitlichen Bezugspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer von der Fahrerlaubnisbehörde verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis ändert sich dadurch nichts. Das bis zur Beendigung des Strafverfahrens greifende Berücksichtigungsverbot nach § 3 Abs. 3 StVG ist ein vorübergehendes Verfahrenshindernis, das sich mit Beendigung des Strafverfahrens erledigt. Da das Strafverfahren gegen den Kläger durch die Einstellungsverfügung vom 19. August 2020 noch vor der abschließenden Entscheidung über den erhobenen Widerspruch sein Ende fand, stand die Verfahrensvorschrift des § 3 Abs. 3 StVG im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids einer verfahrensmäßig rechtmäßigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr entgegen. Dies steht auch im Einklang mit dem Art. 46 BayVwVfG zu Grunde liegenden, von der Widerspruchsbehörde unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung angeführten Rechtsgedanken, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht beansprucht werden kann, wenn er mit demselben Inhalt sofort wieder erlassen werden müsste (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 28.6.2012 − 3 C 30/11 – NJW 2012, 3669 Rn. 37 ff.).
Das nach der Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger weitergeführte Bußgeldverfahren aufgrund Begehung einer Ordnungswidrigkeit entfaltete ebenfalls keine Sperrwirkung für die Verwaltungsentscheidung. Die Regelung des § 3 Abs. 3 StVG betrifft nur das Verhältnis zum Strafverfahren. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis kommt in einem Bußgeldverfahren nicht in Betracht. Die Ahndung des die Fahrerlaubnisentziehung begründenden Verhaltens des Klägers mit einer Geldbuße und einem Fahrverbot hindert auch nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis aus demselben Anlass. Im Bußgeldverfahren wird nicht über die Fahreignung des Betroffenen entschieden, sondern vielmehr wird mit der Verhängung eines Fahrverbots lediglich eine erzieherische Nebenfolge verfügt.
Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Darmstadt gem. § 170 Abs. 2 StPO wegen Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts begründete schließlich auch keine Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 StVG für das behördliche Entziehungsverfahren.
2.1.5 Die Entziehung der Fahrererlaubnis ersetzt nicht die vorliegend unterbliebene strafrechtliche Ahndung des fahreignungsrelevanten Fehlverhaltens des Klägers einschließlich einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB).
Die an eine strafrechtliche Verurteilung – etwa wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) – anknüpfende repressive Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) und als solche Teil der Ahndung einer rechtswidrig und schuldhaft begangenen Straftat. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung durch die Verwaltungsbehörde gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV ist dagegen eine eigenen Voraussetzungen unterworfene präventive Maßnahme zum künftigen Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und hat, wenn sie im Einzelfall auch einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben mag, keinen strafenden Charakter im rechtlichen Sinne (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2006 – 11 CS 05.1210 – juris).
2.1.6 Die Entziehung der Fahrerlaubnis trifft den Kläger auch nicht unverhältnismäßig.
Der Kläger hat seine Fahreignung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – wie dargelegt – nach Maßgabe der konkretisierenden Anforderungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV feststehend verloren und es kamen deshalb für die Vollzugsbehörde keine milderen Mittel in Betracht als die Entziehung der Fahrerlaubnis, auch nicht die vom Klägerbevollmächtigten angeführten Drogenscreenings. Eine Anordnung von Auflagen zum Nachweis fortbestehender Fahreignung sieht die FeV im Falle eines feststehenden Konsums harter Drogen gerade nicht vor (vgl. Spalte 3 zu Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Unter Berücksichtigung der dem Verordnungsgeber bei der Bestimmung gefahrenabwehrrechtlicher Normen regelmäßig eingeräumten Einschätzungsprärogative (zum sog. Normsetzungsermessen der Verwaltung statt vieler Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, 92. Lfg. August 2020, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217 ff. m.w.N.) verstößt der zwingende Fahrerlaubnisentzug in diesen Fällen entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn die in Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zugrunde gelegte regelmäßig zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis im Falle eines nachgewiesenen Konsums harter Drogen – wie hier etwa von Kokain – stützt sich auf die wissenschaftlich belegte besondere Gefährlichkeit sowie das besondere Suchtpotential solcher Substanzen. Mit Blick auf die Bedeutung der geschützten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Verkehrsteilnehmer sowie die Gefahren, die durch am Straßenverkehr teilnehmende Konsumenten solcher Betäubungsmittel ausgehen können, trifft die Fahrerlaubnisentziehung Inhaber einer Fahrerlaubnis, die illegale Betäubungsmittel konsumieren, nicht unangemessen. Dass der Fahrerlaubnisentzug im Einzelfall zu persönlichen und auch wirtschaftlichen Härten beim Betroffenen führen kann, tritt hinter dem verfolgten Schutz der Verkehrsteilnehmer zurück.
2.2 Auch die zurecht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 FeV gestützte Aufforderung zur Rückgabe des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids vom 11.8.2020) ist nicht zu beanstanden. Rechtliche Einwände gegen die Kostenentscheidung (Nr. 5 und Nr. 6 des Bescheids vom 11.8.2020) wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
3. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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