Strafrecht

Entziehung einer Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 20.941

Datum:
14.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24652
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 24a
FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2b, § 46 Abs. 1 S. 1, S. 2
FeV Anl. 4 Nr. 8.1

 

Leitsatz

Die Bindungswirkung eines Strafurteils entfält, wenn dieses überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 15.7.1988 – 7 C 46.87, BVerwGE 80, 43, BeckRS 9998, 37772; B.v. 11.10.1989 – 7 B 150.89, BeckRS 1989, 07027; BayVGH, B.v. 17.7.2015 -11 ZB 15.983,BeckRS 2015, 49718). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 S 19.2440 2020-04-02 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B und L, die ihm im Jahr 2017 neu erteilt worden ist.
Im Januar 2019 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass der Antragsteller am 15. Dezember 2018 einen Verkehrsunfall verursacht hat, bei dem sein Beifahrer leicht verletzt wurde. Die entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,75 ‰. Nachdem der Antragsteller gegen einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung Einspruch erhoben hatte, verurteilte das Amtsgericht Amberg ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Mai 2019 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin beim Kraftfahrt-Bundesamt eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister ein. Danach hatte das Amtsgericht Amberg den Antragsteller bereits mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 10. April 2014 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Dem zugrunde lag eine Trunkenheitsfahrt am 14. Februar 2014 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,19 ‰.
Unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 22. Juli 2019 auf, bis 9. Oktober 2019 ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Zu klären sei, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und/oder ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 in Frage stellten.
Nachdem kein Gutachten vorgelegt wurde, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach Anhörung mit Bescheid vom 5. November 2019 gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein umgehend abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Aus der Nichtbeibringung des Gutachtens sei auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen.
Hiergegen ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg am 6. Dezember 2019 Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig stellte er einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit der Begründung, nach § 3 Abs. 4 StVG stehe die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils vom 14. Mai 2019 der Berücksichtigung des Vorfalls vom 15. Dezember 2018 entgegen. Das Amtsgericht habe sich mit einem Entzug der Fahrerlaubnis bereits auseinandergesetzt und davon bewusst abgesehen.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 2. April 2020 ab. Hinsichtlich des Sofortvollzugs der Zwangsgeldandrohung sei der Antrag unzulässig, da der Antragsteller seinen Führerschein bei der Antragsgegnerin abgegeben habe und kein Rechtsschutzbedürfnis mehr ersichtlich sei. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, da die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Die Antragsgegnerin habe aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen. Die Gutachtensanordnung sei nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV nicht zu beanstanden, da der Antragsteller wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen habe. Berücksichtigungsfähig sei neben der durch Strafbefehl geahndeten Trunkenheitsfahrt am 14. Februar 2014 auch, dass der Antragsteller am 15. Dezember 2018 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt habe, obwohl er 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut gehabt und damit den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG erfüllt habe. § 3 Abs. 4 StVG stehe dem nicht entgegen. Das Amtsgericht habe die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen in dem Urteil vom 14. Mai 2019 nicht beurteilt. Zudem habe die Antragsgegnerin auch die Trunkenheitsfahrt vom 14. Februar 2014 und damit einen umfassenderen Sachverhalt zu Grunde gelegt als das Strafgericht.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, die sich auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins beschränkt, lässt der Antragsteller ausführen, das Verwaltungsgericht sei im Hinblick auf die Frage der Fahreignung unter Verletzung von § 3 Abs. 4 StVG vom Inhalt des Strafurteils vom 14. Mai 2019 abgewichen. Der Strafrichter habe in den Urteilsgründen unmissverständlich ausgeführt, im Hinblick auf den Entzug der Fahrerlaubnis sei eine weitere Einwirkung auf den Antragsteller nicht geboten.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung sich hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und ob sie insoweit den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Selbst wenn man von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen wäre.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2019 (BGBl I S. 846), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2019 (BGBl I S. 846), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV). Unter anderem ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
b) Gemessen daran begegnet die von der Antragsgegnerin verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV angeordnet werden konnte, ohne dass dem das Strafurteil des Amtsgerichts Amberg vom 14. Mai 2019 entgegenstand.
Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u.a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, sodass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 15.7.1988 – 7 C 46.87 – BVerwGE 80, 43 = juris Rn. 10; B.v. 11.10.1989 – 7 B 150.89 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 17.7.2015 -11 ZB 15.983 – juris Rn. 11).
Demnach stand hier die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG der Anordnung, ein Gutachten beizubringen, nicht entgegen. Das Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 14. Mai 2019 enthält keine Ausführungen zur Fahreignung des Antragstellers und einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, sondern verhält sich allein zur Frage eines Fahrverbots (§ 44 StGB). Ihm lässt sich damit bereits nicht entnehmen, ob das Strafgericht eine eigenständige Eignungsbeurteilung in dem von § 3 Abs. 4 StVG vorausgesetzten Sinn überhaupt vorgenommen hat. Ferner hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass das Urteil des Amtsgerichts auch deswegen keine eignungsbezogene Bindungswirkung für die Antragsgegnerin entfaltet, weil diese von einem umfassenderen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. dazu auch VGH BW, B.v. 3.5.2010 – 10 S 256/10 – juris Rn. 6). Die auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV gestützte Gutachtensanordnung der Antragsgegnerin bezog die mit Strafbefehl vom 10. April 2014 geahndete fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs am 14. Februar 2014 mit ein; diese Vorstrafe ist in dem Strafurteil vom 14. Mai 2019 bereits nicht erwähnt.
Durfte die Antragsgegnerin demnach den Lebenssachverhalt vom 15. Dezember 2018, der den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG erfüllt, berücksichtigen und den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchs. b FeV auffordern, begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der nicht fristgemäßen Vorlage keinen Bedenken. Weitergehende Einwände hat die Beschwerde nicht erhoben.
2. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben