Strafrecht

Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C1, C1E, M, L und S nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem

Aktenzeichen  Au 7 S 18.434

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10219
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 4 Abs. 3, Abs. 5 S. 1 Nr. 3, § 28 Abs. 3 Nr. 1, § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 65 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

Die Regelungen des § 4 Abs. 3 S. 1 und 2 StVG nF, wonach im Falle der Erteilung einer Fahrerlaubnis zuvor angefallene Punkte nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, sondern gelöscht werden, sind nicht anwendbar, wenn die Fahrerlaubnis vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1.5.2014 erteilt wurde (Anschluss BayVGH BeckRS 2016, 45990). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1962 geborene Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C1, C1E, M, L und S nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
1. Dem Antragsteller war mit Bescheid des Antragsgegners vom 21. Mai 2004, zugestellt am 27. Mai 2004, die Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von mindestens 18 Punkten im Verkehrszentralregister entzogen worden. Der Bescheid ist seit 28. Juni 2004 bestandkräftig. Die Fahrerlaubnisentziehung wurde am 1. Juni 2004 ins Verkehrszentralregister eingetragen.
Das Amtsgericht … verurteilte den Antragsteller mit Urteil vom 20. Mai 2005 (rechtskräftig seit 20.5.2005) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, da er am 3. November 2004 und am 20. Dezember 2004 jeweils vorsätzlich ohne Fahrerlaubnis gefahren ist. Eine isolierte Sperre (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) wurde nicht ausgesprochen. Für das Fahren ohne Fahrerlaubnis wurden am 29. September 2005 12 Punkte (alt) ins Verkehrszentralregister (VZR) eingetragen.
Am 11. September 2007 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C1, C1E, M, L und S wieder erteilt, nachdem er das geforderte medizinisch-psychologische Fahreignungsgutachten und die Teilnahmebescheinigung hinsichtlich eines Kurses zur Wiederherstellung der Fahreignung beigebracht hatte.
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 20. Januar 2010 (zugestellt laut Postzustellungsurkunde am 22.1.2010) wurde der Antragsteller zu einem Stand von 13 Punkten (alt) im VZR gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz in alter Fassung (StVG a.F.) verwarnt und u.a. darauf hingewiesen, dass er durch die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar die Möglichkeit habe, eine Punktegutschrift zu erhalten (§ 4 Abs. 4 StVG a.F.). Der Verwarnung lagen folgende Eintragungen zugrunde:
Tattag
Entscheidung / Rechtskraft
Art
Bezeichnung
Punkte
„ alt
Punkte
„ neu
1
20.12.2004 (letzte Tat)
20.5.2005 / 20.5.2005
Straftat
Fahren ohne Fahrerlaubnis in 2 Fällen
12
11.9.2007
(Wieder-) Erteilung der Fahrerlaubnis
2
19.5.2009
27.8.2009 / 16.9.2009
OWI
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 15 km/h
1
Nachdem der Antragsteller am 22. Februar 2010 die Teilnahmebescheinigung an einem Aufbauseminar vorgelegt hatte, erfolgte ein Abzug von 2 Punkten, so dass sich der Punktestand des Antragstellers auf 11 Punkte (alt) reduzierte.
Am 18. September 2013 ging beim Antragsgegner die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes ein, dass der Antragsteller am 24. April 2013 eine weitere Verkehrsordnungswidrigkeit begangen habe (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h), für die 1 Punkt im VZR eingetragen worden sei, so dass sich nunmehr ein Stand von 12 Punkten (alt) ergab.
Am 16. September 2014 wurde die Ordnungswidrigkeit vom 19. Mai 2009 (1 Punkt alt) getilgt.
Mit Schreiben vom 27. März 2015 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit, dass für den Antragsteller mittlerweile 6 Punkte (neu) im Fahreignungsregister eingetragen sind. Der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes lag folgende Berechnung zugrunde:
Zum 27. März 2015 waren unter Berücksichtigung der bis dahin erfolgten Tilgung noch 11 Punkte (alt) im Fahreignungsregister gespeichert. Diese vor dem 1. Mai 2014 angefallenen 11 Punkte (alt) wurden mit 5 Punkten (neu) ins Fahreignungs-Bewertungssystem eingeordnet. Durch die neu hinzu gekommene Eintragung der mit 1 Punkt bewerteten Verkehrsordnungswidrigkeit vom 14. November 2014 (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h) ergab sich ein Punktestand von 6 Punkten (neu) im Fahreignungsregister.
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 3. Juni 2015 (zugestellt laut Postzustellungsurkunde am 5.6.2015) wurde der Antragsteller zu einem Stand von 6 Punkten (neu) gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Straßenverkehrsgesetz in neuer Fassung (StVG n.F.) verwarnt.
Am 23. August 2016 ging ein weiterer Auszug aus dem Fahreignungsregister beim Antragsgegner ein. Danach hatte der Antragsteller mit der am 14. November 2015 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h), die mit 1 Punkt bewertet wurde, 7 Punkte erreicht.
Mit Schreiben vom 2. Januar 2018 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller 8 Punkte eingetragen sind. Hinzugekommen war die mit 1 Punkt bewertete Verkehrsordnungswidrigkeit vom 31. August 2017 (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h).
Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zum beabsichtigten Entzug seiner Fahrerlaubnis an. Gelegenheit zur Stellungnahme wurde ihm bis zum 2. Februar 2018 gegeben.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2018 zeigte der Bevollmächtigte des Antragstellers dessen Vertretung an und führte mit Schriftsätzen vom 8. Februar 2018 und 14. Februar 2018 aus, dass die Punkte aus der Zeit vor der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 11. September 2007 keine Berücksichtigung finden dürfen. Die vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis geahndeten Verkehrszuwiderhandlungen dürften nicht mehr berücksichtigt werden. Daraus resultierende Punkte seien zu löschen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 StVG n.F.). Zwar vertrete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. April 2016 (Az.: 11 CS 16.399, juris) die Rechtsauffassung, dass für die Löschung der bis 1. Mai 2014 angefallenen Punkte § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG a.F. weiterhin anzuwenden sei. Diese Rechtsauffassung widerspreche aber eindeutig dem Gesetzeswortlaut. Weiterhin widerspreche diese Rechtsauffassung den dokumentierten Überlegungen des Gesetzgebers und schließlich auch dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2018 vertiefte der Prozessbevollmächtigte seine Rechtsauffassung und führte im Wesentlichen Folgendes aus:
Die in der BT-Drucksache 17/12636 ausgeführten Überlegungen des Gesetzgebers sprächen nebeneinander zumindest zwei Gesichtspunkte an. Zum einen vertrage sich die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Wiederherstellung der Fahreignung nicht mit einer Verwertung von Punkten aus dem Zeitraum vor der Neuerteilung. Denn es sei widersprüchlich, einerseits die Neuerteilung von einer uneingeschränkten Fahreignung abhängig zu machen, gleichzeitig aber durch die Berücksichtigung von Punkten aus dem Zeitraum vor der Neuerteilung Zweifel an der Fahreignung zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen bevorzuge der Gesetzgeber anstelle einer Berücksichtigung von Punkten die Möglichkeit, Zweifeln an der Fahreignung, die aufgrund neuerlicher Verkehrszuwiderhandlungen nach der Neuerteilung entstanden sind, durch die Anordnung eines neuen Fahreignungsgutachtens nachzugehen. In der Übergangsregelung zum Fahreignungsbewertungssystem habe der Gesetzgeber die Regelungssystematik klar zum Ausdruck gebracht. § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG n.F. bestimme zunächst, wie die bis zum 30. April 2014 im VZR enthaltenen Eintragungen in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem zu übernehmen seien. Satz 2 dieser Regelung habe sodann klarstellende Funktion: ab dem 1. Mai 2014 seien nur noch Maßnahmen nach dem an diesem Tag in Kraft tretenden Fahreignungs-Bewertungssystem zu treffen. Satz 2 bringe daher klar zum Ausdruck, dass altes Recht mit Ablauf des 30. April 2014 außer Kraft treten und mit Beginn des 1. Mai 2014 durch neues Recht ersetzt werden solle. Damit sei für eine Übergangsregelung kein Raum. Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. April 2016 (Az.: 11 CS 16.399, juris) vertretene Rechtsauffassung, für die Löschung der bis zum 1. Mai 2014 angefallenen Punkte sei § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG a.F. anzuwenden, sei eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung. Die Auffassung des BayVGH, die aktuelle Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG (n.F.) – „Wird eine Fahrerlaubnis erteilt“ – bringe zum Ausdruck, dass sie sich nur auf künftige Erteilungen ab dem 1. Mai 2014 beziehe, lasse sich mit den vom Herkommen getragenen Grammatikregeln nicht in Einklang bringen. Die Auffassung des BayVGH, es gebe zu § 4 Abs. 3 StVG n.F. keine Übergangsregelung, verkenne den klaren Gesetzeswortlaut des § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG. Auch verstoße die Rechtsauffassung des BayVGH gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der BayVGH knüpfe an das Datum der Fahrerlaubniserteilung an. Bei einer Fahrerlaubniserteilung am 30. April 2014 solle altes Recht, bei einer Fahrerlaubniserteilung am 2. Mai 2014 solle neues Recht anzuwenden sein. Damit könnten bloße Zufälligkeiten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Gründe für eine unterschiedliche Sachbehandlung beider Fallkonstellationen ließen sich allerdings nicht finden.
2. Mit Bescheid vom 5. März 2018 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C1, C1E, M, L und S mit sofortiger Wirkung (Ziffer I.1. des Bescheids) und ordnete an, dass der am 21. November 2007 ausgehändigte Führerschein (Führerscheinnummer …) unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Frist von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheids, bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern ist (Ziffer I.2. des Bescheids). Für den Fall, dass der Führerschein nicht innerhalb der festgesetzten Frist bei der Antragsgegnerin abgeliefert werde, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer I.3. des Bescheids). Die sofortige Vollziehung des Bescheids in Ziffer I.2. wurde angeordnet (Ziffer II. des Bescheids).
Begründet ist der Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller mit der Verkehrsordnungswidrigkeit vom 31. August 2017 8 Punkte erreicht habe, deswegen als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte, so dass ihm die Fahrerlaubnis zwingend nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zu entziehen sei. Spätere Tilgungen seien nicht zu berücksichtigen. Entgegen der Meinung der Antragstellerseite seien auch die 12 Punkte (alt) zu berücksichtigen, die vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis (11.9.2007) aufgrund der Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen (letzter Tattag: 20.12.2004) angefallen seien. Nach dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. April 2016 (Az.: 11 CS 16.399, juris; vgl. auch VG Augsburg, B.v. 15.2.2017 – Au 7 S 16.1749) messe sich die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 StVG n.F. keine Rückwirkung in zeitlicher Hinsicht zu.
Der Bescheid wurde den Bevollmächtigten des Antragstellers laut Empfangsbestätigung am 12. März 2018 zugestellt.
Am 16. März 2018 ging der Führerschein des Antragstellers bei der Antragsgegnerin ein.
3. Mit Schriftsatz vom 16. März 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 19. März 2018, wurde der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt,
I. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen die in Ziffer I.1. des Bescheides des Landratsamtes … vom 5. März 2018 angeordnete sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C1, C1E, M, L und S wird angeordnet.
II. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen die in Ziffer I.2. desselben Bescheides angeordnete Verpflichtung des Antragstellers, den vom Landratsamt … am 21. November 2007 ausgestellten Führerschein … an die Führerscheinstelle des Landratsamtes … abzuliefern, wird wiederhergestellt.
III. Das Landratsamt … wird verpflichtet, den von ihm am 21. November 2007 ausgestellten Führerschein … dem Antragsteller wieder zu übergeben und zu belassen, solange der Bescheid des Landratsamtes … vom 5. März 2018 nicht bestandskräftig ist.
Der Bescheid vom 5. März 2018 verstoße gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG (n.F.), wonach Punkte für vor einer Fahrerlaubniserteilung rechtskräftig gewordene Entscheidungen über Verkehrszuwiderhandlungen nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. In Anwendung dieser Regelung hätten Punkte, die aus einer Verurteilung des Antragstellers durch Urteil des Amtsgerichts … vom 20. Mai 2005 herrühren, nicht berücksichtigt werden dürfen, sondern gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG (n.F.) gelöscht werden müssen. Mit der Ordnungswidrigkeit vom 31. August 2017 hätte der Antragsteller dann allenfalls den Stand von 5 Punkten erreicht. Zur weiteren Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen aus dem Schriftsatz vom 16. Februar 2018 wiederholt bzw. vertieft. Die Auffassung des BayVGH, die aktuelle Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG (n.F.) bringe zum Ausdruck, dass sie sich nur auf künftige Erteilungen ab dem 1. Mai 2014 beziehe, widerspreche nicht nur den vom Herkommen getragenen Grammatikregeln, sondern auch der Dogmatik zur Bepunktung von Verkehrszuwiderhandlungen. Denn allein die Fahrerlaubnisbehörde sei zur verbindlichen Punktebewertung von Entscheidungen über Zuwiderhandlungen befugt, die Bewertung und Bepunktung werde inzident bei Entscheidungen über Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG vorgenommen, über die Bepunktung werde nicht durch gesonderten Verwaltungsakt entschieden, es erfolge zu keinem Zeitpunkt eine verbindliche Feststellung des Punktestandes, solange es nicht zu Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG komme, beim Kraftfahrt-Bundesamt werde kein verbindliches Punktekonto geführt und eine Bepunktung erwachse erst in Rechtskraft, wenn ein Bescheid über eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG in Bestandskraft erwachse. Die gesetzliche Neuregelung (hier. § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG n.F.) sei daher zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Maßnahme nach dem Fahreignungsbewertungssystem, im vorliegenden Fall also zum 5. März 2018, anzuwenden.
Am 26. März 2018 wurde Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben mit dem Antrag, den Bescheid vom 5. März 2018 aufzuheben. Die Klage, über die noch nicht entschieden wurde, wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 18.488 geführt.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 29. März 2018, 30 den Antrag abzulehnen.
Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. seien gegeben. Der Antragsgegner sei ebenso wie der BayVGH (B.v. 22.4.2016 – 11 CS 16.399) der Meinung, dass auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 11. September 2007 § 4 Abs. 3 StVG in der Fassung ab 1. Mai 2014 nicht angewandt werden könne.
Hierauf erwiderte die Antragstellerseite mit Schriftsätzen vom 9. und 10. April 2018. U.a. wurde auf die Regelung in § 65 Abs. 3 Nr. 7 StVG hingewiesen, wonach die neue Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 StVG in ihrem Anwendungsbereich eingeschränkt worden sei. Es erscheine nicht vorstellbar, dass der Gesetzgeber es übersehen habe, den Anwendungsbereich dieser Regelung weiter einzuschränken, wenn er sich ohnehin schon mit der Reichweite dieser Regelung befasst habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichts- und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist nur teilweise zulässig.
a) Der Antrag ist zulässig, soweit beantragt wurde, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage bezüglich der kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 9 StVG) sofort vollziehbaren Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen (Antrag I.) und soweit beantragt wurde, aufschiebende Wirkung der Klage gegen die – in Ziffer II. des Bescheids vom 5. März 2018 für sofort vollziehbar erklärte – Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins wiederherzustellen.
b) Unzulässig ist der Antrag jedoch, soweit der Antragsgegner verpflichtet werden soll, den Führerschein wieder an den Antragsteller herauszugeben und zu belassen, solange der streitgegenständliche Bescheid nicht bestandskräftig ist (Antrag III.).
Bei diesem Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) handelt es sich zwar um eine Annexentscheidung zu einem (erfolgreichen) Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO; gleichwohl ergeht ein solcher Ausspruch nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80, Rn. 176). Wie für jeden anderen vor Gericht gestellten Antrag muss daher auch für ein solches Begehren ein Rechtsschutzbedürfnis vorliegen.
Hier spricht nichts dafür, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Pflichten, die sich im Falle der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Anfechtungsklage ergeben würden, nicht nachkommen würde. Damit besteht – selbst wenn der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz Erfolg hätte (siehe aber nachfolgend 2.) – keine Veranlassung für eine Anordnung der Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO (so ausdrücklich BVerwG, B. v. 6.7.1994 – NVwZ 1995, 590; vgl. zur Entbehrlichkeit eines derartigen Ausspruchs in den Fällen, in denen davon ausgegangen werden kann, dass die Verwaltung Vollziehungsmaßnahmen von sich aus rückgängig machen wird, Kopp/Schenke, a.a.O.). Damit ein auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gestützter Antrag zulässig ist, ist somit die Darlegung der Besorgnis erforderlich, es bedürfe eines vollstreckbaren Titels, um einen rechtsgestaltenden Ausspruch nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2006 – 11 CS 05.1559, BayVGH, B.v. 7.12.2006 – 11 CS 06.2450). Derartige Ausführungen finden sich in den Schriftsätzen der Antragstellerseite nicht und für eine derartige Besorgnis sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, so dass der Antrag sich insoweit als unzulässig darstellt.
2. Soweit der Antrag zulässig ist, hat er aber in der Sache keinen Erfolg.
a) Die Regelung unter Ziffer I.1 des angefochtenen Bescheids (Entziehung der Fahrerlaubnis) ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes/StVG). Im Hinblick auf die Ziffer I.2. des Bescheids hat der Antragsgegner die sofortige Vollziehung in Ziffer II. des Bescheids im Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (s. B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23), der dieses Gericht folgt, angeordnet. Die hierzu im streitgegenständlichen Bescheid abgegebene Begründung (siehe IV. des Bescheids) genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, denn die Behörde hat ausreichend einzelfallbezogen dargelegt, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, angeordnet hat. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Recht der Fahrerlaubnisse gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie auch im konkreten Fall vorliegt (s. z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris). Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine inhaltliche Überprüfung der Begründung der Behörde, sondern es wird eine eigenständige gerichtliche Interessenabwägung durchgeführt (BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris; B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6 m.w.N.).
b) Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig von seiner Fahrerlaubnis weiter Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Hierbei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs, hier der Klage vom 26. März 2018, ausschlaggebend. Lässt sich schon bei summarischer Überprüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zu Gunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
So liegt die Sache hier. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. März 2018 wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.
c) Die in Ziffer I.1. getroffene Entziehungsentscheidung ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Antragsgegner ging beim Erlass des Bescheids vom 5. März 2018 zutreffend von einem Stand von 8 Punkten aus; denn bei der Berechnung des Punktestandes war auch die vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Verkehrszentralregister eingetragene Entscheidung und die daraus resultierenden 12 Punkte (alt) zu berücksichtigen.
Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten. In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 5. März 2018 am 12. März 2018 (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 = juris, Rn. 9, und B.v. 22.1. 2001 – 3 B 144.00 – juris, Rn. 2). Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist daher § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz in der ab 5. Dezember 2014 geltenden Fassung vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) – StVG n.F..
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister (nachfolgend: FAER) ergeben. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. ist auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das sog. Tattagprinzip normiert. Durch die am 31. August 2017 begangene Ordnungswidrigkeit, die rechtskräftig geahndet ist und mit einem Punkt bewertet wurde, hat der Antragsteller acht Punkte erreicht. Ob sich seit dem 31. August 2017 der Punktestand verringert hat, ist für die Fahrerlaubnisentziehung unerheblich, da spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen unberücksichtigt bleiben (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG).
Am 31. August 2017 waren für den Antragsteller 8 Punkte im FAER erreicht. Hierzu wird auf die nachfolgende Übersicht verwiesen:
Tattag
Entscheidung / Rechtskraft
Art
Bezeichnung
Punkte
„ alt
Punkte
„ neu
Datum Tilgung
21.5.2004 / 28.6.2004
Entziehung der Fahrerlaubnis
erst am: 11.9.
2017
1
20.12.2004 (letzte Tat)
20.5.2005 / 20.5.2005
Straftat
Fahren ohne Fahrerlaubnis in 2 Fällen
12
erst am:
11.9.
2017
11.9.2007
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis
2
19.5.2009
27.8.2009 / 16.9.2009
OWI
Überschreiten der zuläss. Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 15 km/h
1 (13)
20.1.2010
Verwarnung Stufe 1 nach § 4 Abs. 3 Satz 1Nr. 1 StVG a.F. bei 13 Punkten
22.2.2010
Teilnahmebescheinigung Aufbauseminar
– 2 (11)
3
24.4.2013
24.7.2013 / 17.8.2013
OWI
Überschreiten der zuläss. Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h
1 (12)
Erst am:
11.9.
2017
Einordnung der vor dem 1. Mai 2014 im Verkehrszentralregister eingetragenen Punkte in die Bewertung nach dem Fahreignungsbewertungssystem
12
5
Tilgung der OWI v.19.5.2009 (Nr.2)
– 1 (11)
5
16.9.
2014
4
14.11.2014
18.2.2015 / 7.3.2015
OWI
Überschreiten der zuläss. Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h
1 (6)
erst am:
7.9.
2017
3.6.2015
Verwarnung Stufe 2 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG n.F. bei 6 Punkten
5
14.11.2015
9.3.2016 / 19.7.2016
OWI
Überschreiten der zuläss. Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h
1 (7)
6
31.8.2017
21.11.2017 / 8.12.2017
OWI
Überschreiten der zuläss. Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h
1 (8)
aa) Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Antragsteller das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen hat. So wurde beim Stand von 13 Punkten (alt) mit Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 20. Januar 2010 die Verwarnung als erste Maßnahmenstufe (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.) und beim Stand von 6 Punkten (neu) mit Schreiben vom 3. Juni 2015 die Verwarnung als zweite Stufe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG n.F.) ergriffen. Dass der Antragsteller zum 1. Mai 2014 mit 5 Punkten in das Fahreignungs-Bewertungssystem eingeordnet wurde, hat nicht dazu geführt, dass die erste Stufe, nämlich die Maßnahme der Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. (nochmals) zu ergreifen gewesen wäre (siehe Übergangsregelung § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG).
bb) Der Antragsgegner ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt am 31. August 2017 sowohl die (vor dem 1.5.2014 im damaligen Verkehrszentralregister gespeicherte) Verkehrsordnungswidrigkeit vom 24. April 2013 (s. Nr. 3 der Tabelle) als auch die mit Urteil vom 20. Mai 2005 geahndeten Verkehrsstraftaten (Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, s. Nr. 1 der Tabelle) noch im Fahreignungsregister eingetragen waren.
Nach der Übergangsregelung in § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG sind solche Entscheidungen nach den Bestimmungen des § 29 StVG a. F. (StVG in der bis 30.4.2014 anwendbaren Fassung) zu tilgen und zu löschen. Für Verkehrsordnungswidrigkeiten sieht § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG a. F. eine Tilgungsfrist von zwei Jahren vor, die nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG a. F. mit dem Tag der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung zu laufen beginnt. Für Verkehrsstraftaten wie das Fahren ohne Fahrerlaubnis sieht § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVG a. F. eine Tilgungsfrist von fünf Jahren vor, die nach § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG a. F. mit dem Tag des ersten Urteils zu laufen beginnt. Aus § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 StVG folgt weiter, dass Verkehrsordnungswidrigkeiten, die erst ab dem 1. Mai 2014 gespeichert werden, keine Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG a. F. mehr auslösen (siehe hierzu nur BT-Drs. 17/13452, S. 7).
Wegen der seinerzeit mit Bescheid des Antragsgegners vom 21. Mai 2004 erfolgten unanfechtbaren Entziehung der Fahrerlaubnis und am 11. September 2007 erfolgten Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. (i.V.m. § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG) die Tilgung dieser vor dem 1. Mai 2014 gespeicherten Ordnungswidrigkeit und Straftaten gehemmt. Nach dieser Vorschrift ist die Tilgung bei mehreren nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a. F. einzutragenden Entscheidungen erst zulässig, wenn für alle Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen, es sei denn, dass § 29 Abs. 6 Satz 2 bis 6 StVG a. F. hiervon abweicht. Nach dem – eindeutigen – Wortlaut des § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. haben alle eingetragenen Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a. F. tilgungshemmende Wirkung, also auch eine unanfechtbare Entziehung der Fahrerlaubnis, da diese nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. a) StVG a. F. in das Verkehrszentralregister einzutragen war (vgl. VGH BW, B.v. 28.12.2016 – 10 S 2346/16 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Für die Eintragung der Entziehung der Fahrerlaubnis gilt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a. F. die zehnjährige Tilgungsfrist (vgl. VGH BW, B.v. 28.12.2016 – 10 S 2346/16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung beginnt die Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F. erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis (hier: 11.9.2007), spätestens jedoch fünf Jahre nach der Entziehungsentscheidung. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Eintragung der Entziehung der Fahrerlaubnis bis zum 11. September 2017 nicht zu tilgen war und bis dahin (11.9.2017) zum einen die Tilgung der (vor dem 1.5.2014 gespeicherten) Ordnungswidrigkeit vom 24. April 2013 (s. Nr. 3 der Tabelle) gehemmt hat. Zum anderen hat die Eintragung der Entziehung der Fahrerlaubnis auch die Tilgung der (vor dem 1.5.2014 gespeicherten) Verkehrsstraftaten (Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, s. Nr. 1 der Tabelle) gehemmt, so dass auch die Entscheidung (strafgerichtliche Verurteilung) vom 20. Mai 2005 erst zum 11. September 2017 tilgungsreif war.
Zum Zeitpunkt der Begehung der letzten Verkehrszuwiderhandlung am 31. August 2017 waren daher weder die Ordnungswidrigkeit vom 24. April 2013 noch die mit Strafurteil vom 20. Mai 2005 geahndeten Verkehrsstraftaten getilgt.
cc) Streitig ist zwischen den Parteien aber, ob dem Antragsteller die zum 1. Mai 2014 eingeführte Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2, Satz 3 Nr. 1 StVG n.F. zugutekommt, also ob die 12 Punkte (alt), die für die Verkehrsstraftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (rechtskräftiges Urteil vom 20.5.2005) am 29. September 2005 ins VZR eingetragen worden waren, im Hinblick auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 11. September 2007 zu löschen sind und somit bei der Punkteberechnung nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.
Die Kammer folgt auch im Hinblick auf die ausführlichen Erörterungen der Antragstellerseite weiterhin der Rechtsmeinung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, dass die Regelungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 StVG n.F., wonach im Falle der Erteilung einer Fahrerlaubnis zuvor angefallene Punkte nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, sondern gelöscht werden, nicht anwendbar sind, wenn die Fahrerlaubnis vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Mai 2014 erteilt wurde. Auf die Ausführungen im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 2016 (Az.: 11 CS 16.399, juris Rn. 17) wird vollinhaltlich verwiesen (vgl. auch VG Gelsenkirchen, U.v. 18.3.2016 – 9 K 3927/15 – juris, VG Augsburg, B.v. 15.2.2017 – Au 7 S 16.1749 – juris).
Lediglich ergänzend wird im Hinblick auf die Ausführungen der Antragstellerseite, insbesondere in ihrem letzten Schriftsatz vom 10. April 2018, noch auf Folgendes hingewiesen:
Die Aussage, „die rechtsverbindliche Bepunktung von Verkehrszuwiderhandlungen werde zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine beabsichtigte Fahrerlaubnisentziehung getroffen“, ist nur insoweit richtig, als das Kraftfahrt-Bundesamt den nach Landesrecht zuständigen Behörden die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister (damaliges Verkehrszentralregister) zu übermitteln hat (s. § 4 Abs. 8 StVG n.F., § 4 Abs. 6 StVG a.F.) Dabei besteht auch unter der neuen Rechtslage Einigkeit darüber, dass das Kraftfahrt-Bundesamt kein verbindliches Punktekonto führt und auch die Punktbewertung durch das Kraftfahrt-Bundesamt – wie bisher – nur vorläufig ist und eine endgültige Bewertung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde erfolgt (vgl. BT-Drs. 17/12636 S.43; BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 3.07 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Die o.g. Aussage verkennt aber das Tattagsprinzip, nämlich dass sich Punkte – bereits – mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Das Tattagsprinzip ist unter Geltung des alten Punktsystems vom Bundesverwaltungsgericht als Anknüpfungspunkt bestimmt worden (s. U.v. 25.9.2008 – 3 C 3/07 – juris) und im neuen Fahreignungs-Bewertungssystem gesetzlich festgeschrieben worden (s. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG n.F.). Damit sind die 12 Punkte, mit denen die beiden Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis bewertet wurden, bereits am 20. Dezember 2004 (letzte Tat) entstanden und waren im Zeitpunkt der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 11. September 2007 auch nicht zu löschen, denn eine § 4 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StVG n.F. entsprechende (Löschungs-) Regelung gab es zum damaligen Zeitpunkt gerade nicht.
Die Überführung der Punktestände nach bisherigem Recht in die Maßnahmenstufen des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems oder in die Vormerkung erfolgte nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG. Die zu überführenden Punkte wurden dabei nach § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG ermittelt. Diese Vorschrift sieht eine Löschung für vor dem 1. Mai 2014 entstandene Punkte nur vor, wenn sie für Zuwiderhandlungen vergeben wurden, die nach neuem Recht nicht mehr mit Punkten bewehrt sind. Nur diese Verkehrszuwiderhandlungen – und damit auch ihre Punkte – waren vor der Übernahme zu löschen. Zu löschen waren daher (nur) Eintragungen wegen Entscheidungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und deren Punkte, die nicht in der Anlage 13 (zu § 40) FeV aufgelistet sind, sowie die Eintragungen wegen Entscheidungen ausländischer Gerichte und Behörden, in denen Inhabern einer deutschen Fahrerlaubnis das Recht aberkannt wurde, von der Fahrerlaubnis in dem betreffenden Land Gebrauch zu machen (vgl. BT-Drs. 17/12636 S. 49).
Alle anderen bereits eingetragenen Verkehrszuwiderhandlungen und deren Punkte wurden in das Fahreignungs-Bewertungssystem überführt (vgl. § 65 Abs. 3 Satz 1 StVG n.F.) und werden nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG ausdrücklich bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG a.F. getilgt und gelöscht. Wenn also vor dem 1. Mai 2014 ins Verkehrszentralregister eingetragene Verkehrszuwiderhandlungen ins neue Fahreignungs-Bewertungssystem überführt werden, gelten für diese also die Tilgungs- und Löschungsvorschriften nach altem Recht fort. Damit gilt für die Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und die hierfür eingetragenen Punkte also nicht die Löschungsvorschrift in § 4 Abs. 3 StVG n.F. sondern ausschließlich die Löschungsvorschriften in § 29 StVG a.F.. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. waren die Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und die darauf beruhenden 12 Punkte damit auch erst zum 11. September 2017 zu tilgen (siehe unter bb) Rn. 51 f.) und sind zuzüglich einer Überliegefrist von einem Jahr (§ 29 Abs. 7 StVG a.F.) am 11. September 2018 zu löschen.
Nach § 65 Abs. 3 Nr. 7 StVG ist § 4 Abs. 3 Satz 1 bis 3 auf die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nicht anwendbar, sofern eine Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 7 in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung entzogen worden ist. Entgegen den Ausführungen im Schriftsatz vom 10. April 2018 weist diese Regelung gerade nicht darauf hin, dass die Löschungsvorschrift in § 4 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StVG n.F. auch Personen zugutekommt bzw. zugutekommen soll, denen die Fahrerlaubnis vor dem 1. Mai 2014 neu erteilt wurde, sofern die vorhergehende Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nach § 4 Abs. 7 StVG a.F (in der bis 30.4.2014 gültigen Fassung) erfolgt ist. Die Nr. 7 des § 65 Abs. 3 wurde durch das Änderungsgesetz vom 28. November 2014 mit Wirkung vom 5. Dezember 2014 eingefügt, ebenso wie die weiteren zwei Ausnahmetatbestände in § 4 Abs. 3 Satz 4 Nr. 4 und 5 StVG n.F.. Damit wurden aber lediglich bis dahin vorhandene – planwidrige – gesetzliche Ausnahmelücken in Fallkonstellationen geschlossen, in denen im Verfahren der Fahrerlaubniserteilung keine vollständige Eignungsprüfung stattgefunden hat und deshalb eine Löschung des Punktekontos sachlich nicht gerechtfertigt ist (vgl. VGH BW, B.v. 19.10.2015 – 10 S 1689/15 – juris für den Fall einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach dem 1.5.2014 aber vor dem 5.12.2014, der eine Entziehung nach § 4 Abs. 7 StVG a.F. voranging). In der Gesetzesbegründung zu § 65 Abs. 3 Nr. 7 (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 11) wird ausgeführt: „Die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs nach § 4 Abs. 7 StVG a.F. führten bereits nach § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG a.F. nicht zur Löschung des Punktekontos nach Entziehung. Diese Wertung soll auch unter Geltung des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems beibehalten werden, nach dem die Punktelöschung nun erst bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorgesehen ist.“
Gerade die Formulierung, „Diese Wertung soll auch unter Geltung des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems beibehalten werden, nach dem die Punktelöschung nun erst bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorgesehen ist“, weist vielmehr darauf hin, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StVG (n. F.) nach Verkündung (mit Gesetz vom 7.8.2013, BGBl S. 3154) zum 1. Mai 2014 in Kraft trat und sich keine Rückwirkung in zeitlicher Hinsicht beimisst. Die Löschungsregelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StVG n.F. soll dem Betroffenen einen unbelasteten Neustart im neuen Fahreignungs-Bewertungssystem ermöglichen, aber nicht zu Punktelöschungen im Hinblick auf eine vor dem 1. Mai 2014 erfolgte Erteilung der Fahrerlaubnis führen, die z.B., wie im Fall des Antragstellers, ggf. lange zurück liegt.
Aus alldem ergibt sich, dass der Antragsgegner die vor der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 11. September 2007 angesammelten Punkte zu Recht berücksichtigt hat, so dass der Antragsteller mit der am 31. August 2017 begangenen Ordnungswidrigkeit einen Stand von 8 Punkten im FAER erreicht hat und ihm daher die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. zu entziehen war.
3. Die Kammer geht davon aus, dass auch die Interessenabwägung im Übrigen die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung gebietet und räumt daher dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung den Vorrang vor dem privaten Interesse des Antragstellers ein, einstweilen am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Da sich die angeordnete Maßnahme nach dem oben Gesagten bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen dürfte, besteht kein Raum, entgegen der vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 9 StVG vorgenommenen Bewertung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Weder die bereits 2004 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Mehrfachtäter-Punktsystem noch die nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis erfolgte Verwarnung (erste Maßnahmestufe nach dem „alten“ Punktesystem) und die spätere Verwarnung (zweite Maßnahmestufe nach dem „neuen“ Punktesystem) haben ihn davon abhalten können, erneut Verkehrsordnungswidrigkeiten zu begehen, die der Verordnungsgeber als verkehrssicherheitsgefährdend einstuft. Die mit der sofort vollziehbaren Entziehung seiner Fahrerlaubnis für ihn verbundenen Nachteile in Bezug auf seine private Lebensführung und seine Berufstätigkeit müssen von ihm im überwiegenden öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit und im Hinblick auf das Gewicht der durch ihn gefährdeten hochrangigen Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer hingenommen werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nr. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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