Strafrecht

Entzug der Fahrerlaubnis wegen Abhängigkeit von Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  AN 10 K 16.00559

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1
FeV FeV § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Kraftfahrer muss in einem Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil ergeben (vorliegend verneint; Anschluss BVerwG BeckRS 9998, 28343). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der derzeit inhaftierte Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch Bescheid der Beklagten vom 3. März 2016.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1 des Bescheids wurde auf die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes gestützt. Die Fahrerlaubnisbehörde nahm hierbei Bezug auf ein Urteil vom …, Aktenzeichen …, in dem der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig verurteilt wurde. Das Urteil ist seit dem 4. September 2015 rechtskräftig. In dem Urteil finden sich Angaben zum Drogenkonsumverhalten des Klägers. Dieser kam im Alter von 14 Jahren erstmals mit Cannabis in Kontakt. Es entwickelte sich ein täglicher nicht unerheblicher Konsum in Mengen von bis zu 3,5 g täglich. Später kam ein täglicher Konsum von Amphetaminen hinzu. Zudem konsumierte der Kläger später nahezu täglich auch weitere Betäubungsmittel wie Kokain und Metamphetamin und probierte auch Ecstasy, Heroin und Benzodiazepine. Laut dem Urteil lebte der Kläger, seit seiner Inhaftierung am 3. Januar 2012 abstinent. Die Inhaftierung erfolgte wegen einer anderen Sache, der Kläger befindet sich seitdem ununterbrochenen in Haft. Es gab jedoch in der Haft zwei Rückfälle, wobei der Kläger die Substanz Spice konsumierte. Im Urteil wurde weiterhin ausgeführt, dass der Kläger gemäß Sachverständigengutachten von Dr. …eine manifeste Cannabis-, Amphetamin- und Kokainabhängigkeit aufweist. Diese Ausführungen ergingen im Zusammenhang mit einer Entscheidung nach § 64 StGB. Im Urteil wurde wegen der Drogensucht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet, die im Sommer 2016 beginnen sollte. Im Urteil wurde auch ausgeführt, dass das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auch deswegen erfolgte, um den eigenen Drogenkonsum zu finanzieren.
In der Begründung des Bescheids vom 3. März 2016 wurde ausgeführt, dass die Drogenabhängigkeit zu einer Nichteignung in Bezug auf das Führen von Kraftfahrzeugen führe. Eine Eignung könne erst nach einer mindestens einjährigen Abstinenz nach Haftentlassung in freier Sozialgemeinschaft angenommen werden. In Ziffer 2 des Bescheids wurde die Abgabe des Führerscheins angeordnet und bei Nichtabgabe die Einziehung durch die Polizei angedroht.
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten erhob der Kläger am 4. April 2016 Klage mit folgendem Antrag:
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2016 wird aufgehoben.
Zudem wurde mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 4. April 2016 beantragt,
1.Dem Kläger wird für das beabsichtigte Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
2.Dem Kläger wird zur Wahrnehmung seiner Interessen Rechtsanwalt … beigeordnet.
Die Klage wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Fahrerlaubnisbehörde zu Unrecht von der Drogenabhängigkeit des Klägers ausgegangen sei. Denn die entsprechenden Angaben im Rahmen des Strafverfahrens wären aus rein taktischen Erwägungen erfolgt, um eine geringere Strafe und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu erreichen. In Wahrheit bestünde keine Drogenabhängigkeit, der Kläger würde lediglich, wie es auch die Verurteilung ausspricht, Handel mit Drogen treiben. Zudem sei der Kläger seit Inhaftierung abstinent, was auch aus einer Haaranalyse, zu der der Kläger bereit sei, hervorgehen würde.
Mit Schriftsatz vom 19. April 2016 beantragte die Beklagte:
Die Klage wird abgewiesen.
Zur Begründung wurde auf den Bescheid verwiesen und das Vorbringen des Klägers im Übrigen als unsubstantiiert bewertet.
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird wegen der Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakte, einschließlich der Unterlagen zum Prozesskostenhilfeantrag, verwiesen.
II.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Dabei konnte die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hier offenbleiben, weil schon die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet.
Nach der insoweit vorzunehmenden gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache verspricht das Vorgehen in der Hauptsache vorliegend keinen hinreichenden Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid stellt sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig dar.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG sowie § 46 Abs. 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nummer 9.3 der Anlage 4 FeV führt insofern weiter aus, dass ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen auch derjenige ist, bei dem eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Dabei kommt es dann nicht darauf an, dass unter dem Konsum von Betäubungsmitteln ein Kraftfahrzeug geführt wird.
So liegt der Fall hier. Es ist vorliegend von einer Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes auszugehen. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte sich insoweit auf die Ausführungen im seit dem 4. September 2015 rechtskräftigen Strafurteil gegen den Kläger stützen. In dem Urteil wird festgehalten, dass bei dem Kläger eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 3.9.1992, 11 B 22/92) muss ein Kraftfahrer in einem Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil ergeben. Sinn dieser letztlich an § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG anknüpfenden Rechtsprechung ist die Vermeidung von Doppelprüfungen und sich widersprechenden Entscheidungen von Strafgerichten und Fahrerlaubnisbehörden hinsichtlich der Frage der Fahreignung (Dauer, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 3 StVG, Rn. 44). Die Bindung an den im Strafurteil festgestellten Sachverhalt gilt auch dann, wenn es sich um eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer anderen Tat als einer Verkehrstat handelt und auf Sachverhaltsfeststellungen Bezug genommen wird, die im Rahmen der Anordnung einer Maßregel zur Besserung und Sicherheit nach § 64 StGB, der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, relevant werden, jedenfalls soweit es sich bei den Tatsachen, auf die Bezug genommen wird um fahreignungsrelevante Tatsachen handelt. Denn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde nicht auf bestimmte Strafurteile beschränkt. Zudem ist der insoweit verfolgte Zweck, die Vermeidung von Doppelprüfungen und widersprechenden Entscheidungen von Strafgerichten und Fahrerlaubnisbehörden auch dann zu bejahen, wenn es um die Feststellung sonstiger fahreignungsrelevanter Tatsachen geht.
Es bestand somit vorliegend eine Verwertbarkeit durch die Fahrerlaubnisbehörde der Feststellung der Drogenabhängigkeit des Klägers in der strafrechtlichen Verurteilung. Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Feststellung liegen nicht vor. Von dem Kläger wurde insoweit lediglich vorgetragen, seine Angaben, die zu einer dementsprechenden Einschätzung im strafrechtlichen Urteil führten, wären unwahr und aus rein taktischen Erwägungen erfolgt. Es besteht jedoch für das Gericht kein Anlass, aufgrund dieser unsubstantiierten Angaben an der im Urteil wiedergegebenen Einschätzung des Sachverständigen im Hinblick auf die Drogensucht des Klägers zu zweifeln. Es leuchtet vielmehr ein, dass die Verurteilung im Hinblick auf das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Zusammenhang mit einem eigenen Drogenkonsum des Klägers steht, es sich also um Beschaffungskriminalität handelt. Diese im Urteil getroffene Schlussfolgerung hat der Kläger im Übrigen auch nicht bestritten.
Die Fahrerlaubnisbehörde konnte daher nach § 11 Abs. 7 FeV von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen überzeugt sein und die Fahrerlaubnis ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen entziehen. Es bedurfte insbesondere nicht der Anordnung eines Abstinenzprogramms. Zwar geht Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV davon aus, dass eine Fahreignung bei einer Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes dann nicht mehr vorliegt, wenn eine einjährige Abstinenz nach Entgiftung und Entwöhnung vorliegt. So liegt der Fall jedoch hier nicht.
Es fehlt schon an der Entgiftung und Entwöhnung. Ziffer 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Stand 1. Mai 2014, die hier zur Konkretisierung der Anlage 4 FeV herangezogen werden dürfen, führt insoweit aus, dass in der Regel eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung erfolgen muss, die stationär oder im Rahmen anderer Einrichtungen durchgeführt werden muss. Es handelt sich also um eine therapeutisch und medizinisch begleitete Entwöhnungsbehandlung. Dass eine derartige Entwöhnungsbehandlung im Vorfeld der Abstinenz in der JVA erfolgt wäre, ist jedoch vorliegend nicht ersichtlich. Eine derartige Entwöhnungsbehandlung ist möglicherweise im Rahmen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers für Sommer 2016 angekündigt war, erfolgt. Da dies zeitlich jedenfalls nach dem Bescheidserlass war konnte und musste die Fahrerlaubnisbehörde eine Abstinenzberechnung nicht darauf abstellen.
Selbst wenn man die Frage, ob eine Entwöhnungsbehandlung vorlag, offenlässt, liegt die erforderliche einjährige Abstinenz nicht vor. Denn bei dieser einjährigen Abstinenz, die durch ärztliche Untersuchungen nachzuweisen ist, muss zusätzlich eine positive Verkehrsprognose hinzutreten. Zu der positiven Veränderung der körperlichen Befunde muss ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel hinzutreten, der es wahrscheinlich erscheinen lässt, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (Ziffer 3.1.4.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung). Die Behörde ging hier zutreffend davon aus, dass eine mögliche Abstinenz in Haft nicht Grundlage einer solchen Prognose sein könne, weil die Abstinenz nicht nach Haftentlassung, in freier Sozialgemeinschaft vorliege. Dem ist zuzustimmen. Nur aufgrund einer Abstinenz außerhalb der Haft kann beurteilt werden, ob zusätzlich ein tiefgreifender, stabiler Einstellungswandel vorliegt, der die Abstinenz auch in Zukunft wahrscheinlich macht. Denn nur dann erfolgt die Abstinenz ohne äußeren Zwang, in einem normalen Umfeld, und ist nicht allein in einer etwaigen Nichtverfügbarkeit von Betäubungsmitteln begründet. Es kann daher offen bleiben, ob vor dem Bescheidserlass eine einjährige Abstinenz in der Haft sicher vorlag. Angesichts der dokumentierten beiden Rückfälle erscheint dies ohnehin zweifelhaft.
Angesichts dessen, dass die Fahrerlaubnisentziehung in Ziffer 1 des Bescheids sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig darstellt, ist auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins, hinsichtlich der unmittelbarer Zwang angedroht wird, in Ziffer 2 des Bescheids als rechtmäßig einzustufen.


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