Strafrecht

Erfolgloser Eilantrag auf Verlängerung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nach strafrechtlicher Verurteilung

Aktenzeichen  M 6 E 20.1639

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9471
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
FeV § 11 Abs. 1 S. 4, Abs. 3 S. 1 Nr. 8, § 48 Abs. 5 Nr. 3, Abs. 9

 

Leitsatz

1. Die Gewähr für die Wahrnehmung der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen fehlt bereits dann, wenn Umstände vorliegen, die die ernsthafte Befürchtung rechtfertigen, der Bewerber werde die ihm gegenüber den anvertrauten Fahrgästen obliegenden Sorgfaltspflichten (künftig) missachten. Eines (zweifelsfreien) Nachweises mangelnder Zuverlässigkeit bedarf es insoweit nicht (Bestätigung von VG München BeckRS 2015, 55776). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der insoweit von der Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Prognoseentscheidung sind nicht nur Handlungen mit einem speziellen Bezug zur Fahrgastbeförderung zu berücksichtigen. Auch Ordnungswidrigkeiten und Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art (hier: Steuerhinterziehung und vorsätzliche Insolvenzverschleppung) können bedeutsam sein, wenn sie Charaktereigenschaften erkennen lassen, die sich im Falle der Personenbeförderung zum Schaden der Allgemeinheit oder der Fahrgäste auswirken können. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, die am 21 April 2020 endet. Am 7. Januar 2020 beantragte er bei der Antragsgegnerin die weitere Verlängerung.
Im Rahmen des Antragsverfahrens erhielt die Antragsgegnerin anhand des Führungszeugnisses zum Antragsteller Kenntnis davon, dass dieser mit Urteil des Amtsgerichts … vom … Januar 2018, rechtskräftig seit 1. Februar 2018, wegen Steuerhinterziehung in 6 tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit 2 weiteren Fällen der Steuerhinterziehung sowie mit vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren/Bewährungszeit 3 Jahre verurteilt wurde.
Mit Schreiben vom 3. März 2020 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Feststellung der Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung innerhalb von 3 Monaten an.
Die Fragestellung lautet: „Bietet der Untersuchte die Gewähr dafür, dass er die Voraussetzungen der besonderen Verantwortung für die Beförderung von Fahrgästen erfüllt?“ Begründet ist die Anordnung mit der rechtskräftigen Verurteilung wegen der genannten Straftaten. Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens sei die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung erforderlich. Die erheblichen Straftaten ließen vermuten, dass der Antragsteller den Anforderungen an die Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung nicht gerecht werde. Die Straftaten zeigten, dass er eine sich ihm bietende Gelegenheit nutze, sich Vermögensvorteile auch dann zu verschaffen, wenn dies auf legalem Wege nicht möglich sei. Aufgrund der Straftaten bestehe die nicht unbegründete Besorgnis, dass der Antragsteller potentielle Fahrgäste schädigen werde. Auf den Inhalt der Anordnung vom 3. März 2020 wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Am … März 2020 erklärte der Antragsteller sein Einverständnis mit der Begutachtung durch die P.-M. GmbH. Die Begutachtungsstelle vereinbarte zunächst einen Begutachtungstermin mit dem Antragsteller für den …. April 2020. Mit Schreiben vom 18. März 2020 teilte die Begutachtungsstelle dem Antragsteller mit, dass der Untersuchungsbetrieb in den Begutachtungsstellen bis zum 19. April 2020 ausgesetzt werde und die Begutachtung des Antragstellers deshalb erst am …. April 2020 stattfinden könne. Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom …. April 2020 die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung des Antragstellers vorläufig für ein halbes Jahr zu verlängern. Dies lehnte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 15. April 2020 ab. Bei der Personenbeförderung stellten Zweifel an der Gewähr für die besondere Verantwortung die spezielle Zuverlässigkeit infrage. Die wiederholte Steuerhinterziehung mit vorsätzlicher Insolvenzverschleppung durch den Antragsteller begründe Zweifel an der Gewähr für die besondere Verantwortung. Erst nachdem die entstandenen Zweifel im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ausgeräumt worden seien, sei eine Verlängerung, bzw. neuerliche Erteilung des Personenbeförderungsscheines möglich.
Mit Schriftsatz vom …. April 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in dessen Namen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Fahrerlaubnis des Antragstellers zur Fahrgastbeförderung über den 21. April 2020 hinaus vorläufig bis 21. Juni 2020 zu verlängern.
Zur Begründung ist unter anderem vorgetragen, die beantragte einstweilige Anordnung sei dringend erforderlich, um berufliche Nachteile des Antragstellers abzuwenden. Der Antragsteller benötige als Taxifahrer die Fahrerlaubnis zu seiner Berufsausübung. Bei der strafrechtlichen Verurteilung handle es sich um ein Vermögensdelikt, welches die Eignung nur in geringerem Umfang infrage stelle, als gesundheitliche Gründe. Die Steuerhinterziehung habe der Antragsteller als selbstständiger Gastronom begangen, sodass keine Wiederholungsgefahr bestehe, da der Antragsteller nur noch als angestellter Taxifahrer tätig sei. Die Verzögerung der Begutachtung sei vom Antragsteller nicht zu vertreten. Er sei bereit und in der Lage, sich der Begutachtung zu unterziehen, sobald diese möglich sei.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezog sie sich im Wesentlichen auf die Gutachtensanordnung vom 3. März 2020.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet und daher abzulehnen.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist es dem Gericht regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen, denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn dem Antragsteller in vollem Umfang gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen kann. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist.
Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt bzw. inwieweit das im Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich geltende Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dem Antragsbegehren entgegenstehen würde. Jedenfalls kann dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz nicht gewährt werden, weil er keinen Anordnungsanspruch geltend machen kann. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache besteht nicht. Der Antragsteller hat gegenwärtig keinen Anspruch auf Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Es kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller im Sinne des § 48 Abs. 5 Nr. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird. Hieran bestehen Zweifel aufgrund der Verurteilung des Antragstellers wegen Steuerhinterziehung in 6 tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit 2 weiteren Fällen der Steuerhinterziehung sowie mit vorsätzlicher Insolvenzverschleppung durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … vom … Januar 2018, die weitere Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde erforderlich macht. § 48 Abs. 5 Nr. 3 FeV sieht als besondere charakterliche Eignungsvoraussetzung für die Verlängerung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung vor, dass der Inhaber die Gewähr dafür bieten muss, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird. Nach § 48 Abs. 9 FeV finden bei Zweifeln an der Gewähr dieser besonderen Verantwortung die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV sieht wortgleich zu § 48 Abs. 5 Nr. 3 FeV die Gewähr der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen vor.
Die Gewähr für die Wahrnehmung der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen fehlt bereits dann, wenn Umstände vorliegen, die die ernsthafte Befürchtung rechtfertigen, der Bewerber werde die ihm gegenüber den anvertrauten Fahrgästen obliegenden Sorgfaltspflichten (künftig) missachten. Eines (zweifelsfreien) Nachweises mangelnder Zuverlässigkeit bedarf es insoweit nicht (vgl. VG München, B.v. 2.9.2015 – M 6b E 15.2962; VG München, B.v. 16.8.2011 – M 6a E 11.3540, jeweils juris m.w.N.). Vielmehr hat in diesen Fällen der Bewerber diese Zweifel auszuräumen.
Bei der von der Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Prognoseentscheidung sind nicht nur Handlungen mit einem speziellen Bezug zur Fahrgastbeförderung zu berücksichtigen. Auch Ordnungswidrigkeiten und Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art können insoweit bedeutsam sein, wenn sie Charaktereigenschaften erkennen lassen, die sich im Falle der Personenbeförderung zum Schaden der Allgemeinheit oder der Fahrgäste auswirken können (s. Dauer, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, FeV, § 48 Rn. 26 m.w.N.). So kann bereits ein einmaliges Fehlverhalten die Unzuverlässigkeit begründen, wenn es schwer wiegt bzw. ein sicheres Symptom für eine Gesinnung oder Lebenseinstellung ist, die – maßgeblich gegenüber potentiellen Fahrgästen – eine ordnungsgemäße Ausübung der Fahrgastbeförderung in Frage stellt.
Die Antragsgegnerin hat insoweit zu Recht die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen o.g. Straftaten durch das Amtsgericht … in seine Prognoseentscheidung einbezogen und Zweifel an der persönlichen (charakterlichen) Zuverlässigkeit des Antragstellers im Sinn von § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV bejaht. Das Gericht teilt die Zweifel der Antragsgegnerin an der Zuverlässigkeit des Antragstellers im vorgenannten Sinne.
Die in Rede stehenden Delikte lassen es fraglich erscheinen, ob der Antragsteller der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden kann. Die insoweit zu fordernde notwendige Charakterfestigkeit bezieht sich auch auf die Respektierung von Eigentum und Vermögen zu befördernder Fahrgäste (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2013 – 11 CE 13.765 – juris Rn 10). Die vom Antragsteller begangenen Straftaten könnten zum einen auf eine verminderte Hemmschwelle des Antragstellers zurückzuführen sein, das Vermögen Dritter zu schädigen bzw. eine solche Schädigung in Kauf zu nehmen, zum anderen auf eine Neigung hinweisen, sich Vermögensvorteile auch dann zu verschaffen, wenn dies auf legalem Wege nicht möglich ist. Eine derartige Neigung könnte sich im Bereich der Fahrgastbeförderung gegenüber potentiellen Fahrgästen zu deren Vermögens- bzw. Eigentumsnachteilen auswirken. Es bestehen insbesondere Zweifel daran, ob jemand, der bewusst seine wirtschaftlichen Eigeninteressen in den Vordergrund rückt und ggf. sogar vor die Vermögensinteressen seiner Gläubiger stellt, den in der Beförderungssituation typischerweise auftretenden Versuchungen zu widerstehen vermag, auf Vermögen und Eigentum zu befördernder Personen unrechtmäßig einzuwirken.
Nach § 48 Abs. 9 Satz 3 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde – wie vorliegend mit Schreiben vom 3. März 2020 geschehen – die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen zu überprüfen ist. Bis zur Ausräumung der insoweit bestehenden Zweifel hat der Antragsteller keinen Anspruch auf die Verlängerung seiner Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Antragsteller ursprünglich einen Begutachtungstermin am …. April 2020 vereinbart hatte und im Falle einer positiven Begutachtung die Zweifel an der charakterlichen Eignung möglicherweise noch vor dem …. April 2020 hätten ausgeräumt werden können. Jedoch ist nach Auffassung des Gerichts das Ergebnis der Begutachtung völlig offen, sodass keine Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erfolgen kann, bevor nicht die Eignungszweifel ausgeräumt sind. Das Fahrerlaubnisrecht ist Teil des öffentlichen Sicherheitsrechts. Die Fahrerlaubnis kann nicht deshalb verlängert werden, weil den Antragsteller an der Verzögerung der Begutachtung im konkreten Fall kein Verschulden trifft. In der Praxis des Fahrerlaubnisrechts kommen solche Konstellationen auch außerhalb der COVID-19 Problematik durchaus häufiger vor, wenn etwa eine Begutachtung durch plötzliche Erkrankung des zu Begutachtenden nicht wie geplant durchgeführt werden kann. Darüber hinaus lässt sich nicht bestreiten, dass der Antragsteller durch die Begehung der Straftaten selbst die entscheidende Ursache für das nun aufgetretene Problem gesetzt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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