Strafrecht

Fehlende Fahreignung nach Amphetaminfund

Aktenzeichen  11 CS 16.879

Datum:
15.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 48810
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 1 S. 2, § 14 Abs. 1 S. 2, § 46 Abs. 1 S. 1, Anlage 4 Nrn. 9.1, 9.5

 

Leitsatz

1 Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Amphetamin konsumiert hat, ohne dass der Behörde hier ein Ermessen eingeräumt ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Wiedererlangung der Fahreignung kommt grundsätzlich frühestens nach einjähriger Abstinenz in Betracht und setzt zudem eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung voraus, die durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung abzuklären ist; hierfür genügt ein Gutachten nicht, welches sich nur zu Alkohol, nicht aber zu den (stark abhängig machenden) Amphetaminen verhält. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 S 16.1046 2016-04-08 Ent VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B sowie der Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.
Wegen des Fundes von Amphetamin beim Antragsteller durch die Polizei am 17. April 2015 ordnete das Landratsamt Rosenheim (im Folgenden: Fahrerlaubnisbehörde) mit Schreiben vom 23. September 2015 die Vorlage eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV an.
Nach dem Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH vom 9. November 2015, das der Antragsteller der Fahrerlaubnisbehörde vorlegte, gab er bei der Untersuchung an, von Oktober 2014 bis April 2015 insgesamt drei oder vier Mal Amphetamin (Speed) konsumiert zu haben.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Nr. 1), verpflichtete ihn unter Androhung von Zwangsmitteln zur Rückgabe des Führerscheins (Nrn. 2 und 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an (Nr. 4).
Über die hiergegen eingereichte Klage hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. April 2016 abgelehnt.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs habe nicht ausreichend auf den hier vorliegenden Einzelfall abgestellt. Es sei dabei nicht berücksichtigt worden, dass der Antragsteller lediglich drei bis vier Mal die Droge Amphetamin probiert, Amphetamin nur im privaten Bereich und ohne Teilnahme am Straßenverkehr konsumiert und insoweit darauf geachtet habe, dass der Drogenkonsum zu keiner Gefährdung anderer führe. Darüber hinaus habe die Fahrerlaubnisbehörde die berufliche Situation des Antragstellers, der als Bauleiter seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nur unter Einsatz eines Fahrzeugs erfüllen könne, nicht berücksichtigt. Auch habe der Antragsteller nach der Probierphase Amphetamin und andere Drogen nie mehr konsumiert. Er habe das durch regelmäßige Tests auch nachgewiesen. Ferner habe die Fahrerlaubnisbehörde bei der Entziehung der Fahrerlaubnis kein Ermessen ausgeübt. Der Antragsteller legte ein medizinisch-psychologisches Gutachten der AVUS GmbH vom 19. Mai 2015 über einen mit dem Straßenverkehr nicht vereinbaren Alkoholkonsum des Antragstellers vor und führte aus, in dem Gutachten werde auf eine uneingeschränkte Fahreignung des Antragstellers erkannt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt entgegen dem Beschwerdevorbringen den formellen Anforderungen. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch (Schmidt in Eyermann a. a. O. Rn. 36). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde daher nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt, und dass ein solcher Kraftfahrer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden akuten Gefahr durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2004 – 11 CS 04.819, v. 4.1.2005 – 11 CS 04.2838, v. 13.1.2005 – 11 CS 04.2968, v. 17.8.2005 – 11 CS 05.662, v. 10.10.2005 – 11 CS 05.1648). Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigene Interessenabwägung durchgeführt. Diese Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht zu Recht danach vorgenommen, ob die Klage hinreichende Erfolgsaussichten hat.
b) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S. 1217), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Die körperlichen und geistigen Anforderungen für Fahrerlaubnisbewerber und -inhaber sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). Wenn der Betroffene – wie hier – Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes widerrechtlich besitzt oder besessen hat, kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 FeV).
Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Amphetamin konsumiert hat (st.Rspr., z. B. BayVGH, B.v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris Rn. 11; B.v. 23.2.2016 – 11 CS 16.38 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 23.7.2015 – 16 B 656/15 – juris Rn. 5 ff. m. w. N.). Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt. Der Antragsteller hat den Konsum von Amphetamin im Rahmen der ärztlichen Begutachtung eingeräumt und bestreitet das auch in der Beschwerde nicht.
c) Der Antragsteller hat die Fahreignung auch nicht wieder erlangt. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Erlass des angefochtenen Bescheids am 1. Februar 2016. Die Wiedererlangung der Fahreignung kommt grundsätzlich frühestens nach einjähriger Abstinenz in Betracht (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 17 ff.). Da der Antragsteller angab, zuletzt im April 2015 Amphetamin konsumiert zu haben, konnte er zum Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids die Fahreignung nicht wiedererlangt haben. Darüber hinaus setzt die Wiedererlangung der Fahreignung eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung voraus, die durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung abzuklären ist (§ 14 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FeV). Amphetamine können sehr schnell zu einer starken psychischen Abhängigkeit führen (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V, http://www.d…de/s…html). Für eine nur in Ausnahmefällen ausreichende kürzere Abstinenzzeit sind vorliegend keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich. Das vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten der AVUS GmbH vom 19. Mai 2015 beantwortet nur die Frage, ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen beim Antragsteller vorliegen, die mit einem missbräuchlichen Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können und ob insbesondere nicht zu erwarten ist, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könne, positiv zugunsten des Antragstellers. Zur Frage der Fahrgeeignetheit wegen Amphetaminkonsums äußert sich das Gutachten nicht.
d) Angesichts der Gefahren für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum von Menschen bei Teilnahme fahrungeeigneter Personen am öffentlichen Straßenverkehr können persönliche und berufliche Gründe des Antragstellers nicht dazu führen, ihm – auch nur vorläufig – die Fahrerlaubnis zu belassen.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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