Strafrecht

Folgen einer Gutachtensverweigerung nach Gutachtenanforderung wegen Auffindens einer Ecstasy-Tablette

Aktenzeichen  M 26 S 18.1974

Datum:
11.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13903
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 3
FeV § 11 Abs. 8 S. 1, S. 2, § 14 Abs. 1 S. 2, § 46 Abs. 1 S. 2, § 47 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf diese nach § 11 Abs. 8 S. 1 FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen und die Fahrerlaubnis entziehen. Dies setzt aber u.a. voraus, dass die Voraussetzungen für die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens vorlagen, diese somit rechtmäßig war (Anschluss BVerwG BeckRS 2005, 28693). (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Behörde den Umstand, dass der Fahrer lediglich im Besitz einer geringen Menge von Betäubungsmitteln war, als Indiz für einen Eigenkonsum wertet und sich aus diesem Grund für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens entscheidet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der 19… geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen a und B einschließlich Unterklassen.
Nach einer polizeilichen Mitteilung vom … Juni 2017 wurde der Antragsteller am … Mai 2017 gegen 01:00 Uhr in der A…straße, A…, als Fußgänger einer Personenkontrolle unterzogen, wobei er eine Ecstasy-Tablette mit sich führte. Eine Untersuchung der Pille mittels Schnelltest verlief positiv in Bezug auf Ecstasy.
Das deswegen eingeleitete Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft A… * gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 154a StPO eingestellt.
Mit Schreiben vom 27. November 2017 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, innerhalb von drei Monaten ein Gutachten eines in einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung tätigen Arztes vorzulegen, das die Frage klären sollte, ob der Antragsteller Ecstasy, andere Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG einnahm oder einnimmt, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen.
Der Antragsteller legte das Gutachten innerhalb der gesetzten Frist nicht vor. Nach vorheriger Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem antragsteller mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 6. April 2018 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Dem kam der Antragsteller nach. Gegen den Bescheid ließ der Antragsteller Widerspruch erheben, über den noch nicht entschieden ist. Am 24. April 2018 ließ er darüber hinaus einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen; er beantragt,
die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 6. April 2018 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. April 2018 wiederherzustellen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den vom Antragsteller mit dem Widerspruchsschriftsatz abgelieferten Führerschein unverzüglich wieder an ihn bis zur Rechtskraft der Ordnungsverfügung zurückzugeben.
Zur Begründung wird ausgeführt, ungeachtet des Besitzes der Ecstasy-Pille gebe es keine Hinweise auf einen Konsum des Antragstellers, so dass eine Gefahr für den Straßenverkehr nicht ersichtlich und die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht gerechtfertigt sei. Der Antragsteller sei noch nie mit Betäubungsmitteln auffällig geworden und ein Zusammenhang mit dem Straßenverkehr sei ebenfalls nicht gegeben.
Die Antragsgegnerin beantragte unter Vorlage der Fahrerlaubnisakten, den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 8. Juni 2018 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen und die Fahrerlaubnisakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – bleibt ohne Erfolg.
Nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs hinsichtlich der in Nummer 1 des Bescheids vom 6. April 2018 verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis und der in Nummer 2 enthaltenen Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins begehrt. Hingegen wird nicht davon ausgegangen, dass auch die Zwangsgeldandrohung Gegenstand des Antrags ist. Denn insoweit wäre ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig, da es dem Antragsteller hierfür am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Antragsteller hat seinen Führerschein fristgerecht abgegeben und damit die Verpflichtung aus Nummer 2 des Bescheids erfüllt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes gleichwohl noch beitreiben wird.
Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 6. April 2018 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).
Dem genügt die ersichtlich auf den vorliegenden Einzelfall abstellende Begründung im streitgegenständlichen Bescheid. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung anordnet. Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung – so auch hier – bereits aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsaktes maßgebend waren (BayVGH vom 10.03.2008, Az.: 11 CS 07.3453, BayVGH vom 10.08.2011, Az.: 11 CS 11.1271).
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist vorliegend der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Unter Zugrundelegung der derzeitigen Sach- und Rechtslage wird der Widerspruch gegen Nrn. 1 und 2 des Bescheides vom 6. April 2018 nach summarischer Prüfung nicht erfolgreich sein, weil der Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, §§ 68 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat zu Recht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, weil er das zu Recht von ihm geforderte ärztliche Fahreignungsgutachten nicht vorgelegt hat, § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).
Gemäß § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.1. der Anlage 4 zur FeV ist fahrungeeignet, wer – mit Ausnahme von Cannabis – Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnimmt, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Betreffende unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln ein Kraftfahrzeug geführt hat. Nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV kann die Verwaltungsbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn widerrechtlicher Besitz von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Durch das fachärztliche Gutachten soll die Frage geklärt werden, ob der Betroffene Betäubungsmittel einnimmt, da Drogenbesitz ein Indiz für Eigenverbrauch sein kann. Der (widerrechtliche) Besitz von Betäubungsmitteln muss feststehen; hinreichend konkrete Verdachtsmomente für Besitz genügen nicht (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 22.11.2001, NZV 2002, 427; BayVGH, B.v. 22.1.2008 – 11 CS 07.2766 – juris). Darüber hinausgehende Anhaltspunkte für Einnahme sind nicht erforderlich (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 22.11.2001 – a.a.O.).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf diese nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen und die Fahrerlaubnis entziehen. Dies setzt zum einen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV voraus, dass der Betroffene bei der Anordnung auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Zum anderen ist aber auch erforderlich, dass die Voraussetzungen für die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens vorlagen, diese somit rechtmäßig war (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – NJW 2005, 3081).
Ein Hinweis auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV war in der Anordnung zur Vorlage des ärztlichen Gutachtens enthalten. Darüber hinaus war die Gutachtensanordnung rechtmäßig, da die Voraussetzungen für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV vorliegend erfüllt sind, Ermessensfehler nicht ersichtlich sind und die Fragestellung anlassbezogen war.
Aufgrund der in der polizeilichen Mitteilung enthaltenen Feststellungen, wonach der Antragsteller am … Mai 2017 mit einer Tablette angetroffen worden war, die sich sowohl nach ihrem Aussehen als auch in einem Schnelltest als Ecstasy-Tablette erwies, steht in dem gegenständlichen summarischen Verfahren zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Antragsteller Betäubungsmittel widerrechtlich besessen hat. Ecstasy (MDMA, chemisch strukturell zur Gruppe der Amphetamine gehörend) ist ein Betäubungsmittel gemäß Anlage I zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.3.1994 -BGBl. I S. 358, zuletzt geändert durch Art. 1 18. ÄndVO vom 16.6.2017 – (BGBl. I S. 1670)). Substantiierte Einwendungen gegen die polizeilichen Feststellungen hat der antragsteller nicht erhoben.
Die Antragsgegnerin hat das ihr in § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt; Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Umstand, dass der Antragsteller lediglich im Besitz einer geringen Menge von Betäubungsmitteln war, als Indiz für einen Eigenkonsum wertet und sich aus diesem Grund für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens entscheidet. Da der Antragsteller das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat, durfte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen.
Dem gestellten Antrag auf Fristverlängerung brauchte die Antragsgegnerin nicht zu entsprechen. Die dem antragsteller zur Beibringung des Gutachtens gewährte Frist von drei Monaten war ausreichend und der Antragsteller hat nicht substantiiert dargelegt, dass ihm eine Begutachtung innerhalb dieser Frist nicht möglich war. Aufgrund der der Antragsgegnerin zukommenden Verpflichtung, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer vor Kraftfahrern zu schützen, die möglicherweise bereits ein negatives Gutachten in Bezug auf ihre Fahreignung erhalten haben oder die sich keiner Begutachtung unterziehen, um eventuelle Eignungsmängel zu verbergen, brauchte die Antragsgegnerin einer Fristverlängerung und erneuten Gelegenheit zur Erstellung eines Gutachtens vor Erlass eines Entziehungsbescheids nicht zuzustimmen, sondern durfte ihn auf eine Begutachtung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens verweisen.
3. Da sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach alledem voraussichtlich als rechtmäßig erweist, verbleibt es auch bei der in Nummer 2 des Bescheids verfügten Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV). Der Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO bleibt daher ebenfalls ohne Erfolg.
4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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