Strafrecht

Freiheitsstrafe, Bescheid, Rechtsanwaltschaft, Zulassung, Gesamtfreiheitsstrafe, Bewerber, Versagungsgrund, Rechtsanwaltskammer, Streitwert, Tatmehrheit, Verpflichtungsklage, Betrug, Wohlverhaltensphase, Frist, Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  BayAGH I – 1 – 12/20

Datum:
27.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28503
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
V. Die Berufung wird nicht zugelassen. 

Gründe

I.
1. Die gemäß § 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 BRAO, § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Die Klage ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden, § 112c Abs. 1 BRAO, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 28.04.2020 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 112c Abs. 1 BRAO, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben.
a) Der Bewerber erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 7, m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 14.01.2019 – AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 11, m.w.N.).
Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so viel an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 8, m.w.N.).
Bei Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Bundesgerichtshof einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteile vom 14.01.2019 – AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 12, m.w.N. und AnwZ (Brfg) 70/17, juris Rn. 11, m.w.N.; BGH, Beschluss vom 28.03.2013 – AnwZ (Brfg) 40/12, juris Rn. 6). Dabei darf auch die bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.). Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen und der gebotenen einzelfallbezogenen Abwägung hat die Beklagte die Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht versagt.
aa) Der Kläger wurde im Zeitraum 15.12.1995 bis 12.10.2009 mehrfach wegen teils schwerwiegender berufsbezogener Delikte (u.a. Untreue in zwei Fällen, versuchter Prozessbetrug in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid, Betrug und versuchter Betrug sowie vier tatmehrheitlich begangene Urkundenfälschungen und Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen) verurteilt.
Zwar haben getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen nach Eintritt der Tilgungsreife regelmäßig an Gewicht verloren und dürfen deshalb nach § 51 Abs. 1 BZRG grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Schmidt-Räntsch in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Auflage 2020, § 7 BRAO BRAO, Rn. 38). Doch die hier zugrunde liegenden Verurteilungen, insbesondere auch die in den Jahren 1995 bis 1998, finden allesamt Berücksichtigung. Ein Verwertungsverbot steht nicht entgegen, da Tilgungsreife noch nicht eingetreten ist, § 47 Abs. 3 S. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG.
bb) Der Kläger hat durch die Begehung zahlreicher schwerer berufsbezogener Delikte ein Verhalten gezeigt, das ihn nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt.
Hierbei ist insbesondere auch in die Abwägung einzubeziehen, dass der Kläger auch in Zeiten, in denen er unter laufender Bewährung stand, keine straffreie Führung zeigte.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 22.04.2002, Az. 831 Ls 242 Js 223350/97, wurde zu Lasten des Klägers eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet. Einbezogen wurden die Entscheidungen des Amtsgerichts München vom 13.11.1998, Az. 831 Ls 242 JS 223350/97, vom 15.12.1995, Az. 8110 Ds 231 Js 59999/93 sowie vom 10.02.1998, Az. 1146 Ls 308 Js 38246/96. Die darin ausgesprochenen Verurteilungen erfolgten wegen versuchten Prozessbetruges in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid (Urteil vom 13.11.1998), wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Untreue in zwei Fällen (Urteil vom 15.12.1995) sowie wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen sowie in zwei Fällen versuchter Steuerhinterziehung (Urteil vom 10.02.1998). Der Strafrest war nach Verlängerung der Bewährungszeit bis 17.03.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Erst mit Wirkung vom 26.08.2010 wurde der Strafrest erlassen. Trotz dieser laufenden Bewährung wurde der Kläger erneut straffällig und es folgte eine Verurteilung durch das Amtsgericht München am 21.05.2007, Az. 812 Ls 231 Js 227385/02, rechtskräftig seit 19.10.2007, wegen Betruges und versuchten Betruges sowie vier tatmehrheitlich begangener Urkundenfälschungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate. Diese Strafe wurde wiederum zur Bewährung ausgesetzt bis 18.10.2012.
Auch hierauf kann der Kläger keine straffreie Führung aufweisen. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 12.10.2009, AZ. 821 Ls 237 Js 231365/07, rechtskräftig seit 20.10.2009, wurde er unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils (Az. 812 Ls 231 Js 227385/02) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate und einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 90,00 € wegen Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen verurteilt. Auch diese Strafe wurde für 5 Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
Der seitens des Klägers herangezogene Umstand, dass es sich hierbei um „Verzweiflungstaten“ gehandelt habe, kann nicht maßgeblich zugunsten des Klägers Berücksichtigung finden. Denn im Rahmen der Abwägung sind die tatsächlich erfolgten, noch nicht tilgungsreifen Verurteilungen, wie sie das BZR ausweist, heranzuziehen. Etwaige bei der Bildung der jeweiligen Strafen – hier zugunsten des Klägers – zu berücksichtigende Strafzumessungserwägungen sind in die jeweils ausgeurteilten Strafen eingeflossen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich des Beginns der Wohlverhaltensphase auf das Ende der Bewährungszeit oder auf den Zeitpunkt der letzten Tat abzustellen ist. Denn Selbst wenn der Zeitpunkt der letzten Tat (28.12.2006) herangezogen wird, so wären erst 14 Jahre und 1 Monat abgelaufen. Angesichts der vom Kläger begangenen zahlreichen – zum Teil schwerwiegenden – berufsbezogenen Delikte erscheint eine Wohlverhaltensphase von mindestens 15 Jahren erforderlich. Nachdem die bloß straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden darf, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand, ist allerdings auch zu sehen, dass sich der Kläger nach Ablauf der Bewährungszeit im Oktober 2014 erst 6 Jahre lang straffrei geführt hat (vgl. hierzu auch Weyland/Vossebürger, 10. Auflage 2020, BRAO, § 7 Rn. 40).
cc) Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger nunmehr bereits 74 Jahre alt ist und er den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr lange ausüben können wird, falls er wieder zugelassen werden sollte. Gleichwohl überwiegen (noch) die gegen eine Wiederzulassung sprechenden Umstände.
Bei den begangenen Taten handelt es sich nicht nur um eine einmalige Verfehlung, sondern um eine Vielzahl von Delikten, die den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit und unmittelbar die Belange der Rechtspflege betreffen. Das gilt auch hinsichtlich seiner Verurteilung(en) wegen Untreue und Betruges in jeweils mehreren Fällen. Selbst wenn, wie der Kläger vorbringt, keinem seiner Mandanten ein Schaden entstanden sein mag, hat er durch diese Taten das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Rechtssuchenden in die Integrität des Anwaltsstandes als Organ der Rechtspflege erschüttert (vgl. Anwaltsgerichtshof München, Urteil vom 18.12.2019 – BayAGH I – 1 – 45/18 juris Rn. 34).
Soweit der Kläger darauf abstellt, dass ihm bereits im Jahr 2001 die Erlaubnis zur Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt entzogen wurde, kann dieser Umstand nicht maßgeblich zugunsten des Klägers ins Gewicht fallen. Denn der Kläger ist auch nach dem Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Bescheid vom 27.03.2001 noch mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat schwere berufsbezogene Delikte begangen. So erfolgte die Verurteilung durch das Amtsgericht München am 21.05.2007, Az. 812 Ls 231 Js 227385/02, wegen Betruges und versuchten Betruges sowie vier tatmehrheitlich begangener Urkundenfälschungen (Datum der Tat: 04.04.2003) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 12.10.2009, Az. 821 Ls 237 Js 231365/07, wurde der Kläger wegen Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen (Datum der Tat: 28.12.2006) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate und einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 90,00 € verurteilt.
Des Weiteren kann allein das hohe Alter des Klägers und der Umstand, dass er den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr lange ausüben können wird, falls er wieder zugelassen werden sollte, nicht wesentlich zugunsten des Klägers in die Gesamtabwägung mit einfließen. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die berufsbezogenen Delikte nicht zu Beginn bzw. der Anfangsphase der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern in einem fortgeschrittenen Stadium seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt bzw. nach Widerruf der Zulassung in höherem Alter begangen hat. Dies hat er selbst zu verantworten.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 167 VwGO, § 709 S. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 S. 1 BRAO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, § 112e BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO.


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