Strafrecht

Italien, Freiheitsstrafe, Angeklagte, Untersuchungshaft, Hauptverhandlung, Auslieferungshaft, Handeltreiben, Kokain, Wohnung, Nigeria, Internet, Auskunft, Beteiligung, Gutachten, nicht geringe Menge, nicht geringer Menge, geringer Menge

Aktenzeichen  2 KLs 310 Js 21976/20

Datum:
12.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11865
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG
BtMG §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 29 a Abs. 1 Nr. 2
StGB § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt.
2. Die in Frankreich vom 03.09.2021 bis 23.09.2021 erlittene Auslieferungshaft des Angeklagten wird im Verhältnis 1:1 angerechnet.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1. Der Angeklagte wurde am 1975 in Orlu Imo-State (Nigeria) geboren. Er ist nigerianischer und amerikanischer Staatsangehöriger. Er besuchte in Nigeria die Grund- und weiterführende Schule und beendete diese auch. Der Großteil der Familie, auch die Mutter, lebt in den USA.
Der Angeklagte kam vor 25 Jahren nach Italien in die Nähe von Padua und lebt seither dort.
In Padua selbst nahm er im Jahr 1999 zum ersten Mal eine Arbeit an. Er arbeitete im Laufe der Zeit bei vielen verschiedenen Arbeitgebern. Aufgrund einer Handverletzung, die bei einem Arbeitsunfall verursacht wurde, gestaltete sich die Arbeitssuche ab da etwas schwieriger. Er verdient seinen Lebensunterhalt durch Taxifahrten, allerdings ohne offizielle Erlaubnis bzw. Lizenz. Außerdem ist er in seiner Freizeit in einer Kirchengemeinde tätig und wird dort auch mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt.
Gelegentlich handelt er auch mit Mobiltelefonen und Laptops, die er im Internet findet und in Italien einkauft. Er reist oft nach Nigeria, verkauft dort dann die genannten elektronische Geräte und kauft afrikanische Waren wie Kleidung, Gegenstände oder Lebensmittel ein. Diese verkauft er dann wieder in Europa an Afrika-Shops.
Seine amerikanische Staatsangehörigkeit erlangte er durch die Heirat seiner ersten Frau. Diese Ehe wurde 2011 geschieden. Seine zweite Ehefrau heiratete er im März 2021. Er hat mit ihr sechs Kinder. Das jüngste Kind ist zwei Jahre alt, das Alter der übrigen Kinder ist ihm nicht bekannt. Seine Frau lebt noch in Nigeria. Sie plant, nächstes Jahr mit den Kindern nach Italien zu kommen.
Der Angeklagte lebte bis zur Inhaftierung mit seinem Bruder und einer weiteren Person in einer Wohnung.
Er erhält pro Monat 800 € an staatlichen Zuschüssen. Für die Taxifahrten erlangt er zwischen 80 und 100 € pro Tag. Schulden hat er nicht. Sein Mietanteil in der Wohngemeinschaft beträgt 400 €.
Der Angeklagte leidet unter Herzproblemen und Bluthochdruck.
Der Angeklagte konsumiert selbst keine Betäubungsmittel bzw. allenfalls sporadisch Cannabisprodukte.
2. Der Angeklagte ist bislang in Deutschland, in der Schweiz, in Italien und in Frankreich noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Angeklagte befand sich vom 03.09.2021 bis 23.09.2021 in Frankreich in dieser Sache in Auslieferungshaft und seit dem 24.09.2021 in dieser Sache in Untersuchungshaft
II.
1. Zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt Anfang September 2020, jedenfalls vor dem 13.09.2020, verpackte der Angeklagte mit einer weiteren Person in einer Wohnung in Amsterdam, Niederlande, Betäubungsmittel in Unterverpackungen in Eiform, diese jeweils in insgesamt 14 handschriftlich markierte Folienverpackungen und die Folienverpackungen dann in eine Papiertüte, damit die so verpackten Betäubungsmittel weiterverkauft werden konnten.
Die Betäubungsmittel gelangten dann über mindestens eine weitere Person an Herrn K, der diese zum Zwecke des Weitertransports entgegennahm.
2. Herr K fuhr zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt am 13.09.2020 an einem nicht näher bekannten Grenzübergang zwischen den Niederlanden und Deutschland mit dem Pkw der Marke Volvo S. 60 mit dem amtlichen schwedischen Kennzeichen … in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Im Fahrzeug befanden sich die vom Angeklagten abgepackten Folienverpackungen in der oben genannten Papiertüte, die wiederum in einen auf der Rücksitzbank des Fahrzeugs liegenden Rucksack gesteckt war.
Herr K wurde am 14.09.2020 gegen 01.00 Uhr von Beamten der Polizeiinspektion Füssen kontrolliert. Die Betäubungsmittel wurden entdeckt und beschlagnahmt.
3. In den im Rucksack bzw. der Papiertüte befindlichen Folienverpackungen befand sich in sieben Unterverpackungen Heroin mit einem Gesamtgewicht von 713,05 g. Das Heroin hatte einen Heroin-Hydrochlorid-Gehalt zwischen 7,9% und 44,4%, insgesamt 173,23 g HeroinHydrochlorid.
In sieben weiteren Unterverpackungen befanden sich insgesamt 925 g Kokain mit einem Kokain-Hydrochlorid-Gehalt zwischen 43,0% und 95,9%, insgesamt 706,65 g KokainHydrochlorid.
4. Der Angeklagte hatte, wie er wusste, nicht die erforderliche Erlaubnis zum Umgang mit Betäubungsmitteln. Er wusste auch, dass die Betäubungsmittel an ihrem Bestimmungsort dem gewinnbringenden Weiterverkauf dienen sollten.
III.
1. Die Feststellungen der Kammer zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen glaubhaften Angaben im Rahmen der Hauptverhandlung..
Die Feststellungen zu den nicht vorhandenen Vorstrafen in den Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz ergeben sich aus den jeweils eingeholten Registerauszügen (Bundeszentralregister vom 09.09.2021, Auskunft aus dem italienischen Strafregister vom 09.09.2021, Auskunft aus dem französischen Strafregister vom 10.09.2021, Auszug aus dem Schweizerischen Strafregister vom 13.07.2021).
Die Feststellungen zu den Haftdaten beruhen auf dem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Paris vom 09.09.2021, dem Beschluss des Berufsgsgerichts Paris vom 08.09.2021 und dem Verfahrensgang der Generalstaatsanwaltschaft Paris vom 03.09.2021 (Bl.94/98 d.A. mit anliegender Übersetzung).
2. Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf dem teilweisen Geständnis des Angeklagten sowie der durchgeführten Beweisaufnahme.
Der Angeklagte räumte ein, die unter II. 1. genannten Betäubungsmittel gemeinsam mit einem Freund verpackt zu haben. Er habe in Amsterdam einen Freund aus Nigeria besucht. Dieser habe ihn gebeten, direkt in seiner Wohnung beim Verpacken der bereits dort vorhandenen Betäubungsmittel zu helfen. Dieser Bitte sei er nachgekommen. Ihm sei dabei bewusst gewesen, dass es sich um Betäubungsmittel handelte, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt gewesen seien. Er habe allerdings nicht gewusst, wohin die Betäubungsmittel anschließend verbracht werden sollten.
Seine Beteiligung wird außerdem nachgewiesen durch das in der Hauptverhandlung verlesene daktyloskopische Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts vom 15.10.2020 (Bl.12/16 d.A.). Hieraus ist ersichtlich, dass fünf Fingerabdrücke des Angeklagten an den Innenseiten der Folienverpackungen sowie an der Innenseite der Transportpapiertüte gesichert wurden. Als Verursachung für diese Spuren kommt keine andere Möglichkeit als die Mithilfe des Angeklagten beim Verpacken der Betäubungsmittel in Betracht.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte aufgrund der Konsistenz der Drogen zumindest billigend in Kauf nahm, dass es sich dabei um Kokain und / oder Heroin handelte.
Die tateinheitliche Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln konnte ihm nicht zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen werden. Das Geständnis umfasste nicht den Vorsatz, dass die Drogen später nach Deutschland verbracht werden sollten. Die etwa vorhandene Vorstellung, dass die Betäubungsmittel über irgendeine Grenze in irgendwelche Länder verbracht werden könnten, ist nach Auffassung der Kammer zwar aufgrund der Verpackungsform der Betäubungsmittel (auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern sind flache „Würste“ oder „Eier“ zu seinen) plausibel, jedoch nicht ausreichend, um den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr zu verurteilen, da dieser Straftatbestand nur das Überschreiten der Grenzen zwischen Deutschland und dessen Nachbarländern betrifft.
Ein Nachweis dafür, dass der Angeklagte die Person war, die dem Zeugen K Betäubungsmittel übergeben hat, konnte nicht geführt werden. Der Zeuge K die räumte vor Gericht erneut ein, die Betäubungsmittel übernommen und transportiert zu haben. Er gab aber auch an, den Angeklagten nicht zu kennen. Ansätze für weitere Beweiserhebungen lagen insoweit nicht vor.
Die Sicherstellung der Betäubungsmittel nach Aufgriff des Zeugen K wurde vom Zeugen glaubhaft berichtet. P Der jeweilige Wirkstoffgehalt der sichergestellten Betäubungsmittel wurde nachgewiesen durch das in der Hauptverhandlung verlesene Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Ulm vom 04.02.2021 (Bl.39/42 d.A.).
Dass der Angeklagte selbst kein Betäubungsmittelkonsument ist bzw. allenfalls gelegentlich Cannabisprodukte konsumiert, ergibt sich aus dem verlesenen Haargutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 04.11.2021 (Bl.229/231 d.A.).
IV.
Der Angeklagte hat sich daher wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, §§ 27 Abs. 1 StGB.
V.
1. Der Strafatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG sieht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 1 bis zu 15 Jahren vor, im minder schweren Fall nach § 29 a Abs. 2 BtMG Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren.
2. Die Voraussetzungen für einen minder schweren Fall i.S.d. § 29a Abs. 2 BtmG liegen nicht vor.
Nach Abwägung sämtlicher zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigender Umstände kann nicht von einem solchen Überwiegen der zu seinen Gunsten zu berücksichtigenden Aspekte ausgegangen werden, dass die Bestrafung der Tat unter Heranziehung des Regelstrafrahmens als unangemessen erscheinen würde.
Dabei hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass
– er den Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung einräumte
– er nicht vorbestraft ist,
– die von ihm eingeführten Betäubungsmittel vollständig sichergestellt werden konnten und nicht mehr in den Verkehr gelangten
– die Tathandlung – das Verpacken der Betäubungsmittel – lediglich aus Gefälligkeit erbracht wurde und weitergehende, wie z.B. finanzielle Interessen am Verkauf der Betäubungsmittel nicht ersichtlich sind
– die Handlung einen zeitlich eher untergeordneten Umfang hatte
– ihn die Inhaftierung überdurchschnittlich hart trifft, da Besuche der im Ausland wohnenden Familie faktisch erheblich erschwert sind.
Ganz erheblich gegen den Angeklagten sprach andererseits der Umstand, dass die Menge des sichergestellten Kokains die Grenze zur nicht geringen Menge um das 141-fache überstieg (ausgehend von einem Grenzwert für die nicht geringe Menge bei Kokain von 5 g) und die Menge des sichergestellten Heroins um das 115-fache (ausgehend von einem Grenzwert für die nicht geringe Menge bei Heroin von 1,5 g).
Weiterhin sprach zu Lasten des Angeklagten dass es sich bei Kokain, besonders aber bei Heroin um ein sog. harten Drogen mit einem hohen Suchtpotential handelt mit einem daraus resultierenden hohen Gefährdungsgrad für die Volksgesundheit. Heroin führt bei Konsumenten rasch auch zur körperlichen Abhängigkeit und bei einer Überdosierung auch rasch zum Tod. Nachdem sich dieser Umstand aus Sicht der Kammer zumindest teilweise im vom Bundesgerichtshof festgesetzten Grenzwert zur nicht geringen Menge von 5 Gramm Kokainhydrochlorid bzw. 1,5 Gramm Heroin-Hydrochlorid widerspiegelt, hat die Kammer dies in abgemildertem Umfang strafschärfend berücksichtigt.
3. Der Strafrahmen ist jedoch gemäß §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, da sich der Tatbeitrag des Angeklagten lediglich als Beihilfehandlung darstellt.
Der Strafrahmen beträgt daher 3 Monate bis 11 Jahre 3 Monate Freiheitsstrafe.
4. Innerhalb des Strafrahmens von 3 Monaten bis 11 Jahren 3 Monaten hält die Kammer bei nochmaliger Abwägung der o.g. Umstände die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren für tat- und schuldangemessen.
VI.
Die Auslieferungshaft in Frankreich war im Verhältnis 1:1 anzurechnen. Anhaltspunkte für Tatsachen, die eine abweichende Anrechnung erforderlich machen würden, liegen nicht vor.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.


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