Strafrecht

Kostenerhebung für Identitätsfeststellung

Aktenzeichen  B 1 K 20.306

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44317
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 93 S. 2
PAG Art. 75 Abs. 3
PAG Art. 13

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Kostenrechnung des Polizeipräsidiums Oberfranken vom 11.03.2020 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet. 

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, da die Kostenrechnung vom 11. März 2020 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kostenbescheid vom 11. März 2020 ist formell rechtmäßig ergangen, insbesondere erfolgte eine vorherige Anhörung des Klägers.
2. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Kostenerhebung liegen jedoch nicht vor, da ein Tätigwerden des PHM …zu zumindest gleichzeitig präventiven Zwecken nicht gegeben war.
a. Vorab sei angemerkt, dass das Gericht die klägerische Auffassung nicht teilt, mit Art. 93 Satz 2 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) liege eine taugliche Rechtsgrundlage deshalb nicht vor, weil damit zum einen ein Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und zum anderen ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung im Strafverfahren gegeben sei.
Dass der Bundesgesetzgeber in Wahrnehmung der konkurrierenden Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Rechtsfolgen ausschließen wollte, die das Landesrecht an das gefahrenabwehrende Handeln der Polizei knüpft, ist nicht ersichtlich. Namentlich den strafverfahrensrechtlichen Kostenregelungen (§§ 464 ff. StPO) lässt sich nichts dafür entnehmen (BVerwG, B.v. 22.6.2001 – NVwZ 2001, 1285 – juris). Nach Art. 93 Satz 2 PAG können daher Kosten nach dem BayPAG auch dann erhoben werden, wenn auf Grund desselben Lebenssachverhalts neben präventiven Maßnahmen auch repressive Maßnahmen nach der StPO oder dem OWiG getroffen wurden. Dies gilt unabhängig von der Kostenpflichtigkeit der repressiv veranlassten Maßnahmen (vgl. BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 16. Ed. 15.3.2021, PAG Art. 93 Rn. 21-24).
Die Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes (Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts v. 18.5.2018, BayGVBl 2018, S. 301 ff.) stellt mit der Einfügung von Art. 93 Satz 2 PAG im Zusammenhang mit einer Kostenerhebung für polizeiliches Handeln klar, dass auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat iSv § 152 StPO ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen rechtlich nicht ausgeschlossen ist, sodass insbesondere bei sog. Gemengelagen, in denen die Polizei sowohl repressiv als auch präventiv agieren kann und will, strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen grundsätzlich nebeneinander anwendbar bleiben (LT-Drs. 17/20425, S. 93 f.; BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 16. Ed. 15.3.2021, PAG Art. 93 Rn. 7-13.3).
b. Als lex specialis zum Kostengesetz normiert Art. 93 PAG Ausnahmen von der grundsätzlichen Kostenfreiheit polizeilichen Handelns (Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KG). Danach dürfen nach Art. 93 Satz 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 3 PAG für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kosten erhoben werden.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 PAG kann die Polizei nach Art. 13 Abs. 2 PAG die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen und insbesondere Personen anhalten. Diese können auch festgehalten werden, wenn die Identität nicht auf andere Weise oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
Die Identitätsfeststellung auf der Grundlage des Art. 13 PAG dient der Gefahrenabwehr. Die konkrete Polizeimaßnahme, vorliegend das Festhalten zur Identitätsfeststellung, muss erfolgt sein, um die Schutzzwecke des Art. 13 Abs. 1 PAG zu verfolgen. Soweit daneben im Rahmen strafverfolgender Tätigkeiten Identitätsfeststellungen erforderlich sind und durchgeführt werden, besagt Art. 93 Satz 2 PAG lediglich, dass auch dann Kosten (für das präventive Tätigwerden) verlangt werden können, wenn neben einer Maßnahme der Strafverfolgung ein Tätigwerden zur Gefahrenabwehr vorliegt.
Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 PAG dient insbesondere der Verhütung oder Unterbindung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder verfassungsfeindlichen Handlungen (vgl. Nr. 13.3 VollzBek PAG), daneben der Gefahrerforschung oder Gefahrenvorsorge, die im Vorfeld konkreter Gefahren eine niedrigere Eingriffsschwelle genügen lässt; in diesem Sinne verstanden dient die Identitätsfeststellung der weiteren Aufklärung einer Gefahrenlage oder eines durch Tatsachen begründeten Gefahrenverdachts, indem das Gefährdungspotential am Geschehen beteiligter Personen festgestellt und überprüft wird, ob jemand Störer ist oder nicht. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1b PAG gestattet eine Identitätsfeststellung, um gefährliches Handeln bereits in einem frühzeitigen Stadium, also schon im Vorfeld einer klassischen konkreten Gefahr, zu unterbinden (BeckOK PolR Bayern/Senftl, 16. Ed. 15.3.2021, PAG Art. 13 Rn. 9 f.).
Eine Personenfeststellung kann ein Mittel zur Gefahrenabwehr sein, wenn sie dazu dient, potentielle Störer aus der Anonymität zu reißen und sie so vor der Begehung von (weiteren) Störungen bzw. Straftaten abhalten kann (vgl. VGH BW, U.v. 14.12.2010 – 1 S 338/10 – juris, unter Verweis auf BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – BayVBl 1993, 429). An einer präventiven Maßnahme besteht insbesondere dann kein Zweifel, wenn auch das äußere Erscheinungsbild der Maßnahme dem entspricht (vgl. BayVGH, U.v. 2.12.1991, a.a.O).
Nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung ergibt sich für das Gericht eindeutig, dass PHM … bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs ausschließlich zu repressiven Zwecken handeln wollte, dies auch so kommunizierte und letztlich auch lediglich repressiv tätig geworden ist. Aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er außerdem zur Abwehr einer Gefahr hätte tätig werden wollen bzw., dass aus seiner Sicht eine solche Gefahr überhaupt bestanden hätte.
Zur Gesamtlage nach dem Zusammenstoß der beiden Pkw am Marktplatz in …befragt, gab der Zeuge an, dass sich die unfriedliche Personengruppe zunächst geteilt habe und dann in verschiedene Richtungen geflüchtet sei. Er sei davon ausgegangen, dass sich zumindest ein Teil der Personen in Richtung Bahnhof bewegen würde, da dies seiner Einschätzung nach der schnellste Weg gewesen sei, um … zu verlassen. Als er dann in der … auf die Personengruppe gestoßen sei, habe diese für ihn den Eindruck vermittelt, dass sie sich in Richtung Bahnhof bewegen wollte. Er hat dies so geschildert, dass diese Personen in Richtung Bahnhof gedrängt haben und von den Passanten, die auch schon am Marktplatz eingeschritten waren, hieran gehindert worden sind. Der Zeuge hat weiter ausgesagt, als Grund der Festhaltung die im Raum stehenden Straftaten (Sachbeschädigung, evtl. Körperverletzung) genannt zu haben und dass die Identität zur Strafverfolgung festgestellt werden müsse. Seiner Einschätzung nach hätten sich die Personen „aus dem Staub machen wollen“. Auf die konkrete Frage, ob seiner Einschätzung nach die Gefahr weiterer Aktionen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang – wie vorher am Marktplatz – vorgelegen habe, hat der Zeuge gesagt, er könne dies nicht mit Gewissheit sagen und wolle keiner Person etwas unterstellen. Es sei jedenfalls so gewesen, dass, sobald man nachlässig geworden sei, die Personen versucht hätten wegzulaufen.
Den Aussagen des Zeugen ist zusammenfassend zu entnehmen, dass keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar waren, dass die Personengruppe, so sie denn freigekommen wäre, weitere Straftaten begangen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut gestört hätte. Der Eindruck des Zeugen war so, dass er davon ausging, die Personengruppe und damit auch der Kläger, wolle sich einer möglichen Strafverfolgung durch Flucht entziehen. Ein Festhalten des Klägers zu präventiven Zwecken war vom Zeugen weder beabsichtigt noch lagen aus seiner Sicht belastbare Anhaltspunkte dafür vor, dass es zu einem erneuten Aufflammen der Aggressionen kommen werde. Insbesondere hat der Zeuge dem Kläger gegenüber geäußert, dass die Personalien zum Zweck der Strafverfolgung erhoben werden sollten. Weiter hat der Zeuge angegeben, dass sich seiner Einschätzung nach der Kläger deshalb gewehrt habe, weil er einer Feststellung seiner Personalien entgehen wollte.
Soweit der Beklagte im Laufe des gerichtlichen Verfahrens weitere Gesichtspunkte vorgebracht hat, die für ein präventives Handeln sprechen sollen, ist hierzu auszuführen, dass sich diese nicht mit den Angaben von PHM … decken und dem Handeln des Polizeibeamten nachträglich wohl eine andere/weitere Zielsetzung geben sollen.
Für das Verhindern weiterer Straftaten (Beleidigungen, Körperverletzung, Sachbeschädigung, vgl. Schriftsatz vom 25. August 2020) fehlen – wie ausgeführt – jegliche Anhaltspunkte.
Den Ausführungen des Beklagten kann nicht gefolgt werden, wonach der unmittelbare Zwang gegen den Kläger auch deshalb präventiv erfolgt sei, um die genannten befürchteten (weiteren) Gefahren vom Zeugen selbst abzuwenden. Der Zeuge hat hierzu ausgesagt, dass sich der Kläger immer wieder seinem Zugriff entziehen und flüchten wollte. Zum Selbstschutz des Zeugen wäre es somit ausreichend gewesen, vom Kläger abzulassen. Dies hätte aber dem alleinigen Zweck der Maßnahme des Zeugen widersprochen, die Identität des Klägers für weitere Strafverfolgungsmaßnahmen festzustellen. So gab der Zeuge in der mündlichen Verhandlung an, dass sich der Kläger als Hauptredner herauskristallisiert habe. Als sich der Kläger habe entfernen wollen, habe er ihn an der Wand fixiert. Aus diesem Grund kam es dann auch zu einer Schlagbewegung des Klägers gegen den Zeugen, die ins Leere gegangen sei, da die Gruppe ihn vom Kläger weggezogen habe. Der Zeuge entschloss sich sodann, den Kläger am Boden zu fixieren. Dabei befürchtete er nach seiner Aussage aber nicht, dass noch weitere Schläge vom Kläger ausgehen würden. Er habe sich lediglich vergegenwärtigt, dass möglicherweise von dritter Seite ein Schlag gegen ihn, z.B. auf den Kopf hätte erfolgen können. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs diente damit nicht dazu, Schäden vom Zeugen abzuwenden, sondern die Identitätsfeststellung sicherzustellen, die die Kollegen vornehmen sollten, um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Klägers prüfen zu können.
Soweit der Straftatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Raum steht, verhielt es sich so, dass der Widerstand des Klägers nach dem Eindruck des Zeugen nur dazu diente, sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen und ein darüberhinausgehender Zweck als die Flucht nicht erkennbar war. Die Ansicht des Beklagten, bei jedem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte handele der Polizist zugleich zur Gefahrenabwehr (in eigener Person) sowie der Verhinderung der Begehung einer weiteren Straftat, kann das Gericht nicht teilen. Zumindest wenn wie hier der Widerstand nur dazu dient, sich dem Zugriff des Polizisten zu entziehen und nach der Intention des Polizisten nicht der Schutz der eigenen Person maßgeblich ist, sondern ein Festhalten erfolgt, um die Identitätsfeststellung zur Strafverfolgung zu ermöglichen, bleibt es bei natürlicher Betrachtungsweise des Lebenssachverhalts bei einer repressiven Tätigkeit der Polizei. Ein präventives Handeln im Sinne einer Gefahrenabwehr wäre in diesem Fall nur eine im Nachhinein erfolgte künstliche Interpretation eines Sachverhalts, der sich so nicht ereignet hat.
Im Hinblick auf den Schutz privater Rechte Dritter besteht die Befugnis nur innerhalb des insoweit begrenzten polizeilichen Aufgabenbereichs gem. Art. 2 Abs. 2 (Subsidiaritätsgrundsatz). Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Aufgabe nach Art. 2 Abs. 1 PAG, also der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Eine Situation der Gefahrenabwehr lag vorliegend, wie bereits ausgeführt, nicht vor. Praktische Bedeutung kommt der Identitätsfeststellung im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 Nr. 6 PAG z.B. bei nicht strafbaren (insbesondere fahrlässigen) Sachbeschädigungen und Verkehrsunfällen zu; die Polizei stellt in diesen Fällen die Personalien des Schädigers bzw. Unfallverursachers fest und teilt sie dem Geschädigten mit, um diesem die Verwirklichung seines (offensichtlichen) Rechts zu ermöglichen (vgl. BeckOK PolR Bayern/Senftl, 16. Ed. 15.3.2021, PAG Art. 13 Rn. 17). Eine derartige Fallkonstellation war vorliegend aber nicht gegeben. Das Festhalten durch den Zeugen erfolgte nach § 163b StPO zum Zweck der Verfolgung einer Straftat und damit repressiv. Zusätzliche zu den im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen zu erhebenden weiteren notwendigen Informationen bedurfte es nicht. Auch weitere Sachbeschädigungen waren nicht zu erwarten.
Da die Voraussetzungen für eine Kostenerhebung nach Art. 93 Satz 2, Art. 75 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 2 PAG nicht vorliegen, ist die Kostenrechnung vom 11. März 2020 rechtswidrig und aufzuheben.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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