Strafrecht

Löschung personenbezogener Daten (KAN IGVP)

Aktenzeichen  M 23 K 19.4483

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17022
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 54 Abs. 2
PAG Art. 62 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf umgehende Löschung personenbezogener Daten aus KAN und IGVP nicht zu; auch der hierin enthaltene individuelle Anspruch auf ermessensfehlerfreien Gebrauch wurde nunmehr rechtsfehlerfrei erfüllt (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 VwGO).
Es kann dahinstehen, ob – wofür einiges spricht – die Verpflichtungsklage ursprünglich zumindest im Rahmen eines Anspruchs auf individuelle Abwägung, gleichsam ermessensfehlerfreien Gebrauch, teilweise erfolgreich gewesen wäre. Bei der vorliegenden Verpflichtungsklage kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Zu diesem Zeitpunkt bestand die verbindliche Zusage des Beklagten, die Datenlöschung mit Ende des laufenden Jahres abzuschließen. Da sowohl der Erklärungsinhalt des Schriftsatzes vom 29.3.2021 wie auch die Zusicherung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung eindeutig und unmissverständlich sind, hat sie das Gericht bei der aufrechterhaltenen Verpflichtungsklage zu berücksichtigen. Hierdurch erfuhr auch der Bescheid vom 8.8.2019 seine individuelle Ergänzung und seine letztverbindliche Fassung.
Nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn (Nr. 1) ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war, (Nr. 2) sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen, oder (Nr. 3) bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist. Ferner sind nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfallen ist.
Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, ein Betroffener nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Selbst bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist noch jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 30.1.2020 – 10 C 20.10 – juris Rn. 8 m.w.N.). In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist für die Eintragung im KAN unter Heranziehung der Strafakten festzustellen, dass noch ein Restverdacht besteht, zumal das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt wurde, was einen fortbestehenden Tatverdacht voraussetzt (BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 5.; B.v. 2.11.2020 – 10 C 20.2308 – juris Rn. 8).
Die Speicherung von personenbezogenen Daten für präventive Zwecke im KAN, welche die Polizei – wie hier – im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, richtet sich nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG i.V.m. § 484 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2013 – 10 C 11.1967 – juris Rn. 4). Daten, die für Zwecke des Strafverfahrens (§ 483 Abs. 1 StPO) gespeichert worden sind, dürfen nach § 484 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG zu präventiven Zwecken weiter aufbewahrt werden, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist.
Denn nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG sind – der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur insoweit nahezu inhaltsgleichen Regelung des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F. folgend – die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (zu repressiven Zwecken) gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten erst dann zu löschen, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tatverdacht (restlos) entfallen ist (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 35; B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 17 m.w.N.). Der für die weitere Aufbewahrung von Polizeiunterlagen erforderliche Tatverdacht im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F. entfällt dabei nicht schon mit der Einstellung der Ermittlungen, sondern erst, wenn der Verdacht einer Straftat oder Tatbeteiligung des Betroffenen restlos ausgeräumt ist. Daher kann die Aufbewahrung der polizeilichen Unterlagen selbst im Falle eines rechtskräftigen Freispruchs zulässig bleiben, wenn ein Restverdacht fortbesteht (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2008 – 10 C 08.2087 – juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 10 ff.), etwa, wenn der Freispruch aus Mangel an Beweisen erfolgt ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 18). Im Falle eines Freispruchs oder bei Verfahrenseinstellung bedarf es daher der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung der im Verfahren gewonnenen Daten zur polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 19).
Aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt aber grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Verdacht (restlos) entfallen ist, wenn ihre Speicherung unzulässig gewesen ist oder ihre Kenntnis für die polizeiliche Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Werden Daten für die polizeiliche Aufgabenerfüllung aller Voraussicht nach nicht mehr benötigt, dann gebietet es nicht nur der Wortlaut des Gesetzes, sondern auch eine durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Gesamtabwägung (vgl. VG München, U.v. 10.12.2014 – M 7 K 12.1563 – juris Rn. 45; U.v. 31.3.2021 – M 23 K 19.6237 – juris Rn. 28 m.w.N.), den mit der Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung sofort und nicht erst nach Ablauf einer bestimmten Frist zu löschen.
Gemessen hieran ist festzustellen, dass vorliegend von den vorgenannten Fallgruppen lediglich die letzte in Betracht zu ziehen war/ist, denn weder wurde bei der vorgenommenen strafgerichtlichen Verfahrenseinstellung – wie dargelegt – ein Resttatverdacht gänzlich ausgeräumt noch wäre die Datenerhebung aus einer derartigen letztverbindlichen gerichtlichen Entscheidung von vornherein unzulässig.
Zwar wurde hier die individuelle Überprüfung des Bedürfnisses am Fortbestand der über den Kläger eingetragenen Daten unter Berücksichtigung seiner individuellen Interessen und seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. eine derartige datenschutzrechtliche Prüfung erst mit dem Schreiben des Landeskriminalamts vom 29.3.2021 vorgenommen. Zuvor war lediglich auf die gesetzlich geregelte typisierte Aufbewahrungsfrist hingewiesen worden. Mit der nunmehr verbindlich vorgenommenen Verkürzung der Aufbewahrung auf etwa die Hälfte der Regelaufbewahrungsfrist hat der Beklagte eine nachvollziehbare abwägende Entscheidung getroffen, die weiterer bzw. eingehenderer gerichtlicher Kontrolle nicht (mehr) zugänglich ist (entspr. § 114 Satz 1 VwGO). Die nunmehr verbindlich zugesagte Löschung der Daten mit Endes des laufenden Jahres ist eine Entscheidung, die sowohl die präventivpolizeiliche Erforderlichkeit als auch die persönlichen Aspekte des Klägers, insbesondere sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in ein angemessenes Verhältnis bringt und hierbei insbesondere auch die – allseits anerkannte – damalige Ausnahmesituation des Klägers, daneben auch die Tatsache, dass der Kläger keinen Anlass zu anderweitigen Ermittlungen o.ä. gab/ gibt, thematisiert und würdigt. Einen Abwägungsfehler vermag das Gericht nicht festzustellen, insbesondere keine Ermessensdisproportionalität. Das Gericht vermag zwar den mit der Klage verfolgten Ansatz des Klägers individuell nachzuvollziehen, mit einem Obsiegen im vorliegenden Verfahren eine als im Nachhinein bzw. nach wie vor als ungerecht empfundene Verfahrenseinstellung im Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO korrigieren zu wollen, es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das vorliegende Verfahren bereits vom Ansatz nicht geeignet ist, eine Genugtuung des Klägers – rückwirkend – bewirken zu können. Insbesondere ist weder die Polizei befugt noch die erkennende Kammer verpflichtet, die im Strafverfahren vorgenommene abschließende Entscheidung nochmals auf deren „Richtigkeit“ zu überprüfen, wie es der Klägerbevollmächtigte meint. Die polizeiliche Prüfkompetenz und -pflicht (und damit einhergehend die gerichtliche Überprüfungspflicht) beschränkt sich bei der beanspruchten Löschung in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden auf prognostische Aspekte der Erforderlichkeit präventiver Gefahrenabwehr (vgl. auch: Schmidbauer/ Steiner, Polizeiaufgabengesetz, 5. Auflage 2020, Art. 62 Anm. 13 ff., 32). Erfolgt die Einstellung im Strafverfahren – wie hier – nach § 153 Abs. 2 StPO, verbleibt ein (wenngleich möglicherweise auch sehr geringer und noch unter einem Anfangsverdacht liegender) Resttatverdacht und rechtfertigt dies – anders als bei einer dem Strafgericht erwiesenen Unschuld – die präventivpolizeiliche Datenspeicherung, ohne dass hieraus ein auch nachträglicher (General-)tatverdacht der Polizei ihrerseits verbunden wäre. Die Datenspeicherung ist somit im Rahmen der präventiven polizeilichen Aufgaben weiterhin gerechtfertigt, sodass auch eine der Verhältnismäßigkeit geschuldete Gesamtabwägung die umgehende Löschung nicht zwingend erforderlich macht.
Der dem Kläger zustehende Anspruch auf individuelle Prüfung vorzeitiger Löschung wurde demzufolge bereits erfüllt, wie im Übrigen ein unmittelbarer Anspruch auf Löschung – wie an sich beantragt – bereits deswegen nicht in Betracht kam, da weder eine Ermessensreduzierung auf Null im Raum steht noch ein unmittelbarer gesetzlicher Anspruch gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 2, Art. 62 Abs. 4 (i.V.m. Abs. 1 bis 3) PAG besteht (vgl. hierzu auch: Ziff. 38.4 der Vollzugsbekanntmachung zu Art. 38 a.F., jetzt Art. 54; vgl. auch: Schmidbauer/ Steiner, a.a.O., Art. 62 Anm. 13 ff., 32).
Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.


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