Strafrecht

Präventive Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Aktenzeichen  Au 8 K 17.1422

Datum:
21.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 81b Alt. 2, § 170 Abs. 2
BayPAG BayPAG Art. 15 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 § 81 b Alt. 2 StPO ermächtigt die Polizei zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung, um vorsorglich Hilfsmittel für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten zu erlangen (ebenso BVerwG, BeckRS 2006, 21480). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b Alt. 2 StPO muss aus einem Strafverfahren hervorgehen, in dem der Betroffene konkret als Beschuldigter geführt wird und aus dessen Ergebnissen sich die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der präventiven erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Durch das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr wird die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen in den Fällen ausgeschlossen, in denen unter Berücksichtigung der kriminalistischen Erfahrung der Polizei und der konkreten Umstände des Einzelfalls eine erneute Begehung von Straftaten durch den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist nicht nur auf die konkrete Anlasstat abzustellen; es sind vielmehr sämtliche Umstände, aus denen sich die Gefahr zukünftigen strafrechtlich relevanten Verhaltens ergibt, in die Betrachtung einzubeziehen.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei der Tat, die Anlass für die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO ist, muss es sich nicht um eine schwere Straftat handeln. Ob das Strafverfahren wegen dieser Tat nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, steht einer präventiven erkennungsdienstlichen Behandlung nur dann entgegen, wenn kein Restverdacht bestehen bleibt (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 44398). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers ist § 81b Alt. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten eines Strafverfahrens auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Vorschrift ermächtigt zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen und dient der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten (BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 18 m.w.N.).
a) Nach dem Wortlaut des § 81b Alt. 2 StPO darf die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nur gegen den Beschuldigten eines Strafverfahrens erfolgen. Damit wird deutlich, dass diese Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls sich auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss (BayVGH, B.v. 27.12.2010 – 10 ZB 10.2847 – juris Rn. 8; BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 20). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Die Staatsanwaltschaft … erhob am 8. September 2017 aufgrund der Vorfälle im März 2017 Anklage beim Amtsgericht … wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen. Lediglich das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der Beleidung und der Körperverletzung zum Nachteil eines Dritten wurde ebenfalls am 8. September 2017 und damit erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt eingestellt.
b) Hinsichtlich der vom Kläger ausgehenden Gefahr einer künftigen Begehung sowohl ähnlicher als auch anderer Straftaten hat der Beklagte die Prognose einer Wiederholungsgefahr ausreichend und nachvollziehbar begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht insoweit auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird zum Klagevorbringen ausgeführt:
Durch das Kriterium der Wiederholungsgefahr schließt der Gesetzgeber die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen in den Fällen aus, in denen unter Berücksichtigung der kriminalistischen Erfahrung der Polizei und der konkreten Umstände des Einzelfalls eine erneute Begehung von Straftaten durch den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Die Notwendigkeit dieser polizeilichen Maßnahme bemisst sich somit allein danach, ob Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass der Betroffene zukünftig in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend – fördern könnten (BayVGH, 27.12.2010 – 10 ZB 10.2847 – juris Rn. 8; BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 22). Für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist dabei nicht nur auf die konkrete Anlasstat abzustellen. Vielmehr sind sämtliche Umstände, aus denen sich die Gefahr zukünftigen strafrechtlich relevanten Verhaltens des Betroffenen ergibt, in die Betrachtung einzubeziehen.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Beklagte zutreffend dargelegt, dass sich aus dem bisherigen strafrechtlichen Werdegang des Klägers und der Art und Weise der Begehung der Anlasstat eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr ergibt. Bei der Anlasstat handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um bloße Bagatellkriminalität. Der Auszug des Klägers aus dem Zentralregister weist bereits eine strafrechtliche Verurteilung auf, ohne dass erkennbar wäre, dass diese den Kläger zu einem rechtstreuen Verhalten veranlassen konnte. Jedenfalls hielt die Verurteilung den Kläger weder von der Begehung der Anlasstat noch von weiteren Taten ab, die zumindest polizeiliche Ermittlungsverfahren auslösten. Vielmehr ergeben sich aus der vom Beklagten am 15. November 2017 vorgelegten Lagekurzauskunft mehrere Anzeigen gegen den Kläger u.a. vom 17. Oktober 2014, 5. März 2017, 25. April 2017, 6. Mai 2017, 2. August 2017 sowie 24. September 2017 ebenfalls jeweils wegen Beleidigungen und Körperverletzungsdelikten. Dass angesichts eines solchen Verhaltens nicht nur die theoretisch nie auszuschließende Möglichkeit einer Rückfalltat, sondern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der erneuten Tatbegehung besteht, steht außer Frage. Auch von Seiten des Klägers fehlt jeglicher substantiierter Vortrag, weshalb trotz der vorliegenden Erkenntnisse eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sein sollte. Der Hinweis darauf, dass keine schwere Straftat begangen worden sei, geht fehl. Diese Anforderung bezüglich der Anlasstat findet weder in der gesetzlichen Regelung noch in der hierzu ergangenen Rechtsprechung eine Stütze. Auch aus dem Umstand, dass am 8. September 2017 das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der Beleidigung und der Körperverletzung zum Nachteil eines Dritten gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, kann der Kläger nichts für sich herleiten. Denn auch insofern gilt, dass selbst wenn ein Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, hinsichtlich der präventiven Maßnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung ein Restverdacht bestehen bleibt, der nur dann entfiele, wenn das Strafverfahren eingestellt worden wäre und damit zugleich die Aussage getroffen worden wäre, dass der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 7). Dies ist ausweislich der Begründung der (Teil-)Einstellungsverfügung vorliegend nicht der Fall. Vielmehr wurde aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten festgehalten, dass sich nicht feststellen lasse, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen habe und letztlich Aussage gegen Aussage stehe. Im Ergebnis kann die kriminalistische Einschätzung des Beklagten hinsichtlich der Frage, ob der Kläger in Zukunft in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte, deshalb nicht beanstandet werden.
c) Die durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnenen Daten sind auch geeignet, zukünftige Ermittlungen zu fördern. Insbesondere erscheint die Anlasstat in besonderem Maße geeignet, die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu rechtfertigen, da sich in solchen Fällen ein wesentlicher Teil der Ermittlungsarbeit auf die Auswertung von Zeugenaussagen und Fingerabdrücken stützen dürfte. Sollte es erneut zu vergleichbaren Vorfällen wie in den beiden Januarnächten des Jahres 2016 kommen, kann die Vorlage von Lichtbildern bei Zeugen oder der Abgleich sichergestellter Fingerabdrücke mit denjenigen des Klägers die Ermittlungen fördern. Auch dürfte durch die Personenbeschreibung für Zeugen eine Identifizierung des Täters möglich sein. Nicht zuletzt können die erkennungsdienstlichen Unterlagen auch dazu dienen, den Kläger bei Verdachtsfällen von einem unzutreffenden Verdacht zu befreien.
d) Der Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung in seinem Ermessen steht, dieses ausgeübt und alle relevanten Belange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die Entscheidung eingestellt. Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
e) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls gewahrt. Bei der Anlasstat handelt es sich nicht um bloße Bagatellkriminalität, sondern um ein die Allgemeinheit massiv beeinträchtigendes strafbares Verhalten. Zudem ist dem Beklagten darin zu folgen, dass die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers für diesen nur mit einer geringen Beeinträchtigung verbunden und damit zumutbar ist.
2. Die unter Ziffer 1.b des Bescheids verfügte Vorladung des Klägers findet in Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG eine ausreichende Rechtsgrundlage. Sie ist Folge der Pflicht zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung und wurde vom Beklagten ausreichend und zutreffend begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und sieht von einer eigenen Begründung ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
3. Die Zwangsgeldandrohung und -festsetzung finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 53 Abs. 1, Art. 54 Abs. 1 Nr. 2, Art. 56 und Art. 59 PAG und begegnen keinen rechtlichen Bedenken (vgl. VG Augsburg, U.v. 6.5.2014 – Au 1 K 13.1564 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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