Strafrecht

Rechtmäßige Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  AN 5 K 16.00403

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 36258
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ARB 1/80 Art. 7
AufenthG § 53 Abs. 1, § 53 Abs. 3
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1b, § 54 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 9, § 55 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4

 

Leitsatz

Die Ausweisung eines privilegierten Ausländers i.S.d. § 53 Abs. 3 AufenthG erfordert, dass sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. (Rn. 21 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 10. Februar 2016 nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Die in Ziffer I verfügte Ausweisung des Klägers ist ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffern III und IV verfügten Annexentscheidungen. Ebenso wenig zu beanstanden ist das auf die Dauer von 4 Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Februar 2016 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 25).
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
Zu Gunsten des Kläger geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger jedenfalls ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zusteht, da er als Kind türkischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik geboren wurde und nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 1991 bei seinen Eltern aufgewachsen ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid ist diese Rechtsstellung auch nicht durch Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erloschen. Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 erlischt nur, wenn es gemäß Art. 14 ARB 1/80 rechtmäßig aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt wurde oder wenn der Rechtsinhaber das Gebiet des aufnehmenden EU-Mitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum und ohne berechtigte Gründe verlässt (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 – juris Rn. 49; BVerwG, U.v. 9.8.2007 – 1 C 47/06 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 24). Vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids waren diese Erlöschensvoraussetzungen nicht erfüllt.
Daher darf der Kläger als insoweit privilegierter Ausländer gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Daran gemessen erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig.
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass von dem Kläger – auch gegenwärtig – eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v.4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr zudem nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie beziehungsweise eine andere Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris Rn. 7).
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Anlass für die streitgegenständliche Ausweisung war unter anderem die Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 23. März 2012 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis je in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu drei Monaten und 2 Wochen Freiheitsstrafe und die Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 12. Juni 2014 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu 11 Monaten Freiheitsstrafe (unter Einbeziehung des Urteils vom 11. Dezember 2013) sowie die Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 23. Februar 2015 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu vier Monaten Freiheitsstrafe. Den Verurteilungen lag jeweils zugrunde, dass der Kläger ohne Fahrerlaubnis und erheblich alkoholisiert gefahren ist. Neben der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 11. Dezember 2013 (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in elf Fällen, sechs Monate zwei Wochen Freiheitsstrafe zur Bewährung) war der Kläger bereits mit Urteil des Landgerichts … vom 13. November 2006 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, davon in vier Fällen mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in drei weiteren Fällen mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln und unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Auch nach Erlass der Anlassverurteilungen wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgericht … vom 24. Juni 2019 wegen Verstoßes gegen Weisung während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu 100 Tagessätzen zu je 110 EUR Geldstrafe verurteilt, weil er entgegen der strafbewehrten Weisungen Alkohol konsumiert und seine Termine beim Bewährungshelfer nicht eingehalten hatte.
Das Amtsgericht … hatte bereits im Urteil vom 23. Februar 2015 keine günstige Sozialprognose beim Kläger angenommen, weil er wie bereits zu seinen damaligen Verurteilungen und in der Folgezeit durch Beruf, Familie und Kinder sozial eingebunden war und dennoch wieder straffällig geworden ist. Im Rahmen der Strafzumessung sah das Strafgericht zu Lasten des Klägers dessen einschlägigen strafrechtlichen Werdegang, das Handeln unter zweifacher Bewährung und das einschlägige Handeln trotz des Urteils vom 12. Juni 2014 in gleichartiger Sache.
Anhand der genannten Verurteilungen ist ersichtlich, dass wesentlicher Hintergrund der Delinquenz des Klägers offensichtlich seine Suchtmittelabhängigkeit war, zuletzt seine langjährige Alkoholsucht. Die erhebliche Wiederholungsgefahr beim Kläger wird daher insbesondere durch dessen langjährige Alkoholsucht getragen. Gegen den Vortrag des Klägers, dass er sein Alkoholproblem überwunden hat, – wobei er bereits im Jahr 2016 behauptet hat „trocken“ zu sein – und für eine noch bestehende Alkoholsucht und damit einhergehender Wiederholungsgefahr sprechen insbesondere der Beschluss des Landgerichts … vom 7. Juni 2017 und das Urteil des Amtsgerichts … vom 24. Juni 2019. Im Beschluss des Landgerichts … vom 7. Juni 2017 wegen Nichtentfallens der Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 2 StGB hat die Strafvollstreckungskammer keine positive Sozialprognose angenommen, weil der Kläger erheblich vorbestraft ist, er bereits mehrfach in Strafhaft war, er dennoch weitere Straftaten begangen hat und er seine früher eingeräumte Reststrafenbewährung nicht durchgestanden hat. Es hat insbesondere die Abstinenzweisung hinsichtlich Alkohol und illegaler Drogen für nötig erachtet, nachdem der Kläger die der Anlassverurteilung zugrundeliegenden Straftaten zur Beschaffung von Betäubungsmittel für den Eigenkonsum begangen hatte. Ein zumindest noch latent vorhandener Suchtdruck wurde beim Kläger angenommen. Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer entschieden, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt und die Höchstdauer der Führungsaufsicht von 5 Jahren nicht abgekürzt. Zusätzlich wurden zahlreiche strikt zu beachtende Weisungen erteilt, wodurch der Kläger einem äußerst engmaschigem Kontroll- und Nachsorgekonzept aus Konsumverboten, Kontrollmaßnahmen, Resozialisierungsangeboten und Meldepflichten unterliegt. Damit ist auch das Landgericht offensichtlich der Auffassung, dass beim Kläger auch noch weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten besteht und dieser Gefahr vorgebeugt werden muss. Auch das Amtsgericht … nimmt im aktuellen Urteil vom 24. Juni 2019 wegen Verstoßes gegen Weisung während der Führungsaufsicht in zwei Fällen eine noch bestehende Suchtproblematik beim Kläger an. Der Urteilsbegründung ist zu entnehmen, dass das Strafgericht den Kläger seit vielen Jahren aus zurückliegenden Verfahren kennt und dass die schon damals bekannte Suchtproblematik sich mit Schwankungen von damals bis jetzt fortgesetzt hat. Hintergrund der Taten ist die noch immer nicht überwundene Suchterkrankung betreffend den Umgang mit Alkohol. Das Strafgericht hat eine Geldstrafe genügen lassen, weil sich durch die Verhängung einer Freiheitsstrafe die langjährige Suchtproblematik des Klägers nicht in Abstinenz umwandeln lässt.
Im Rahmen der Gefahrenprognose ist auch zu berücksichtigen, dass aufgrund der noch bestehenden Alkoholproblematik und der einschlägigen mehrfachen Verurteilungen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr die erhebliche Gefahr besteht, dass es – worauf die Beklagte bereits zutreffend im Bescheid hingewiesen hat – zu tödlichen Verkehrsunfällen kommen kann. Gerade bei drohenden besonders schweren und schädlichen Delikten wie Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten sind angesichts der insofern betroffenen überragend wichtigen Rechtsgüter – Leib und Leben – an den Grad der Realisierungswahrscheinlichkeit regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen.
Im Übrigen ist der Kläger auch in der Vergangenheit immer wieder in erheblichem Maße wegen unterschiedlichster Delikte strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Weder die mehrfachen ausländerrechtlichen Verwarnungen, ein erstes Ausweisungsverfahren, die strafrechtlichen Verurteilungen (unter anderem zu einer hohen Freiheitstrafe von 3 Jahren), der Bewährungswiderruf noch die Haftverbüßungen haben den Kläger davon abgehalten erneut straffällig zu werden. Selbst der massive Legalbewährungsdruck durch die aktuelle Führungsaufsicht und durch das laufende Ausweisungsverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2019 – 19 ZB 16.2448 – Rn. 22) haben zu keinem rechtstreuen Verhalten des Klägers geführt. Nach dem Verhalten des Klägers, dessen Gesamtpersönlichkeit und der nicht therapierten Alkoholsucht muss daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44).
Im Fall des Klägers ist von einem vertypten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 1b AufenthG aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht … vom 13. November 2006 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, davon in vier Fällen mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in drei weiteren Fällen mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln und unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren auszugehen, auch wenn das Urteil bereits im Jahr 2006 ergangen ist und die Beklagte von der zunächst beabsichtigten Ausweisung abgesehen und eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Auf zurückliegende Rechtsverstöße ist nicht mehr abzustellen, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Allein die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für sich genommen, d.h. ohne Berücksichtigung der näheren Umstände der Erteilung, nicht geeignet, einen solchen Vertrauenstatbestand zu begründen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 39; VGH BW, U.v. 15.11.2017 – 11 S 1555/16 – juris Rn. 33f.; OVG Bremen B.v. 10.11.2017 – 1 LA 259/15 – juris Rn. 18). Vorliegend war dem Kläger aufgrund der ausländerrechtlichen Verwarnungen vom 8. Mai 1995, 10. Juni 1996, 23. Juni 2004, 5. September 2012 und am 27. März 2014 zudem bekannt, dass die Ausländerbehörde bei Begehung weiterer Rechtsverstöße aufenthaltsbeendende Maßnahmen prüfen und dabei auch zurückliegende Rechtsverstöße berücksichtigen wird. Der Kläger konnte daher nicht darauf vertrauen, dass ihm sein früheres strafrechtliches Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten wird (vgl. OVG Bremen, B.v. 10.11.2017 – 1 LA 259/15 – juris Rn. 19; VG Saarland, B.v. 16.10.2018 – 6 L 1070/18 – juris Rn. 47), insbesondere wenn – wie hier – der Kläger weiterhin neue Straftaten begeht. Selbst wenn die oben genannte Verurteilung nicht zu berücksichtigen wäre, liegt jedenfalls ein vertyptes schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 11. Dezember 2013 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen und durch das Amtsgericht … vom 12. Juni 2014 (unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts … vom 11. Dezember 2013) zu einer Freiheitstrafe von elf Monaten sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wegen der weiteren Verurteilungen – unter anderem durch das Amtsgericht … vom 23. Februar 2015 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten und durch das Amtsgericht … vom 24. Juni 2019 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 110 EUR – vor.
Dem gegenüber liegt im Fall des Klägers ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 AufenthG vor. Der Kläger besitzt eine Aufenthaltserlaubnis, ist im Bundesgebiet geboren bzw. als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Zudem ist er mit einer Ausländerin verheiratet, die eine Niederlassungserlaubnis besitzt und lebt mit dieser und seiner minderjährigen deutschen Tochter in familiärer Lebensgemeinschaft bzw. übt das Personensorgerecht aus. Aufgrund der nunmehr eingetretenen Volljährigkeit des Sohnes besteht insoweit kein vertyptes Bleibeinteresse mehr.
In der nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung unter besonderer Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweist sich die Ausweisung des Klägers trotz seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Die Beklagte hat im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger seit vielen Jahren im Bundesgebiet lebt, einen eigenen Betrieb besitzt und ein intaktes familiäres Umfeld besteht. Auch hat sie gesehen und gewürdigt, dass die minderjährige deutsche Tochter des Klägers, sowie die übrige Familie im Bundesgebiet leben. Die Beklagte hat aber auch berücksichtigt, dass es dem Kläger trotz des langen Aufenthalts und der vorhandenen Gelegenheiten nicht gelungen ist, einen rechtstreuen Lebenswandel zu führen. Stattdessen ist er trotz ausländerrechtlicher Verwarnungen, einem ersten Ausweisungsverfahren und Haftverbüßungen vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, zum Teil mit relativ hoher Rückfallgeschwindigkeit, was belegt, dass er nicht bereit ist, sich rechtstreu zu verhalten. Massiv gegen den Kläger spricht auch dessen nicht therapiertes Alkoholproblem und die Schwere der gefährdeten Rechtsgüter, wie Leib und Leben aufgrund des Handels mit Betäubungsmitteln und der Autofahrten unter Alkoholeinfluss. Selbst die streitgegenständliche Ausweisung und die derzeitige Führungsaufsicht haben ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gewähren keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, sondern begründen lediglich eine Verpflichtung der Ausländerbehörden, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12). Der Kläger hat sich auch in der Vergangenheit nicht durch seine Familie von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen. Durch die Haftverbüßungen bestand zum Teil auch in der Vergangenheit schon nur ein eingeschränkter Kontakt zu seiner Familie. Der Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht der Ehe und Familie ist aus Gründen der Gefahrenabwehr und aus den dargestellten überragenden öffentlichen Interessen unerlässlich. Dem Kläger ist auch zuzumuten, den Kontakt zu seiner Familie auf andere Weise weiterhin aufrechtzuerhalten. Der Eingriff stellt insoweit auch keine unbillige Härte dar, da die dem Kläger zuzumutende Trennung von seiner Familie ausschließlich Konsequenz seines kriminellen Verhaltens ist. Aufgrund des Aufwachsens in einer türkischen Familie, der Eheführung mit einer türkischen Staatsangehörigen und des mehrjährigen Aufenthaltes (1984 bis 1991) in der Türkei, ist davon auszugehen, dass der Kläger mit der türkischen Sprache, Kultur und Tradition vertraut ist, so dass die Kammer der Überzeugung ist, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Ist die Ausweisung nicht zu beanstanden, so sind auch die in Ziffern III und IV des streitgegen-ständlichen Bescheids gemäß §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen rechtlich nicht zu beanstanden.
Das auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids ist nicht zu beanstanden, da Ermessensfehler nicht ersichtlich sind. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Befristung der Wirkungen der Abschiebung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (st. Rspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris, Rn. 8).
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht über-schreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist dabei fallbezogen ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (vgl. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentlichen Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Gemessen an diesen Vorgaben kann der Kläger auch nicht hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, über die Befristung der Wirkung der Ausweisung und Abschiebung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat die persönlichen und familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet berücksichtigt und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von vier Jahren angemessen ist. Insofern ist der Vortrag des Beklagtenbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, dass die Fernhaltezeit von vier Jahre auch weiterhin notwendig erscheint, da der Kläger fortlaufend Straftaten begeht, dahingehend auszulegen, dass die Befristung nunmehr unbedingt erfolgen soll, da auf die Bedingung der Rauschmittelfreiheit des Klägers nicht mehr eingegangen worden ist. Dass nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 10. Februar 2016 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer enthalten (BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
Im Übrigen folgt das Gericht den ausführlichen und zutreffenden Gründen des Bescheides der Beklagten 10. Februar 2016 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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