Strafrecht

Rechtsfehlerhafte Annahme der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung wegen erstinstanzlich unzutreffender Wertung des Konkurrenzverhältnisses

Aktenzeichen  202 StRR 4/20

Datum:
26.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6207
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 316 Abs. 1, § 318 S. 1, § 327, § 333, § 337 Abs. 1, § 344 Abs. 1, § 349 Abs. 2, § 354 Abs. 2 S. 1
StVG § 21

 

Leitsatz

1. Die unzutreffende Wertung des Konkurrenzverhältnisses durch das Erstgericht (hier: Tateinheit statt Tatmehrheit) steht wie auch sonstige, selbst offenkundige Subsumtionsfehler der Wirksamkeit einer nach § 318 Satz 1 StPO erklärten Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich nicht entgegen, solange nicht bei richtiger Rechtsanwendung ein Freispruch hätte erfolgen müssen. Geht das Berufungsgericht gleichwohl wegen der seiner Auffassung nach unrichtigen Wertung der Konkurrenzen von der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung aus, setzt es sich rechtsfehlerhaft über die (Teil-) Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils im Schuldspruch mit den ihn tragenden und für das Berufungsgericht bindend gewordenen Feststellungen und damit über die mit den §§ 316 Abs. 1, 327 StPO angestrebte Beschränkung der Kognitionspflicht hinweg, deren Beachtung das Revisionsgericht auf die zulässige Sachrüge hin von Amts wegen zu prüfen hat (u.a. Anschluss an BGH, Urt. v. 16.06.2016 – 3 StR 124/16; 10.03.2016 – 3 StR 347/15 jeweils bei juris; KG, Beschl. v. 26.08.2013 – 161 Ss 129/13 = StV 2014, 78 = OLGSt StPO § 318 Nr 22 und BayObLG, Urt. v. 16.12.1953 – 1 St 615/53 = NJW 1954, 611). (Rn. 5)
2. In diesem Fall ist das Revisionsgericht nicht gehindert, den ‚richtigen Zustand‘ selbst dadurch wiederherzustellen, dass es den Schuldspruch korrigierend im Sinne des ursprünglichen und rechtskräftigen Schuldspruchs neu fasst (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 420/17 bei juris). (Rn. 7)

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 18.10.2019 1. im Schuldspruch aufgehoben und zugleich dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt ist;
2. im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufgehoben.
II. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.
Wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten am 29.04.2029 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und ordnete an, dass ihm vor Ablauf einer (isolierten) Sperrfrist von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Seine gegen dieses Urteil eingelegte und mit Verteidigerschreiben vom 22.07.2019 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 18.10.2019 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung schuldig ist und deswegen neben der Anordnung einer isolierten Sperrfrist von einem Jahr zu einer (aus Einzelfreiheitsstrafen von drei und fünf Monaten gebildeten) Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er – jeweils unausgeführt – mit der Rüge der „Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts“ begründet.
II.
Die Nachprüfung aufgrund der statthaften (§ 333 StPO) sowie form- und fristgerecht eingelegten Revision führt auf die Sachrüge hin zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Korrektur des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs des angefochtenen Berufungsurteils, weil das Landgericht zu Unrecht von der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen und sich damit rechtsfehlerhaft über die (Teil-) Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils im Schuldspruch hinweggesetzt hat; im Übrigen ist die Revision unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
1. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in Ihrer Antragsschrift vom 03.01.2020 zutreffend darlegt, durfte das Landgericht nicht allein wegen der seiner Auffassung nach unrichtigen Annahme tateinheitlicher statt tatmehrheitlicher Verwirklichung von der Unwirksamkeit der nach § 318 Satz 1 StPO erklärten Berufungsbeschränkung ausgehen und damit die mit dieser nach den §§ 316 Abs. 1, 327 StPO angestrebte Beschränkung der Kognitionspflicht des Berufungsgerichts umgehen, deren Beachtung das Revisionsgericht auf die hier erhobene zulässige Sachrüge hin von Amts wegen zu würdigen hat. Mit der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils über die Rechtsfolgenentscheidung hinaus hat sich das Landgericht deshalb rechtsfehlerhaft über die mit der formell wie materiell wirksamen Berufungsbeschränkung eingetretene (Teil-) Rechtskraft des auch die Frage materiell-rechtlicher Tateinheit oder Tatmehrheit unabänderlich mitumfassenden erstinstanzlichen Schuldspruchs hinweggesetzt.
a) Auf die Sachrüge hat das Revisionsgericht im Rahmen einer zulässigen Revision von Amts wegen auch festzustellen, ob das Berufungsgericht zu Recht von einer gemäß § 318 StPO grundsätzlich zulässigen und wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen ist oder aber – wie hier – eine solche berechtigt als unwirksam angenommen hat. Denn die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist eine Frage der Teilrechtskraft. Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nur dann wirksam, wenn die erstinstanzlichen Schuldfeststellungen eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. Dies ist jedoch nur dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können. Nur in dem Fall, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam ist, bedarf es umfassender eigener Feststellungen des Berufungsgerichts, die geeignet sind, den Schuld- und den Strafausspruch zu tragen. Jedoch ist das Berufungsgericht auch im Falle einer als wirksam erachteten Berufungsbeschränkung nicht daran gehindert, eigene Feststellungen etwa zu den Beweggründen der Fahrt im Rahmen der Tatbestandsverwirklichung nach § 21 StVG und deren Gegebenheiten zu treffen und dadurch den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher zu bestimmen. Es hat dabei (lediglich) zu beachten, dass die von ihm getroffenen weiteren Feststellungen nicht in Widerspruch zu den Feststellungen stehen dürfen, die das Erstgericht zum Schuldspruch schon getroffen hat. Mit der Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsmittels (vgl. neben § 318 Satz 1 StPO auch § 344 Abs. 1 StPO) hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung jedenfalls im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist. Das Rechtsmittelgericht kann und darf deshalb grundsätzlich diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (vgl. rechtsgrundsätzlich BGH, Beschluss vom 27.04.2017 – 4 StR 547/16 = BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = NZV 2017, 433 = StraFo 2017, 280 aus der neueren Rspr. ferner u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 06.03.2018 – 3 OLG 130 Ss 19/18 = StraFo 2018, 159 = ZWH 2018, 191 = wistra 2018, 319 und 07.02.2017 – 2 OLG 7 Ss 105/16 = BA 54 [2017], 128 = NStZ-RR 2017, 171 = OLGSt StGB § 21 Nr 7; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 420/17 und 06.11.2019 – 1 Rv 21 Ss 784/19 beide bei juris; BGH, Beschluss vom 20.06.2017 – 1 StR 458/16 = NJW 2017, 2847; OLG Celle, Beschluss vom 17.05.2019 – 2 Ss 59/19 = StraFo 2019, 512; OLG Hamburg, Beschluss vom 29.07.2019 – 1 Ss 64/19 bei juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16.07.2018 – Ss 44/18 = NStZ 2019, 35; instruktiv [zur Frage der wirksamen Revisionsbeschränkung] zuletzt auch BGH, Beschluss vom 26.09.2019 – 5 StR 206/19 = NJW 2020, 253; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 318 Rn. 8, 16 ff. u. § 352 Rn. 4).
b) Gemessen hieran bildeten und bilden die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung durch das Berufungsgericht, weshalb die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen wirksam und damit der erstinstanzliche Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zusammen mit den ihn tragenden Feststellungen in Rechtskraft erwachsen und für das Landgericht bindend geworden ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die dem Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder derart dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen ließen. Zwar war die Berufungskammer gleichwohl nicht gehindert, eigene (ergänzende) Feststellungen etwa zu den Beweggründen der Fahrt oder den näheren Hintergründen des Erwerbs des gefälschten polnischen Führerscheins und weiteren Gegebenheiten zu treffen und dadurch den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher zu bestimmen. Es hatte aber zu beachten, dass die von ihm getroffenen weiteren Feststellungen nicht im Widerspruch zu den Feststellungen stehen dürfen, die das Erstgericht zum Schuldspruch schon getroffen hat, insbesondere durfte es keine abweichenden Feststellungen über das Konkurrenzverhältnis der verwirklichten Tatbestände zueinander treffen oder aber dieses unbeschadet eines selbst offensichtlichen Subsumtionsfehlers auch nur – wie geschehen – abweichend rechtlich würdigen, solange nicht bei richtiger Rechtsanwendung ein Freispruch hätte erfolgen müssen (vgl. neben BGH, Urt. v. 16.06.2016 – 3 StR 124/16 und 10.03.2016 – 3 StR 347/15 beide bei juris schon BayObLG, Urt. v. 16.12.1953 – 1 St 615/53 = NJW 1954, 611, jeweils m.w.N.; speziell für die Wertung des Konkurrenzverhältnisses vgl. KG, Beschluss vom 26.08.2013 – 161 Ss 129/13 = StV 2014, 78 = OLGSt StPO § 318 Nr 22 m.w.N.). Denn allein durch die gegebenenfalls unzutreffende Wertung des Konkurrenzverhältnisses wurde die Trennbarkeit des angegriffenen Entscheidungsteils in Gestalt des Rechtsfolgenausspruchs vom übrigen Urteilsinhalt nicht in Frage gestellt. Vielmehr blieb und bleibt der durch die Berufungsbeschränkung entstehende Entscheidungsteil in Gestalt des Rechtsfolgenausspruches auch nach seiner Trennung vom Schuldspruch des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils einer selbständigen Prüfung und Beurteilung zugänglich, ohne dass insoweit ‚Trennbarkeitshindernisse‘, namentlich unüberwindbare Widersprüche zu befürchten wären (BGH, Beschluss vom 27.04.2017 – 4 StR 547/16 = BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = NZV 2017, 433 = StraFo 2017, 280; Meyer-Goßner/Schmitt § 318 Rn. 16; KK/Paul StPO 8. Aufl. StPO § 318 Rn. 7a, jeweils m.w.N.).
2. Schon vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht von Tatmehrheit ausgegangen und demgemäß – aus seiner Sicht folgerichtig – zwei Einzelstrafen und aus diesen eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hat, ist nicht gänzlich auszuschließen, dass unter Zugrundelegung des zu ändernden Schuldspruchs auf eine für den Angeklagten günstigere Strafe erkannt worden wäre, weshalb das angefochtene Berufungsurteil auf dem Rechtsfehler i.S.v. § 337 Abs. 1 StPO beruhen kann.
III.
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Allerdings kann der Senat im Hinblick auf den Schuldspruch den ‚richtigen Zustand‘ selbst dadurch herstellen, dass er den Schuldspruch – wie aus Ziffer I.1. des Beschlusstenors ersichtlich – korrigierend im Sinne des ursprünglichen und rechtskräftigen Schuldspruchs neu fasst (vgl. mit überzeugender Begründung neben OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 420/17 bei juris schon [für den rechtskräftigen Schuldspruch des Bußgeldbescheids infolge wirksamer Einspruchsbeschränkung] BayObLG, Beschluss vom 07.12.1999 – 2 ObOWi 575/99 bei juris; siehe auch Meyer-Goßner/Schmitt § 352 Rn. 4 a.E.). Demgegenüber wird die nunmehr zuständige Berufungskammer über den mitsamt den zugehörigen Feststellungen aufzuhebenden Rechtsfolgeausspruch neu zu befinden haben.
IV.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache demgemäß zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).


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